Begriffsdefinition und rechtliche Einordnung der Eventualaufrechnung
Die Eventualaufrechnung ist ein Begriff aus dem Zivilprozessrecht, der die Aufrechnung unter einer aufschiebenden Bedingung, meist nur für den Fall der Erfolglosigkeit der Hauptverteidigung, beschreibt. Sie stellt eine Besonderheit innerhalb der prozessualen Verteidigungsmittel dar und unterscheidet sich grundlegend von der unbedingten (primären) Aufrechnung. Mit der Eventualaufrechnung wird dem Beklagten ermöglicht, seine eigene Forderung dem Kläger nur dann entgegenzusetzen, falls das Gericht die Hauptverteidigung als unbegründet erachtet. Der nachfolgende Artikel beleuchtet die Eventualaufrechnung umfassend und aus unterschiedlichen rechtlichen Blickwinkeln.
Wesen und Funktion der Eventualaufrechnung
Systematischer Kontext
Die Eventualaufrechnung ist eine prozessuale Verteidigung und kommt insbesondere im Zivilprozessrecht zur Anwendung. Sie ist von der materiellen Aufrechnung zu unterscheiden, bei der eine Aufrechnungslage bereits besteht und ein Schuldner durch entsprechende Erklärung mit einer Gegenforderung aufrechnet (§§ 387 ff. BGB). Die Eventualaufrechnung wird als Hilfsverteidigung geführt und greift nur, wenn die vorrangig geltend gemachte Einwendung keinen Erfolg hat.
Zielsetzung und Anwendungsbereiche
Ziel ist die prozessökonomische Durchsetzung von Einwendungen gegen die Klageforderung, ohne das Risiko einer nachteiligen Prozesserklärung einzugehen, falls die Hauptverteidigung scheitert. Praktische Relevanz entfaltet die Eventualaufrechnung vor allem in den Fällen, in denen prozessuale Unsicherheiten hinsichtlich der Verteidigungsstrategien bestehen.
Rechtliche Voraussetzungen der Eventualaufrechnung
Voraussetzungen der materiellen Aufrechnung
Die Eventualaufrechnung setzt – wie jede Aufrechnung – das Bestehen einer bestimmten Aufrechnungslage voraus:
- Gegenseitigkeit der Forderungen (Haupt- und Gegenforderung)
- Gleichartigkeit der Forderungen
- Durchsetzbarkeit sowie Fälligkeit der Gegenforderung
- Kein Aufrechnungsverbot
Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen richten sich nach den Vorschriften der §§ 387 ff. BGB.
Prozesserklärung und Prozessuale Besonderheiten
Die Eventualaufrechnung wird im Rahmen des Zivilprozesses gem. § 33 ZPO wie eine gewöhnliche Aufrechnung durch Schriftsatz oder mündlich erklärt, jedoch ausdrücklich unter die Bedingung gestellt, dass die vorrangige Hauptverteidigung (beispielsweise eine Einwendung oder Einrede) nicht durchgreift. Die Aufrechnungserklärung ist prozessual als Hilfsantrag einzuordnen.
Unterschied zur unbedingten Aufrechnung
Die unbedingte Aufrechnung wird als primäre Verteidigung ohne Bedingung erklärt. Dagegen zeichnet sich die Eventualaufrechnung durch ihren Eventualcharakter als vorsorgliche, nachgeordnete Verteidigung aus.
Prozessuale Auswirkungen und Folgen der Eventualaufrechnung
Entscheidungsreihenfolge im Urteil
Das Gericht prüft bei Vorliegen einer Eventualaufrechnung zunächst die Hauptverteidigung. Nur wenn diese keinen Erfolg hat, wird die Hilfsaufrechnung (Eventualaufrechnung) geprüft. Dies trägt zur prozessualen Klarheit und zur Vermeidung unnötiger Feststellungen bei.
Rechtskraft und Wirkung
Kommt das Gericht im Urteil auf die Eventualaufrechnung zurück, entfaltet die Entscheidung zur Gegenforderung Rechtskraft (§ 322 Abs. 2 ZPO). Das bedeutet, dass über die einbezogene Gegenforderung abschließend und bindend entschieden wird.
Rechtsmittel und Bindungswirkung
Wird ein Rechtsmittel eingelegt, erstreckt sich die Überprüfung durch das Berufungsgericht auch auf die Hilfsaufrechnung, sofern diese im erstinstanzlichen Verfahren zur Entscheidung gestellt wurde. Die Bindungswirkung der Entscheidung findet daher auch im Rahmen der Eventualaufrechnung umfassend Anwendung.
