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Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ)


Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ): Rechtliche Grundlagen, Ziele und Struktur

Begriff und Einordnung

Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) ist ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag, der die Erteilung europäischer Patente durch ein zentrales Verfahren ermöglicht. Das Übereinkommen wurde am 5. Oktober 1973 in München unterzeichnet und ist am 7. Oktober 1977 in Kraft getreten. Ziel des EPÜ ist die Schaffung eines harmonisierten Systems zur Erteilung von Patenten mit Wirkung in den Vertragsstaaten, ohne ein einheitliches europäisches Patentrecht einzuführen. Die Implementierung des EPÜ vermeidet die parallele Anmeldung in mehreren Staaten und vereinfacht das Verfahren zur Erlangung von Patentschutz in Europa.

Vertragsstaaten des EPÜ

Die Zahl der Vertragsstaaten des EPÜ beträgt derzeit 39 (Stand: 2024), darunter alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie weitere europäische Staaten. Weiterhin gibt es sogenannte Erstreckungsstaaten und Validierungsstaaten, in denen der Patentschutz durch eine entsprechende Erklärung auf europäische Patente ausgeweitet werden kann.

Rechtsnatur und Verhältnis zum nationalen Recht

Das EPÜ ist ein eigenständiger völkerrechtlicher Vertrag außerhalb des EU-Rechtsrahmens und steht nationalen Patentgesetzen gleichwertig gegenüber. Europäische Patente, die nach dem EPÜ erteilt werden, kommen nach ihrer Erteilung einem Bündel nationaler Patente gleich, die in jedem benannten Vertragsstaat den gleichen Rang und Schutzumfang wie ein nationales Patent haben. Nach nationalem Recht werden u.a. die Wirkungen des Patents, die Gebühren sowie die Regelungen zum Widerruf und zur Verletzung behandelt, sofern das EPÜ keine abweichenden Bestimmungen enthält.

Ziele und Grundprinzipien des EPÜ

Das EPÜ strebt die Vereinfachung und Zentralisierung des Verfahrens zur Erlangung patentrechtlichen Schutzes an. Es legt Voraussetzungen für die Patentierbarkeit, das Prüfungsverfahren und die Verwaltung der Patente fest. Die wesentlichen Ziele sind:

  • Harmonisierung der materiellen Patentvoraussetzungen
  • Zentralisiertes Erteilungsverfahren
  • Effizienzsteigerung im Patenterteilungsprozess
  • Rechtssicherheit und Transparenz für Anmelder und Öffentlichkeit

Aufbau und Organe des Europäischen Patentübereinkommens

Das Europäische Patentamt (EPA)

Herzstück der Organisation ist das Europäische Patentamt (EPA), eine supranationale Behörde mit Sitz in München und weiteren Dienststellen in Den Haag, Berlin, Wien und Brüssel. Das EPA prüft und erteilt die europäischen Patente und ist zuständig für die Verwaltung der rechtlichen Verfahren nach dem EPÜ. Seine Aufgaben umfassen u.a.:

  • Prüfung von europäischen Patentanmeldungen
  • Durchführung von Einspruchs- und Beschwerdeverfahren
  • Veröffentlichung von Patentanmeldungen und Patentschriften
  • Zentralisierte Verwaltung von Gebühren und Registern

Die Organisation: Europäische Patentorganisation (EPO)

Das EPÜ gründet die Europäische Patentorganisation (EPO), bestehend aus zwei Hauptorganen:

  • Europäisches Patentamt (EPA): Ausführendes Organ für die praktischen Tätigkeiten und Verfahren.
  • Verwaltungsrat: Oberstes Überwachungs- und Gesetzgebungsorgan, das die Einhaltung und Weiterentwicklung des Übereinkommens sicherstellt.

Zusammensetzung und Aufgaben des Verwaltungsrats

Der Verwaltungsrat setzt sich aus Delegierten der Vertragsstaaten zusammen. Zu seinen Aufgaben gehören insbesondere:

  • Die Überwachung der Tätigkeit des EPA
  • Beschlussfassung über Ausführungsregelungen (z.B. zur Ausführungsordnung des EPÜ)
  • Ernennung der leitenden Organe des EPA
  • Festlegung der Haushalts- und Gebührensätze

Patenterteilungsverfahren nach dem EPÜ

Ablauf des europäischen Patenterteilungsverfahrens

Das zentrale Patenterteilungsverfahren nach dem EPÜ durchläuft folgende Hauptphasen:

  1. Einreichung der europäischen Patentanmeldung: Die Anmeldung kann auf Deutsch, Englisch oder Französisch erfolgen. Die Anmelder legen fest, in welchen Vertragsstaaten das spätere Patent Wirkung entfalten soll.
  2. Formale Prüfung: Das EPA prüft, ob die Mindestanforderungen der Anmeldung erfüllt sind.
  3. Recherche und Erstellung des europäischen Recherchenberichts: Das EPA führt eine Neuheitsrecherche durch und erstellt einen Recherchenbericht mit einer Stellungnahme zur Patentierbarkeit.
  4. Prüfungsverfahren: Nach substantiiertem Antrag erfolgt eine inhaltliche Prüfung auf Patentfähigkeit (Neuheit, erfinderische Tätigkeit, gewerbliche Anwendbarkeit).
  5. Erteilung oder Zurückweisung: Das EPA entscheidet über die Erteilung oder Zurückweisung des Patents.
  6. Veröffentlichung der Patenterteilung: Erteilte europäische Patente werden veröffentlicht, die Patentansprüche sind in den Amts- und gegebenenfalls in den nationalen Amtssprachen einzureichen.

