Begriff und rechtliche Grundlagen der Europawahl
Die Europawahl bezeichnet die Wahl zum Europäischen Parlament (EP), dem direkt gewählten Organ der Europäischen Union (EU). Sie findet gemäß den Vorgaben des europäischen und nationalen Rechts in den Mitgliedstaaten der EU statt und ist ein zentrales Element demokratischer Legitimation innerhalb der Union. Die Europawahl ermöglicht es den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern der Mitgliedstaaten, Abgeordnete in das Europäische Parlament zu entsenden. Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Rahmenbedingungen, Regelungen und Besonderheiten, die mit dem Begriff „Europawahl” in Zusammenhang stehen.
Historische Entwicklung und rechtliche Verankerung
Entwicklung der Direktwahlen
Die erste direkte Wahl zum Europäischen Parlament fand im Jahr 1979 statt, nachdem die Mitgliedstaaten des damaligen Europäischen Wirtschaftsraums (EWG) im Jahr 1976 die „Akte zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments” verabschiedet hatten. Zuvor wurden die Abgeordneten von den nationalen Parlamenten entsandt. Seither finden die Wahlen alle fünf Jahre statt.
Vertragliche Grundlage
Die rechtliche Basis findet sich in Art. 14 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) sowie Art. 223 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Darin ist verankert, dass die Abgeordneten des EP in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl für fünf Jahre gewählt werden.
Wahlrechtliche Regelungen
Wahlmodalitäten auf europäischer Ebene
Die maßgeblichen europäischen Regelungen enthalten Vorgaben zur allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahl. Eine europaweit einheitliche Wahlgesetzgebung existiert jedoch nicht. Jeder Mitgliedstaat kann die Wahlmodalitäten unter Beachtung der gemeinsamen Grundsätze eigenständig ausgestalten (Art. 223 AEUV).
Sitzverteilung und Sperrklausel
Die Anzahl der Sitze im Europäischen Parlament wird im Anhang I des AEUV nach dem Prinzip der degressiven Proportionalität auf die Mitgliedstaaten verteilt. Jeder Staat erhält eine bestimmte Mindestanzahl an Sitzen; die Höchstanzahl ist auf 96 begrenzt (Bsp.: Deutschland hat 96, Malta hat 6 Sitze). Die nationale Gesetzgebung kann eine Sperrklausel (zum Beispiel 5-%-Hürde) vorsehen, diese darf jedoch 5 Prozent nicht überschreiten.
Nationale Ausgestaltung der Europawahl
Wahlsysteme der Mitgliedstaaten
Zwar sind einige Grundprinzipien verpflichtend, jedoch ist die konkrete Ausgestaltung, wie etwa das Wahlsystem (Listenwahl, Verhältniswahl, offene/Liste), den Mitgliedstaaten überlassen. Die Mehrheit verwendet ein Verhältniswahlsystem.
Wahlberechtigung und aktives/passives Wahlrecht
Wahlberechtigt sind alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, die in einem Mitgliedstaat ihren Wohnsitz haben, sofern sie mindestens das Wahlalter (meist 18 Jahre, vereinzelt auch 16 Jahre wie in Österreich und Malta) erreicht haben. Auch Unionsbürgerinnen und -bürger, die in einem anderen EU-Staat leben, dürfen dort wählen und gewählt werden.
Kandidatur, Wahllisten und Wahlverfahren
Zulassung der Wahlvorschläge
Die Zulassung von Wahllisten sowie die Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten richten sich nach nationalem Recht. Wahlvorschläge können von Parteien, politischen Vereinigungen und Wählergruppen eingereicht werden. Voraussetzungen und Fristen regeln die Wahlgesetze der Mitgliedstaaten.
Durchführung und Überwachung
Die Durchführung der Europawahl obliegt den Wahlbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten. Die Überwachung erfolgt durch nationale Wahlleitung, gegebenenfalls ergänzt durch nationale und internationale Wahlbeobachter.
Rechtsschutz und Anfechtung
Beschwerdewege
Entscheidungen der Wahlorgane können von den Betroffenen im Rechtsweg angefochten werden. Die jeweiligen nationalen Vorschriften zur Wahlprüfung regeln die Art und Weise der Anfechtung, beispielsweise durch Wahlprüfungsbeschwerden bei den dafür zuständigen Gerichten.
Unionsrechtlicher Rechtsschutz
Im Falle von unionsrechtlichen Fragestellungen besteht die Möglichkeit der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), etwa bei Streitigkeiten über die Auslegung von EU-Wahlrechtsnormen.
