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Erschleichen von Leistungen


Begriff und rechtliche Einordnung des Erschleichens von Leistungen

Das Erschleichen von Leistungen ist eine spezielle Form der Vermögensdelikte im deutschen Strafrecht und wird insbesondere in § 265a Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Der Tatbestand bezieht sich auf die unbefugte Inanspruchnahme fremder Leistungen, insbesondere im Bereich des öffentlichen sowie privaten Personen- und Sachbeförderungswesens, im Rahmen automatischer oder elektronischer Dienstleistungseinrichtungen sowie bei Veranstaltungen. Das Ziel der Regelung ist der Schutz des Betreibers der jeweiligen Dienstleistung vor Vermögensverlusten durch betrügerisches Verhalten.

Straftatbestand des § 265a StGB

Wortlaut der Vorschrift

Nach § 265a Abs. 1 StGB wird wie folgt bestraft:

Wer die Leistung eines Automaten oder die Beförderung durch ein Verkehrsmittel, die Zutrittsgewährung zu einer Veranstaltung oder Einrichtung oder die Versorgung mit Energie erschleicht, um sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Geschützte Rechtsgüter

Das primär geschützte Rechtsgut ist das Vermögen des Dienstleistungsanbieters. Zudem verfolgt die Norm das Ziel, das Vertrauen in automatisierte Zahlungsprozesse und die Funktionsfähigkeit öffentlicher Infrastrukturen wie Verkehrsnetze und Veranstaltungen zu gewährleisten.

Tatbestandsmerkmale

Tathandlung (das Erschleichen)

Das zentrale Tatbestandsmerkmal besteht im „Erschleichen“. Dieses setzt eine verdeckte, nicht offene und heimlich-unrechtmäßige Inanspruchnahme der jeweiligen Leistung voraus. Erforderlich ist ein Verhalten, das dazu führt, dass eine Leistung erbracht wird, obwohl der Anbieter einem Leistungsausschluss unterliegt oder keine Zahlung erfolgt ist.

Typische Fallgestaltungen des Erschleichens können sein:

  • Schwarzfahren im öffentlichen Nah- oder Fernverkehr
  • Benutzung von Automatenleistungen durch manipulative Eingriffe
  • Zutritt zu kostenpflichtigen Veranstaltungen ohne gültige Eintrittskarte
  • Energiebezug durch Umgehung von Messeinrichtungen oder Manipulationen

Abgrenzung zu anderen Delikten

Das Erschleichen von Leistungen unterscheidet sich etwa vom Betrug (§ 263 StGB) dadurch, dass kein Irrtumserregung über Tatsachen bei einem Menschen erforderlich ist, sondern eine Täuschung der Zugangssicherung bzw. die missbräuchliche Nutzung technischer Systeme ausreicht.

Subjektiver Tatbestand

Für die Strafbarkeit ist Vorsatz erforderlich. Der Handelnde muss mit Wissen und Wollen alle objektiven Tatbestandsmerkmale verwirklichen und sich bewusst sein, die Leistung unrechtmäßig zu erlangen. Ferner ist die Absicht, sich oder einem Dritten einen vermögensrechtlichen Vorteil zu verschaffen, Bestandteil des subjektiven Tatbestands.

Rechtswidrigkeit und Schuld

Wie bei allen Straftatbeständen müssen auch hier die allgemeinen Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit und Schuld gegeben sein. Berechtigte Inanspruchnahme oder fehlende persönliche Schuldfähigkeit schließen die Strafbarkeit aus.

Tatobjekte und Anwendungsbereiche

Automatenleistungen

Hierunter fällt jegliche Dienstleistung, die über einen Automaten gegen Entgelt angeboten wird, wie etwa Fahrkartenautomaten, Warenautomaten oder Leistungen von Parkscheinautomaten.

Beförderungsleistungen

Die Vorschrift erfasst sowohl öffentlichen als auch privaten Personen- und Gütertransport, sofern ein Beförderungsentgelt zu entrichten ist. Das klassische Beispiel ist das Fahren ohne gültigen Fahrausweis („Schwarzfahren“).

Zutritt zu Veranstaltungen oder Einrichtungen

Dies umfasst den unbefugten Zugang zu kostenpflichtigen Veranstaltungen, Museen, Bädern oder anderen öffentlichen wie privaten Einrichtungen.

Energiebezug

Der Energiebezug erfasst bedeutende Versorgungsleistungen wie Strom, Gas oder Wasser, wenn diese durch technische Manipulation oder Umgehung abrechnender Systeme unberechtigt entnommen werden.

