Begriff und Bedeutung der Erregung öffentlichen Ärgernisses
Die Erregung öffentlichen Ärgernisses ist ein Straftatbestand im deutschen Strafrecht, der unter § 183a des Strafgesetzbuchs (StGB) normiert ist. Der Tatbestand schützt die öffentliche Ordnung vor Handlungen, die das allgemeine sittliche Empfinden schwerwiegend beeinträchtigen. In der Rechtsprechung und Literatur wird die Erregung öffentlichen Ärgernisses als Auffangtatbestand verstanden, durch den gravierende, aber nicht von anderen Vorschriften erfasste öffentliche Unsittlichkeiten strafrechtlich geahndet werden können.
Gesetzliche Regelung
§ 183a StGB: Wortlaut und Tatbestandsmerkmale
Der Wortlaut des § 183a StGB lautet:
„Wer öffentlich oder in einer Versammlung eine grob anstößige Handlung vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft“.
Die Vorschrift ist im 13. Abschnitt des StGB geregelt, der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zum Gegenstand hat. Im Unterschied zu anderen Vorschriften wie etwa der Erregung öffentlichen Ärgernisses nach historischem Recht, zielt § 183a StGB primär auf die öffentliche Verletzung von Scham- und Anstandsgefühl.
Tatbestandsmerkmale im Einzelnen
- Öffentlichkeit oder Versammlung: Die Tat muss öffentlich oder in einer Versammlung begangen werden. Öffentlich ist eine Handlung, wenn sie einem nicht begrenzten, unbestimmten Personenkreis zugänglich ist.
- Grob anstößige Handlung: Die Handlung muss nach dem Empfingen eines durchschnittlichen, verständigen Betrachters erheblich gegen das sittliche Empfinden verstoßen.
- Vorsatz: Die Tathandlung muss vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen, durchgeführt werden.
Geschütztes Rechtsgut
Das Rechtsgut, das durch § 183a StGB geschützt wird, ist die öffentliche Ordnung im Zusammenhang mit dem sittlichen Empfinden und Anstandsverständnis der Allgemeinheit. Die Vorschrift bezweckt, das Zusammenleben der Menschen vor Handlungen zu bewahren, die das öffentliche Scham- und Moralempfinden in grober Weise verletzen.
Abgrenzung zu anderen Straftatbeständen
Unterschied zu Exhibitionismus (§ 183 StGB)
Während der Exhibitionismus nach § 183 StGB auf das öffentliche Vorzeigen der Geschlechtsteile abzielt und nur von männlichen Tätern begangen werden kann, erfasst § 183a StGB (Erregung öffentlichen Ärgernisses) jedwede grob anstößige Handlung, unabhängig vom Geschlecht und unabhängig davon, ob sexuelle Motivation vorliegt.
Unterschied zu Beleidigung (§ 185 StGB)
Im Gegensatz zur Beleidigung richtet sich die Erregung öffentlichen Ärgernisses nicht gegen eine bestimmte Person, sondern gegen die Allgemeinheit und das allgemeine Sittlichkeitsgefühl.
Abgrenzung zur Belästigung der Allgemeinheit
Die in der Vergangenheit ebenfalls gebräuchliche „Belästigung der Allgemeinheit“ verlor mit Einführung und Fortentwicklung von § 183a StGB weitgehend an Bedeutung und ist durch die klarere Tatbestandserfassung abgelöst worden.
Voraussetzungen der Strafbarkeit
Öffentlichkeitsbezug
Die Handlung muss öffentlich, also für eine Vielzahl von Personen wahrnehmbar, oder zumindest in einer Versammlung vorgenommen werden. Eine private, nicht einsehbare Handlung genügt nicht.
Grob anstößige Handlung
Der Begriff der „grob anstößigen Handlung“ ist anhand objektiver Maßstäbe zu bestimmen. Abzustellen ist auf das sittliche Empfinden eines durchschnittlichen Menschen der betroffenen Gesellschaft zum Tatzeitpunkt. Beispiele sind entblößtes Herumlaufen an öffentlichen Orten (Nacktheit), öffentliches Verrichten naturbezogener Handlungen (z. B. Urinieren), sofern diese gravierend enthemmt und nicht mehr durch gesellschaftliche Gepflogenheiten toleriert werden.
