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Europäisches System der Zentralbanken (ESZB)


Begriff und rechtliche Grundlagen des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB)

Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) ist ein grundlegendes Element der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) der Europäischen Union (EU). Das ESZB besteht aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken (NZBen) aller EU-Mitgliedstaaten – unabhängig davon, ob sie den Euro als Währung eingeführt haben. Der rechtliche Rahmen und die Aufgaben des ESZB sind umfassend in den primärrechtlichen Regelungen der EU, insbesondere im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und in der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (ESZB/ EZB-Satzung), festgelegt.


Zusammensetzung und Abgrenzung

Mitglieder des ESZB

Das ESZB setzt sich gemäß Art. 282 Abs. 1 AEUV aus folgenden Komponenten zusammen:

  • Europäische Zentralbank (EZB): Zentrale Institution mit Sitz in Frankfurt am Main.
  • Nationale Zentralbanken (NZBen): Zentralbanken sämtlicher 27 EU-Mitgliedstaaten, unabhängig von der nationalen Währung.

Abgrenzung zur Eurozone und zum Eurosystem

Zu unterscheiden ist das ESZB vom Eurosystem, das lediglich aus der EZB und den NZBen der Euro-Länder besteht. Das ESZB beinhaltet auch die Zentralbanken der EU-Staaten, welche nicht am Euro teilnehmen (Opt-out-Regelung oder unvollständige Konvergenz).


Rechtsrahmen des ESZB

Vertragsgrundlagen

Das rechtliche Fundament findet das ESZB insbesondere in:

  • Primärrecht: Art. 127 ff. und Art. 282 ff. AEUV (Vertrag von Lissabon).
  • Satzung: Protokoll Nr. 4 zum AEUV, die sogenannte ESZB-Satzung.

Rechtsnatur und Stellung

Das ESZB ist keine eigenständige juristische Person, sondern ein funktional-institutionelles Gefüge. Die EZB besitzt jedoch eine eigene Rechtspersönlichkeit (Art. 282 Abs. 3 AEUV), während die nationalen Zentralbanken eigene nationale Institutionen bleiben.


Aufbauorganisation des ESZB

Organe

Die wichtigsten Organe des ESZB sind:

  • EZB-Rat: Höchstes Beschlussorgan des ESZB (Art. 283 AEUV), zusammengesetzt aus dem Direktorium und den Gouverneuren der NZBen der Euro-Mitgliedstaaten.
  • Erweiteter EZB-Rat: Brückenorgan zwischen Euro- und Nicht-Euro-Staaten, mit beratenden Funktionen (Art. 44 ESZB-Satzung).
  • Direktorium: Exekutive Leitungsinstanz der EZB (Art. 11 ESZB-Satzung).

Entscheidungsverfahren

Das ESZB ist durch ein System der abgestuften Mehrheitsentscheidungen geprägt. Im EZB-Rat haben die NZBen der Nicht-Euro-Staaten kein Stimmrecht, solange sie den Euro nicht eingeführt haben.


Aufgaben, Befugnisse und Instrumente

Hauptaufgaben gemäß AEUV

Nach Art. 127 Abs. 2 AEUV hat das ESZB insbesondere folgende Aufgaben:

  • Festlegung und Ausführung der Geldpolitik der Union
  • Durchführung von Devisengeschäften
  • Halten und Verwalten der offiziellen Währungsreserven der Mitgliedstaaten
  • Förderung eines reibungslosen Funktionierens der Zahlungssysteme

Nebenziele und Unterstützungsfunktionen

Art. 127 Abs. 5 AEUV überträgt dem ESZB zusätzlich die Mitwirkung bei der reibungslosen Politik der Aufsicht über Kreditinstitute sowie die Stabilität des Finanzsystems sicherzustellen. Die nationalen Zentralbanken können zudem spezifische Aufgaben nationaler Bedeutung wahrnehmen.


Unabhängigkeit und Rechenschaftspflichten

Grundsatz der Unabhängigkeit

Gemäß Art. 130 AEUV und Art. 7 ESZB-Satzung ist das ESZB bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben vollkommen unabhängig. Weisungen von Organen oder Einrichtungen der EU, nationalen Regierungen oder anderen Instanzen sind unzulässig. Die Unabhängigkeit ist ein zentrales Element zur Gewährleistung der Preisstabilität.

Transparenz und Rechenschaft

Obwohl unabhängig, ist das ESZB rechenschaftspflichtig gegenüber dem Europäischen Parlament, insbesondere durch regelmäßige Berichte und Anhörungen (Art. 284 AEUV).


Rechtsmittel und Rechtsschutz im Rahmen des ESZB

Klagebefugnis vor dem Europäischen Gerichtshof

EZB und NZBen genießen einen besonderen Rechtsschutzstatus. Maßnahmen der EZB sind unmittelbar anfechtbar, insbesondere durch Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV. Die nationalen Zentralbanken können selbst Teilnehmer in Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union sein.


