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Europäischer Betriebsrat


Begriff und Einführung: Europäischer Betriebsrat

Der Europäische Betriebsrat (EBR) ist ein transnationales Arbeitnehmervertretungsorgan, das in Unternehmen und Unternehmensgruppen mit grenzüberschreitender Tätigkeit innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) gebildet werden kann. Seine wesentliche Aufgabe ist es, die Interessen der Arbeitnehmer in Angelegenheiten zu vertreten, die das Unternehmen oder die Unternehmensgruppe in mindestens zwei Staaten des EWR betreffen. Die rechtliche Grundlage für die Einrichtung und Tätigkeit des Europäischen Betriebsrats bildet die EU-Richtlinie 2009/38/EG („Neufassung der EBR-Richtlinie“), die in den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt wurde – in Deutschland beispielsweise durch das Gesetz über Europäische Betriebsräte (EBRG).


Rechtliche Grundlagen

Europarechtliche Regelungen

Die Basis für den Europäischen Betriebsrat ist die Richtlinie 94/45/EG vom 22. September 1994, die durch die Richtlinie 2009/38/EG abgelöst und erweitert wurde. Ziel dieser Regelungen ist die Sicherung des Rechts auf Information und Anhörung von Beschäftigten in multinationalen Unternehmen mit grenzüberschreitender Tätigkeit.

Anwendungsbereich

Der Anwendungsbereich umfasst Unternehmen oder Gruppen, die

  • im EWR ansässig sind und
  • insgesamt mindestens 1.000 Beschäftigte in den Mitgliedstaaten beschäftigen,
  • von denen mindestens jeweils 150 in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten tätig sind.

Überführung in nationales Recht

Die einzelnen Mitgliedstaaten waren verpflichtet, die Anforderungen der Richtlinie in nationales Recht zu überführen. In Deutschland ist dies mit dem EBRG geschehen, in Österreich mit dem Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG).


Aufgabe und Funktion des Europäischen Betriebsrats

Informations- und Anhörungsrechte

Der EBR dient der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Arbeitnehmervertretungen in Unternehmen oder Unternehmensgruppen. Zentrale Rechte sind:

  • Unterrichtung: Informationen über die Entwicklung des Unternehmens, Lage und Entwicklung der Beschäftigung, einschneidende Maßnahmen (z.B. Verlagerung, Stilllegung, Massenentlassungen).
  • Anhörung: Möglichkeit, zu geplanten Maßnahmen Stellung zu nehmen, bevor diese umgesetzt werden.

Keine Mitbestimmungskompetenz

Der Europäische Betriebsrat ist kein mitbestimmendes Organ im Sinn einer Entscheidungsbefugnis. Seine Rolle beschränkt sich auf Information und Anhörung, wobei Modalitäten in einer sogenannten EBR-Vereinbarung konkret geregelt werden.


Errichtung und Zusammensetzung

Verfahren zur Errichtung

Die Errichtung eines EBR erfolgt durch Verhandlungen zwischen der zentralen Leitung des Unternehmens und einem besonderen Verhandlungsgremium (BVG). Das BVG wird auf Initiative von mindestens 100 Arbeitnehmern oder ihren Vertretern gebildet und setzt sich proportional aus Vertretern der betroffenen Länder zusammen.

Ablauf der Verhandlung

  1. Initiativverfahren: Entweder auf Initiative der Leitung oder auf Antrag der Arbeitnehmervertretungen/Beschäftigten.
  2. Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums.
  3. Verhandlungen über Abschluss einer EBR-Vereinbarung (EBR-Abkommen).
  4. Scheitern der Verhandlungen: Gelten subsidiäre Bestimmungen gemäß Anhang der Richtlinie.

Wahl und Mandat der Mitglieder

Die Entsendung der Mitglieder richtet sich nach nationalem Recht oder nach der EBR-Vereinbarung. Die Amtszeit, Nachrückverfahren sowie die Aufgaben einzelner Mitglieder werden in der Regel im Abkommen detailliert bestimmt.