Subjektiver Tatbestand (Vorsatz)
Der Täter muss die Öffentlichkeit der Wahrnehmung ebenso wie den grob anstößigen Charakter der Handlung erkannt und zumindest billigend in Kauf genommen haben.
Sanktionen und Folgen
Im Falle einer Verurteilung droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Weitere rechtliche Folgen können sich durch Nebenfolgen ergeben, etwa Einträge im Führungszeugnis. Die Ahndung von Bagatelldelikten oder einmaligen, situationsabhängigen Ordnungswidrigkeiten im Randbereich erfolgt in der Regel nicht über diesen Straftatbestand.
Historische Entwicklung
Die Vorschrift des § 183a StGB hat ihre Ursprünge im 19. Jahrhundert. Während sie ursprünglich auch weitere Formen des unsittlichen Verhaltens unter Strafe stellte, wurde der Tatbestand im Zuge verschiedener Reformen immer weiter eingegrenzt und präzisiert, um einer Ausweitung strafrechtlicher Vorschriften entgegenzuwirken.
Rechtsprechung und Beispiele
Die Rechtsprechung zum Tatbestand der Erregung öffentlichen Ärgernisses ist stark einzelfallbezogen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und verschiedener Oberlandesgerichte kommt es maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls und das jeweils vorherrschende gesellschaftliche Werteverständnis an.
Beispiele:
- Nacktes Baden außerhalb ausgewiesener Zonen mit Publikumsverkehr
- Öffentliches Urinieren in Fußgängerzonen, sofern dies von Passanten wahrgenommen wird und das sittliche Empfinden erheblich verletzt
Die bloße Zurschaustellung modischer oder außergewöhnlicher Kleidung genügt hingegen nicht.
Bedeutung in der Praxis
Die praktische Relevanz des Tatbestandes ist aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Entwicklungen heute eingeschränkt, gewinnt jedoch punktuell dort an Bedeutung, wo andere Tatbestände, insbesondere der Exhibitionismus, nicht anwendbar sind.
Reformüberlegungen
In der Gesetzgebung wird immer wieder über die zeitgemäße Ausgestaltung und Erforderlichkeit des § 183a StGB diskutiert. Kritisch betrachtet werden insbesondere die erforderliche Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale sowie die Anpassung an wandelnde gesellschaftliche Normen.
Literaturhinweise
Zur weiteren Vertiefung bietet sich einschlägige Kommentarliteratur zum Strafgesetzbuch sowie Entscheidungen der obersten Gerichte an.
Zusammenfassung
Die Erregung öffentlichen Ärgernisses nach § 183a StGB erfasst öffentliche Handlungen, die das Sittlichkeitsgefühl der Allgemeinheit in grober Weise verletzen und nicht von spezielleren Straftatbeständen erfasst werden. Die Norm ist geprägt von der Notwendigkeit, Recht und gesellschaftliches Werteempfinden in Einklang zu bringen, wobei stets die Einzelfallumstände maßgeblich sind. Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten machen eine differenzierte Anwendung erforderlich.
Häufig gestellte Fragen
Welche Handlungen können als Erregung öffentlichen Ärgernisses nach § 183a StGB geahndet werden?
Unter die Vorschrift des § 183a StGB fallen insbesondere Handlungen, die als grob ungehörig anzusehen sind und geeignet sind, berechtigten Ärger in der Öffentlichkeit hervorzurufen. Typische Fallbeispiele sind das Vornahmen oder Darstellen sexueller Handlungen in der Öffentlichkeit, das Entblößen der Geschlechtsteile an öffentlichen Orten oder das gezielte Herbeiführen von Ekel- oder Schamreaktionen bei unbeteiligten Personen. Nicht jede öffentlich vorgenommene Handlung genügt; es bedarf stets eines gewissen sittlichen Unwerturteils gemäß der jeweils herrschenden Moralauffassung. Die Tat muss zudem öffentlich oder in einer Weise erfolgen, dass sie von einer größeren Anzahl von Menschen wahrgenommen werden kann (zum Beispiel auf Straßen, in Parks oder öffentlich zugänglichen Gebäuden).
