Begriff und historische Entwicklung der Eugenischen Indikation
Die eugenische Indikation ist ein rechtlich und medizinisch bedeutsamer Terminus, der sich auf die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs (Abtreibung) bei Verdacht auf eine schwerwiegende gesundheitliche Schädigung des zu erwartenden Kindes bezieht. Ursprünglich bezeichnete die eugenische Indikation die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs, wenn nach ärztlicher Feststellung eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass das Kind schwerste körperliche oder geistige Schäden aufweisen würde.
Der Begriff leitet sich vom griechischen „eu“ (gut) und „gennao“ (erzeugen) ab und war in verschiedenen Ländern Bestandteil des Indikationsmodells zur Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs. In Deutschland sowie anderen europäischen Staaten wurde die eugenische Indikation über Jahrzehnte rege diskutiert und verschieden geregelt.
Rechtlicher Rahmen in Deutschland
Historische Rechtslage
Im deutschen Recht spielte die eugenische Indikation insbesondere im Rahmen des ehemaligen § 218a Strafgesetzbuch (StGB) eine zentrale Rolle. Bis zur Reform des Schwangerschaftsabbruchsrechts Anfang der 1990er Jahre war der Schwangerschaftsabbruch nach einer sogenannten eugenischen Indikation unter bestimmten Umständen straffrei. Die Gesetzgebung sah vor, dass ein Schwangerschaftsabbruch nicht bestraft wurde, wenn dem Kind nach ärztlicher Erkenntnis schwerwiegende Schädigungen drohten.
Die konkrete Ausgestaltung wurde mehrfach angepasst, insbesondere nach der deutschen Wiedervereinigung und mit dem Inkrafttreten des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG).
Aktuelle Rechtslage nach der Reform des Schwangerschaftsabbruchsrechts
Mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) und den Änderungen am Strafgesetzbuch wurde die ursprünglich eng definierte eugenische Indikation abgeschafft und durch eine weiter gefasste Indikationsregelung ersetzt. Grundlegend ist hierbei § 218a Abs. 2 StGB, wonach ein Schwangerschaftsabbruch auch nach Ablauf der zwölften Schwangerschaftswoche nicht strafbar ist, wenn nach ärztlicher Erkenntnis eine schwerwiegende Beeinträchtigung der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Schwangeren zu besorgen ist. Diese gesundheitliche Indikation („medizinische Indikation“) umfasst auch Fälle, in denen das Kind voraussichtlich mit schweren Krankheiten oder Behinderungen zur Welt kommen würde.
Die eugenische Indikation als eigenständiger Rechtstatbestand wurde ersetzt, da der Gesetzgeber eine explizite Unterscheidung nach dem Gesundheitszustand des ungeborenen Kindes ablehnte und stattdessen auf die Gefährdung der Gesundheit der Schwangeren abstellte.
Aktuelle Bedeutung und rechtliche Bewertung
Medizinische Indikation und pränataldiagnostische Maßnahmen
Im Fokus steht nunmehr die medizinische Indikation. Hierzu zählt der Gesetzgeber alle Fälle, in denen die Austragung der Schwangerschaft für die Schwangere eine erhebliche Gefahr für Leben oder Gesundheit bedeuten würde. In diesem Kontext sind auch pränataldiagnostische Maßnahmen rechtlich relevant, da durch die Anwendung entsprechender Methoden eine potentielle schwere Schädigung des ungeborenen Kindes festgestellt werden kann. Gleichwohl bleibt entscheidend, wie massiv die Belastung bzw. Gefährdung für die Schwangere ist.
Keine „Kind als Schadensquelle“-Rechtsprechung
Das Bundesverfassungsgericht und andere Gerichte betonten mehrfach, dass nicht eine bloße Behinderung oder Erkrankung des Kindes an sich eine Abtreibung rechtfertigen kann. Vielmehr ist festzustellen, inwieweit davon eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Schwangeren ausgeht. Es bleibt also weiterhin erforderlich, die individuelle Belastungssituation der Schwangeren im Einzelfall zu prüfen, ohne dass der Zustand des ungeborenen Kindes allein eine Abtreibung rechtfertigen würde.
Europarechtliche Vorgaben und internationale Bezüge
Vergleichbare Regelungen in Europa
In anderen europäischen Staaten gelten vergleichbare, teils jedoch weiterhin eugenisch begründete Indikationstatbestände. Länder wie Österreich oder die Schweiz kennen spezielle Regelungen für den Abbruch der Schwangerschaft bei vermuteter schwerer Behinderung oder Erkrankung des Fötus, wobei der gesellschaftliche und rechtliche Rahmen jeweils unterschiedlich ausgestaltet ist.