Regelungs- und Sanktionskompetenzen

Sekundärrechtliche Befugnisse

Gemäß Art. 132 AEUV und Art. 34 ESZB-Satzung kann das ESZB erforderliche Verordnungen, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen erlassen. Die EZB ist befugt, bindende Regelungen mit unmittelbarer Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten zu erlassen, sofern die Aufgaben des ESZB dies erforderlich machen.

Sanktionsinstrumente

Zur Durchsetzung ihrer Vorgaben kann die EZB finanzielle Sanktionen verhängen (Art. 132 Abs. 3 AEUV, Art. 34.3 ESZB-Satzung).


Zwischenstaatliche und unionsrechtliche Besonderheiten

Teilnahme von Nicht-Euro-Staaten

Die Mitwirkung der nationalen Zentralbanken von Nicht-Euro-Mitgliedstaaten erfolgt im Rahmen des Erweiterten EZB-Rats, ohne unmittelbare Mitentscheidungsbefugnisse in der Euro-Geldpolitik.

Harmonisierung und nationale Kompetenzen

Die nationalen Zentralbanken behalten nationale Aufgaben, soweit sie nicht in den Kompetenzbereich des ESZB fallen. Eine enge Abstimmung auf unionsrechtlicher Basis ist vorgesehen.


Literaturhinweise und weiterführende Quellen

Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Materie sind nachfolgende Rechtsgrundlagen und Quellen maßgeblich:

  • Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)
  • Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (Protokoll Nr. 4 zum AEUV)
  • Rechtsakte und Veröffentlichungen der EZB

Zusammenfassung

Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) ist ein zentrales, auf primärrechtlicher Basis statutiertes System in der europäischen Finanzarchitektur. Es bringt die EZB und sämtliche nationalen Zentralbanken unter einem einheitlichen Rechtsrahmen mit weitreichender Unabhängigkeit und verbindlichen Aufgabenstellungen zusammen. Der rechtliche Funktionsrahmen des ESZB stellt ein Schlüsselelement für die Stabilität des Euro und der europäischen Finanzwirtschaft dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechtsgrundlagen regeln die Aufgaben und Befugnisse des ESZB?

Die Aufgaben und Befugnisse des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) sind grundlegend in den Artikeln 127 bis 133 sowie 282 bis 284 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) normiert. Ergänzend hierzu finden sich spezifische Bestimmungen in der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, die als Anhang dem AEUV beiliegt und gemäß dessen Artikel 129 als integraler Bestandteil rechtlich verbindlich ist. Die primärrechtlichen Vorgaben definieren den kollektiven Auftrag des ESZB, wozu insbesondere die Festlegung und Umsetzung der Geldpolitik, die Durchführung von Devisengeschäften, die Verwaltung der Reserven der Mitgliedstaaten sowie die Förderung eines reibungslos funktionierenden Zahlungssystems zählen. Darüber hinaus werden dem ESZB beratende Aufgaben sowie regulatorische Befugnisse insbesondere in Bezug auf Statistik und Finanzmarktstabilität zugewiesen. Das Sekundärrecht, wie Richtlinien und Verordnungen des Rates oder der Kommission im Bereich der Währungsunion, kann das Rahmenwerk weiter ausgestalten, sofern dies mit den Kompetenzen des ESZB vereinbar ist.

Inwieweit ist das ESZB von politischen Weisungen unabhängig?

Die rechtliche Unabhängigkeit des ESZB ist im Primärrecht explizit und umfassend festgeschrieben, insbesondere in Artikel 130 AEUV. Danach dürfen weder die Europäische Zentralbank (EZB), die nationalen Zentralbanken noch ein Mitglied ihrer Entscheidungsorgane bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben Weisungen von Organen oder Einrichtungen der EU, Regierungen der Mitgliedstaaten oder Dritten einholen oder entgegennehmen. Um diese rechtliche Unabhängigkeit zu untermauern, enthält das Europarecht sowohl institutionelle als auch personelle Schutzmechanismen, etwa längere Amtszeiten für Mitglieder des EZB-Direktoriums und restriktive Absetzungsmöglichkeiten. Auch in der Satzung des ESZB finden sich flankierende Regelungen, die die operative, institutionelle, finanzielle und personelle Selbstständigkeit weiter absichern.

Wie erfolgt die rechtliche Entscheidungsfindung innerhalb des ESZB?

Die rechtliche Entscheidungsfindung im ESZB richtet sich nach dem in der Satzung des ESZB und der EZB normierten Mehr-Ebenen-Modell. Das wichtigste Entscheidungsorgan ist der EZB-Rat, bestehend aus den Mitgliedern des Direktoriums und den Präsidenten der nationalen Zentralbanken des Euro-Währungsgebiets. Das Direktorium der EZB hat die laufende Führung und bereitet die Sitzungen des Rates vor. Die Entscheidungsfindung erfolgt mehrheitlich unter Beachtung des in der Satzung festgelegten Abstimmungsmodus: Im Regelfall entscheidet der EZB-Rat mit einfacher Stimmenmehrheit, bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag. Die Satzung sieht daneben – allerdings nur in besonderen Fällen – andere Mehrheiten, etwa qualifizierte, vor. Zudem werden Entscheidungsprozesse unter Einhaltung strenger Vertraulichkeits- und Transparenzregelungen sowie Meldepflichten gegenüber anderen Organen der EU durchgeführt.

