Legal Lexikon

Wiki»Europäische Arzneimittel-Agentur

Europäische Arzneimittel-Agentur


Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA)

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU) mit dem Auftrag, den Schutz und die Förderung der öffentlichen Gesundheit sowie der Tiergesundheit im europäischen Binnenmarkt durch die wissenschaftliche Bewertung, Überwachung und Kontrolle von Human- und Tierarzneimitteln zu gewährleisten. Die rechtliche Grundlage, Aufgabenbereiche, Organisationsstruktur, Zuständigkeiten und Befugnisse der EMA sind Gegenstand zahlreicher unionsrechtlicher Regelungen und werden im Folgenden detailliert dargestellt.


Rechtsgrundlagen

Primärrechtliche Verankerung

Die EMA ist gemäß Artikel 168 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in den Aufgabenbereich der Union im Bereich des Gesundheitsschutzes eingebettet. Ihre Ausgestaltung erfolgte zunächst durch die Verordnung (EWG) Nr. 2309/93, inzwischen maßgeblich durch die Verordnung (EG) Nr. 726/2004 in der jeweils geltenden Fassung.

Sekundärrechtliche Verordnungen und Richtlinien

Die EMA unterliegt vorwiegend den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 726/2004. Ergänzende Regelungen finden sich insbesondere in:

  • Richtlinie 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel)
  • Richtlinie 2001/82/EG (Gemeinschaftskodex für Tierarzneimittel)
  • Verordnung (EU) 2019/6 (Tierarzneimittel)
  • Verbindliche Durchführungsrechtsakte der Kommission
  • Verschiedene delegierte Rechtsakte im Arzneimittelrecht

Diese Rechtsakte regeln sowohl die Aufgaben der EMA als auch die Verfahren zur Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln.


Aufgaben und Zuständigkeiten

Wissenschaftliche Bewertung und Zulassung

Die EMA ist im zentralisierten Zulassungsverfahren das zuständige wissenschaftliche Gremium auf europäischer Ebene. Sie koordiniert die Bewertung neuer Arzneimittel für Mensch und Tier und spricht hierzu Empfehlungen aus, auf deren Basis die Europäische Kommission die Zulassung verbindlich erteilt oder versagt. Die zentralisierte Zulassung ist für bestimmte Arzneimittelgruppen, etwa biotechnologisch hergestellte Produkte, obligatorisch.

Überwachung und Pharmakovigilanz

Nach der Zulassung ist die EMA verantwortlich für die fortlaufende Überwachung der Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität von Arzneimitteln im EU-Binnenmarkt. Diese sog. Pharmakovigilanz wird durch das EU-Pharmakovigilanz-Netzwerk gemäß den Maßgaben der Verordnung (EU) Nr. 726/2004 und der Richtlinie 2010/84/EU koordiniert.

Beratung und Unterstützung

Die EMA bietet wissenschaftliche Beratung für Zulassungsinhaber, entwickelt Leitlinien und arbeitet mit Mitgliedstaaten und internationalen Organisationen zusammen. Sie koordiniert zudem die Harmonisierung nationaler Vorschriften in Bezug auf Arzneimittel.

Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit

Im Rahmen ihrer Transparenzverpflichtungen stellt die EMA der Öffentlichkeit Informationen zu zugelassenen Arzneimitteln, Arzneimittelstudien und Evaluierungsergebnissen zur Verfügung. Die Veröffentlichung von Bewertungsberichten, Sicherheitsinformationen und Leitlinien dient der Information von Mitgliedstaaten, Herstellern, medizinischem Fachpersonal und der breiten Öffentlichkeit.


Organisation und Struktur

Verwaltungsgliederung

Die EMA verfügt über einen Verwaltungsrat, einen Exekutivdirektor, mehrere wissenschaftliche Ausschüsse und Arbeitsgruppen:

  • Verwaltungsrat: Entscheidungsorgan, setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission sowie Patienten-, Verbraucher- und Tierarztgruppen zusammen.
  • Exekutivdirektor: Verantwortlich für das Tagesgeschäft und die Umsetzung der Verwaltungsratsentscheidungen.
  • Wissenschaftliche Ausschüsse: Dazu zählen insbesondere der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP), der Ausschuss für Tierarzneimittel (CVMP), der Ausschuss für Kinderarzneimittel (PDCO) und weitere spezialisierte Komitees.

Sitz und Rechtsform

Die EMA ist seit 2019 mit Sitz in Amsterdam, Niederlande, angesiedelt, nachdem sie infolge des Brexits von London umzog. Ihre Rechtsform ist die einer dezentralisierten EU-Agentur mit eigener Rechtspersönlichkeit (Art. 63 VO (EG) Nr. 726/2004).


Rechtsstellung und Befugnisse

Eigenständige Rechtspersönlichkeit

Die EMA ist mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit ausgestattet und kann somit Verträge abschließen, als Partei auftreten und Rechte sowie Pflichten im eigenen Namen wahrnehmen.

Entscheidungsbefugnisse und Delegation

Die Behörde besitzt im Rahmen des europäischen Arzneimittelzulassungsrechts Empfehlungs- und Entscheidungsbefugnisse, ist aber nicht selbst ermächtigt, Arzneimittel bindend zuzulassen oder zu verbieten. Diese Kompetenz liegt bei der Europäischen Kommission, die sich an die Empfehlungen der EMA bindet, sofern keine gravierenden abweichenden Gründe vorliegen.

Zusammenarbeit mit nationalen Behörden

Die EMA agiert kooperativ mit den zuständigen nationalen Behörden der Mitgliedstaaten. Im Rahmen der dezentralisierten und gegenseitigen Zulassungsverfahren übernimmt sie eine koordinierende Funktion zur Sicherstellung der Einheitlichkeit der Arzneimittelbewertung im Europäischen Binnenmarkt.


Besonderheiten in der Rechtspraxis

Rechtsschutz

Entscheidungen der EMA unterliegen dem Rechtsschutzmechanismus der Europäischen Union. Beispielsweise besteht nach Artikel 263 AEUV die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage gegen die Kommission bei ablehnenden oder zustimmenden Zulassungsentscheidungen auf Basis einer Empfehlung der EMA.

Datenschutz und Datenzugang

Die Agentur muss die Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) beachten, insbesondere beim Umgang mit klinischen Studiendaten und personenbezogenen Daten von Antragstellern und Studienteilnehmern. Gleichzeitig gewährt sie – im Sinne von Transparenz – Zugang zu bestimmten behördlichen Dokumenten gemäß Verordnung (EG) Nr. 1049/2001.

Auswirkungen des BREXIT

Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU führte zur Verlagerung des Sitzes und zu weitreichenden Folgen in Bezug auf Personal, Verfahren und bestehende Arbeitsabläufe. Die Agentur musste regulatorische Verantwortlichkeiten neu strukturieren und Fachkenntnisse absichern.


Bedeutung und Einfluss im europäischen Arzneimittelrecht

Die EMA besitzt eine zentrale Rolle in der europäischen Arzneimittelregulierung. Sie trägt maßgeblich zur einheitlichen Arzneimittelqualität, -sicherheit und -verfügbarkeit im Europäischen Wirtschaftsraum bei und ist eine unverzichtbare Institution für einen funktionierenden Arzneimittelbinnenmarkt. Sie steht in beständiger Interaktion mit legislativen und exekutiven Organen der EU sowie internationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und fördert die harmonisierte Umsetzung arzneimittelrechtlicher Vorschriften.


Literaturhinweise und weiterführende Rechtsquellen


Dieser Artikel stellt eine detaillierte lexikalische Übersicht über Rechtsgrundlagen, Aufgaben, Organisationsstruktur sowie die rechtlichen Besonderheiten und Auswirkungen der Europäischen Arzneimittel-Agentur dar und dient somit als wissenschaftlich fundierte Ressource im Bereich des Arzneimittelrechts auf europäischer Ebene.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Zuständigkeit der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA)?

Die Zuständigkeit der Europäischen Arzneimittel-Agentur beruht maßgeblich auf der Verordnung (EG) Nr. 726/2004, die den Gemeinschaftskodex für Human- und Tierarzneimittel im Hinblick auf das zentralisierte Zulassungsverfahren festlegt. Diese Verordnung konkretisiert die Aufgaben der EMA vor allem im Zusammenhang mit der zentralen Zulassung, Überwachung und Pharmakovigilanz von Arzneimitteln auf europäischer Ebene. Weitere maßgebliche Rechtsakte sind die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 über Kinderarzneimittel sowie die Verordnung (EU) 2019/6 für Tierarzneimittel. Die EMA handelt zudem auf Grundlage der EU-Verträge, insbesondere der Artikel 114 und 168 AEUV, die jeweils den Binnenmarkt und das hohe Gesundheitsschutzniveau zum Ziel haben. Die Implementierung dieser Gesetze und Verordnungen sichert der EMA die rechtliche Grundlage, um ihre Aufgaben sowohl gegenüber pharmazeutischen Unternehmen als auch gegenüber den nationalen Arzneimittelbehörden der Mitgliedstaaten verbindlich auszuüben.

Wie ist das Verfahren der zentralisierten Zulassung bei der EMA rechtlich geregelt?