Einspruchsverfahren

Innerhalb von neun Monaten nach Patenterteilung kann jede Person Einspruch gegen das erteilte Patent beim EPA einlegen. Das Verfahren endet mit der Aufrechterhaltung, Änderung oder dem Widerruf des Patents.

Beschwerdeverfahren

Gegen Entscheidungen des EPA im Prüfungs- oder Einspruchsverfahren kann das Beschwerdeverfahren vor den Beschwerdekammern des EPA angestrengt werden. Diese sind organisatorisch unabhängig und geben dem Verfahren einen abschließenden Rechtsweg auf europäischer Ebene.

Materiellrechtliche Bestimmungen des EPÜ

Patentierbare Erfindungen und Ausschlussgründe

Nach Artikel 52 EPÜ sind Erfindungen dann patentierbar, wenn sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Vom Patentschutz ausgeschlossen sind u.a.:

  • Entdeckungen, wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden
  • Ästhetische Formschöpfungen
  • Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, Spiele oder geschäftliche Tätigkeiten
  • Programme für Datenverarbeitungsanlagen (Software) als solche

Weitere Ausschlussgründe betreffen z.B. therapeutische Behandlungen am menschlichen oder tierischen Körper und Verfahrenspatente im Bereich der Pflanzensorten und Tierrassen.

Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit

Die materiellen Patentierungsvoraussetzungen folgen den internationalen Standards:

  • Neuheit: Die Erfindung darf nicht zum Stand der Technik gehören.
  • Erfinderische Tätigkeit: Die Erfindung muss sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben.
  • Gewerbliche Anwendbarkeit: Die Erfindung muss im Gewerbe auf irgendeinem Gebiet anwendbar sein.

Wirkungen und Rechtsfolgen des europäischen Patents

Nach der Erteilung entspricht das europäische Patent im benannten Vertragsstaat den nationalen Patenten. Es hat dort dieselben Rechte und ist denselben Einschränkungen und Vorschriften unterworfen wie ein nationales Patent. Die Wirkungen umfassen insbesondere:

  • Verbietungsrecht gegen die unbefugte Benutzung der Erfindung
  • Möglichkeit zur Durchsetzung per Unterlassungs- und Schadensersatzklage vor nationalen Gerichten
  • Möglichkeit zur Teilung oder Übertragung des Patents nach nationalem Recht

Ein Widerruf oder die Beschränkung des Patents nach Erteilung erfolgen durch nationale Gerichte oder Behörden, sofern das EPÜ keine zentralen Regelungen trifft (wie im Einspruchsverfahren).

Übersetzungserfordernisse

Nationale Rechtsvorschriften einiger Vertragsstaaten sehen Übersetzungserfordernisse für die Patentansprüche oder die gesamte Patentschrift vor. Diese müssen binnen bestimmter Fristen bei nationalen Behörden eingereicht werden, um den Schutz aufrecht zu erhalten.

Einheitspatentsystem und Verhältnis zu anderen Regelungswerken

Mit dem Übereinkommen über ein Einheitspatentgericht (19. Februar 2013) und der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 ist zusätzlich ein ergänzendes System für das europäische Einheitspatent geschaffen worden, das jedoch unabhängig vom EPÜ operiert und sich ausschließlich auf die EU bezieht. Das klassische EPÜ bleibt weiterhin Basis für die europäische Patenterteilung über Europa hinaus.

Zusammenfassung und Ausblick

Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) bildet seit Jahrzehnten die Grundlage für ein zentral koordiniertes Patenterteilungsrecht in Europa. Es schafft Rechtssicherheit, vereinfacht das Erteilungsverfahren und enthält detaillierte Vorschriften zu materiellen und formalen Anforderungen des Patentschutzes. Das EPÜ ist als international anerkanntes System der wichtigste Pfeiler des europäischen Patentrechts. Die kontinuierliche Weiterentwicklung – u.a. durch Ergänzungen zum Einheitspatentsystem – sichert die Relevanz des EPÜ im internationalen Kontext und fördert die Innovationskraft in Europa durch verlässlichen und effektiven Patentschutz.

Häufig gestellte Fragen

Unterliegt die Auslegung von Patentansprüchen besonderen Regeln nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ)?

