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Europäisches System der Finanzaufsicht


Begriff und Grundlagen des Europäischen Systems der Finanzaufsicht (ESFS)

Das Europäische System der Finanzaufsicht (kurz: ESFS; Englisch: European System of Financial Supervision, ESFS) bezeichnet das im Zuge der Finanzkrise 2007-2008 geschaffene institutionelle Aufsichtssystem für die Finanzmärkte der Europäischen Union. Ziel des ESFS ist es, die Finanzstabilität in der Europäischen Union zu gewährleisten, einen effektiven Verbraucherschutz zu sichern und die Regulierung wie auch Überwachung des europäischen Finanzsystems weiterzuentwickeln und zu harmonisieren.

Rechtsgrundlagen des Europäischen Systems der Finanzaufsicht

Entstehung und gesetzliche Verankerung

Das ESFS wurde durch verschiedene EU-Verordnungen und Richtlinien geschaffen. Die maßgeblichen Rechtsakte umfassen insbesondere die Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 über die makroprudenzielle Aufsicht des Finanzsystems und die Einrichtung des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) sowie die Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010, Nr. 1094/2010 und Nr. 1095/2010, welche die jeweiligen europäischen Aufsichtsbehörden im Bank-, Versicherungs- und Wertpapiersektor errichteten.

Diese Verordnungen sind unmittelbar in allen Mitgliedstaaten verbindlich und bilden das rechtliche Fundament für die supranationale Finanzmarktaufsicht in der Europäischen Union.

Struktur des ESFS

Das Europäische System der Finanzaufsicht gliedert sich in zwei Ebenen:

  1. Makroprudenzielle Ebene: Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (ESRB)
  2. Mikroprudenzielle Ebene: Drei Europäische Aufsichtsbehörden (ESAs) sowie nationale Aufsichtsbehörden

Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (ESRB)

Der ESRB überwacht das Finanzsystem der Union als Ganzes mit Schwerpunkt auf makroökonomische Stabilität und Früherkennung potenzieller systemischer Risiken.

Europäische Aufsichtsbehörden (ESAs)

Diese Behörden übernehmen sektorielle mikroprudenzielle Aufsichtsaufgaben und koordinieren die Zusammenarbeit mit nationalen Aufsichtsbehörden:

  • Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA, Regulation (EU) Nr. 1093/2010)
  • Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA, Regulation (EU) Nr. 1094/2010)
  • Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA, Regulation (EU) Nr. 1095/2010)

Gemeinsames Gremium der Europäischen Aufsichtsbehörden

Die drei ESAs koordinieren sich im Gemeinsamen Gremium (Joint Committee) zur Bearbeitung sektorübergreifender Fragestellungen, unter anderem im Verbraucherschutz.

Einbindung der nationalen Aufsichtsbehörden

Das ESFS basiert auf enger Zusammenarbeit zwischen den europäischen und den jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten, sodass die Anwendung und Durchsetzung des EU-Finanzmarktrechts sichergestellt wird.

Aufgaben, Kompetenzen und Befugnisse der ESFS-Institutionen

Aufgaben des ESRB

Der ESRB überwacht und bewertet systemische Risiken im Finanzsystem der Union. Er gibt Warnungen und Empfehlungen an die zuständigen EU-Organe oder Mitgliedstaaten ab. Die Adressaten sind verpflichtet, den Empfehlungen nachzukommen oder Abweichungen entsprechend zu begründen („comply or explain“-Prinzip).

Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörden

Die ESAs sind zuständig für:

  • Entwicklung technischer und regulatorischer Standards
  • Gewährleistung einer kohärenten Anwendung des EU-Finanzrechts
  • Koordination der nationalen Behörden bei grenzüberschreitenden Fragen
  • Streitbeilegung zwischen nationalen Aufsichtsbehörden
  • Aufsicht über bestimmte Finanzmarktteilnehmer oder Transaktionen von EU-weiter Bedeutung (z.B. Ratingagenturen, Transaktionsregister)
  • Erarbeitung von Stellungnahmen und Empfehlungen zur Entwicklung künftiger Regulierung

Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen nationalen Behörden können die ESAs verbindliche Entscheidungen treffen und im Ausnahmefall selbst bestimmte Aufsichtsbefugnisse ausüben.