Welche Rechtsakte kann das ESZB erlassen, um seine Aufgaben zu erfüllen?

Gemäß Artikel 132 AEUV in Verbindung mit Artikel 34 der ESZB/EZB-Satzung ist das ESZB ermächtigt, zum Zwecke der Erfüllung seiner Aufgaben verschiedene Typen von Rechtsakten zu erlassen: Verordnungen, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen. Verordnungen haben allgemeine Geltung, sind verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Beschlüsse sind in allen ihren Teilen verbindlich. Verordnungen und Beschlüsse richten sich – je nach Inhalt – an alle oder an bestimmte Adressaten, die namentlich benannt sind. Empfehlungen und Stellungnahmen sind rechtlich nicht bindend, dienen jedoch der Rechtsfortbildung und der Meinungsbildung auf unionseinheitlicher Ebene. Die Rechtsgrundlagen sehen ferner vor, dass diese Rechtsakte in einem vorgegebenen Verfahren erlassen werden müssen, bei dem Konsultations- und Veröffentlichungsanforderungen zu beachten sind.

Wie ist die Rechtsschutzmöglichkeit gegen Maßnahmen und Rechtsakte des ESZB ausgestaltet?

Gegen Maßnahmen und Rechtsakte des ESZB bestehen umfangreiche Rechtschutzmechanismen, die im Unionsrecht verankert sind. Insbesondere kann gemäß Artikel 263 AEUV jede natürliche oder juristische Person, ebenso wie ein Mitgliedstaat oder ein anderes Unionsorgan, eine Nichtigkeitsklage beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erheben, sofern sie unmittelbar und individuell betroffen ist. Auch die Untätigkeit der EZB kann nach Artikel 265 AEUV gerichtlich überprüft werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, im Wege einer Vorabentscheidung nach Artikel 267 AEUV die Auslegung der Handlungen des ESZB zu klären. Ferner sieht die Satzung des ESZB interne Beschwerdewege vor, etwa eine Überprüfung von Sanktionsmaßnahmen. Die gerichtliche Kontrolle trägt maßgeblich zur Rechtsstaatlichkeit und zur Wahrung der Kompetenzen des Systems bei.

Welche Bedeutung hat das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung für das ESZB?

Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das die Union in allen ihren Tätigkeitsbereichen bindet (Artikel 5 EUV), ist von zentraler rechtlicher Bedeutung für das ESZB. Es besagt, dass das ESZB – wie alle Organe der Union – nur im Rahmen der ihm durch die Verträge ausdrücklich zugewiesenen Kompetenzen tätig werden darf. Die Übertragung weiterer Aufgaben oder Kompetenzen ist nur möglich, wenn dies durch ein ordentliches Änderungsverfahren der Europäischen Verträge erfolgt. Dieser Grundsatz soll einer unzulässigen Kompetenzverlagerung und damit einer faktischen Ausweitung des Aufgabenbereichs des ESZB entgegenwirken. Verstöße gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung können durch die Kontrollbefugnis des EuGH sanktioniert werden und führen zur Rechtswidrigkeit betroffener Handlungen.

Wie werden nationale Zentralbanken rechtlich in das ESZB integriert, insbesondere wenn sie nicht dem Euroraum angehören?

Die nationale Einbindung der Zentralbanken in das ESZB unterscheidet sich rechtlich danach, ob der jeweilige Mitgliedstaat dem Euro-Währungsgebiet angehört. Nationale Zentralbanken der Mitgliedstaaten, die den Euro als Währung eingeführt haben, sind integraler Bestandteil des ESZB und zugleich des Eurosystems. Sie sind verpflichtet, sämtliche von den Unionsverträgen und der Satzung vorgesehenen Aufgaben und Weisungen zu erfüllen, wobei nationale Vorschriften anzupassen sind, um einen reibungslosen Kompetenztransfer zu gewährleisten (Artikel 131 AEUV). Die nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten außerhalb des Euroraums sind dagegen zwar Mitglieder des ESZB, nehmen jedoch nur beratende und koordinierende Aufgaben ohne operative Aufgabenerfüllung wahr. Ihre Rechte und Pflichten sind im sogenannten „Ausnahmeprotokoll“ geregelt, das insbesondere die Nichtteilnahme an geldpolitischen Beschlüssen vorsieht. In beiden Fällen besteht jedoch die Pflicht, unionsrechtswidrige nationale Vorschriften im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben anzupassen.