Menschenrechtliche Dimension
Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch verschiedene internationale Menschenrechtsübereinkommen erkennen die schwierige ethische und rechtliche Balance zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren an. Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten lässt hierbei nationalstaatlichem Gesetzgebern einen erheblichen Regelungsspielraum.
Kritik und ethische Diskussionen
Die eugenische Indikation war und ist Gegenstand anhaltender ethischer Debatte, insbesondere im Hinblick auf mögliche Diskriminierung behinderter Menschen. Kritiker sehen in einer expliziten eugenischen Indikation die Gefahr, dass insbesondere Menschen mit Behinderung oder schwerwiegenden Erkrankungen implizit abgewertet werden. Der deutsche Gesetzgeber revidierte die isolierte eugenische Indikation daher auch mit ausdrücklicher Verweisung auf Gleichbehandlungsgrundsätze gemäß Artikel 3 Grundgesetz (GG).
Zusammenfassung
Die eugenische Indikation war ein bedeutender Bestandteil des deutschen Abtreibungsrechts, wurde jedoch im Rahmen der Reformen der 1990er Jahre in die allgemeine medizinische Indikation überführt. Gegenwärtig ist ein Schwangerschaftsabbruch nach Feststellung einer schweren Schädigung des ungeborenen Kindes nur zulässig, wenn damit für die Schwangere eine schwerwiegende Gesundheitsgefährdung einhergeht. Die Entwicklung und das heutige Verständnis spiegeln eine rechtliche und ethische Sensibilisierung für Diskriminierungsfragen und den Schutz von Menschen mit Behinderung wider.
Siehe auch
- Schwangerschaftsabbruch in Deutschland
- Indikationsmodell im Schwangerschaftsabbruchsrecht
- Pränataldiagnostik
- § 218 StGB
Literatur (Auswahl)
- Bundeszentrale für politische Bildung: Schwangerschaftsabbruch und Gesetzgebung in Deutschland
- Dreier, Horst (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar, Artikel 3 GG
- Bundestag: Materialien zur Reform des § 218 StGB
Hinweis: Der Artikel gibt eine zusammenfassende, rechtliche Darstellung zur Begrifflichkeit und Bedeutung der eugenischen Indikation im Kontext des deutschen Rechts und steht im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbruchsregelungen und deren gesellschaftlichen und ethischen Implikationen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Regelungen galten in Deutschland für die eugenische Indikation vor 1995?
Die eugenische Indikation war bis 1995 im deutschen Strafrecht, konkret im § 218a Absatz 2 des Strafgesetzbuches, geregelt. Nach dieser Vorschrift war ein Schwangerschaftsabbruch unter anderem dann straffrei, wenn nach ärztlicher Erkenntnis eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass das Kind aufgrund einer erblichen genetischen Disposition oder durch schädigende Einflüsse während der Schwangerschaft schwerbehindert sein würde. Die Entscheidung musste durch einen Arzt festgestellt werden, und es bestand zudem eine Pflicht zur Beratung der Schwangeren. Mit dem Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz von 1995 wurde die eugenische Indikation in Deutschland abgeschafft und durch die „medizinische Indikation“ ersetzt, die den Abbruch unter bestimmten gesundheitlichen Voraussetzungen erlaubt. Die Streichung sollte einer Diskriminierung von behinderten Menschen entgegenwirken und die Entscheidung stärker an möglichen Gefahren für die schwangere Person selbst ausrichten.
Wie wurde in Gerichtsverfahren die eugenische Indikation rechtlich überprüft?
Bei einer strafrechtlichen Überprüfung eines Schwangerschaftsabbruchs mit eugenischer Indikation war maßgeblich, ob die gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere die Prognose einer schweren Beeinträchtigung des Kindes, durch einen Arzt korrekt und nachvollziehbar festgestellt worden waren. Die Gerichte prüften unter Rückgriff auf medizinische Gutachten, ob die Annahme einer schweren Behinderung den Standards und Erkenntnissen der ärztlichen Wissenschaft entsprach und ob die Dokumentationspflichten sowie etwaige Beratungsnachweise korrekt erbracht wurden. Bei Verfahrensfehlern oder unzureichender ärztlicher Grundlage drohten strafrechtliche Konsequenzen sowohl für die Schwangere als auch für die beteiligten Ärzte.
