Fahrgastrechte (See- und Binnenschiffsverkehr): Begriff und Anwendungsbereich
Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr bezeichnen die gesetzlichen Ansprüche von Reisenden gegenüber Beförderern und Terminalbetreibern bei der Nutzung von Fährdiensten, Binnenlinien und – in Teilbereichen – von Kreuzfahrten. Diese Rechte regeln insbesondere Information, Betreuung, Erstattung und Weiterbeförderung bei Ausfällen oder Verspätungen, Entschädigungen bei erheblichen Verzögerungen, Schutzvorschriften für Personen mit Behinderungen oder eingeschränkter Mobilität sowie Haftungsfragen bei Unfällen und Gepäckschäden.
Geltungsbereich
Der Schutz erfasst regelmäßig planmäßige Personenbeförderungen auf See und Binnenwasserstraßen, wenn der Abfahrts- oder Ankunftshafen in einem Mitgliedstaat liegt oder der Beförderer in einem Mitgliedstaat ansässig ist. Er gilt unabhängig vom Ticketpreis und umfasst sowohl nationale als auch grenzüberschreitende Verkehre.
Typische Ausnahmen
Ausgenommen sein können unter anderem:
- Sehr kleine Schiffe mit geringer zugelassener Passagierzahl oder minimaler Besatzung,
- sehr kurze Überfahrten (etwa unterhalb einer festgelegten Distanz),
- historische Schiffe mit besonderer Bauart,
- Ausflugs- und Sightseeingfahrten.
Für Kreuzfahrten gelten die Schutzvorschriften in eingeschränktem Umfang, insbesondere hinsichtlich Informationspflichten und des Schutzes von Personen mit Behinderungen oder eingeschränkter Mobilität; Entschädigungs- und Umbuchungsrechte sind dort teilweise abweichend geregelt.
Zentrale Rechte der Fahrgäste
Information und Transparenz
Reisende haben Anspruch auf klare vorvertragliche Informationen zu Fahrplan, Beförderungsbedingungen, Zugangsbedingungen und wesentlichen Merkmalen der Beförderung. Bei Verspätungen oder Ausfällen ist eine zeitnahe Unterrichtung über die Situation sowie über voraussichtliche Abfahrts- und Ankunftszeiten vorgesehen. Hinweise zu den Fahrgastrechten sind in Terminals und gegebenenfalls an Bord zugänglich zu machen.
Erstattung, Weiterbeförderung und Umbuchung
Bei Annullierung oder bei Verspätung am Abfahrtsort, die eine festgelegte Grenze (typischerweise mehr als 90 Minuten) überschreitet, besteht ein Wahlrecht zwischen:
- Erstattung des Fahrpreises (gegebenenfalls einschließlich einer unentgeltlichen Rückbeförderung zum Ausgangspunkt, wenn die Reise nicht mehr ihren Zweck erfüllt), oder
- Weiterbeförderung zum Endziel unter vergleichbaren Bedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt.
Diese Grundsätze gelten auch bei Nichtbeförderung aus betrieblichen Gründen, etwa wenn die Kapazität erschöpft ist.
Betreuungsleistungen bei Störungen
Bei Annullierung oder erheblicher Verspätung ab Abfahrt besteht Anspruch auf angemessene Betreuungsleistungen, etwa auf Imbisse und Getränke in einem Umfang, der zur Wartezeit in angemessenem Verhältnis steht. Wird eine Übernachtung notwendig, ist eine Unterbringung für bis zu drei Nächte vorgesehen; hierfür kann ein Höchstbetrag pro Person und Nacht maßgeblich sein. Diese Verpflichtungen können entfallen, wenn Witterungsbedingungen die sichere Durchführung der Fahrt gefährden oder außergewöhnliche Umstände die Leistungserbringung verhindern.
Entschädigung bei Verspätung der Ankunft
Wird das Endziel mit erheblicher Verspätung erreicht, besteht – zusätzlich zu Betreuungsleistungen – ein prozentualer Entschädigungsanspruch bezogen auf den Ticketpreis. Üblich sind:
- 25 % bei Verzögerungen, die bestimmte Schwellenwerte überschreiten (z. B. ab 1 Stunde bei Fahrten bis zu 4 Stunden, ab 2 Stunden bei 4-8 Stunden, ab 3 Stunden bei 8-24 Stunden, ab 6 Stunden bei mehr als 24 Stunden),
- 50 % bei Verzögerungen, die die jeweiligen Schwellenwerte mindestens verdoppeln.
