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Erste Tätigkeitsstätte


Begriff und Rechtsgrundlagen der Ersten Tätigkeitsstätte

Die „Erste Tätigkeitsstätte“ ist ein zentraler Begriff des deutschen Steuerrechts, insbesondere im Lohnsteuerrecht und bei der steuerlichen Behandlung von Werbungskosten nach dem Einkommensteuergesetz (EStG). Sie bezeichnet den festen ortsgebundenen Arbeitsplatz eines Arbeitnehmers und hat maßgeblichen Einfluss auf die steuerrechtliche Einordnung von Fahrt- und Verpflegungskosten. Die Bestimmung der Ersten Tätigkeitsstätte erfolgt nach § 9 Absatz 4 EStG.

Definition und Bedeutung

Die Erste Tätigkeitsstätte beschreibt den dauerhaften Einsatzort eines Arbeitnehmers, an dem er regelmäßig seine Arbeitsleistung erbringt und dem er dauerhaft durch arbeitsrechtliche oder dienstrechtliche Anordnung zugeordnet ist. Sie ist von vorübergehenden oder wechselnden Einsatzorten abzugrenzen. Die Festlegung beeinflusst maßgeblich, ob Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Entfernungspauschale oder als Reisekosten angesetzt werden können.

Gesetzliche Grundlagen

Die maßgeblichen Regelungen finden sich vor allem in folgenden Abschnitten des Einkommensteuergesetzes und zugehörigen Verwaltungsvorschriften:

  • § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (Entfernungspauschale)
  • § 9 Abs. 4 EStG (Definition der Ersten Tätigkeitsstätte)
  • Lohnsteuer-Richtlinien (LStR)
  • Verwaltungsanweisungen der Finanzverwaltung

Kriterien zur Bestimmung der Ersten Tätigkeitsstätte

Zuordnung durch den Arbeitgeber

Nach dem Gesetz liegt eine Erste Tätigkeitsstätte grundsätzlich dann vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen bestimmten Arbeitsplatz, eine betriebliche Einrichtung oder ein dauerhaftes Kundenunternehmen ausdrücklich zuordnet (§ 9 Abs. 4 Satz 1 EStG). Diese arbeitsrechtliche oder dienstrechtliche Zuordnung ist für die steuerliche Beurteilung maßgeblich, sofern sie eindeutig dokumentiert ist (z.B. im Arbeitsvertrag, einer Versetzung oder einer dauerhaften schriftlichen Anweisung).

Vorrang der Zuordnung

Die ausdrückliche Zuordnung des Arbeitgebers geht den tatsächlichen Verhältnissen in der Praxis vor, sofern sie den gesetzlichen Rahmenbedingungen entspricht.

Quantitative Kriterien bei fehlender Zuordnung

Fehlt eine solche ausdrückliche Zuordnung, ist die Erste Tätigkeitsstätte nach quantitativen Kriterien zu bestimmen. Eine dauerhafte Zuordnung liegt insbesondere vor, wenn der Arbeitnehmer

  • an eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers,
  • an eine Einrichtung eines verbundenen Unternehmens
  • oder eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Kunden

gebunden ist und dort entweder

  • typischerweise arbeitstäglich,
  • an mindestens zwei vollen Arbeitstagen pro Woche oder
  • mindestens ein Drittel der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit

tätig wird (§ 9 Abs. 4 Satz 4 EStG).

Betriebliche Einrichtung

Als betriebliche Einrichtung gelten alle ortsfesten Einrichtungen des Arbeitgebers, die dauerhaft infrastrukturell vorhanden sind. Außeneinsätze, Baustellen oder mobile Tätigkeiten stellen keine betrieblichen Einrichtungen dar, sofern sie nicht auf Dauer angelegt sind.