Verhältnis zu anderen Aufsichtsstrukturen

Einheitlicher Aufsichtsmechanismus (SSM)

Im Bankenbereich ist das ESFS seit 2014 durch den Einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) ergänzt. Dieser überträgt der Europäischen Zentralbank (EZB) Aufsichtsbefugnisse über systemrelevante Kreditinstitute der teilnehmenden Mitgliedstaaten.

Zusammenarbeit mit internationalen Gremien

Das ESFS arbeitet eng mit internationalen Organisationen (z.B. Finanzstabilitätsrat (FSB), Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht, IOSCO) zusammen, um die globale Abstimmung der Aufsichtsstandards zu sichern.

Bewertung, Weiterentwicklung und Reformen des ESFS

Effektivität und Herausforderungen

Das ESFS soll einer Fragmentierung der Aufsicht, Wettbewerbsverzerrungen sowie Regulierungsarbitrage entgegenwirken. Schwerpunkte künftiger Reformen sind eine weitere Integration und Stärkung europaweiter Aufsicht, die Ausweitung der direkten Aufsichtsbefugnisse der ESAs sowie der stärkere Fokus auf Digitalisierung, nachhaltige Finanzmärkte (ESG-Kriterien) und den Schutz vor neuen systemischen Risiken.

Gesetzliche Reforminitiativen

Die Europäische Kommission unterzieht das System regelmäßig einer Bewertung. Zuletzt wurden im Rahmen des Reformpakets 2019 (u. a. Verordnung (EU) 2019/2175) die Mandate, Governance und Befugnisse der ESAs gestärkt, insbesondere im Bereich der grenzüberschreitenden Risiken und modernen Finanztechnologien.

Rechtsquellen

  • Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 über die makroprudenzielle Aufsicht des Finanzsystems
  • Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (EBA)
  • Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 (EIOPA)
  • Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 (ESMA)
  • Verordnung (EU) 2019/2175 zur Reform der ESAs

Fazit

Das Europäische System der Finanzaufsicht ist ein umfassendes, mehrstufiges Aufsichtssystem mit klar geregelten Zuständigkeiten und Kooperationsmechanismen. Es stellt sicher, dass in der Europäischen Union ein einheitlicher, stabiler und verbraucherorientierter Finanzmarkt gewährleistet wird, und ist Gegenstand fortlaufender Weiterentwicklung angesichts sich wandelnder Finanzmärkte und regulatorischer Herausforderungen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln das Europäische System der Finanzaufsicht?

Das Europäische System der Finanzaufsicht (ESFS) basiert rechtlich vorrangig auf einer Reihe von EU-Verordnungen, die seit Inkrafttreten im Jahr 2011 die organisatorischen und funktionalen Rahmenbedingungen festlegen. Zentrale Rechtsakte sind hierbei die ESAs-Verordnungen (Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 betreffend die EBA, Nr. 1094/2010 betreffend die EIOPA und Nr. 1095/2010 betreffend die ESMA) sowie die Verordnung zur Schaffung des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (Verordnung (EU) Nr. 1092/2010). Das Zusammenspiel dieser Rechtsakte sichert sowohl die Einrichtung als auch die Arbeitsweise der europäischen Aufsichtsbehörden und definiert deren Kompetenzen, Entscheidungsbefugnisse und Kooperationsmechanismen, auch im Verhältnis zu den nationalen Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten. Ergänzend zu den genannten Verordnungen werden die Aufgabenverteilung und das Verfahren zur Streitbeilegung fortlaufend durch delegierte Rechtsakte und technische Regulierungsstandards präzisiert, die auf der Grundlage des Primärrechts (insbesondere Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage für Binnenmarktmaßnahmen) sowie des Sekundärrechts erlassen werden.