Rechte und Pflichten des Europäischen Betriebsrats

Rechte

  • Entgegennahme umfassender Informationen zu transnationalen Vorgängen
  • Recht auf Anhörung und Stellungnahme
  • Teilnahme an regelmäßigen EBR-Sitzungen
  • Einberufung außerordentlicher Sitzungen bei außergewöhnlichen Umständen

Pflichten

  • Wahrung der Vertraulichkeit sensibler Unternehmensinformationen
  • Korrekter Umgang mit erlangten Unterlagen
  • Zusammenarbeit mit bestehenden nationalen Arbeitnehmervertretungen

Subsidiäre Bestimmungen

Konnte im Rahmen der Verhandlungen keine EBR-Vereinbarung erzielt werden, greifen die „subsidiären Vorschriften“. Diese sehen unter anderem die Bildung eines EBR mit festen Rechten und Aufgaben vor, wie sie im Anhang der EU-Richtlinie 2009/38/EG geregelt sind.


Verhältnis zu nationalen Arbeitnehmervertretungen

Der EBR ergänzt die nationalen Betriebsräte und Arbeitnehmervertretungen. Transnationale Angelegenheiten werden auf Ebene des EBR behandelt; nationale Belange verbleiben ausschließlich bei den nationalen Betriebsräten. Die Zusammenarbeit und die Abgrenzung der Kompetenzen werden zumeist in der EBR-Vereinbarung festgelegt.


Auflösung und Änderungen des Europäischen Betriebsrats

Änderungen in der Konzernstruktur wie Fusionen oder Spaltungen erfordern eine Anpassung der bestehenden EBR-Organisation oder gegebenenfalls deren Neuerrichtung. Eine Auflösung des EBR ist grundsätzlich durch Vereinbarung oder infolge erheblicher Strukturänderungen möglich.


Rechtsschutz und Durchsetzung

Arbeitnehmer oder Arbeitnehmervertretungen können bei Verletzung der Rechte des EBR den Rechtsweg vor den zuständigen nationalen Gerichten beschreiten. In Deutschland ist das Arbeitsgericht für Streitigkeiten aus dem EBRG zuständig.


Finanzierung und Ausstattung

Die Kosten der Tätigkeit des Europäischen Betriebsrats trägt die zentrale Leitung. Dazu zählen Sitzungs-, Reise- und Unterbringungskosten, Kosten für Schulungen sowie gegebenenfalls für Sachverständige.


Fazit

Der Europäische Betriebsrat stellt ein zentrales Instrument der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerinformation und -anhörung in multinationalen Unternehmen dar. Seine Rechtsgrundlage, Rechte und Pflichten sind umfassend gesetzlich geregelt und bieten den Arbeitnehmern einen wichtigen Schutzrahmen gegenüber unternehmerischen Entscheidungen mit europaweiter Relevanz.


Weitere Themen

Literatur und Rechtsprechung

Eine Vielzahl von Fachliteratur und Urteilen ergänzt die rechtliche Praxis im Zusammenhang mit dem Europäischen Betriebsrat. Zudem gibt es nationale und unionsrechtliche Leitentscheidungen, die die Auslegung und Anwendung der Regelungen konkretisieren.

Anwendungsbeispiele

Die Einrichtung und Arbeit von Europäischen Betriebsräten spielt eine bedeutende Rolle bei Restrukturierungen, Standortverlagerungen und Unternehmenskäufen mit Auswirkungen auf Belegschaften in mehreren EU-Staaten.


Dieser umfassende Überblick vermittelt die zentralen rechtlichen Aspekte des Europäischen Betriebsrats und seine Bedeutung im arbeitsrechtlichen Kontext der Europäischen Union.

Häufig gestellte Fragen

Welche Mitbestimmungsrechte hat der Europäische Betriebsrat nach rechtlichem Maßstab?