Sonderfälle

Leiharbeitnehmer und externe Tätigkeiten

Für Arbeitnehmer, die zum Beispiel im Rahmen von Arbeitnehmerüberlassung tätig werden (Leiharbeitnehmer), gilt die Einrichtung des Entleihers nur unter bestimmten Bedingungen als Erste Tätigkeitsstätte. Wird der Arbeitnehmer etwa für eine Dauer von voraussichtlich mehr als 48 Monaten demselben Kundenort zugewiesen, kann dieser Einsatzort steuerlich als Erste Tätigkeitsstätte anerkannt werden.

Außendienstmitarbeiter

Arbeitnehmer ohne dauerhaften festen Einsatzort (zum Beispiel Repräsentanten, Fahrer) haben in der Regel keine Erste Tätigkeitsstätte, wodurch sämtliche Fahrtkosten als voll abzugsfähige Reisekosten gelten.

Steuerliche Konsequenzen der Ersten Tätigkeitsstätte

Entfernungspauschale

Für Fahrten zwischen Wohnung und Erster Tätigkeitsstätte dürfen lediglich die Entfernungspauschale (Pendlerpauschale) gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als Werbungskosten angesetzt werden. Die tatsächlich entstandenen Fahrtkosten (z.B. höhere Kosten für öffentliche Verkehrsmittel) können nicht in voller Höhe berücksichtigt werden.

Reisekosten

Fahrten zu anderen – insbesondere wechselnden – Tätigkeitsstätten sind als Dienstreisen steuerlich zu werten. Hier können die tatsächlich entstandenen Aufwendungen in voller Höhe als Werbungskosten geltend gemacht werden.

Verpflegungsmehraufwand

Ein weiterer steuerlicher Unterschied besteht hinsichtlich des Verpflegungsmehraufwands. Bei einer Fahrt zur Ersten Tätigkeitsstätte kann kein Verpflegungsmehraufwand abgesetzt werden, da am Arbeitsort keine auswärtige Tätigkeit vorliegt.

Doppelte Haushaltsführung

Die Festlegung der Ersten Tätigkeitsstätte ist auch für die Geltendmachung einer doppelten Haushaltsführung von Bedeutung, da diese nur bei einer Entfernung zwischen Hauptwohnsitz und der Ersten Tätigkeitsstätte anzuerkennen ist.

Abgrenzung zu anderen Begriffen

Wechselnde Tätigkeitsstätte

Historisch wurde zwischen „regelmäßiger Arbeitsstätte“ und „wechselnder Tätigkeitsstätte“ unterschieden. Mit der Einführung des Begriffs „Erste Tätigkeitsstätte“ durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts 2014 wurde diese Differenzierung aufgehoben und neu geregelt.

Tätigkeit bei mehreren Arbeitgebern

Bei mehreren Arbeitsverhältnissen kann für jedes einzelne Arbeitsverhältnis eine separate Erste Tätigkeitsstätte vorliegen, jeweils im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG.

Rechtsprechung und Verwaltungspraxis

Die Auslegung und Anwendung des Begriffs „Erste Tätigkeitsstätte“ wurde durch zahlreiche Urteile und Verwaltungsanweisungen geprägt. Die Finanzverwaltung legt den Fokus auf die arbeitsrechtlichen und dienstrechtlichen Rahmenbedingungen sowie die quantitative Präzisierung der tatsächlichen Einsatzzeiten.

Bescheinigungen und Nachweise

Für die steuerliche Anerkennung und die Berücksichtigung im Rahmen der Einkommensteuererklärung sind die Nachweise über die Zuordnung zur Ersten Tätigkeitsstätte, die Art der Tätigkeit sowie die zeitlichen Parameter relevant. Hierzu dienen Arbeitsverträge, Anweisungen des Arbeitgebers, Tätigkeits- und Einsatzpläne.

Bedeutung und Praxisfolgen

Die korrekte Feststellung der Ersten Tätigkeitsstätte ist für die steuerrechtliche Behandlung von erheblicher Bedeutung. Fehler bei der Einordnung können steuerliche Nachteile nach sich ziehen, beispielsweise die Versagung des Abzugs von Reisekosten oder die Unzulässigkeit einer doppelten Haushaltsführung. Arbeitnehmer sollten daher sorgfältig auf die arbeitsvertragliche Zuordnung und tatsächliche Ausgestaltung ihrer Tätigkeiten achten.