Wie ist die Kompetenzverteilung zwischen europäischen und nationalen Aufsichtsbehörden im rechtlichen Kontext geregelt?

Das juristische Verhältnis zwischen europäischen und nationalen Aufsichtsbehörden ist in den einschlägigen ESAs-Verordnungen detailliert geregelt. Die europäischen Behörden (EBA, EIOPA, ESMA) besitzen grundsätzlich koordinierende, unterstützende sowie sektorspezifisch auch harmonisierende Kompetenzen. Sie können verbindliche Entscheidungen treffen, wenn es um Fragen der Anwendung von EU-Recht durch nationale Behörden geht, insbesondere im Falle der Nichtbeachtung oder unterschiedlichen Auslegung von EU-Finanzmarktregeln (Art. 17 der jeweiligen ESA-Verordnung). In Einzelfällen, meist bei Meinungsverschiedenheiten zwischen nationalen Aufsichtsbehörden, sieht das Recht zudem Streitbeilegungsmechanismen vor (Art. 19 der ESA-Verordnungen), bei denen die europäischen Behörden durch verbindliche Entscheidungen intervenieren können. Die originäre Aufsichtsbefugnis bleibt dennoch in den meisten Fällen bei den nationalen Behörden, insbesondere wenn es um die unmittelbare Überwachung einzelner Finanzmarktteilnehmer geht, es sei denn, spezialgesetzliche Vorschriften, wie etwa bei der EZB im Rahmen des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus nach der SSM-Verordnung, übertragen diese Kompetenzen explizit auf EU-Organe.

Was sind die rechtlichen Instrumente und Befugnisse der europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs)?

Die europäischen Aufsichtsbehörden sind im Recht der EU mit einer Reihe unterschiedlicher Instrumente und Rechtsakte ausgestattet. Wesentliche Instrumente umfassen verbindliche Durchführungs- und Regulierungsstandards (Implementing Technical Standards, Regulatory Technical Standards), Leitlinien, Empfehlungen sowie Einzelentscheidungen. Zu beachten ist, dass nur technische Standards und Einzelentscheidungen rechtlich bindend sind, während Leitlinien und Empfehlungen einen sogenannten „comply-or-explain“-Mechanismus nach sich ziehen, d.h. die nationalen Behörden müssen entweder folgen oder abweichende Praxen begründen. Im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse ist es den ESAs gestattet, in Krisensituationen temporäre Maßnahmen zu ergreifen, etwa in Form von Produktinterventionen (z.B. ESMA bei bestimmten Finanzinstrumenten nach MiFIR/MiFID II), sowie in Einzelfällen gegenüber Finanzunternehmen tätig zu werden, sofern dies zur Herstellung einer korrekten und einheitlichen Rechtsanwendung auf EU-Ebene erforderlich ist. Zudem verfügen die ESAs über das Recht, aufsichtsrechtliche Untersuchungen und Konsultationen durchzuführen.

Welche Rolle spielt das Europäische System der Finanzaufsicht im Rahmen der weiteren Harmonisierung des europäischen Finanzbinnenmarkts aus rechtlicher Sicht?

Im rechtlichen Kontext dient das ESFS als wichtiges Integrationsinstrument zur Harmonisierung der Finanzaufsicht innerhalb des europäischen Binnenmarkts. Die gemeinsamen regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Standards, die maßgeblich durch die ESAs entwickelt werden, sorgen für eine zunehmend einheitliche Anwendung von Richtlinien und Verordnungen in den Mitgliedstaaten. Ziel ist hierbei, regulatorische Arbitrage zu verhindern, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden sowie einheitliche Voraussetzungen für das Erbringen von Finanzdienstleistungen im gesamten EU-Binnenmarkt sicherzustellen. Rechtlich ist die Harmonisierung insbesondere durch den Erlass von bindenden technischen Standards, durch die Koordinierungsfunktion der ESAs sowie durch die Überwachung der nationalen Implementierung und Anwendung des EU-Finanzmarktrechts gewährleistet. Ferner trägt das ESFS mit seinen Streitschlichtungsmechanismen zur Rechtsklarheit und einheitlichen Auslegung des europäischen Finanzaufsichtsrechts bei.

