Begriff und rechtliche Einordnung des faktischen Arbeitsverhältnisses
Das faktische Arbeitsverhältnis ist ein Begriff aus dem deutschen Arbeitsrecht, der eine Situation beschreibt, in der Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Hauptleistungspflichten eines Arbeitsverhältnisses tatsächlich durchführen, obwohl der Arbeitsvertrag entweder (noch) nicht wirksam zustande gekommen ist oder an einem rechtlichen Mangel leidet. Der Begriff findet insbesondere Anwendung, wenn die vertraglichen Beziehungen aus rechtlichen Gründen nichtig, schwebend unwirksam oder anfechtbar sind, gleichwohl jedoch gearbeitet und Arbeitsentgelt gezahlt wird. Das faktische Arbeitsverhältnis war in der arbeitsrechtlichen Praxis und Rechtsprechung lange Zeit von großer Bedeutung, durch die Schuldrechtsreform und umfassende gesetzliche Regelungen hat sich seine Relevanz jedoch in Teilbereichen gewandelt.
Voraussetzungen des faktischen Arbeitsverhältnisses
1. Fehlen eines wirksamen Arbeitsvertrages
Ein faktisches Arbeitsverhältnis liegt vor, wenn die Parteien ein Arbeitsverhältnis tatsächlich leben, ein wirksamer Arbeitsvertrag aber – zum Beispiel wegen Formmangels, Verstoß gegen gesetzliche Verbote oder fehlender Geschäftsfähigkeit – nicht zustande gekommen ist oder später beseitigt wurde (z. B. durch Anfechtung).
Beispiele:
- Eine Person arbeitet bereits, obwohl der Vertrag wegen fehlender Arbeitserlaubnis nichtig ist.
- Der Vertrag wurde wirksam angefochten, die Arbeitsleistung wird trotzdem weiter erbracht.
2. Tatsächliche Erbringung der Arbeitsleistung
Das zentrale Merkmal des faktischen Arbeitsverhältnisses ist die tatsächliche Inanspruchnahme von Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber und die tatsächliche Arbeitsausübung durch den Arbeitnehmer. Derartige Beziehungen werden mitunter auch als „Arbeitsverhältnis sui generis“ bezeichnet.
Rechtsfolgen des faktischen Arbeitsverhältnisses
Die rechtliche Behandlung des faktischen Arbeitsverhältnisses wurde maßgeblich von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geprägt und betrifft verschiedene Rechtsgebiete, insbesondere das Schuldrecht und das Arbeitsrecht.
1. Anspruch auf Arbeitsentgelt
Obwohl der Arbeitsvertrag an einem Rechtsmangel leidet, steht dem Arbeitnehmer für erbrachte Leistungen regelmäßig das vereinbarte oder das übliche Arbeitsentgelt zu. Die Anspruchsgrundlage ergibt sich häufig über das Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) oder aus den Grundsätzen des Arbeitsrechts über das sogenannte „fehlerhafte Arbeitsverhältnis“.
2. Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften
Während des faktischen Arbeitsverhältnisses sind zahlreiche arbeitsrechtliche Schutzvorschriften – etwa zum Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Mutterschutz und Urlaub – entsprechend anwendbar. Dies dient insbesondere dem Schutz der schwächeren Vertragspartei.
3. Beendigung des faktischen Arbeitsverhältnisses
Ein faktisches Arbeitsverhältnis wird grundsätzlich wie ein „normales“ Arbeitsverhältnis behandelt, solange es tatsächlich gelebt wird. Die Beendigung erfolgt grundsätzlich durch Kündigung. Der Arbeitgeber kann die tatsächliche Beschäftigung nicht einseitig ohne Einhalten der für Arbeitsverhältnisse geltenden Kündigungsschutzvorschriften beenden.
4. Rückabwicklung und Kondiktion
Im Fall der Rückabwicklung sind nach Beendigung des faktischen Arbeitsverhältnisses Bereicherungsansprüche gemäß §§ 812 ff. BGB und gegebenenfalls auch § 817 Satz 2 BGB zu beachten. Der Arbeitnehmer schuldet grundsätzlich keinen Wertersatz für erbrachte Dienste, soweit ihm der Lohnanspruch nach den Grundsätzen des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses zusteht.
Abgrenzungen und praktische Anwendungsfälle
1. Abgrenzung zum fehlerhaften Arbeitsvertrag
Das faktische Arbeitsverhältnis ist eng mit dem Begriff des fehlerhaften Arbeitsvertrags verbunden, unterscheidet sich jedoch dahingehend, dass beim fehlerhaften Arbeitsvertrag ein Rechtsgeschäft mit beidseitigem Leistungsbezug trotz Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit (ex nunc) bis zur Beendigung als Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird.