Im rechtlichen Kontext regelt das EPÜ die Auslegung von Patentansprüchen insbesondere in Artikel 69 EPÜ und dem dazugehörigen Protokoll über die Auslegung des Artikels 69. Die Auslegung erfolgt so, dass der Schutzbereich des Patents weder durch den bloßen Wortlaut der Patentansprüche noch durch die Beschreibung und die Zeichnungen unangemessen eingeschränkt oder erweitert werden darf. Ziel ist eine ausgewogene Betrachtung, die dem Patentininhaber einen angemessenen Schutz gibt, dem Dritten aber auch eine ausreichende Rechtssicherheit bietet. Die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts betont, dass bei der Bestimmung des Schutzbereichs die Ansprüche im Licht der Beschreibung und der Zeichnungen zu verstehen sind. Zudem sind nationale Gerichte im Verletzungsprozess an diese Auslegungsgrundsätze gebunden, sofern sie ein europäisches Patent anwenden, da das Protokoll integraler Bestandteil des Abkommens ist.

Welche rechtlichen Schritte stehen einem Anmelder zur Verfügung, wenn das Europäische Patentamt die Patenterteilung zurückweist?

Nach einer Zurückweisung einer Anmeldung durch die Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts (EPA) hat der Anmelder die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung Beschwerde nach Artikel 106 ff. EPÜ einzulegen. Die Frist zur Einlegung der Beschwerde beträgt zwei Monate ab Zustellung der Entscheidung, während innerhalb von vier Monaten eine Begründung einzureichen ist. Die Beschwerde wird durch die eigene Beschwerdekammer des EPA geprüft, welche die Entscheidung der ersten Instanz überprüft. Während des Beschwerdeverfahrens kann der Anmelder neue Argumente vorbringen und Anträge ändern. Die Entscheidung der Beschwerdekammer ist endgültig, solange keine Grobverstöße (z.B. Wiederaufnahme des Verfahrens, Restitutio in integrum) vorliegen. Der Zugang zu nationalen Gerichten zur Überprüfung der EPA-Entscheidungen ist hingegen ausgeschlossen.

Wie werden Fristen nach dem EPÜ berechnet und welche Rechtsfolgen hat eine Fristversäumnis?

Die Fristberechnung im Rechtsrahmen des EPÜ erfolgt nach Artikel 120 und Regel 131 ff. EPÜ. Grundsätzlich beginnt eine Frist am Tag nach dem auslösenden Ereignis und endet am letzten Tag der Frist, wobei Fällt der letzte Tag auf einen arbeitsfreien Tag am Sitz des EPA (z.B. Samstag, Sonntag, Feiertag), bleibt für die Fristwahrung der folgende Arbeitstag maßgeblich. Ist eine Frist versäumt, sieht das EPÜ verschiedene Rechtsbehelfe vor: Zum einen kann, wenn versäumte Handlungen nach Regel 135 EPÜ nachholbar sind, ein Antrag auf Weiterbehandlung gestellt werden. Zum anderen besteht in Ausnahmefällen die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ, sofern die Fristversäumnis trotz nachgewiesener gebotener Sorgfalt erfolgte. Versäumt der Anmelder auch diese Möglichkeiten, kann das Erlöschen der Anmeldung oder des Patents die Konsequenz sein.

Ist eine Doppelpatentierung im Rahmen des EPÜ zulässig?

Das EPÜ selbst enthält keine ausdrückliche Regelung zur Doppelpatentierung, also zur parallelen Erteilung eines europäischen Patents und eines nationalen Patents mit gleichem Inhalt für denselben Anmelder und Vertragsstaat. Jedoch gibt es zum einen das sogenannte Prioritätsrecht nach Artikel 87 EPÜ und zum anderen die Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer (G2/10), die es grundsätzlich schafft, dieselbe Erfindung nicht zweimal für denselben Schutzbereich und denselben Inhaber in Kraft zu belassen, sofern sie auf denselben Prioritätsanmeldungen beruhen. Allerdings überlassen viele Vertragsstaaten diese Frage weiterhin ihrem nationalen Recht. Das Europäische Patentamt lehnt im Erteilungsverfahren einen Antrag mit identischem Inhalt wie eine frühere nationale Anmeldung eines Vertragstaats nicht von Amts wegen ab, zulässig ist aber oft in parallelen nationalen und europäischen Verfahren auf Ebene der Durchsetzung kein doppelter Rechtsschutz nebeneinander.

Inwiefern ist eine zentrale Beschränkung oder ein zentraler Widerruf eines europäischen Patents möglich?

Das EPÜ ermöglicht nach Artikel 105a EPÜ die zentrale Beschränkung oder den zentralen Widerruf eines erteilten europäischen Patents vor dem EPA durch den Patentinhaber innerhalb der Laufzeit des Patents. Ein solcher Antrag kann jederzeit nach Erteilung gestellt werden, solange keine laufende Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren betroffen sind. Im Verfahren prüft das EPA, ob die vorgenommenen Änderungen rechtmäßig sind, ob die geänderten Unterlagen mit den Vorschriften des EPÜ übereinstimmen und ob die Patentansprüche beschränkt werden können. Ein Widerruf führt zur vollständigen Unwirksamkeit des Patents mit Wirkung für alle Vertragsstaaten, eine Beschränkung führt zur Aufrechterhaltung des Patents in eingeschränkterem Umfang. Das Verfahren ist einfach ausgestaltet und beendet die Wirkungen des Patents zentral für alle benannten Staaten.