Besondere Rechtsfragen der Europawahl
Vereinbarkeit mit internationalem Recht
Die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere das Recht auf freie und geheime Wahlen, müssen ebenfalls beachtet werden. Europäisches Unionsrecht und internationale Verpflichtungen der Mitgliedstaaten sind hinsichtlich der Durchführung der Europawahl miteinander in Einklang zu bringen.
Datenschutz und Wahlgeheimnis
Im Zusammenhang mit der Ausübung des Wahlrechts spielen der Schutz persönlicher Daten und das Wahlgeheimnis eine zentrale Rolle. Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und nationale Datenschutzgesetze sind neben dem Wahlgesetz zu beachten.
Gleichbehandlungsgebot
Das Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV und der Grundsatz der Gleichheit der Wahl sind bei den Bestimmungen zum Wahlrecht und der Durchführung der Wahl streng einzuhalten.
Sonstige Rechtsfolgen und nachgelagerte Prozesse
Mandatsbeginn und Immunität
Mit Erlöschen der vorherigen Mitgliedschaft im nationalen oder Europäischen Parlament beginnt nach Mitteilung der nationalen Wahlleitung an das Europäische Parlament das Mandat. Die Abgeordneten genießen Immunität nach Art. 8 und 9 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union.
Nachwahl und Nachrücken
Im Fall von Mandatsverlust, etwa durch Rücktritt oder Tod, rückt in den meisten Mitgliedstaaten die nächste Person der Wahlliste nach, sofern keine Nachwahl vorgesehen ist.
Fazit
Die Europawahl ist aus rechtlicher Sicht ein höchst komplexer Wahlvorgang, eingebettet in ein Zusammenspiel aus europaweiten rechtsverbindlichen Vorgaben und nationalstaatlicher Gesetzgebung. Die Wahl zum Europäischen Parlament garantiert demokratische Legitimation der Union und ist Kernbestandteil des europäischen Integrationsprozesses. Die Einhaltung der Wahlrechtsgrundsätze, der korrekte Ablauf der Wahl sowie der effektive Rechtsschutz bilden dabei das Fundament für die Durchsetzung des europäischen Demokratieprinzips.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist nach deutschem Recht bei der Europawahl wahlberechtigt?
Wahlberechtigt bei der Europawahl sind gemäß § 6 Europawahlgesetz (EuWG) alle Deutschen im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes, die am Wahltag das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben. Voraussetzung ist außerdem, dass sie seit mindestens drei Monaten in der Bundesrepublik Deutschland oder in einem der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine Wohnung innehaben oder sich sonst gewöhnlich aufhalten. Wahlberechtigt sind zudem Unionsbürgerinnen und -bürger aus anderen EU-Staaten, sofern sie ihren Wohnsitz in Deutschland haben und ebenfalls das achtzehnte Lebensjahr vollendet sowie die oben genannte Aufenthaltsdauer erfüllt haben. Nach § 6 Abs. 2 EuWG sind bestimmte Personen von der Wahl ausgeschlossen, etwa, wenn sie in Deutschland infolge eines Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzen.
Wie erfolgt die Eintragung ins Wählerverzeichnis und welche Fristen gelten dabei?
Die Eintragung ins Wählerverzeichnis erfolgt grundsätzlich von Amts wegen durch die Meldebehörde nach dem Bundesmeldegesetz. Wer am 42. Tag vor der Wahl bei einer Meldebehörde gemeldet ist und die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, wird automatisch in das Wählerverzeichnis aufgenommen (§ 17 EuWO). Unionsbürger aus anderen EU-Mitgliedstaaten müssen gemäß § 17a EuWO einen förmlichen Antrag auf Eintragung ins Wählerverzeichnis stellen; dieser Antrag muss spätestens am 21. Tag vor der Wahl bei der zuständigen Gemeindebehörde eingehen. Wer aus dem Ausland (Deutsche im Ausland) an der Europawahl teilnehmen möchte und keinen Wohnsitz in Deutschland hat, muss sich bis zu derselben Frist in das Wählerverzeichnis unaufgefordert eintragen lassen, indem er einen Antrag beim Wahlamt der zuletzt bewohnten deutschen Gemeinde stellt.
Welche rechtlichen Regelungen gelten für die Listenaufstellung der Parteien?