Der Europäische Betriebsrat (EBR) hat nach der Richtlinie 2009/38/EG das Recht, über grenzüberschreitende Angelegenheiten informiert und konsultiert zu werden, die das Unternehmen oder die Gruppe als Ganzes betreffen oder mindestens zwei Mitgliedstaaten berühren. Dies umfasst insbesondere strategische Entscheidungen zu bedeutenden Umstrukturierungen, Betriebsverlagerungen, Schließungen von Betrieben sowie Massenentlassungen. Die Informationsrechte erfordern, dass die zentrale Leitung dem EBR rechtzeitig und in geeigneter Weise alle relevanten Informationen zur Verfügung stellt. Im Rahmen des Konsultationsrechts ist der EBR in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, sodass seine Stellungnahme eingeholt und ernsthaft geprüft werden muss, bevor endgültige Maßnahmen ergriffen werden. Die Mitbestimmungsrechte des EBR sind dabei auf Information und Konsultation beschränkt; erzwingbare Mitbestimmungsrechte, wie sie nationale Betriebsräte teilweise besitzen, stehen dem EBR nach geltendem Recht nicht zu. Die Einhaltung dieser Rechte unterliegt gerichtlicher Kontrolle und kann im Falle einer Verletzung zu Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen führen.

Wie wird die zentrale Leitung im Rahmen der EBR-Gesetzgebung rechtlich definiert und wie sind deren Verpflichtungen?

Die zentrale Leitung ist diejenige Instanz, die die Kontrolle über das gesamte Unternehmen oder die Unternehmensgruppe ausübt und üblicherweise im Sitzstaat der obersten Leitungseinheit angesiedelt ist. Gemäß § 2 Abs. 1 EBRG (Europäisches Betriebsräte-Gesetz) sowie Artikel 2 der Richtlinie 2009/38/EG obliegt es der zentralen Leitung, das Verfahren zur Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats einzuleiten und für die ordnungsgemäße Durchführung der EBR-rechtlichen Pflichten zu sorgen. Sie ist rechtlich verantwortlich für die Einladung des besonderen Verhandlungsgremiums, das Führen der Verhandlungen über ein EBR-Abkommen und die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich Information und Konsultation. Kommt die zentrale Leitung diesen Verpflichtungen nicht oder nur unzureichend nach, kann sie haftbar gemacht werden, und Gewerkschaften oder nationale Betriebsräte können vor zuständigen Gerichten entsprechende Ansprüche geltend machen.

Unterliegt der Europäische Betriebsrat Verschwiegenheitspflichten und wie sind diese rechtlich ausgestaltet?

Ja, der Europäische Betriebsrat unterliegt strengen Verschwiegenheitspflichten, die im Europäischen Betriebsräte-Gesetz (§ 32 EBRG) sowie im jeweiligen europäischen Recht vorgeschrieben sind. Diese Pflichten beziehen sich auf alle als vertraulich bezeichneten Informationen, die der EBR von der zentralen Leitung erhält, sofern berechtigte Interessen des Unternehmens oder der Beschäftigten geschützt werden sollen. Die Festlegung, ob eine Information als vertraulich einzustufen ist, muss auf objektiven Kriterien beruhen und darf nicht willkürlich erfolgen. Die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht kann zu zivilrechtlichen Haftungsansprüchen und, je nach Mitgliedstaat, sogar zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Darüber hinaus sind die Mitglieder des EBR weiterhin an die nationale Schweigepflicht gebunden, auch nach Beendigung ihres Mandats.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen bei Verstößen gegen die Pflichten zur Information und Konsultation?

