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Faktorverfahren


Begriff und Grundlagen des Faktorverfahrens

Das Faktorverfahren ist ein im deutschen Steuerrecht fest verankerter Begriff und bezieht sich auf ein spezifisches Steuerermittlungs- und Zuteilungsverfahren. Primär steht es im Kontext der Einkommensteuer bei der Anwendung der Lohnsteuerklassenkombination III/V in Verbindung mit § 39f Einkommensteuergesetz (EStG). Ziel des Faktorverfahrens ist es, eine gerechtere und auf das jeweilige Einkommen der beiden Ehegatten oder Lebenspartner angepasste Lohnsteuerverteilung zu ermöglichen und steuerliche Benachteiligungen zu vermeiden, die sich aus der klassischen Steuerklassenwahl ergeben können.

Historischer Hintergrund

Mit der Einführung der Steuerklassenkombination III/V ergab sich für gemeinsam veranlagte Ehegatten oder Lebenspartner oftmals das Problem der Ungleichverteilung der Lohnsteuerbelastung während des Kalenderjahres. Um steuerliche Belastungsverschiebungen (insbesondere durch das sogenannte Steuerklassenwahl-Modell) zu vermeiden, wurde mit dem Jahressteuergesetz 2009 (§ 39f EStG) das Faktorverfahren als wählbare Alternative geschaffen.

Rechtliche Grundlagen des Faktorverfahrens

Gesetzliche Verankerung

Das Faktorverfahren ist in § 39f EStG geregelt. Hierbei handelt es sich um eine gesetzlich normierte Alternative zur klassischen Steuerklassenkombination III/V für Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner, die beide Arbeitslohn beziehen. Ausweislich dieser Vorschrift kann auf Antrag beider Partner die steuerliche Bemessungsgrundlage mittels eines individuell berechneten Faktors auf beide Partner verteilt werden.

Anwendungsbereich

Das Faktorverfahren kann ausschließlich von unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Ehegatten oder Lebenspartnern gewählt werden, die beide Arbeitslohn beziehen und nicht dauernd getrennt leben. Voraussetzung ist außerdem, dass sie zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden (Zusammenveranlagung).

Einzelpersonen oder getrennt veranlagte Steuerpflichtige sind vom Anwendungsbereich ausgeschlossen. Das Verfahren ist insbesondere für Partnerschaften vorgesehen, bei denen die Einkommensverhältnisse unterschiedlich sind, um eine gleichmäßigere Verteilung der Lohnsteuerlast zu gewährleisten.

Durchführung und Berechnung des Faktorverfahrens

Antragstellung

Der Antrag auf Anwendung des Faktorverfahrens ist bei dem für einen der Partner zuständigen Finanzamt zu stellen. Dies kann schriftlich oder elektronisch im Rahmen der Lohnsteuer-Ermäßigung erfolgen. Der Antrag ist grundsätzlich für ein Kalenderjahr wirksam und kann jährlich neu gestellt werden. Im Antrag müssen beide Partner ihr Einverständnis erklären.

Berechnung des Faktors

Der zu berechnende Faktor stellt das Verhältnis der voraussichtlichen gemeinsamen Steuer (Splitting-Verfahren) zu der Lohnsteuer dar, die sich ergeben würde, wenn die Partner einzeln nach den Steuerklassen IV/IV veranlagt würden. Ermittelt wird der Faktor wie folgt:

  1. Voraussichtliche Jahressteuer nach dem Splitting-Verfahren berechnen (gemeinsames Einkommen unter Berücksichtigung des Splittingtarifs gemäß § 32a EStG).
  2. Die Summe der Lohnsteuer berechnen, die bei Einzelveranlagung beider Partner jeweils nach Steuerklasse IV entstehen würde.
  3. Das Verhältnis dieser beiden Beträge ergibt den Faktor, der typischerweise zwischen 0,80 und 1,0 liegt (maximal 1,0).

Auswirkungen auf den Lohnsteuerabzug

Beide Partner erhalten die Steuerklasse IV mit dem berechneten Faktor. Auf ihren jeweiligen Lohnsteuerabzugsmerkmalen wird der Einkommensfaktor angegeben. Der Lohnsteuerabzug erfolgt für beide Partner mit dem individuellen Faktor, der bereits die voraussichtliche Jahressteuerschuld weitgehend abbildet und eine zu hohe oder zu niedrige Steuerzahlung im Jahr vermeiden soll.

Rechtliche Folgen und Bedeutung der Anwendung

Gleichmäßige Steuerbelastung

Das Faktorverfahren bewirkt eine gleichmäßige und individuell passgenaue Besteuerung bereits während des Lohnsteuerabzugs. Typische Steuererstattungen oder -nachzahlungen am Jahresende werden minimiert. Ziel ist ein möglichst gerechtes und transparentes Lohnsteuerabzugsverfahren während des laufenden Kalenderjahres.