Sonderkonstellationen und Besonderheiten in der Rechtsprechung
Aufrechnung trotz Aufrechnungsverbot
In bestimmten Konstellationen kann eine Eventualaufrechnung auch dann erklärt werden, wenn ein relatives Aufrechnungsverbot im Raum steht. Ob und inwieweit Aufrechnungsverbote die prozessuale Eventualaufrechnung betreffen, ist teilweise strittig und richtet sich nach dem Schutzzweck des jeweiligen Verbots.
Eventualaufrechnung und beschränkte oder bedingte Leistungen
Auch im Zusammenhang mit unsicheren, beschränkten oder künftigen Gegenforderungen kann die Eventualaufrechnung prozessrechtliche Relevanz erlangen. Allerdings setzt ihre Zulässigkeit stets voraus, dass die materiell-rechtlichen Aufrechnungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Entscheidung erfüllt sind.
Bedeutung und Abgrenzung zu verwandten Verteidigungsmitteln
Unterschied zur Einrede und Einwendung
Die Eventualaufrechnung ist von bloßen Einreden (z.B. Verjährung, Stundung) und materiellen Einwendungen (z.B. Nichtbestehen der Hauptforderung) zu unterscheiden. Sie stellt eine eigene Verteidigungsform dar, die im Prozess typischerweise als Hilfsantrag verwendet wird.
Eventualaufrechnung in besonderen Verfahrensarten
In manchen besonderen Verfahren, etwa bei der Streitverkündung oder der Widerklage, kann die Eventualaufrechnung ergänzend eingesetzt werden, sofern die formellen und materiellen Voraussetzungen gegeben sind.
Literatur und weiterführende Hinweise
Die Eventualaufrechnung ist in ihrer prozessualen und materiell-rechtlichen Ausgestaltung in der Fachliteratur breit behandelt; maßgebliche Kommentierungen finden sich insbesondere zu § 33 ZPO. Eine sorgfältige Prüfung der aktuellen Rechtsprechung und Kommentarliteratur ist in komplexen Fällen ratsam, um die prozessökonomischen Vorteile voll auszuschöpfen.
Zusammenfassung:
Die Eventualaufrechnung ist ein bedeutsames Verteidigungsmittel im Zivilprozess, welches die zweckmäßige und strategisch geschickte Durchsetzung von Gegenforderungen ermöglicht. Sie ist strikt von der materiell-rechtlichen Aufrechnung sowie von anderen prozessualen Verteidigungsarten abzugrenzen und unterliegt eigenen Formerfordernissen und Wirkungen im Prozess. Bei richtiger Anwendung kann sie erheblich zur Prozessökonomie und zur effektiven Wahrung der Rechte der Parteien beitragen.
Häufig gestellte Fragen
Unter welchen Voraussetzungen ist eine Eventualaufrechnung im Zivilprozess zulässig?
Eine Eventualaufrechnung ist im Zivilprozess grundsätzlich dann zulässig, wenn der Beklagte eine eigene Forderung gegen die Klageforderung des Klägers aufrechnen möchte, jedoch die Möglichkeit offenlassen will, diese Aufrechnung nur für den Fall der Erfolglosigkeit seiner primären Verteidigung geltend zu machen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Gegenforderung, mit der aufgerechnet werden soll, sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach im Prozess entscheidungsreif ist, also hinreichend substantiiert dargelegt und gegebenenfalls bewiesen werden kann. Zudem muss die Klageforderung erfüllbar sein und es dürfen keine gesetzlichen oder vertraglichen Aufrechnungsverbote bestehen. Nach § 45 ZPO ist die Eventualaufrechnung auch im Berufungsverfahren statthaft, sofern die Aufrechnung bereits in der ersten Instanz zumindest hilfsweise erklärt wurde. Der Beklagte muss ebenfalls klarstellen, dass die Aufrechnung lediglich hilfsweise im Verhältnis zu seiner Hauptverteidigung erfolgen soll; geschieht dies nicht, so wird die Aufrechnung als Hauptverteidigung gewertet.
Welche prozessuale Wirkung hat die Erhebung einer Eventualaufrechnung?