Die Entschädigung entfällt, wenn die Verspätung auf Witterungsbedingungen zurückzuführen ist, die die sichere Schiffsbetrieb führen gefährden, oder auf außergewöhnliche Umstände, die sich auch bei Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht vermeiden ließen.
Schutz von Personen mit Behinderungen und eingeschränkter Mobilität
Nichtdiskriminierung und Zugang
Reisende mit Behinderungen oder eingeschränkter Mobilität dürfen beim Ticketverkauf und bei den Beförderungsbedingungen nicht benachteiligt werden. Eine Beförderungsverweigerung allein aufgrund der Mobilitätseinschränkung ist nicht zulässig, es sei denn, zwingende Sicherheitsanforderungen oder die Bauart des Schiffes oder der Infrastruktur stehen dem entgegen. In solchen Fällen sind Alternativen wie Erstattung oder Weiterbeförderung vorgesehen.
Assistenzleistungen
In Häfen und an Bord stehen unentgeltliche Assistenzleistungen zur Verfügung, beispielsweise Unterstützung beim Ein- und Ausschiffen, beim Umsteigen und bei der Orientierung in Terminals. Die Inanspruchnahme kann an eine vorherige Anmeldung gebunden sein, damit Personal und Ausstattung bereitgestellt werden können.
Schutz von Mobilitätshilfen
Für beschädigte oder verlorene Mobilitätshilfen (z. B. Rollstühle) besteht ein Anspruch auf Ersatz, Reparatur oder Erstattung des Wiederbeschaffungswertes, wenn der Schaden während der Beförderung entstanden ist.
Haftung bei Unfällen, Gepäck und Fahrzeuge
Personenschäden
Bei Unfällen im Zusammenhang mit der Beförderung, insbesondere bei Schiffsereignissen wie Kollisionen oder Havarien, greifen besondere Haftungsregeln. Je nach Art des Ereignisses kommen verschuldensunabhängige und verschuldensabhängige Haftungsmodelle mit vorgegebenen Haftungshöchstgrenzen zur Anwendung. Beförderer müssen hierfür eine angemessene Versicherung vorhalten.
Gepäck, Fahrzeuge und Wertsachen
Für Verlust oder Beschädigung von Gepäck, einschließlich mitgeführter Fahrzeuge, gilt eine haftungsrechtliche Zuordnung mit Haftungsgrenzen. Für besonders wertvolle Gegenstände können besondere Verwahr- oder Anzeigepflichten und Beweisfragen eine Rolle spielen. Ansprüche unterliegen Fristen und müssen inhaltlich und zeitlich ordnungsgemäß geltend gemacht werden.
Beschwerdeverfahren und Durchsetzung
Interne Beschwerde gegenüber Beförderern und Terminals
Beförderer und Terminalbetreiber halten ein Beschwerdemanagement vor. Nach Eingang einer Beschwerde erfolgt in der Regel innerhalb eines Monats eine Eingangsbestätigung und innerhalb von zwei Monaten eine abschließende Antwort oder eine begründete Zwischenmitteilung. Eine sorgfältige Darstellung des Sachverhalts und die Vorlage von Beförderungsdokumenten erleichtern die Bearbeitung.
Nationale Durchsetzungsstellen
Die Überwachung der Vorgaben obliegt benannten nationalen Stellen. Nach einem abgeschlossenen internen Beschwerdeverfahren kann der Fall dort zur Prüfung vorgelegt werden. Diese Stellen verfügen über Befugnisse zur Anordnung von Maßnahmen und zur Verhängung von Sanktionen gegenüber Beförderern oder Terminalbetreibern.
Beweisfragen und Fristen
Für Entschädigungs-, Erstattungs- und Haftungsansprüche gelten Fristen und teilweise besondere Formerfordernisse. Maßgeblich sind die vertraglichen Beförderungsbedingungen sowie die einschlägigen Vorgaben des Personenbeförderungs- und Verbraucherrechts.
Vertragliche Einordnung und Verbraucherschutz
Beförderungsvertrag und AGB
Das Beförderungsverhältnis beruht auf einem Vertrag, der durch den Ticketkauf zustande kommt. Allgemeine Geschäftsbedingungen konkretisieren die Rechte und Pflichten, dürfen diese jedoch nicht zum Nachteil der Reisenden unter das gesetzliche Schutzniveau absenken. Informationspflichten bestehen vor und während der Reise.
Verhältnis zu Pauschalreisen
Bei Kreuzfahrten und kombinierten Reiseleistungen können zusätzlich Regelungen zum Pauschalreiserecht eingreifen, insbesondere zu Mängelrechten, Preisminderung und Rücktrittsmöglichkeiten. Die Fahrgastrechte im Schiffverkehr gelten daneben und können sich mit pauschalreiserechtlichen Ansprüchen überschneiden.
