Begriff und grundlegende Bedeutung
Erschleichen von Leistungen bezeichnet das unberechtigte Inanspruchnehmen entgeltlicher oder zugangsbeschränkter Leistungen, indem Schutzmechanismen umgangen oder Kontrollsituationen ausgenutzt werden. Gemeint sind vor allem Leistungen, die typischerweise nur nach vorheriger Zahlung oder Legitimation genutzt werden dürfen, etwa die Beförderung im öffentlichen Verkehr, der Zutritt zu Veranstaltungen oder Einrichtungen, die Nutzung von Automatenleistungen oder von entgeltlichen Telekommunikations- und Zugangsdiensten. Charakteristisch ist ein täuschungsähnliches Vorgehen: Die Nutzung geschieht verdeckt, unauffällig oder durch Umgehung technischer oder organisatorischer Sicherungen, ohne die geschuldete Gegenleistung zu erbringen.
Schutzrichtung und rechtliche Einordnung
Die Vorschriften zum Erschleichen von Leistungen schützen vor allem das Vermögen der Anbieter sowie die Funktionsfähigkeit von Kontroll- und Abrechnungssystemen. Es geht um die Integrität von Massendienstleistungen, die auf standardisierte Zahlungsvorgänge und Zugangskontrollen angewiesen sind. Das Unrecht liegt nicht in der bloßen Nutzung, sondern in der unbefugten, versteckten oder sicherungsumgehenden Erlangung der Leistung, die das Geschäftsmodell und die Gleichbehandlung zahlender Nutzer unterläuft.
Tatbestandliche Voraussetzungen
Art der Leistung
Erfasst sind insbesondere:
– Beförderungsleistungen durch Verkehrsmittel (z. B. Bus, Bahn, Straßenbahn).
– Zutritt zu Veranstaltungen und Einrichtungen (z. B. Konzerte, Sportevents, Schwimmbäder, Museen).
– Leistungen von Automaten (z. B. Park- und Warenautomaten, Service- oder Unterhaltungsautomaten).
– Entgeltliche Telekommunikations- und Zugangsdienste (z. B. paybasierte Verbindungen oder verschlüsselte Angebote).
Tathandlung „Erschleichen“
Erschleichen bedeutet, eine Leistung so zu erlangen, dass der Anbieter oder dessen Sicherungssysteme über die fehlende Berechtigung im Unklaren gelassen oder technische bzw. organisatorische Schutzvorkehrungen umgangen werden. Eine ausdrückliche Täuschung gegenüber einer Person ist nicht zwingend erforderlich; ausreichend sein kann ein unauffälliges Mitnutzen entgegen den Regeln.
Unauffälliges Mitfahren
Typisch ist das Fahren ohne gültigen Fahrausweis, wenn der Eindruck ordnungsgemäßer Nutzung erweckt wird, etwa durch unauffälliges Verhalten im Kontrollsystem. Umstritten ist, ob ein offenes Zurschaustellen der fehlenden Berechtigung das „Erschleichen“ ausschließt; überwiegend wird auf das täuschungsähnliche Moment der Nutzung entgegen der allgemeinen Zugangserwartung und Kontrollstruktur abgestellt.
Umgehen technischer Sicherungen
Dazu zählt das Übersteigen von Sperren, das Mitgehen durch Drehsperren, die Manipulation von Automaten oder das Nutzen von Zugangsdiensten über unzulässige Umgehungen von Bezahl- oder Verschlüsselungssystemen.
Vorzeigen fremder oder ungültiger Berechtigungen
Die Nutzung personalisierter oder abgelaufener Berechtigungen kann als Erschleichen bewertet werden, wenn dadurch eine Kontrollebene täuschungsähnlich überspielt wird. Je nach Gestaltung können daneben weitere Rechtsverstöße in Betracht kommen.
Vorsatz und Zahlungswille
Erforderlich ist zumindest bedingter Vorsatz in Bezug auf die fehlende Berechtigung und die Nutzung ohne Erfüllung der Gegenleistung. Wer irrig von einer gültigen Berechtigung ausgeht, handelt nicht vorsätzlich. Ein späteres Begleichen ersetzt nicht die erforderliche aktuelle Zugangsberechtigung; maßgeblich ist die Nutzungssituation.
Versuch
Neben der vollendeten Nutzung kann auch ein Versuch rechtlich bedeutsam sein, etwa wenn der Zugang durch Sicherungen oder Kontrollen noch vor Leistungsbezug vereitelt wird.
Abgrenzungen
Abgrenzung zu Diebstahl
Diebstahl bezieht sich auf körperliche Sachen. Beim Erschleichen geht es um immaterielle Leistungen oder Nutzungen (Beförderung, Zutritt, Dienste). Der Unrechtskern liegt in der unbefugten Teilhabe am Leistungsprozess.
Abgrenzung zu Betrug
Betrug erfordert eine irreführende Einwirkung auf eine Person mit Vermögensverfügung. Das Erschleichen kann genügen, ohne dass eine Person aktiv getäuscht wird, etwa wenn technische Systeme überlistet oder Kontrollen umgangen werden.
Zivilrechtliche Pflichtverletzung versus Straftat
Nicht jede unbezahlte Nutzung ist strafbar. Das bloße Nichterfüllen vertraglicher Zahlungspflichten ohne täuschungsähnliches Umgehen von Sicherungen betrifft primär das Zivilrecht. Strafrechtlich relevant wird es, wenn die Leistung durch versteckte, unberechtigte Nutzung oder Systemumgehung erlangt wird.
Urheber- oder Zugangsrechtsverletzungen
Unberechtigte Nutzung digitaler Inhalte kann anderen Rechtsbereichen zugeordnet sein. Erschleichen bezieht sich auf entgeltliche Leistungen mit Zugangskontrolle; die Bewertung hängt von der konkreten Ausgestaltung des Dienstes und der Zugangssicherung ab.
Typische Fallkonstellationen
Öffentlicher Personennah- und Fernverkehr
„Schwarzfahren“ ist der bekannteste Anwendungsfall. Dazu gehören unauffälliges Mitfahren ohne Fahrschein, Nutzung ungültiger oder übertragener persönlicher Tickets, Umgehen von Bahnsteigsperren oder Missachten von Einstiegskontrollen. Zivilrechtlich treten nicht selten pauschalierte Forderungen wie erhöhte Beförderungsentgelte hinzu.
Veranstaltungen und Einrichtungen
Das Betreten kostenpflichtiger Veranstaltungen oder Einrichtungen ohne gültige Zugangsberechtigung, etwa durch Mitlaufen hinter zahlenden Personen oder Nutzen gesperrter Nebenzugänge, kann den Tatbestand erfüllen. Entsprechendes gilt bei personalisierten Eintrittskarten.
Automatenleistungen
Wer Leistungen von Automaten ohne oder durch Umgehung der Zahlung erhält, erschleicht die Leistung. Beispiele sind das Auslösen von Automatenfunktionen mittels unzulässiger Hilfsmittel oder manipulativem Vorgehen.
Telekommunikation und verschlüsselte Angebote
Die Nutzung entgeltlicher Kommunikations- oder Zugangsdienste durch Umgehen von Abrechnungssystemen oder Verschlüsselungen fällt in den Anwendungsbereich. Abzugrenzen sind rein urheberrechtliche oder vertragliche Fragestellungen, die anderen Regeln folgen können.
Rechtsfolgen
Strafrechtliche Folgen
Erschleichen von Leistungen kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe geahndet werden; auch der Versuch kann relevant sein. Wiederholte Begehungen, gewerbsmäßige Ausrichtung oder das Hinzutreten weiterer Rechtsverstöße können die Bewertung beeinflussen. Eintragungen in behördliche Register sind möglich.
Zivilrechtliche Folgen
Unabhängig vom Strafverfahren kommen Forderungen des Anbieters in Betracht, etwa das Entgelt für die Nutzung, pauschalierte Zuschläge, Schadensersatz oder Vertragsstrafen, soweit entsprechende Grundlagen bestehen.
Nebenfolgen
Betreiber können Haus- oder Bereichsverbote aussprechen und Kosten für Kontrollen, Feststellungen und Bearbeitung geltend machen, soweit rechtlich vorgesehen.