Literatur, Quellen und Weblinks

  • § 9 Einkommensteuergesetz (EStG)
  • Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) und Lohnsteuer-Hinweise (LStH)
  • BFH, Urteil vom 4. April 2019, VI R 27/17
  • Bundesministerium der Finanzen (BMF): Schreiben zur steuerlichen Behandlung der Reisekosten (R 9.4 LStR)
  • Bundesfinanzministerium: Erste Tätigkeitsstätte

Hinweis: Die ausführliche und korrekte Festlegung der Ersten Tätigkeitsstätte sorgt für steuerliche Klarheit und Rechtssicherheit bei der Abrechnung von Werbungskosten und Reisekosten im Rahmen der Einkommensteuererklärung.

Häufig gestellte Fragen

Kann eine Erste Tätigkeitsstätte durch arbeitsvertragliche oder dienstrechtliche Zuordnung bestimmt werden?

Die Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einer Ersten Tätigkeitsstätte kann ausdrücklich durch den Arbeitgeber im Arbeitsvertrag, einer Dienstanweisung oder anderen arbeitsrechtlichen Regelungen erfolgen. Der Arbeitgeber hat hierbei ein Zuordnungswahlrecht, das er klar, dauerhaft und verbindlich ausüben muss. Die Zuordnung muss für den Arbeitnehmer eindeutig und unmissverständlich sein und Schriftform ist dringend zu empfehlen. Es ist auch möglich, diese Bestimmung nachträglich zu treffen, sofern sie ab Zugang der Mitteilung an den Arbeitnehmer gilt. Erfolgt keine ausdrückliche und eindeutige Zuordnung, greift die gesetzliche Definition gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 bis 3 EStG, wonach regelmäßig der betriebliche Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit maßgeblich wird.

Wann liegt keine Erste Tätigkeitsstätte vor?

Eine Erste Tätigkeitsstätte liegt nicht vor, wenn der Arbeitnehmer typischerweise einem oder mehreren wechselnden Einsatzorten, einer Sammelstelle oder einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet zugeordnet ist oder unterwegs (z. B. Außendienstler, Monteure, Bauarbeiter) tätig wird. Dies gilt auch, wenn die Zuordnung seitens des Arbeitgebers nicht eindeutig ist oder sich lediglich aus den Umständen ergibt und nicht aus arbeitsrechtlichen Regelungen. In diesen Fällen stehen dem Arbeitnehmer regelmäßig die steuerlich günstigeren Reisekostenerstattungen zu, insbesondere der Verpflegungsmehraufwand und die tatsächlichen Fahrtkosten statt der Entfernungspauschale.

Wie wirken sich mehrere Tätigkeitsstätten auf die Erste Tätigkeitsstätte aus?

Ein Arbeitnehmer kann im lohnsteuerlichen Sinne stets nur eine Erste Tätigkeitsstätte je Arbeitsverhältnis haben. Liegt eine potenzielle Zuordnung zu mehreren Tätigkeitsorten vor, entscheidet ausschließlich die arbeitsrechtliche oder dienstrechtliche Anweisung des Arbeitgebers. Nur wenn eine solche Zuordnung fehlt, wird anhand quantitativer Kriterien, wie der überwiegenden Arbeitszeit (regelmäßig mindestens ein Drittel der vereinbarten Arbeitszeit an diesem Ort), bestimmt, welche Tätigkeitsstätte als Erste i. S. d. § 9 Abs. 4 EStG anzusehen ist. Eine Mehrfachzuordnung ist steuerrechtlich nicht zulässig; dies gilt auch bei mehreren Beschäftigungsverhältnissen beim selben Arbeitgeber.

Welche Folgen hat die Festlegung der Ersten Tätigkeitsstätte für die steuerliche Behandlung von Fahrtkosten?