Wie werden Streitigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten zwischen nationalen Aufsichtsbehörden im Europäischen System der Finanzaufsicht rechtlich gelöst?

Das rechtliche Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen nationalen Aufsichtsbehörden ist in den jeweiligen ESAs-Verordnungen detailliert ausgestaltet. Wenn zwei oder mehr nationale Behörden eine für den gemeinsamen Binnenmarkt relevante Frage des EU-Finanzaufsichtsrechts unterschiedlich auslegen oder anwenden, können sie sich an die zuständige europäische Aufsichtsbehörde wenden (Art. 19 ESA-Verordnung). Diese prüft dann die Angelegenheit zunächst im Rahmen eines Konsultationsverfahrens. Führt dies zu keiner Einigung, kann die betreffende ESA anschließend eine verbindliche Entscheidung treffen, die von den betreffenden Behörden zwingend umzusetzen ist. Für Streitigkeiten, die den Anwendungsbereich anderer EU-Vorschriften berühren, bleibt zudem der Weg einer Klärung auf Ebene des EuGH als letztem interpretativen Entscheidungsorgan offen.

Wie ist das Verhältnis des Europäischen Systems der Finanzaufsicht zu anderen europäischen Institutionen, wie etwa der Europäischen Zentralbank (EZB) oder der Europäischen Kommission, rechtlich geregelt?

Das rechtliche Verhältnis des ESFS zu anderen zentralen EU-Institutionen ist von Koordination und klaren Kompetenzabgrenzungen geprägt. Während die EZB im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) auf Grundlage der SSM-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 1024/2013) ausdrücklich mit der direkten Beaufsichtigung bedeutender Banken betraut ist, obliegt den ESAs eine koordinierende Funktion, die vor allem sektorspezifische Regelsetzung und die Sicherstellung einer kohärenten Anwendung von EU-Recht abdeckt. Die Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission ist gesetzlich vorgeschrieben, insbesondere im Rahmen der Entwicklung technischer Standards und der Überwachung der Einhaltung des EU-Aufsichtsrechts. Die Kommission fungiert hier als Legislative, während die ESAs Vorarbeiten und Vorschläge liefern können. Das ESFS nimmt somit eine vermittelnde, regulierende und überwachende Rolle ein, während zentrale Durchführungs- und Gestaltungsaufgaben weiterhin bei Kommission und EZB verbleiben.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen zur Kontrolle und Überprüfung der Tätigkeit der europäischen Aufsichtsbehörden?

Die Kontrolle und Überprüfung der Tätigkeit der europäischen Aufsichtsbehörden erfolgt auf mehreren rechtlichen Ebenen. Einerseits unterliegen die ESAs der Aufsicht durch die Europäische Kommission, insbesondere wenn es um die Entwicklung technischer Standards und die Umsetzung von Durchführungsmaßnahmen geht. Andererseits besteht eine externe Kontrolle durch den Europäischen Rechnungshof, der die Mittelverwendung und Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung prüft. Rechtsakte und Entscheidungen der ESAs können grundsätzlich vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) überprüft werden. Diese gerichtliche Kontrolle bezieht sich insbesondere auf die Rechtmäßigkeit der Handlungen der ESAs im Hinblick auf deren Mandat, Verhältnismäßigkeit und Zuständigkeit. Zudem sind Beschwerdemechanismen für betroffene Marktteilnehmer sowie individuelle Rechtsschutzmöglichkeiten fest in den Verordnungen verankert.