Strafzumessung und Rechtsfolgen

Bei Verwirklichung des Delikts droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. In minder schweren Fällen wird häufig auf Geldstrafe oder eine Einstellung gegen Auflage erkannt, insbesondere bei Ersttätern mit geringem Schaden.

Versuch und Vollendung

Das Erschleichen von Leistungen ist bereits im Versuch strafbar (§ 265a Abs. 2 StGB). Der Versuch beginnt, sobald der Täter in einer Weise auf die Leistungseinrichtung einwirkt, die auf die unberechtigte Leistungsgewährung abzielt.

Abgrenzung zu anderen Straftatbeständen

Betrug (§ 263 StGB)

Beim Betrug ist im Gegensatz zum Erschleichen eine Täuschung des Geschädigten (meist eine natürliche Person) über Tatsachen notwendig, die zu einem Irrtum und einer Vermögensverfügung führt. Beim Erschleichen genügt die Täuschung (Umgehung) technischer Sicherungen ohne Irrtumsverursachung bei einer Person.

Diebstahl (§ 242 StGB)

Der Diebstahl betrifft die Wegnahme körperlicher Gegenstände. Leistungen im Sinne des § 265a StGB sind häufig Dienstleistungen oder Energie, die als „sonstige Leistungen“ begrifflich nicht unter den Diebstahl fallen.

Rechtsprechung und Auslegung

Die Auslegung der Vorschrift wurde durch zahlreiche Urteile konkretisiert. Die Rechtsprechung betrachtet beispielsweise das Fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Fahrausweis auch dann als Erschleichen, wenn der Täter lediglich in das Fahrzeug einsteigt und sich ohne Ticket befördern lässt, unabhängig von physischen Kontrollen oder Barrieren.

Auch das Erschleichen von Energie durch Manipulation an Stromzählern wurde regelmäßig bejaht. Im Bereich von Veranstaltungen genügt das Umgehen von Eingangskontrollen, selbst wenn keine weiteren technischen oder physischen Sicherungen bestehen.

Verfolgung und Verjährung

Das Erschleichen von Leistungen ist ein Antragsdelikt (§ 265a Abs. 3 StGB), d.h. die Tat wird grundsätzlich nur auf Strafantrag des Verletzten verfolgt, es sei denn, die Strafverfolgungsbehörden sehen ein besonderes öffentliches Interesse.

Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB drei Jahre.

Relevanz im Alltag und Prävention

Die Vorschrift ist besonders relevant im Alltagsleben, da sie alltägliche Vorgänge wie die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, Energieversorgung und Zugang zu Veranstaltungen umfasst. Die Sicherungssysteme werden durch die Norm gestärkt und Manipulationen unterbunden.

Präventionsmaßnahmen

Dienstleistungsanbieter setzen verstärkt auf technische und organisatorische Sicherungen, wie beispielsweise Zugangsschranken, personalisierte Tickets und digitalisierte Zahlungssysteme, um das Erschleichen von Leistungen zu erschweren.

Zusammenfassung

Das Erschleichen von Leistungen nach § 265a StGB sanktioniert das unberechtigte Erlangen von Dienstleistungen, Veranstaltungszugängen und Energie, insbesondere durch Umgehung von Sicherungssystemen oder heimliches Verhalten. Die Vorschrift schützt die wirtschaftlichen Interessen der Anbieter vor unbefugter Inanspruchnahme und ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen Strafrechtsschutzes gegen vermögensbezogene Delikte im Bereich von Dienstleistungen und Energieversorgung.

Häufig gestellte Fragen

Wer macht sich nach deutschem Recht wegen Erschleichens von Leistungen strafbar?

Das Erschleichen von Leistungen ist im deutschen Strafrecht in § 265a Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Strafbar macht sich grundsätzlich jede natürliche Person, die vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen, eine Leistung, auf die sie keinen Anspruch hat, unter Umgehung von Sicherungsvorkehrungen oder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in Anspruch nimmt. Typische Beispiele sind das Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln, der unbefugte Bezug von Strom, Gas oder Wasser sowie das Erschleichen von Einlass zu Veranstaltungen. Auch der Versuch ist strafbar. Juristische Personen können sich insoweit nicht selbst strafbar machen, wohl aber können Leitungspersonen unter bestimmten Voraussetzungen zur Verantwortung gezogen werden. Die Tat kann sowohl durch aktives Tun als auch durch Unterlassen, etwa das Nichtentwerten einer Fahrkarte, begangen werden.

Welche Leistungen fallen unter den Straftatbestand des § 265a StGB?