Verpflichtende Einkommensteuerveranlagung

Wird das Faktorverfahren angewendet, sind die Ehegatten oder Lebenspartner gem. § 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG verpflichtet, eine Einkommensteuererklärung abzugeben (Pflichtveranlagung). Im Rahmen der Veranlagung kann es zu Nachzahlungen oder Erstattungen kommen, insbesondere wenn sich die Einkommensverhältnisse im Verlauf des Jahres ändern.

Wirkung bei Trennung oder veränderten Einkommensverhältnissen

Sollte während des Kalenderjahres eine dauerhafte Trennung erfolgen oder einer der beiden Partner aus dem Dienstverhältnis ausscheiden, ist das Finanzamt über die veränderten Verhältnisse zu informieren, damit die Lohnsteuermerkmale entsprechend angepasst werden können. Das Faktorverfahren ist in diesem Fall für das laufende Jahr nicht mehr anwendbar.

Abgrenzung zu anderen Verfahren

Unterschied zur Steuerklassenwahl III/V

Im klassischen Modell der Steuerklassenwahl III/V zahlt der Hauptverdiener regelmäßig weniger Lohnsteuer, was beim Partner mit Steuerklasse V zu einer höheren Belastung führt. Das kann einseitig starke Steuerabzüge bei einem Partner verursachen; mit dem Faktorverfahren lässt sich dies vermeiden, da der Lohnsteuerabzug nach der tatsächlichen Steuerlast beider Partner erfolgt.

Unterschied zur Steuerklassenkombination IV/IV

Bei der Steuerklassenkombination IV/IV erfolgt keine steuerliche Besserstellung für ungleiche Einkommen. Jede Person wird pauschal und gleich behandelt, was in stark unterschiedlichen Einkommensverhältnissen zu Steuernachzahlungen am Ende des Jahres führen kann.

Kritik und praktische Hinweise

Vorteile des Verfahrens

  • Mehr Gerechtigkeit und Transparenz im Lohnsteuerabzug für beide Partner
  • Vermeidung von Nachzahlungen bzw. Erstattungen am Jahresende
  • Bessere Planbarkeit der Nettoeinkommen

Nachteile und Risiken

  • Höherer administrativer Aufwand (jährlicher Antrag)
  • Pflichtveranlagung zur Einkommensteuererklärung
  • Mögliche Anpassungsnotwendigkeit bei Unter- oder Überschreitung der prognostizierten Einkommensverhältnisse

Literatur und weiterführende Quellen

  • Einkommensteuergesetz (EStG) mit Kommentierung
  • Anwendungserlass zur Einkommensteuer (EStAE)
  • BMF-Schreiben zum Faktorverfahren
  • Bundeszentralamt für Steuern: Informationen zum Faktorverfahren

Zusammenfassung

Das Faktorverfahren ist ein maßgebliches Instrument zur gerechten Aufteilung der Lohnsteuerlast bei gemeinsam veranlagten Ehegatten und Lebenspartnern mit unterschiedlichen Einkommensverhältnissen. Es ist rechtlich umfassend geregelt, bedarf eines jährlichen Antrags und trägt zur Verbesserung der steuerlichen Transparenz bei. Die Verpflichtung zur Einkommensteuererklärung sowie der höhere Verwaltungsaufwand sind bei der Entscheidung für dieses Verfahren zu beachten.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Anwendung des Faktorverfahrens erfüllt sein?

Das Faktorverfahren kann gemäß deutschem Steuerrecht angewendet werden, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind, nicht dauernd getrennt leben und beide Arbeitslohn aus einem aktiven Dienstverhältnis beziehen. Zusätzlich ist die Anwendung ausschließlich zulässig, wenn mindestens einer der Ehegatten nicht in die Steuerklasse V oder VI eingereiht ist. Eine explizite Voraussetzung ist ein gemeinsamer Antrag beider Ehegatten beim zuständigen Finanzamt. Das Verfahren ist zudem jährlich neu zu beantragen und seine Anwendung endet spätestens mit Ablauf des Kalenderjahres, für das es beantragt wurde. Die rechtlichen Grundlagen für das Faktorverfahren finden sich insbesondere in § 39f EStG, der die spezifischen Voraussetzungen sowie die Ausgestaltung detailliert regelt.

Welche rechtlichen Folgen hat das Faktorverfahren auf die Lohnsteuerpflicht der Ehegatten?