Welche Fristen mussten bei der eugenischen Indikation rechtlich beachtet werden?
Im Gegensatz zu anderen Indikationsarten (wie der sozialen Indikation) war die Frist für einen Abbruch mit eugenischer Indikation erweitert: Der Schwangerschaftsabbruch konnte auch nach der zwölften Schwangerschaftswoche vorgenommen werden, soweit die ärztliche Diagnose einer schwerwiegenden Behinderung vorlag. Dennoch galten auch hier besondere Sorgfaltspflichten bei der ärztlichen Beratung und bei der Feststellung des Zeitpunkts des Abbruchs, um Missbrauch oder Fehler im Verfahren auszuschließen.
Welche rechtlichen Auswirkungen hatte die Abschaffung der eugenischen Indikation in Deutschland?
Mit der Abschaffung der eugenischen Indikation im Jahr 1995 entfiel die spezifische Möglichkeit, einen Schwangerschaftsabbruch ausdrücklich wegen zu erwartender schwerer Behinderung des Kindes vorzunehmen. Stattdessen wurde die medizinische Indikation eingeführt, die einen Abbruch weiterhin erlaubt, wenn eine Gefahr für das Leben oder die körperliche bzw. seelische Gesundheit der Schwangeren besteht. Die vorherige Möglichkeit, rein aufgrund pränatal diagnostizierter Behinderungen abzubrechen, wurde so abgeschafft und der Fokus lag rechtlich nun darauf, inwieweit eine Belastung oder Gefahr für die Frau bestand. Dadurch sollte eine Benachteiligung ungeborener Kinder mit Behinderung vermieden und dem Diskriminierungsverbot Rechnung getragen werden.
Welche Bedeutung hatte die eugenische Indikation im Kontext des Selbstbestimmungsrechts der Frau rechtlich gesehen?
Rechtlich war die eugenische Indikation stets eine Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau und dem Schutz des werdenden Lebens. Der Abbruch aus eugenischen Gründen bedeutete juristisch eine Ausnahme vom grundsätzlich bestehenden strafrechtlichen Lebensschutz ungeborener Kinder. Die Praxis wurde vielfach dahingehend kritisiert, dass insbesondere Frauen, die nach pränataler Diagnostik mit schweren Behinderungen konfrontiert wurden, unter erheblichen Entscheidungsdruck standen. Das Beratungsgebot und die medizinischen Voraussetzungen dienten daher auch dem Ziel, einen eigenverantwortlichen, aber rechtlich klar kanalisierten Entscheidungsprozess zu gewährleisten.
Wie unterscheidet sich die eugenische Indikation rechtlich von anderen Indikationsarten im deutschen Strafrecht?
Die eugenische Indikation war eine eigenständige rechtliche Kategorie, die sich von der medizinischen, kriminologischen und sozialen Indikation unterschied. Während bei der medizinischen Indikation der Fokus auf Gefahren für die Schwangere lag, bei der kriminologischen Indikation auf Schwangerschaften nach einer Straftat, und bei der sozialen Indikation soziale Notlagen zugrunde lagen, bezog sich die eugenische Indikation ausschließlich auf die Prognose schwerer Gesundheitsschäden beim Ungeborenen. Der rechtliche Unterschied bestand in den jeweiligen Voraussetzungen, den zu berücksichtigenden Schutzgütern und in den unterschiedlichen Fristenregelungen sowie Nachweispflichten gegenüber den Behörden.
Welche wesentlichen juristischen Kontroversen gab es rund um die eugenische Indikation?
Die eugenische Indikation war über Jahrzehnte Gegenstand intensiver juristischer, ethischer und gesellschaftlicher Diskussionen. Kritiker argumentierten, dass sie einer Diskriminierung von behinderten Menschen Vorschub leiste und im Spannungsfeld von Lebensschutz, Menschenwürde und Selbstbestimmung der Mutter stehe. Es gab mehrere Verfassungsbeschwerden, unter anderem mit Hinweis auf das Grundrecht auf Leben und das Diskriminierungsverbot. Die Abschaffung folgte letztlich der Einsicht, dass die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs nicht allein von Eigenschaften des ungeborenen Kindes abhängig gemacht werden sollte, sondern primär die konkrete Gesundheitssituation der Schwangeren zu berücksichtigen sei.