Verstößt die zentrale Leitung gegen ihre Informations- und Konsultationspflichten, bestehen für den EBR und seine Mitglieder umfangreiche rechtliche Möglichkeiten. So können Unterlassungsansprüche vor den zuständigen Arbeitsgerichten geltend gemacht werden, um die ordnungsgemäße Information und Konsultation durchzusetzen. Zudem sind Schadensersatzansprüche möglich, sofern dem EBR oder einzelnen Mitgliedern durch das pflichtwidrige Verhalten ein Nachteil entstanden ist. In Deutschland regelt § 44 EBRG die gerichtliche Zuständigkeit. Auch können Beschlüsse, die ohne vorherige ordnungsgemäße Anhörung des EBR gefasst wurden, unter Umständen für unwirksam erklärt werden. Begleitend dazu besteht die Möglichkeit, Verstöße den zuständigen Aufsichtsbehörden zu melden, die Ordnungswidrigkeiten ahnden und Bußgelder verhängen können.

Wie erfolgt die Wahl und Abberufung von EBR-Mitgliedern aus rechtlicher Sicht?

Die Wahl der Mitglieder des Europäischen Betriebsrats erfolgt in zwei Stufen: Zunächst wird das besondere Verhandlungsgremium (BVG) aus den Belegschaftsvertretungen der einzelnen Mitgliedstaaten nach nationalem Recht zusammengesetzt. Nach Abschluss einer EBR-Vereinbarung oder Anwendung subsidiärer Vorschriften werden die eigentlichen EBR-Mitglieder gewählt oder entsandt. Die Modalitäten richten sich nach den jeweiligen nationalen Wahlordnungen, die für die Entsendung oder Wahl zuständig sind. Die Abberufung eines EBR-Mitglieds kann ebenfalls nach dem jeweiligen nationalen Recht erfolgen, meist durch die entsendende Arbeitnehmervertretung. Rechtliche Vorgaben stellen sicher, dass hierbei die demokratischen Grundsätze gewahrt bleiben und die Rechte der betroffenen Mitglieder geschützt werden. Für die Europawahlen zur Entsendung in den EBR bestehen keine europaweit einheitlichen Vorschriften, sondern lediglich Mindeststandards.

Welche rechtlichen Anforderungen gelten für die Durchführung von EBR-Sitzungen und deren Beschlussfähigkeit?

Die Durchführung von EBR-Sitzungen unterliegt je nach Vereinbarung und subsidiärem Recht klaren formalen Anforderungen. Diese betreffen insbesondere die Einladungsfristen, Tagesordnung sowie die Teilnahmerechte von Sachverständigen und Dolmetschern. Die EBR-Satzung oder das EBR-Abkommen regelt in der Regel die Frequenz und Organisation der Sitzungen; nach subsidiärem Recht sind mindestens eine ordentliche Sitzung pro Jahr sowie außerordentliche Sitzungen bei besonderen Ereignissen vorgesehen. Die Beschlussfähigkeit ist an die Anwesenheit einer bestimmten Mindestanzahl der Mitglieder geknüpft, die in der Vereinbarung festgelegt ist. Beschlüsse werden meist mit einfacher Mehrheit gefasst, sofern das Abkommen nichts anderes vorsieht. Verstöße gegen formale Vorschriften können zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen führen.

Gibt es rechtliche Vorgaben zur Schulung und Kostenübernahme für EBR-Mitglieder?

Das EBRG (§ 39) sieht vor, dass Mitglieder des Europäischen Betriebsrats Anspruch auf Freistellung und Schulung haben, sofern diese für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlich sind. Die Kosten für Schulungen, Reisekosten, Übersetzungen sowie für die Durchführung der Sitzungen sind von der zentralen Leitung zu tragen. Diese Pflicht erstreckt sich auf alle erforderlichen finanziellen und sachlichen Mittel, sodass die EBR-Mitglieder ihre Aufgaben wirksam und kompetent ausüben können. Die Einzelheiten, etwa zu Häufigkeit und Umfang der Schulungen, können durch das EBR-Abkommen weiter konkretisiert werden. Versäumnisse bei der Bereitstellung von Mitteln seitens der zentralen Leitung können gerichtlich geltend gemacht werden.