Das zentralisierte Zulassungsverfahren ist durch die Verordnung (EG) Nr. 726/2004 detailliert normiert. Nach dieser Verordnung sind bestimmte Arzneimittelklassen – beispielsweise biotechnologisch hergestellte Produkte oder onkologische Präparate – zwingend über das zentrale Verfahren bei der EMA zuzulassen. Der Zulassungsantrag ist direkt bei der EMA einzureichen, die daraufhin einen wissenschaftlichen Bewertungsprozess initiiert, insbesondere durch das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP). Nach positiver wissenschaftlicher Bewertung erstellt die EMA eine Stellungnahme, woraufhin die Europäische Kommission innerhalb von 67 Tagen die endgültige rechtsverbindliche Entscheidung trifft. Die erteilte Zulassung gilt unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten sowie im EWR-Raum. Eine Ablehnung ist ebenfalls EU-weit verbindlich. Rechtsmittel gegen diese Verwaltungsakte sind beim Gericht der Europäischen Union möglich.

Welche rechtlichen Pflichten haben Zulassungsinhaber gegenüber der EMA?

Nach erteilter Zulassung bestehen umfassende rechtliche Verpflichtungen der Zulassungsinhaber gegenüber der EMA. Diese umfassen unter anderem die kontinuierliche Überwachung der Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz), wofür ausführliche Meldepflichten für unerwünschte Arzneimittelwirkungen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 520/2012 bestehen. Zudem sind alle Änderungen im Zulassungsdossier, etwa hinsichtlich Herstellung, Anwendungsgebieten oder Packungsbeilage, der EMA zu melden und genehmigen zu lassen (gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1234/2008). Auch die Verpflichtung zur Durchführung von Risikomanagementplänen sowie zur regelmäßigen Übermittlung von Periodic Safety Update Reports (PSURs) ist rechtlich vorgeschrieben. Verstöße können Sanktionen bis hin zum Widerruf der Zulassung nach sich ziehen.

Welche Möglichkeiten des Rechtsschutzes bestehen gegenüber Entscheidungen der EMA?

Entscheidungen der EMA, etwa die Versagung, Einschränkung oder den Widerruf einer Arzneimittelzulassung, sind als Verwaltungsakte auf EU-Ebene rechtlich überprüfbar. Betroffene Unternehmen können dagegen Klage beim Gericht der Europäischen Union gemäß Art. 263 AEUV einreichen. Voraussetzung hierfür ist, dass das Unternehmen individuell und unmittelbar betroffen ist. Im Fall von vorläufigen Maßnahmen gegen eine Arzneimittelzulassung kann auch ein Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß Art. 278 AEUV gestellt werden. Darüber hinaus besteht das Recht auf Widerspruch und Anhörung im Verwaltungsverfahren; dies ist insbesondere in der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 explizit geregelt. Zudem ist die EMA verpflichtet, ihre Entscheidungen ausreichend zu begründen.

Wie ist die Zusammenarbeit zwischen EMA und den nationalen Arzneimittelbehörden rechtlich geregelt?

Die Zusammenarbeit zwischen der EMA und den nationalen Arzneimittelbehörden der Mitgliedstaaten ist rechtlich vielfältig ausgestaltet. Das zentrale Koordinierungsinstrument sind verschiedene wissenschaftliche Komitees der EMA, etwa das CHMP oder das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC), dessen Mitglieder jeweils von den nationalen Behörden entsandt werden. Die Verordnung (EG) Nr. 726/2004 sieht eine enge Verzahnung vor: Nationale Behörden unterstützen etwa bei Inspektionen, Bewertung wissenschaftlicher Daten und im Rahmen des dezentralen oder gegenseitigen Anerkennungsverfahrens. Zudem bestehen Datenbankpflichten (beispielsweise EudraVigilance), die einen kontinuierlichen Informationsaustausch zwischen EMA und nationalen Behörden rechtlich verpflichtend machen.

Gibt es besondere rechtliche Regelungen für Transparenz und Akteneinsicht bei der EMA?

Die EMA unterliegt als EU-Behörde der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der EU-Institutionen. Dies bedeutet, dass grundsätzlich jedermann das Recht auf Zugang zu Dokumenten der EMA hat, wobei Ausnahmen zum Schutz öffentlicher und geschäftlicher Interessen bestehen. Die EMA geht über die gesetzlichen Vorgaben hinaus und veröffentlicht wissenschaftliche Gutachten, Zusammenfassungen der Zulassungsentscheidungen sowie bestimmte klinische Studiendaten auf ihrer Webseite. Zulassungsinhaber müssen sich vertraglich verpflichten, die Transparenzregelungen einzuhalten. Streitfälle über die Akteneinsicht können dem Europäischen Bürgerbeauftragten oder dem Europäischen Gericht zur Entscheidung vorgelegt werden.