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Europarat (Conseil de l’Europe)


Europarat (Conseil de l’Europe)

Überblick und Gründung

Der Europarat (frz. Conseil de l’Europe, engl. Council of Europe, CoE) ist eine zwischenstaatliche Organisation, die am 5. Mai 1949 in London gegründet wurde. Sein Hauptsitz befindet sich in Straßburg, Frankreich. Mit derzeit 46 Mitgliedstaaten (Stand: 2024), umfasst der Europarat nahezu die gesamte geografische Fläche Europas und zählt etwa 675 Millionen Einwohner zu seinem Einzugsbereich. Ziel des Europarates ist die Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit auf gesamteuropäischer Ebene. Er ist institutionell, personell und inhaltlich deutlich abzugrenzen von der Europäischen Union (EU), mit der keine institutionelle Verflechtung besteht.

Rechtliche Grundlagen und Struktur

Rechtsnatur und Rechtsquellen

Der Europarat ist eine völkerrechtliche Organisation, deren Rechtsgrundlage die Satzung des Europarats vom 5. Mai 1949 („Statute of the Council of Europe”, Europäisches Vertragswerk Nr. 1) bildet. Die Mitgliedschaft steht jedem europäischen Staat offen, der die Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten achtet.

Die Rechtsquellen des Europarates umfassen:

  • Satzung des Europarats (Gründungsdokument, auch Statut genannt)
  • Vom Ministerkomitee angenommene Konventionen und Übereinkommen
  • Empfehlungen, Resolutionen und Erklärungen des Ministerkomitees und der Parlamentarischen Versammlung

Organe des Europarates

Die Hauptorgane des Europarats sind:

  • Ministerkomitee: Das Entscheidungsgremium, zusammengesetzt aus den Außenministerinnen und Außenministern bzw. deren Ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten. Verabschiedet – meist einstimmig – Empfehlungen und bindende Beschlüsse zur Umsetzung der Konventionen.
  • Parlamentarische Versammlung: Versammlung von Abgeordneten aus den nationalen Parlamenten, die beratende Funktion besitzt, Initiativen ergreift, aber keine unmittelbare Rechtsetzungskompetenz hat.
  • Kongress der Gemeinden und Regionen Europas: Gremium, das die regionale und kommunale Ebene Europas repräsentiert.
  • Generalsekretariat: Verwaltung und Umsetzung der Entscheidungen des Ministerkomitees sowie Koordination der Arbeitsbereiche.
  • Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): Unabhängiges Organ zur Kontrolle der Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Seine Rechtsprechung ist für die Mitgliedstaaten verbindlich.

Hinzu kommen diverse beratende und unterstützende Gremien, darunter Kommissionen, Ausschüsse und Sachverständigen-Arbeitsgruppen.

Aufgaben und Kompetenzen

Schutz der Menschenrechte

Der Europarat ist maßgeblicher Akteur für die Entwicklung, Ausarbeitung und Überwachung internationaler menschenrechtlicher Standards. Das zentrale Vertragswerk ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950, einschließlich ihrer Zusatzprotokolle. Die Einhaltung der EMRK wird durch den EGMR sichergestellt, der Beschwerden von Einzelpersonen, Gruppen oder Staaten entgegennimmt und bindende Urteile fällt.

Stärkung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Der Europarat unterstützt die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung und Sicherung demokratischer Strukturen und rechtsstaatlicher Prinzipien. Dies geschieht beispielsweise durch Wahlbeobachtungen, Monitoring-Berichte, Unterstützung bei der Justizreform sowie durch zahlreiche Rahmenübereinkommen und Empfehlungen, wie etwa zur Korruptionsbekämpfung.

Schaffung und Überwachung völkerrechtlicher Übereinkommen

Der Europarat initiiert, erarbeitet und überwacht völkerrechtlich verbindliche Verträge. Zu den bekanntesten zählen neben der EMRK beispielsweise:

  • Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter
  • Europäische Sozialcharta
  • Konvention über den Datenschutz
  • Konvention gegen den Menschenhandel
  • Istanbul-Konvention zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt

Jeder Mitgliedstaat entscheidet eigenständig über die Ratifizierung dieser Konventionen.

Förderung kultureller Zusammenarbeit und Schutz nationaler Minderheiten

Der Europarat setzt sich für die Förderung kultureller Vielfalt, Sprachenpluralismus und den Schutz nationaler Minderheiten ein, etwa durch die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen und das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten.

Das Verhältnis des Europarats zur Europäischen Union und anderen Organisationen

Die Unabhängigkeit von der Europäischen Union ist ein zentrales Merkmal des Europarats. Gleichwohl bestehen zahlreiche Kooperationsfelder, etwa im Menschenrechtsschutz oder bei der Förderung gemeinsam entwickelter Standards. Mitgliedschaft und Aktivitäten des Europarates sind auch für EU-Staaten von eigenständiger völkerrechtlicher Bedeutung.

Mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und den Vereinten Nationen existieren ebenfalls Kooperationsmechanismen. Die Rechtsakte des Europarats, insbesondere die EMRK, beeinflussen die staatliche und zwischenstaatliche Rechtsetzung in ganz Europa und sind auch für nationale und supranationale Gerichte (einschließlich des Europäischen Gerichtshofs) von erheblicher Bedeutung.

Rechtliche Wirkung und Bindung der Konventionen

Rechtsverbindlichkeit

Konventionen des Europarats, insbesondere die EMRK, sind für die ratifizierenden Staaten völkerrechtlich bindend. Die Umsetzung in nationales Recht erfolgt unterschiedlich, je nach innerstaatlicher Rechtsordnung (Transformation, Inkorporation oder direkte Anwendbarkeit). Insbesondere die Urteile des EGMR verpflichten die betroffenen Staaten zu Umsetzung und ggf. Anpassung der nationalen Rechtslage.

Durchsetzungsmechanismen und Kontrolle

Die Einhaltung der Menschenrechte wird durch zwei Mechanismen sichergestellt:

  1. Individual- und Staatenbeschwerde an den EGMR: Einzelpersonen und Vertragsstaaten können Beschwerden wegen Verletzungen der EMRK einreichen.
  2. Umsetzungsüberwachung durch das Ministerkomitee: Es kontrolliert die Ausführung der EGMR-Urteile und kann Staaten zum Erlass konkreter Maßnahmen auffordern.

Weitere Übereinkommen des Europarats enthalten oft eigene Überwachungsausschüsse und Berichtspflichten.

Mitgliedschaft und Beitrittsvoraussetzungen

Die Mitgliedschaft steht allen europäischen Staaten offen, die Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit achten. Eine Suspendierung oder ein Ausschluss sind bei schweren und anhaltenden Verletzungen dieser Werte (etwa nach Artikel 8 der Satzung) möglich. Prominentes Beispiel ist der Ausschluss der Russischen Föderation im Jahr 2022.

Finanzierung und Arbeitsmittel

Die Finanzierung des Europarats erfolgt durch Beiträge der Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihres Bruttonationaleinkommens. Zusätzliche Mittel fließen durch projektbezogene Finanzierungen und freiwillige Beiträge.

Bedeutung in der europäischen Rechtsordnung

Der Europarat hat mit der Schaffung zentraler Menschenrechtsmechanismen und demokratischer und rechtsstaatlicher Minimalstandards erheblichen Einfluss auf die europäische Rechtsentwicklung genommen. Die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR wirken prägend auf die Gesetzgebung, Verwaltung und Judikative aller Mitgliedstaaten und erfüllen eine Modellfunktion für völkerrechtliche Menschenrechtsgarantien weltweit.

Literatur und weiterführende Informationen

Für eine vertiefende Auseinandersetzung empfehlen sich folgende Materialien:

  • Satzung des Europarats, Europäisches Vertragswerk Nr. 1
  • Europäische Menschenrechtskonvention samt Zusatzprotokollen
  • Website des Europarats: https://www.coe.int

Das Verständnis der Aufgaben, Struktur und rechtlichen Wirkungen des Europarats ist für die Analyse rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Fragen im europäischen Kontext von zentralem Wert.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Mitgliedschaft im Europarat?

Die rechtlichen Grundlagen der Mitgliedschaft im Europarat sind in der Satzung des Europarats („Statut des Europarats”, 1949) verankert. Nach Artikel 4 der Satzung kann jedes europäische Land, das zur Verwirklichung der Grundsätze des Europarats – insbesondere dem Schutz der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit – fähig und bereit ist, Mitglied werden. Die Aufnahme eines neuen Mitgliedsstaates erfolgt durch Beschluss des Ministerkomitees mit Zweidrittelmehrheit. Mitglieder verpflichten sich zur Anerkennung der in Artikel 3 der Satzung niedergeschriebenen Grundsätze und zur Erfüllung der aus der Mitgliedschaft erwachsenden Pflichten. Der Austritt ist nach Artikel 7 Satzung jederzeit durch schriftliche Mitteilung an den Generalsekretär möglich; der Verlust der Mitgliedschaft kann nach Artikel 8 beim fortgesetzten Verstoß gegen Grundprinzipien der Organisation ebenfalls durch das Ministerkomitee beschlossen werden.

Welche rechtlichen Funktionen erfüllt die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) innerhalb des Europarats?