Wird ein Ort als Erste Tätigkeitsstätte bestimmt, können Fahrtkosten dorthin steuerlich nur im Rahmen der Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG) berücksichtigt werden, unabhängig von der tatsächlichen Art der Anfahrt (Auto, Fahrrad, öffentliche Verkehrsmittel). Fahrten zu weiteren Einsatzorten oder auf Auswärtstätigkeiten werden hingegen als Dienstreisen behandelt, sodass für diese Reisekostenerstattungen in voller tatsächlicher Höhe und gegebenenfalls auch der Verpflegungsmehraufwand geltend gemacht werden können. Die steuerliche Einordnung der Tätigkeitsstätte wirkt sich insoweit erheblich auf die Abzugsfähigkeit von Werbungskosten aus.

Welche Dokumentationspflichten bestehen im Hinblick auf die Erste Tätigkeitsstätte?

Der Arbeitgeber ist grundsätzlich verpflichtet, dem Arbeitnehmer sowie den Finanzbehörden auf Anfrage darzulegen, welche Zuordnung zur Ersten Tätigkeitsstätte vorgenommen wurde und auf welcher Grundlage. Die Erklärungen sollten nachvollziehbar dokumentiert und für steuerliche Prüfungen verfügbar gehalten werden. Bei Streitigkeiten über die Festlegung ist besonders auf transparente und eindeutig schriftlich fixierte arbeitsrechtliche Regelungen zu achten, da ansonsten die Finanzbehörde die Umstände nach § 9 Abs. 4 Satz 1-3 EStG bewertet.

Kann sich die Erste Tätigkeitsstätte im Laufe des Arbeitsverhältnisses ändern?

Eine Änderung der Ersten Tätigkeitsstätte während eines laufenden Arbeitsverhältnisses ist grundsätzlich möglich, jedoch setzt dies eine deutliche Änderung der arbeitsrechtlichen Zuordnung oder des dienstlichen Aufgabenbereichs voraus. Eine bloße kurzfristige Versetzung, Abordnung oder das Aushelfen an anderen Standorten begründet in der Regel noch keine neue Erste Tätigkeitsstätte. Entscheidend ist die Dauerhaftigkeit der Änderung und die schriftliche Dokumentation durch den Arbeitgeber, da andernfalls die bisherige Regelung steuerlich weiter Gültigkeit behält.

Ist die Entfernung zur Ersten Tätigkeitsstätte für die steuerrechtliche Einordnung relevant?

Für die Bestimmung, ob ein Tätigkeitsort als Erste Tätigkeitsstätte gilt, ist die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsort grundsätzlich irrelevant. Die steuerrechtliche Einstufung hängt ausschließlich von der arbeits- oder dienstrechtlichen Zuordnung und – falls diese fehlt – von den quantitativen Kriterien der Anwesenheitsdauer ab (§ 9 Abs. 4 Satz 4 EStG). Unabhängig davon wirkt sich die Entfernung jedoch auf die Höhe der geltend gemachten Entfernungspauschale aus, die pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Erster Tätigkeitsstätte berechnet wird.

Wie wird bei Teilzeitbeschäftigten die Erste Tätigkeitsstätte festgestellt?

Auch bei Teilzeitbeschäftigten wird die Erste Tätigkeitsstätte in erster Linie mittels arbeits- oder dienstrechtlicher Bestimmung des Arbeitgebers festgelegt. Gibt es hierzu keine klare Regelung, wird überprüft, ob der Arbeitnehmer an einem Ort mindestens ein Drittel der individuell vereinbarten Arbeitszeit tätig ist. Ist dies der Fall, wird dieser Ort als Erste Tätigkeitsstätte angenommen. Andernfalls gilt der Arbeitnehmer als auswärtig tätig und profitiert entsprechend von den steuerlichen Regelungen für Auswärtstätigkeiten. Eine anteilige Betrachtung erfolgt ausschließlich auf Basis der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit.