Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Erschleichen von Sozialleistungen

Erschleichen von Sozialleistungen


Begriff und rechtliche Einordnung: Erschleichen von Sozialleistungen

Das Erschleichen von Sozialleistungen bezeichnet den unerlaubten und vorsätzlichen Bezug staatlicher Sozialleistungen durch Täuschung über sozialleistungsrelevante Tatsachen. Im deutschen Recht ist das Erschleichen von Sozialleistungen sowohl strafbar als auch mit zivilrechtlichen Rückforderungsansprüchen belegt. Die Materie betrifft insbesondere das Sozialgesetzbuch (SGB) sowie das Strafgesetzbuch (StGB).


Gesetzliche Grundlagen

Sozialgesetzbuch (SGB)

Im SGB finden sich Regelungen zu Voraussetzungen und Verfahren für die Gewährung von Geld- und Sachleistungen. Erschleicht eine Person rechtswidrig Sozialleistungen, können Leistungsbescheide nach § 45 oder § 48 SGB X aufgehoben werden. Die Rückforderung zu Unrecht erbrachtener Leistungen regelt insbesondere § 50 SGB X.

Strafgesetzbuch (StGB) – Straftatbestand des § 263 StGB

Das strafrechtlich relevante Verhalten beim Erschleichen von Sozialleistungen erfüllt grundsätzlich die Voraussetzungen des § 263 StGB (Betrug), der wie folgt normiert ist:

„Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Im Bereich von Sozialleistungen stellt die missbräuchliche Erlangung staatlicher Leistungen mittels falscher Angaben einen Betrug zum Nachteil des jeweiligen Sozialleistungsträgers dar.

Weitere Normen

Bestimmte Leistungsträger sehen in eigenständigen Vorschriften weitergehende Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände vor, etwa im Bereich Arbeitsförderung (§ 404 SGB III) oder Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 63 SGB II).


Tatbestandsmerkmale und typische Begehungsformen

Tatbestand des Betrugs – Sozialleistungsbetrug

Das Erschleichen von Sozialleistungen durch Betrug setzt klassisch folgende Punkte voraus:

  • Täuschung über sozialleistungsrelevante Tatsachen: Etwa das Verschweigen von Einkommen oder Vermögen, das Vortäuschen von Bedürftigkeit oder das Nichtmelden einer Arbeitsaufnahme.
  • Irrtumserregung beim Leistungsträger: Die Behörde wird durch die Täuschung zur Auszahlung veranlasst.
  • Vermögensschaden: Dem Sozialleistungsträger entsteht ein finanzieller Nachteil.
  • Vorsatz und Bereicherungsabsicht: Das Handeln muss vorsätzlich zur eigenen oder fremden Bereicherung erfolgen.

Tatmodalitäten

Die Erschleichung erfolgt regelmäßig durch:

  • Falsche oder unvollständige Angaben bei Antragstellung
  • Nichtanzeigen von Änderungen in den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen (z. B. Arbeitsaufnahme, Einkommenszuwachs)
  • Vorlage gefälschter Unterlagen
  • Mehrfachbeantragung von Leistungen

Sanktionen und Rechtsfolgen

Strafrechtliche Sanktionen

Das Erschleichen von Sozialleistungen kann mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe geahndet werden. In minder schweren Fällen oder bei geringem Schaden ist die Verhängung eines Strafbefehls möglich. Liegt ein besonders schwerer Fall vor (etwa gewerbs- oder bandenmäßig), erhöht sich der Strafrahmen.

Verwaltungsrechtliche Folgen

Stellt der Sozialleistungsträger das Fehlverhalten fest, hebt er den Leistungsbescheid auf und fordert zu Unrecht bezogene Leistungen gemäß § 50 SGB X zurück. Hierzu wird in der Regel ein Rückforderungsbescheid erlassen, dessen Nichtbeachtung zu Vollstreckungsmaßnahmen führen kann.

Zivilrechtliche Rückforderung und Verjährung

Die Rückforderung zu Unrecht bezogener Leistungen unterliegt der regelmäßigen Verjährung von vier Jahren (§ 50 Abs. 4 SGB X). Bei vorsätzlicher Täuschung rechnet die Verjährung erst ab Ende des Jahres, in dem der Sozialleistungsträger Kenntnis vom Sachverhalt erhält.

Weitere Folgen

Zudem können Sperrzeiten verhängt, laufende Leistungen entzogen sowie Regress- und Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Teilweise werden auch Meldungen an andere Behörden (z. B. Ausländerbehörden) vorgenommen, sofern sich aufenthaltsrechtliche Konsequenzen ergeben.


Abgrenzung zu ähnlichen Straftatbeständen

Die Erschleichung von Sozialleistungen ist vom Subventionsbetrug (§ 264 StGB), Urkundenfälschung (§ 267 StGB) und der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) abzugrenzen. Im Einzelfall können auch mehrere Straftatbestände gleichzeitig verwirklicht sein (Tatmehrheit oder Tateinheit).


Prävention und Kontrollen

Sozialleistungsträger setzen verstärkt auf Prävention durch automatisierten Datenabgleich (beispielsweise Meldungen der Finanzämter und der Bundesagentur für Arbeit) sowie durch stichprobenartige Überprüfungen der Leistungsberechtigten und deren Angaben. Typische Risikofaktoren werden mit Hilfe von IT-gestützten Prüfmechanismen analysiert.


Rechtsprechung und Praxis

Gerichte beurteilen regelmäßig die Voraussetzungen für den Betrugstatbestand im Zusammenhang mit Sozialleistungen. Abgrenzungen erfolgen oft anhand des Maßes von Täuschung, Irrtum und Schaden. Wegen der erheblichen Bedeutung staatlicher Transferleistungen werden Verstöße typischerweise verfolgt und geahndet, selbst bei geringen Schadenssummen. Wiederholte Verstöße oder besonders hohe Schadenssummen führen zu deutlichen Strafschärfungen.


Literatur und weiterführende Quellen

Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Thema empfehlen sich Kommentierungen zum Sozialgesetzbuch (SGB), Literatur zu §§ 263 und 264 StGB sowie die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).


Hinweis: Die Missachtung gesetzlicher Mitwirkungs- und Anzeigepflichten im Rahmen des Sozialleistungsbezugs kann schwerwiegende straf- und zivilrechtliche Folgen nach sich ziehen. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben ist daher von zentraler Bedeutung.

Häufig gestellte Fragen

Welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen beim Erschleichen von Sozialleistungen?

Das Erschleichen von Sozialleistungen stellt in Deutschland in der Regel einen Betrug nach § 263 StGB (Strafgesetzbuch) dar. Zudem kann es sich um Subventionsbetrug (§ 264 StGB) oder Sozialleistungsbetrug (§ 264a StGB) handeln, je nachdem, um welche Leistungen und Täuschungshandlungen es geht. Die Strafen reichen von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen sogar bis zu zehn Jahren. Zusätzlich kann ein dauerhaftes Ausschließen von bestimmten Sozialleistungen oder deren Rückzahlung angeordnet werden. Insbesondere ist die Schwere des Vergehens, die Höhe des erschlichenen Betrags sowie das Ausmaß der Täuschung relevant für das Strafmaß. Bei Ersttätern und geringer Schadenshöhe kann das Verfahren auch unter Auflagen eingestellt werden, jedoch verbleibt häufig ein Eintrag im Bundeszentralregister.

Gibt es eine Verpflichtung zur Selbstanzeige bei fehlerhafter Leistungsbeantragung?

Rechtlich ist der Leistungsempfänger verpflichtet, sämtliche relevanten Änderungen, die sich auf den Leistungsbezug auswirken könnten, unverzüglich und unaufgefordert der zuständigen Behörde mitzuteilen. Kommt man dieser Mitteilungspflicht nicht nach, kann das eigene Verschulden im Sinne eines Betrugs gewertet werden. Eine Selbstanzeige (ähnlich wie im Steuerrecht) ist zwar gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, jedoch kann eine freiwillige und rechtzeitige Offenbarung der fehlerhaften oder zu viel bezogenen Leistung strafmindernd wirken und im Einzelfall sogar zur Einstellung des Strafverfahrens führen.

Wie ist der Tatbestand des „Erschleichens“ im juristischen Sinne ausgestaltet?

Im rechtlichen Kontext ist das „Erschleichen“ von Sozialleistungen als vorsätzliche Täuschung ausgelegt, bei der der Leistungsempfänger durch falsche oder unvollständige Angaben, das Verschweigen relevanter Tatsachen oder die Verwendung gefälschter Unterlagen staatliche Geld- oder Sachleistungen erhält, auf die er keinen oder keinen vollen Anspruch hat. Neben dem unmittelbaren Vorsatz kann auch bedingter Vorsatz ausreichen, wenn der Empfänger die Möglichkeit einer Überzahlung erkennt, sie aber billigend in Kauf nimmt. Die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Betrugs oder des Sozialleistungsbetrugs müssen erfüllt sein, um eine Strafbarkeit begründen zu können.

Welche Rolle spielt der „Vorsatz“ bei der Beurteilung des Erschleichens?

Für eine strafrechtliche Verfolgung wegen Erschleichens von Sozialleistungen ist grundsätzlich Vorsatz erforderlich. Es muss nachgewiesen werden, dass der Betroffene die Unrechtmäßigkeit seines Handelns zumindest billigend in Kauf genommen hat. Reine Fahrlässigkeit, d.h. ein unbeabsichtigtes Versäumnis oder ein Irrtum über die Anspruchsvoraussetzungen, führt in der Regel nicht zur Strafbarkeit gemäß § 263 StGB, kann jedoch verwaltungsrechtliche Konsequenzen wie Rückzahlungsverpflichtungen oder Sanktionen nach sich ziehen. Bei Streitfällen ist die Ermittlung, ob ein vorsätzliches Verhalten vorlag, regelmäßig Teil der strafrechtlichen Beweisaufnahme.

Werden strafrechtliche Ermittlungen automatisch eingeleitet, wenn Behörden Unregelmäßigkeiten feststellen?

Stellen Sozialleistungsbehörden Hinweise auf Unregelmäßigkeiten oder einen Betrugsverdacht fest, so sind sie gemäß § 8 SGB X verpflichtet, diesen Verdachtsmomenten nachzugehen. In der Praxis wird bei konkretem Anfangsverdacht regelmäßig eine Mitteilung an die zuständige Staatsanwaltschaft gemacht, welche anschließend ein Ermittlungsverfahren einleiten kann. Das Ermittlungsverfahren umfasst typischerweise die Prüfung von Unterlagen, Zeugenvernehmungen und eventuell auch Hausdurchsuchungen. Die Einleitung des Verfahrens bedeutet jedoch nicht zwangsläufig einen Schuldspruch; entscheidend ist das Ergebnis der Ermittlungen und die abschließende rechtliche Bewertung.

Wie verhält es sich mit der Rückforderung zu Unrecht erhaltener Leistungen?

Unabhängig von einer strafrechtlichen Ahndung sind die Behörden dazu berechtigt und verpflichtet, zu Unrecht gezahlte Sozialleistungen gemäß § 45 SGB X rückzufordern. Dies umfasst sowohl die eigentlichen Zahlungen als auch eventuelle Zinsen, die für die Dauer der unrechtmäßigen Inanspruchnahme anfallen können. Die Rückforderung erfolgt häufig durch einen formellen Bescheid, gegen den Rechtsmittel eingelegt werden können. Die Ansprüche der Behörde verjähren nach einer Frist von vier Jahren ab Kenntnis, spätestens nach zehn Jahren.

Welche Bedeutung haben Mitwirkungspflichten des Leistungsempfängers im Strafverfahren?

Leistungsempfänger sind nach den Sozialgesetzbüchern verpflichtet, bei der Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen umfassend mitzuwirken und insbesondere alle wesentlichen Änderungen in den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen unverzüglich anzuzeigen (§§ 60 ff. SGB I). Ein Verstoß gegen diese Mitwirkungspflichten kann als Indiz für einen Täuschungsvorsatz im Strafverfahren gewertet werden. Gleichzeitig kann jedoch die Kooperation des Betroffenen, beispielsweise durch vollständige Offenlegung und Nachreichung aller notwendigen Angaben im Strafverfahren, zu einer Strafe mindernden Bewertung führen. Die Missachtung der Mitwirkungspflichten beeinflusst daher sowohl das Ermittlungsverfahren als auch die nachfolgende Strafzumessung erheblich.