Unter den Straftatbestand des Erschleichens von Leistungen fallen vor allem Leistungen aus dem Bereich des öffentlichen Verkehrs (z. B. Busse, Bahnen), die Inanspruchnahme von Telekommunikationsdiensten, der Zugang zu Veranstaltungen und Einrichtungen (etwa Theater, Fußballstadien, Kinos, Schwimmbäder), sowie die Entnahme von Versorgungsgütern wie Strom, Gas oder Wasser. Diese Leistungen müssen typischerweise durch technische Vorkehrungen gegen unbefugte Nutzung geschützt sein oder einer Zugangskontrolle unterliegen. Keine Anwendung findet der § 265a StGB etwa auf Leistungen, die durch zwischenmenschliches Vertrauen gewährt werden oder nicht frei verfügbar sind. Auch das Erschleichen von ALG II oder anderen Sozialleistungen fällt nicht darunter, sondern erfüllt gegebenenfalls den Tatbestand des Betrugs (§ 263 StGB).

Inwiefern unterscheidet sich das Erschleichen von Leistungen vom Betrug?

Zwischen § 265a StGB (Erschleichen von Leistungen) und § 263 StGB (Betrug) besteht ein bedeutender Unterschied: Während beim Betrug eine Täuschung über Tatsachen gegenüber einem Menschen erforderlich ist, genügt beim Erschleichen von Leistungen das Umgehen technischer Maßnahmen oder eines Kontrollsystems ohne direkte Einwirkung auf das Personal. Beim Schwarzfahren beispielsweise wird in der Regel gerade niemand aktiv getäuscht, sondern durch Nichterwerb eines Fahrscheins oder Überwinden von Zugangsbeschränkungen die Leistung in Anspruch genommen. Darüber hinaus sind beim Betrug Vermögensschäden erforderlich, während beim Erschleichen von Leistungen der Vermögensschaden keine ausdrückliche Voraussetzung ist.

Wie wird das Erschleichen von Leistungen in der Praxis verfolgt und bestraft?

Das Erschleichen von Leistungen wird grundsätzlich als Antragsdelikt verfolgt. Das heißt, die Strafverfolgungsbehörden werden in der Regel erst auf Antrag des Geschädigten – etwa eines Verkehrsunternehmens – tätig. Die Strafandrohung reicht bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe, wobei in der Praxis bei Ersttätern meist Geldstrafen verhängt werden. Wiederholungstäter oder besonders schwerwiegende Fälle können mit Freiheitsstrafe geahndet werden. Zusätzlich können zivilrechtliche Ansprüche, etwa auf Erstattung von Fahrtkosten oder Vertragsstrafen, bestehen.

Welche Bedeutung hat der Versuch beim Erschleichen von Leistungen?

Der Versuch des Erschleichens von Leistungen ist nach dem Gesetz ausdrücklich strafbar (§ 265a Abs. 2 StGB). Das bedeutet, dass bereits das Setzen konkreter Schritte, um eine Leistung zu erschleichen – etwa das Betreten eines Bahnsteigs ohne Fahrschein oder das Betätigen eines manipulierten Automaten – unter Strafe steht, selbst wenn die Leistung letztlich nicht in Anspruch genommen wurde. Die Abgrenzung zur straflosen Vorbereitungshandlung ist im Einzelfall oft schwierig und hängt von den Umständen sowie der subjektiven Vorstellung des Täters ab.

Gibt es Möglichkeiten, der Strafbarkeit zu entgehen?

Eine Strafbarkeit kann ausgeschlossen sein, wenn der Täter etwa keinen Vorsatz hinsichtlich des Erschleichens hatte, also nicht wusste oder damit rechnete, unbefugt eine Leistung zu beziehen. Weiterhin kann ausnahmsweise ein Rechtfertigungsgrund (z. B. Notstand) vorliegen. In manchen Fällen kann auch die freiwillige Aufgabe der Tat im Versuchsstadium (§ 24 StGB) eine Strafbefreiung bewirken. Für Jugendliche und Heranwachsende findet das Jugendgerichtsgesetz (JGG) Anwendung, was in der Regel zu milderen Sanktionen führt.

Welche Folgen neben der strafrechtlichen Verurteilung drohen beim Erschleichen von Leistungen?

Neben der strafrechtlichen Sanktionierung können eine Reihe von weiteren Folgen drohen. Verkehrsunternehmen verhängen in aller Regel ein erhöhtes Beförderungsentgelt (oft als „Strafzahlung“ bezeichnet), das unabhängig vom Strafverfahren zu bezahlen ist. Daneben kann es zu Einträgen im polizeilichen Führungszeugnis kommen, insbesondere bei mehrfachen Verstößen. Dies kann sich negativ auf die Bewerbungssituation oder den Erhalt von Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen auswirken. Auch zivilrechtliche Schadensersatzforderungen und Ausschlüsse von der Nutzung öffentlicher Einrichtungen sind möglich.