Die Erhebung einer Eventualaufrechnung hat die Wirkung, dass das Gericht zunächst über die primäre Verteidigung des Beklagten entscheidet. Nur wenn diese Verteidigung nicht zum Erfolg führt, prüft das Gericht die Hilfsaufrechnung als selbständigen Angriff des Beklagten auf die Klageforderung. Verneint das Gericht die Klageabweisung auf der Grundlage der Hauptverteidigung, wird sodann geprüft, ob die Voraussetzungen der Aufrechnung und die Bestandskraft der Gegenforderung vorliegen. Ist dies der Fall, kann die Klageforderung – ganz oder teilweise – durch Aufrechnung erlöschen. Dies wirkt sich im Urteil dahin aus, dass die Klage – soweit die Aufrechnung durchgreift – abgewiesen wird, ohne dass dem Beklagten ein eigener Anspruch zugesprochen wird.
Muss die Gegenforderung bei der Eventualaufrechnung hinreichend bestimmt sein?
Ja, die zur Eventualaufrechnung gestellte Gegenforderung muss hinreichend bestimmt sein, damit das Gericht über ihre Berechtigung und Verrechenbarkeit im Verhältnis zur Klageforderung entscheiden kann. Dies bedeutet, dass der Beklagte die Höhe und den Rechtsgrund der Gegenforderung schlüssig vorzutragen hat. Unspezifizierte oder lediglich allgemein gehaltene Angaben reichen nicht aus, da andernfalls kein entscheidungsreifer Sachverhalt vorliegt und das Gericht die Aufrechnung als verspätet oder unbegründet zurückweisen würde. Im Streitfall muss der Beklagte auch die Beweislast dafür tragen, dass die aufgerechnete Forderung tatsächlich besteht.
Welche Auswirkungen hat die Eventualaufrechnung auf die Kostenentscheidung im Zivilprozess?
Bei einer Eventualaufrechnung richtet sich die Kostenentscheidung danach, wie weit die Klageforderung durch die hilfsweise Aufrechnung erloschen oder abgewiesen worden ist. Wird die Klage infolge der erfolgreichen Eventualaufrechnung ganz oder teilweise abgewiesen, hat der Kläger die Kosten insoweit zu tragen, wie sein Anspruch nach Aufrechnung nicht mehr durchgesetzt werden konnte. Wird die Eventualaufrechnung hingegen als unbegründet verworfen, fällt die vollständige Kostenlast dem Beklagten zu. Im Rahmen der Kostenquotelung berücksichtigt das Gericht den Umfang des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens von Kläger und Beklagtem entsprechend.
Welche Bedeutung hat die Eventualaufrechnung für die materielle Rechtskraft des Urteils?
Die materielle Rechtskraft (Res iudicata) eines Urteils erstreckt sich im Fall der Eventualaufrechnung nicht auf die abgewiesene Gegenforderung des Beklagten. Wird die Klage aufgrund einer von mehreren Eventualaufrechnungen teilweise oder ganz abgewiesen, so bedeutet dies nur, dass insoweit die Klageforderung im Umfang der aufgerechneten Gegenforderung erloschen ist. Der Beklagte kann jedoch seine Gegenforderung, mit der nicht aufgerechnet wurde, grundsätzlich erneut zur Klage bringen, soweit sie nicht bereits anderweitig (zum Beispiel durch Hauptaufrechnung) verbraucht ist. Dieser Unterschied zwischen prozessualer und materieller Rechtskraft ist wichtig, weil eine nicht durchgreifende Aufrechnung die Durchsetzbarkeit der Gegenforderung in späteren Verfahren unberührt lässt.
Kann eine Eventualaufrechnung auch nachträglich in einem laufenden Prozess erklärt werden?
Eine Eventualaufrechnung kann im laufenden Prozess grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz erklärt werden. Danach sind neue Aufrechnungserklärungen nach § 296 ZPO als verspätet zurückzuweisen, wenn ihre Zulassung den Prozess verzögern würde. Im Berufungsverfahren kann eine bisher nicht erklärte Eventualaufrechnung nur gemäß den engen Voraussetzungen des § 533 ZPO erfolgen, insbesondere wenn der neue Angriff nicht auf einer Nachlässigkeit des Beklagten beruht und entscheidungserheblich ist. Die Zulässigkeit hängt dabei maßgeblich davon ab, ob durch die nachträgliche Einführung der Eventualaufrechnung keine Verzögerung des Rechtsstreits eintritt und die materiellen Voraussetzungen weiterhin gegeben sind.