Mitwirkung mehrerer Personen
Mittäterschaft und Teilnahme
Mehrere Personen können arbeitsteilig handeln, etwa wenn eine Person Zugangssperren überwindet und andere nachfolgen. Auch Unterstützungsleistungen können rechtlich relevant sein.
Ticketweitergabe und Missbrauch
Die Nutzung nicht übertragbarer Berechtigungen durch Dritte oder manipulierte Berechtigungen kann als Erschleichen bewertet werden. Je nach Ausgestaltung sind daneben weitere rechtliche Tatbestände denkbar.
Besondere Konstellationen
Minderjährige und junge Erwachsene
Bei Minderjährigen und Heranwachsenden gelten besondere Reaktionsformen und Erziehungsgedanken. Die rechtliche Einordnung der Tat bleibt gleich; die Folgen können abweichen.
Wiederholungsfälle
Mehrfache Begehungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums können sich auf die rechtliche Bewertung und die Zumessung von Sanktionen auswirken.
Einverständnis des Anbieters
Liegt eine ausdrückliche oder konkludente Gestattung vor, entfällt die Unbefugtheit. Maßgeblich ist, ob der Anbieter die Nutzung ohne Gegenleistung tatsächlich billigt.
Verfahrensbesonderheiten
Strafantrag und öffentliches Interesse
Die Verfolgung hängt häufig von einem Strafantrag des betroffenen Unternehmens ab. In bestimmten Fällen kann auch ohne Antrag verfolgt werden, wenn ein besonderes öffentliches Interesse bejaht wird. Viele Anbieter erteilen generelle Antragsvollmachten oder stellen standardisierte Anzeigen.
Kontrollen und Feststellungen
Im Massengeschäft erfolgen Kontrollen regelmäßig stichprobenartig. Das rechtliche Vorgehen knüpft an die Feststellung der unberechtigten Nutzung an und wird durch interne Meldewege der Betreiber und die zuständigen Behörden weiterverarbeitet.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet „Erschleichen“ im rechtlichen Sinne?
Es bezeichnet das Erlangen einer an sich zahlungs- oder genehmigungspflichtigen Leistung durch verdeckte, unauffällige oder sicherungsumgehende Nutzung, ohne die geschuldete Gegenleistung zu erbringen.
Reicht es für eine Strafbarkeit aus, ohne Fahrschein offen im Zug zu sitzen?
Entscheidend ist das täuschungsähnliche Moment: Die Nutzung entgegen den Zugangsvoraussetzungen innerhalb eines Kontrollsystems. Ob ein offenes Zurschaustellen die Bewertung ändert, ist umstritten; maßgeblich bleibt, dass die Leistung ohne Berechtigung in Anspruch genommen wird.
Ist der Versuch des Erschleichens ebenfalls relevant?
Ja, bereits das Ansetzen zur unberechtigten Nutzung, das durch Kontrollen oder Sicherungen vereitelt wird, kann rechtlich bedeutsam sein.
Wie unterscheidet sich Erschleichen von Leistungen von Betrug?
Beim Betrug steht die Täuschung einer Person mit anschließender Vermögensverfügung im Vordergrund. Beim Erschleichen genügt die unbefugte Nutzung im Schatten von Kontrollen oder durch Umgehung von Sicherungen, ohne dass zwingend eine Person aktiv getäuscht wird.
Welche Folgen drohen neben einer Strafe?
Neben Geld- oder Freiheitsstrafe kommen zivilrechtliche Forderungen wie Entgelte, Zuschläge und Schadensersatz in Betracht, außerdem organisatorische Maßnahmen wie Hausverbote.
Spielt der Wille, später zu zahlen, eine Rolle?
Maßgeblich ist die fehlende aktuelle Berechtigung zur Nutzung. Ein späterer Ausgleich ändert grundsätzlich nichts an der Bewertung der zuvor unbefugten Inanspruchnahme.
Ist für die Verfolgung ein Strafantrag nötig?
Häufig setzt die Verfolgung einen Strafantrag des Betroffenen voraus; in bestimmten Fällen kann auch ohne Antrag eingeschritten werden, wenn ein besonderes öffentliches Interesse besteht.