Grenzen der Rechte und typische Ausschlussgründe
Witterung und außergewöhnliche Umstände
Ist die sichere Durchführung der Fahrt aufgrund außergewöhnlicher Wetterlagen oder gleichwertiger Ereignisse nicht gewährleistet, können Ansprüche auf Entschädigung und Unterbringung begrenzt oder ausgeschlossen sein. Informations- und Erstattungspflichten bleiben davon unberührt, soweit sie nicht ebenfalls von zwingenden Sicherheitsaspekten betroffen sind.
Kleine Schiffe und Kurzstrecken
Bei sehr kleinen Schiffen oder Kurzstrecken kann der Geltungsbereich eingeschränkt sein. Näheres ergibt sich aus den anwendbaren Vorschriften und gegebenenfalls aus nationalen Ausnahmen.
Öffentliche Dienstleistungsaufträge
Für bestimmte Linienverkehre im öffentlichen Interesse können zeitlich befristete Befreiungen von einzelnen Verpflichtungen vorgesehen sein. Dies betrifft insbesondere regionale Binnenverkehre, bei denen öffentliche Versorgungsziele im Vordergrund stehen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Gilt der Schutz auch für Kreuzfahrten?
Teile des Schutzes gelten auch bei Kreuzfahrten, insbesondere die Informationspflichten und der Zugang für Personen mit Behinderungen oder eingeschränkter Mobilität. Entschädigungs- sowie Umbuchungs- und Erstattungsrechte sind für Kreuzfahrten jedoch eingeschränkt und weichen von den Regelungen für Linien- und Fährverkehre ab.
Wann besteht ein Anspruch auf Erstattung oder Weiterbeförderung?
Bei Annullierung oder bei Verspätung am Abfahrtsort, die eine bestimmte zeitliche Schwelle überschreitet, besteht ein Wahlrecht zwischen Erstattung des Fahrpreises (gegebenenfalls mit Rückbeförderung zum Ausgangspunkt) und einer Weiterbeförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt unter vergleichbaren Bedingungen.
Welche Entschädigung ist bei erheblicher Verspätung der Ankunft vorgesehen?
Bei deutlicher Verspätung am Endziel besteht ein Anspruch auf anteilige Entschädigung am Ticketpreis. Üblich sind 25 % ab Erreichen festgelegter Verzögerungsgrenzen und 50 % ab deren Verdopplung. Der Anspruch entfällt bei witterungsbedingten Gefährdungen der sicheren Fahrt oder anderen außergewöhnlichen Umständen.
Welche Betreuungsleistungen stehen bei Störungen zu?
Bei Annullierung oder erheblicher Verspätung ab Abfahrt sind Betreuungsleistungen wie Imbisse und Getränke vorzusehen. Wird eine Übernachtung notwendig, kann eine Unterbringung für bis zu drei Nächte verlangt werden; hierfür gilt ein pro Nacht festgelegter Höchstbetrag. Bei sicherheitsrelevanten Witterungslagen können diese Verpflichtungen eingeschränkt sein.
Wie werden Personen mit Behinderungen oder eingeschränkter Mobilität geschützt?
Es gelten das Diskriminierungsverbot, unentgeltliche Assistenzleistungen in Häfen und an Bord sowie Ersatzansprüche bei Beschädigung von Mobilitätshilfen. Eine Beförderungsverweigerung ist nur aus Sicherheitsgründen oder aufgrund baulicher Gegebenheiten zulässig, wobei Ausgleichsmechanismen vorgesehen sind.
Welche Rolle spielen nationale Durchsetzungsstellen?
Sie überwachen die Einhaltung der Vorgaben, bearbeiten Eingaben nach vorausgegangenem Beschwerdeverfahren beim Beförderer oder Terminalbetreiber und können Maßnahmen sowie Sanktionen gegenüber Unternehmen anordnen.
Gilt der Schutz auch für die Binnenschifffahrt?
Ja. Die Rechte gelten sowohl auf See als auch auf Binnenwasserstraßen, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen, etwa für sehr kleine Schiffe, Kurzstrecken oder befristete Befreiungen in bestimmten öffentlichen Linienverkehren.
Welche Fristen gelten im Beschwerdeverfahren?
Nach Eingang einer Beschwerde ist innerhalb eines Monats eine Bestätigung und innerhalb von zwei Monaten eine inhaltliche Antwort oder Zwischenmitteilung vorgesehen. Für Entschädigungs- und Haftungsansprüche können darüber hinaus eigenständige Geltendmachungs- und Verjährungsfristen maßgeblich sein.