Die Listenaufstellung für die Europawahl wird durch das Europawahlgesetz (§§ 8ff. EuWG) und das Parteiengesetz geregelt. Parteien und sonstige politische Vereinigungen müssen ihre Wahlvorschläge in der Form von Listen einreichen. Nach § 8 Absatz 1 EuWG können sowohl Bundeslisten als auch – von Parteien, die nur in einzelnen Bundesländern organisiert sind – Landeslisten aufgestellt werden. Die Bewerber auf einer Liste müssen in geheimer Abstimmung auf einer Mitgliederversammlung oder durch eine Vertreterversammlung gewählt werden (§ 21 Parteiengesetz i.V.m. § 9 EuWG). Die entsprechenden Unterlagen und Unterstützungserklärungen sind bis spätestens 83 Tage vor der Wahl beim Bundeswahlleiter einzureichen. Die Wahlvorschläge werden anschließend vom Bundeswahlausschuss auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft.
Welche Vorschriften regeln die Stimmabgabe und das Verfahren der Briefwahl?
Die Stimmabgabe ist zentral im Europawahlgesetz (§§ 12-16 EuWG) sowie der Europawahlordnung (EuWO) geregelt. Die Stimme kann entweder durch persönliche Stimmabgabe im Wahllokal oder durch Briefwahl erfolgen. Die Beantragung der Briefwahl kann schriftlich, elektronisch oder persönlich bei der zuständigen Gemeindebehörde bis zum zweiten Tag vor der Wahl erfolgen (§ 24 EuWO). Einschränkungen bestehen etwa hinsichtlich des Zeitpunktes, der Rückgabe der Unterlagen oder bei nachgewiesener plötzlicher Erkrankung auch noch am Wahltag selbst. Die Vertraulichkeit und die persönliche Stimmabgabe sind zwingend zu beachten; das Wahlgeheimnis muss gewahrt werden. Für die Briefwahl wird ein Wahlschein benötigt, der auf Antrag ausgestellt wird (§ 13 EuWG). Bei Zweifeln an der Gültigkeit der Wahlunterlagen können diese für unwirksam erklärt werden.
Welche Rechtsmittel bestehen gegen Entscheidungen des Wahlausschusses oder Unregelmäßigkeiten bei der Europawahl?
Gegen Entscheidungen des Bundeswahlausschusses und festgestellte Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren sieht das Europawahlgesetz (§ 26 EuWG) das Wahlprüfungsverfahren vor. Jede wahlberechtigte Person, jede Partei und jeder Kandidat haben das Recht, binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe des amtlichen Wahlergebnisses beim Deutschen Bundestag Einspruch einzulegen. Der Einspruch muss die beanstandeten Tatsachen und die Verletzung der Wahlrechtsvorschriften detailliert darlegen. Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages prüft die Einsprüche, kann Anhörungen durchführen und schlägt dem Bundestag einen Beschluss vor. Über die endgültige Gültigkeit der Europawahl entscheidet der Bundestag; gegen diese Entscheidung ist eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht möglich (§ 48 BVerfGG).
Welche gesetzlichen Bestimmungen gelten für die Wahlwerbung und die Finanzierung des Wahlkampfes?
Die gesetzlichen Grundlagen für die Wahlwerbung und die Finanzierung des Wahlkampfes ergeben sich aus dem Parteiengesetz (PartG), dem Europawahlgesetz sowie weiteren einschlägigen Vorschriften, etwa zum Datenschutz und Rundfunkrecht. Nach § 20 PartG sind Zuwendungen an Parteien sowie deren Offenlegung und Prüfung geregelt. Öffentliche Flächen für Wahlplakate werden gemäß kommunalrechtlicher Satzungen vergeben, wobei das Gebot der Chancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz) gewahrt werden muss. Im Rundfunk und Fernsehen besteht ein Anspruch auf angemessene Berücksichtigung der Parteien im Rahmen gesetzlicher Vorschriften (Staatsvertrag über den Rundfunk). Manipulative oder irreführende Wahlwerbung, etwa durch Desinformation oder fremdstaatliche Einflussnahme, kann zudem strafrechtlich relevant sein (§§ 108a-108c StGB).
Welche Vorschriften gelten für die Veröffentlichung und Bekanntgabe des Wahlergebnisses?
Das amtliche Wahlergebnis der Europawahl wird gemäß § 20 EuWG durch den Bundeswahlleiter für das gesamte Bundesgebiet festgestellt und im Bundesanzeiger sowie durch öffentliche Bekanntmachung veröffentlicht. Die Feststellung erfolgt nach Auswertung der Niederschriften der Kreis- und Landeswahlleiter. Die Übermittlung an das Europäische Parlament geschieht nach verbindlichen Vorgaben der EU-Richtlinien. Die Veröffentlichung muss binnen weniger Tage erfolgen und enthält neben dem Gesamtwahlergebnis auch die Sitzverteilung auf die einzelnen Parteien und Listen. Fehlerhafte Bekanntgaben oder Einsprüche gegen die Feststellung unterliegen dem zuvor genannten Wahlprüfungsverfahren.