2. Schein- und Scheinarbeitsverhältnisse
Sogenannte Scheinarbeitsverhältnisse, bei denen keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht wird, werden vom faktischen Arbeitsverhältnis nicht erfasst.
3. Praktische Bedeutung
Die tatsächliche Praxisrelevanz kommt vor allem bei Arbeitsverhältnissen mit Minderjährigen (fehlende Zustimmung der Eltern oder des Vormunds), bei nichtigen Arbeitsverträgen (z. B. infolge Schwarzarbeit) oder bei Streitigkeiten über den Zugang von Arbeitsverträgen vor.
Rechtsprechung und Gesetzeslage
Die maßgebliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) erkennt das faktische Arbeitsverhältnis als Schutzinstrument an, um die Interessen beider Vertragspartner zu wahren. Zwar hat die Schuldrechtsreform zum 1. Januar 2002 zu einer Anpassung der zivilrechtlichen Dogmatik geführt, die arbeitsrechtliche Behandlung faktischer Arbeitsverhältnisse blieb jedoch im Wesentlichen bestehen.
Zusammenfassung und Ausblick
Das faktische Arbeitsverhältnis ist ein arbeitsrechtliches Konstrukt zur Linderung der Folgen rechtsfehlerhafter Arbeitsverträge, bei denen die tatsächliche Arbeitsleistung trotz Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder fehlender vertraglicher Grundlage erbracht wird. Die Interessen der Parteien werden durch die analoge Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften und die Bereitstellung vertragstypischer Rechte und Pflichten gewahrt. Die Thematik bleibt auch im aktuellen Arbeitsrecht von Bedeutung, insbesondere im Kontext von Streitigkeiten zur Wirksamkeit arbeitsvertraglicher Vereinbarungen und in Fällen rechtlicher Unsicherheiten beim Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Folgen hat ein faktisches Arbeitsverhältnis für die Beteiligten?
Ein faktisches Arbeitsverhältnis entfaltet trotz fehlender formaler Grundlage oder Wirksamkeit des Arbeitsvertrags weitreichende Rechtswirkungen. Sobald Arbeitnehmer und Arbeitgeber tatsächlich miteinander arbeiten und das Arbeitsverhältnis durchgeführt wird, erlangen sowohl Rechte als auch Pflichten Wirkung, als ob ein wirksamer Arbeitsvertrag bestünde. Für den Arbeitgeber bedeutet dies insbesondere die Pflicht zur Zahlung des vereinbarten Arbeitsentgelts sowie die Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Der Arbeitnehmer wiederum kann Ansprüche wie Lohn, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaubsansprüche geltend machen. Auch Schutzvorschriften wie das Kündigungsschutzgesetz, das Arbeitszeitgesetz oder das Mutterschutzgesetz finden grundsätzlich Anwendung. Ausnahme bilden dabei Rechte, die ausschließlich von der Wirksamkeit des Arbeitsvertrages abhängen, wie etwa bestimmte vertragliche Altersvorsorgeansprüche. Darüber hinaus kann das faktische Arbeitsverhältnis zu Schadensersatzansprüchen führen, falls eine Partei durch das Zustandekommen oder die Abwicklung Nachteile erleidet.
Wie lange besteht das faktische Arbeitsverhältnis und wie kann es beendet werden?
Das faktische Arbeitsverhältnis dauert grundsätzlich so lange an, wie die tatsächliche Arbeitsleistung erbracht und entgegengenommen wird, beziehungsweise bis eine der Parteien das Arbeitsverhältnis beendet. Eine Beendigung kann sowohl vertraglich, durch konkludentes Verhalten als auch durch Kündigung erfolgen. Die ordentliche Kündigung unterliegt dabei denselben gesetzlichen und ggf. tariflichen Bestimmungen wie bei einem wirksamen Arbeitsverhältnis. Das heißt, gesetzliche Kündigungsfristen sind zu beachten, außer es liegt ein wichtiger Grund vor, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt. Auch besondere Kündigungsschutzvorschriften – etwa für Schwangere, schwerbehinderte Menschen oder Betriebsräte – sind zu beachten. Die bloße Feststellung der Unwirksamkeit des ursprünglichen Arbeitsvertrags beendet das faktische Arbeitsverhältnis nicht unmittelbar; die Beendigung erfolgt erst durch Kündigung oder einvernehmliche Aufhebung.