Mit dem Antrag auf das Faktorverfahren wird anstelle der üblichen Steuerklassenkombination III/V oder IV/IV ein individuell berechneter Faktor zugrunde gelegt, der die Lohnsteuerlast leistungsgerechter verteilt. Rechtlich betrachtet, bedeutet dies, dass bereits während des Jahres die steuerlichen Vorteile des Ehegattensplittings berücksichtigt werden. Dadurch kommt es zu einer exakteren Annäherung an die im Rahmen des späteren gemeinsamen Veranlagungsverfahrens maßgebliche Steuerschuld. Das Risiko erheblicher Nachzahlungen oder Rückerstattungen reduziert sich damit erheblich. Rechtliche Pflicht zur Umsetzung aller arbeitsrechtlich und lohnsteuerrechtlich relevanten Änderungen beim Arbeitgeber besteht nach Genehmigung durch das Finanzamt.

Welche Rolle spielt das Finanzamt beim Faktorverfahren aus rechtlicher Sicht?

Das Finanzamt nimmt beim Faktorverfahren eine zentrale Rolle ein. Rechtlich ist es befugt, auf Antrag der Ehegatten den maßgebenden Faktor zu ermitteln und elektronisch an die entsprechenden Arbeitgeber zu übermitteln. Das Finanzamt ist zudem verpflichtet, die Plausibilität der Angaben der Ehegatten zu prüfen und gegebenenfalls Nachweise zu fordern. Die Entscheidung des Finanzamts über die Gewährung oder Ablehnung des Faktors ist ein Verwaltungsakt, gegen den Rechtsbehelfe wie Einspruch eingelegt werden können. Zudem stellt das Finanzamt sicher, dass das Verfahren nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen und Fristen erfolgt.

Wie wirkt sich das Faktorverfahren auf die rechtliche Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung aus?

Die Teilnahme am Faktorverfahren verpflichtet die betroffenen Ehegatten gesetzlich dazu, nach Ablauf des Kalenderjahres eine Einkommensteuererklärung abzugeben (§ 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG). Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob nach der Faktorberechnung eine Nachzahlung zu erwarten ist oder nicht. Das dient der Ermittlung der tatsächlichen tariflichen Steuerlast im Rahmen der Zusammenveranlagung und der abschließenden Korrektur eventueller Diskrepanzen zwischen der einbehaltenen Lohnsteuer und der Jahressteuerschuld.

Kann das Faktorverfahren rückwirkend beantragt oder geändert werden?

Rechtlich darf das Faktorverfahren nicht rückwirkend für vergangene Kalenderjahre beantragt werden. Die Antragstellung ist stets für das laufende Kalenderjahr möglich und muss vor dem 30. November des jeweiligen Jahres beim Finanzamt eingereicht werden. Nachträgliche Änderungen innerhalb des Jahres sind möglich, etwa bei erheblichen Änderungen der Einkommensverhältnisse; diese bedürfen jedoch eines erneuten Antrags unter Angabe der geänderten Verhältnisse. Die Wirksamkeit tritt jeweils ab dem Monat nach der Bearbeitung durch das Finanzamt ein.

Welche rechtlichen Schutzmechanismen bestehen bei Fehlern im Faktorverfahren?

Ergeben sich Fehler bei der Faktorermittlung oder der Umsetzung durch das Finanzamt, so bestehen rechtliche Ansprüche auf Berichtigung. Das deutsche Steuerrecht sieht vor, dass Verwaltungsakte, die unter fehlerhaften Voraussetzungen erlassen wurden, gemäß den §§ 130 bis 132 AO korrigiert werden können. Betroffene Ehegatten können förmlichen Einspruch gegen die Festlegung oder Ablehnung des Faktors sowie gegen die auf seiner Grundlage erfolgte Lohnsteuerberechnung einlegen. Ferner kann bei festgestelltem Fehler durch den Arbeitgeber eine Korrektur über Lohnsteuer-Anmeldungen und entsprechende Korrekturen erfolgen. Im Zweifelsfall entscheidet im Rahmen eines klagefähigen Verwaltungsaktes das zuständige Finanzgericht.

Welche Rechtsfolgen entstehen bei Änderung der Lebensverhältnisse während des Kalenderjahres?

Kommt es während des laufenden Steuerjahres zu einer Änderung der Lebensverhältnisse – etwa durch dauernde Trennung, den Tod eines Ehegatten oder das Ende des unbeschränkten Steuersubjekts – sind die Ehegatten verpflichtet, dies dem Finanzamt unverzüglich mitzuteilen. Das Faktorverfahren wird in diesen Fällen mit Wirkung zum Zeitpunkt der Änderung aufgehoben (§ 39f Abs. 2 S. 4 EStG). Vorherige Berechnungen werden spätestens bei Anfertigung der Einkommensteuererklärung im Rahmen der Schlussveranlagung berichtigt. Wird diese Mitteilungspflicht verletzt, können steuerrechtliche Konsequenzen bis hin zu Sanktionen gem. § 370 AO (Steuerhinterziehung) entstehen.