Wie wird im Einzelfall festgestellt, ob eine Handlung geeignet ist, öffentliches Ärgernis zu erregen?
Die Beurteilung, ob eine Handlung geeignet ist, öffentliches Ärgernis zu erregen, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und den zur Tatzeit geltenden gesellschaftlichen Moralvorstellungen. Die Gerichte prüfen dabei, ob die Handlung objektiv dazu geeignet ist, berechtigten Unmut, Empörung oder Missbilligung in der Allgemeinheit hervorzurufen, wobei nicht auf besonders empfindsame oder besonders gleichgültige Personengruppen abzustellen ist. Maßgeblich ist vielmehr ein durchschnittlicher Beobachter. Subjektive Empfindungen einzelner Personen sind unverbindlich, entscheidend ist die Wirkung auf die Allgemeinheit. Auch regional unterschiedliche Wertvorstellungen können eine Rolle spielen.
Ist das Zeigen von nackter Haut in der Öffentlichkeit automatisch strafbar?
Das bloße Zeigen von nackter Haut, beispielsweise beim Sonnenbaden im Freibad oder See, ist grundsätzlich nicht strafbar, sofern damit keine sexuelle Handlung oder gezielte Provokation einhergeht. Erst das bewusste, in sexueller Absicht erfolgende oder als grob ungehörig empfundene Entblößen kann die Schwelle zur Strafbarkeit überschreiten. Entscheidend ist, ob die Handlung nach den jeweiligen sozialen Gepflogenheiten als sittlich anstößig gilt. Gerichte berücksichtigen hierbei Umfang und Situation der Entblößung sowie den jeweiligen gesellschaftlichen Konsens.
Inwiefern schützt der Tatbestand die öffentliche Ordnung und nicht das Sittlichkeitsempfinden Einzelner?
§ 183a StGB dient vorrangig dem Schutz der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Sittenempfindens. Ziel der Norm ist es, ein Mindestmaß an Anstand und Rücksichtnahme im öffentlichen Raum aufrechtzuerhalten. Bedroht wird nicht das individuelle Empfinden einer Einzelperson, sondern die gesamtgesellschaftliche Auffassung von Ordnung und Sitte. Einzelmeinungen, subjektive Schamgefühle oder persönliche Moralvorstellungen sind daher nicht maßgeblich. Vielmehr ist für die Strafbarkeit die objektive Eignung der Tat zur Störung des Gemeinwohls entscheidend.
Welche Strafen sieht das Gesetz bei Erregung öffentlichen Ärgernisses vor?
Für einen Verstoß gegen § 183a StGB sieht das Gesetz Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor. In minder schweren Fällen kann das Gericht auch von einer Strafe absehen oder eine niedrigere Geldstrafe verhängen. Bei der Strafzumessung berücksichtigt das Gericht Umstände wie Art und Ausmaß der Handlung, die Motivation des Täters, etwaige Vorstrafen sowie das Ausmaß der Störung für die Allgemeinheit. Mehrfache oder besonders schwerwiegende Verstöße können zu einer härteren Bestrafung führen.
Wie grenzt sich Erregung öffentlichen Ärgernisses von anderen Straftatbeständen ab, wie etwa exhibitionistischer Handlungen oder sexueller Belästigung?
Die Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183a StGB) ist von exhibitionistischen Handlungen (§ 183 StGB) und sexueller Belästigung (§ 184i StGB) abzugrenzen. Exhibitionistische Handlungen richten sich – anders als bei § 183a – fast ausnahmslos gegen eine bestimmte (meist weibliche) Person und beinhalten häufig eine gezielte Zurschaustellung der eigenen Geschlechtsteile aus sexuellen Motiven heraus. Die sexuelle Belästigung erfordert eine Berührung mit eindeutig sexuellem Bezug. § 183a StGB greift hingegen, wenn es sich um eine grob ungehörige Handlung in der Öffentlichkeit handelt, die primär auf eine allgemeine Störung der öffentlichen Ordnung abzielt. Überlappungen mit anderen Straftatbeständen werden regelmäßig im Rahmen der Gesamtwürdigung geprüft.