Welche Ansprüche haben Arbeitnehmer im Rahmen eines faktischen Arbeitsverhältnisses?
Arbeitnehmer haben grundsätzlich Anspruch auf alle gesetzlichen und sich aus dem faktischen Arbeitsverhältnis ergebenden vertragstypischen Leistungen. Dazu gehören insbesondere der Anspruch auf Vergütung für geleistete Arbeit, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gemäß Entgeltfortzahlungsgesetz, den gesetzlichen Mindesturlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz sowie ggf. die Zahlung von Überstunden. Ebenso entstehen Ansprüche auf Schutzrechte, etwa aus dem Arbeitsschutzrecht, dem Kündigungsschutzgesetz oder dem Mutterschutzgesetz. Die tatsächliche Durchführung des Arbeitsverhältnisses führt dazu, dass dem Arbeitnehmer auch sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, etwa auf Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, zustehen, selbst wenn der Arbeitsvertrag mangels Schriftform, Tarifbindung oder Genehmigung unwirksam ist.
Ist der Arbeitgeber zur Lohnzahlung verpflichtet, auch wenn der Arbeitsvertrag unwirksam ist?
Ja, trotz unwirksamen Arbeitsvertrags ist der Arbeitgeber aus dem faktischen Arbeitsverhältnis gemäß § 611a BGB (analog) zur Lohnzahlung für die tatsächlich geleistete Arbeit verpflichtet. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, aus welchem Grund der Arbeitsvertrag unwirksam ist, sofern Arbeitsleistungen tatsächlich erbracht worden sind und der Arbeitgeber diese entgegengenommen hat. Die Höhe des Lohnanspruchs richtet sich nach den Vereinbarungen, hilfsweise nach der üblichen Vergütung gemäß § 612 BGB. Der Arbeitgeber trägt darüber hinaus auch die Verantwortung zur Zahlung und Abführung der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge und Steuern.
Wie wirken sich kollektivrechtliche Regelungen auf das faktische Arbeitsverhältnis aus?
Kollektivrechtliche Regelungen – wie Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen – finden auf ein faktisches Arbeitsverhältnis grundsätzlich Anwendung, sofern die Voraussetzungen für ihre Geltung erfüllt sind. Das bedeutet beispielsweise, dass tarifvertragliche Bestimmungen, die kraft Gesetzes oder einzelvertraglicher Bezugnahme wirken, auch im faktischen Arbeitsverhältnis verbindlich sind. Dasselbe gilt für betriebliche Übung oder sonstige kollektive Normen. Die Beteiligung an einem faktischen Arbeitsverhältnis lässt die Reichweite kollektiver arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen unberührt, sodass der Arbeitnehmer nicht schlechter gestellt wird als bei einem wirksamen Arbeitsverhältnis.
Welche Mitwirkungspflichten haben Arbeitgeber mit Blick auf das Sozial- und Steuerrecht bei faktischen Arbeitsverhältnissen?
Arbeitgeber sind im Rahmen eines faktischen Arbeitsverhältnisses verpflichtet, sämtliche sozialversicherungsrechtlichen Pflichten zu erfüllen. Hierzu zählen insbesondere die Anmeldung des Arbeitnehmers bei den Sozialversicherungsträgern, die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sowie die Meldung und Einzahlung von Lohnsteuer gemäß den gesetzlichen Vorgaben. Die Nichtbeachtung dieser Pflichten kann erhebliche straf- und beitragsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, inklusive der persönlichen Haftung der handelnden Personen innerhalb des Arbeitgebers (zum Beispiel Geschäftsführung). Aus Sicht der Sozialversicherungsträger wird der Arbeitsvertrag allein durch die tatsächliche Beschäftigung als beitragsrechtlich relevant angesehen.
Sind bei faktischen Arbeitsverhältnissen Probezeit- oder Befristungsabreden wirksam?
Grundsätzlich können Probezeit- oder Befristungsabreden auch in faktischen Arbeitsverhältnissen Bedeutung erlangen. Besteht eine wirksame Einigung über eine Probezeit oder Befristung, gelten die entsprechenden gesetzlichen Regelungen, beispielsweise nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Allerdings entfalten solche Abreden nur dann Wirkung, wenn sie wirksam vereinbart wurden. Ist etwa die Befristungsabrede wegen Formmangels (schriftformfehlerhaft) unwirksam, wird das Verhältnis durch die tatsächliche Arbeitsaufnahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt, wobei es weiterhin als faktisches Arbeitsverhältnis behandelt wird. Die Rechtsfolgen richten sich dann nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Vorschriften für unbefristete Arbeitsverhältnisse.