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist das zentrale rechtsverbindliche Instrument zum Schutz der Menschenrechte im Rahmen des Europarats. Sie wurde 1950 beschlossen und trat 1953 in Kraft. Alle Mitgliedstaaten sind nach Artikel 6 der EMRK zur Ratifikation verpflichtet. Die EMRK ist für die Mitgliedstaaten völkerrechtlich verbindlich, sie schaffen damit innerstaatlich die Rechte und Freiheiten, die in der Konvention sowie deren Zusatzprotokollen garantiert werden. Kontrollinstanz ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg. Dieser kann von Einzelpersonen, Gruppen, Nichtregierungsorganisationen und Staaten nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs angerufen werden. Urteile des EGMR sind für die betreffenden Staaten verbindlich, und deren Umsetzung wird durch das Ministerkomitee überwacht.

Inwiefern ist der Europarat rechtlich von der Europäischen Union (EU) zu unterscheiden?

Der Europarat und die Europäische Union (EU) sind völkerrechtlich und institutionell voneinander unabhängige Organisationen mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und Kompetenzen. Der Europarat wurde 1949 gegründet und basiert auf seiner eigenen Satzung; die EU entstand später durch die Europäischen Verträge. Der Europarat hat im Gegensatz zur EU keine originären legislativen (Gesetzgebungs-)Befugnisse gegenüber seinen Mitgliedstaaten. Er gibt zwar völkerrechtlich verbindliche Abkommen (wie die EMRK) heraus, seine Empfehlungen sind hingegen rechtlich nicht bindend. Die Mitgliedstaaten des Europarats sind nicht notwendigerweise Mitgliedstaaten der EU und umgekehrt; es gibt jedoch Überschneidungen. Entscheidungen des Europarats binden zudem nicht automatisch die Institutionen der EU und umgekehrt, wenngleich Kooperationen auf vertraglicher Grundlage möglich sind.

Welche rechtlich bindenden Instrumente kann der Europarat beschließen?

Der Europarat unterscheidet rechtlich zwischen „Übereinkommen” (Konventionen), die als multilaterale völkerrechtliche Verträge für unterzeichnende und ratifizierende Mitgliedstaaten bindend sind, und „Empfehlungen” (Resolutions), die rechtlich nicht verbindlich sind, aber politisches Gewicht entfalten. Neben der Europäischen Menschenrechtskonvention existieren zahlreiche weitere völkerrechtliche Übereinkommen, z. B. Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten oder Konventionen zur Bekämpfung von Korruption. Die Erstellung, Annahme und Ratifikation solcher Rechtsinstrumente erfolgt nach klar definierten Verfahrensregeln – Annahme durch das Ministerkomitee, Unterzeichnung durch die Staaten und innerstaatliche Ratifikation nach jeweiligem Verfassungsrecht. Die Umsetzung wird durch Monitoring-Mechanismen und Kontrollorgane überwacht.

Welche Rechtsmittel stehen Einzelpersonen im System des Europarats zur Verfügung?

Einzelpersonen können im Rechtssystem des Europarats insbesondere nach Artikel 34 der EMRK Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einlegen, wenn sie sich durch einen Mitgliedstaat in ihren Konventionsrechten verletzt sehen und alle innerstaatlichen Rechtswege ausgeschöpft wurden. Das Verfahren wird als Individualbeschwerde bezeichnet und ist ein herausragender rechtlicher Schutzmechanismus, der von der EMRK und ihren Zusatzprotokollen eingeräumt wird. Urteile des EGMR sind nach Artikel 46 EMRK für die betroffenen Staaten bindend; deren Umsetzung wird wiederum vom Ministerkomitee des Europarats überwacht. Daneben existiert beim Sozialrecht eine Kollektivbeschwerde nach der Europäischen Sozialcharta.

Wie werden völkerrechtliche Verstöße von Mitgliedstaaten im Europarat rechtlich behandelt?

Im Falle völkerrechtlicher Verstöße – insbesondere gegen die EMRK oder andere bindende Konventionen des Europarats – stehen mehrere rechtliche Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Das Ministerkomitee kann, wie in Artikel 46 der EMRK vorgesehen, Maßnahmen zur Durchsetzung der Urteile des EGMR gegenüber dem säumigen Staat ergreifen (z. B. Mahnung, Aufforderung zur Vorlage eines Maßnahmenplans). In gravierenden Fällen kann das Ministerkomitee nach Artikel 8 der Satzung bei fortgesetztem Verstoß gegen die Grundprinzipien (wie Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit) den Ausschluss eines Mitglieds beschließen. Sanktionen werden stets durch formelle Verfahren und nach Anhörung aller Beteiligten verhängt. Die Verfolgung von individuellen Menschenrechtsverletzungen erfolgt hingegen vor den fachlich zuständigen Spruchkörpern, insbesondere dem EGMR.