Begriff und rechtliche Einordnung der Erprobung neuer Leistungen in der Krankenversicherung
Die Erprobung neuer Leistungen in der Krankenversicherung bezeichnet ein spezielles Verfahren im System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland, das der wissenschaftlichen Überprüfung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden unter festgelegten rechtlichen Rahmenbedingungen dient. Ziel ist die evidenzbasierte Entscheidung über die Aufnahme neuer medizinischer Leistungen in den Leistungskatalog der GKV. Die rechtlichen Grundlagen dieses Verfahrens finden sich insbesondere in § 137e und § 137c SGB V.
Rechtsgrundlagen der Erprobung neuer Leistungen
§ 137e SGB V als zentrale Norm
Gemäß § 137e SGB V können der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sowie das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) wissenschaftlich begründete Erprobungen bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden initiieren, für die ein ausreichender Nachweis der Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Sicherheit noch nicht vorliegt, aber Anhaltspunkte für einen möglichen Nutzen bestehen.
Voraussetzungen für die Erprobung
Für die Durchführung einer Erprobungsregelung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Die Methode ist als potenziell erstattungsfähig anzusehen.
- Es bestehen noch Erkenntnislücken hinsichtlich des Nutzens, der Zweckmäßigkeit oder der medizinischen Notwendigkeit.
- Der G-BA hat eine evidenzbasierte Bewertung vorgenommen und einen Erprobungsbedarf festgestellt.
§ 137c SGB V: Bewertungsverfahren von Methoden
§ 137c SGB V regelt das Bewertungsverfahren neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhausbereich und stellt die methodische Grundlage bereit, auf deren Basis über die Aufnahme, Erprobung oder die Ablehnung der Methoden entschieden wird.
Ablauf des Erprobungsverfahrens
Antragstellung und Initiierung
Die Erprobung kann entweder vom G-BA selbst oder auf Antrag von medizinischen Fachgesellschaften, Herstellerunternehmen oder anderen Interessensgruppen eingeleitet werden. Die Beantragung erfordert eine umfangreiche wissenschaftliche Darlegung des Potenzials der Methode und der bestehenden Unsicherheiten.
Beschluss und Vertragsgestaltung
Nach Prüfung der Anträge beschließt der G-BA, ob und in welchem Rahmen eine Erprobung durchgeführt wird. Für die Dauer und die Durchführung werden Erprobungsstudien mit klaren Zielsetzungen, Zeitplänen und Datenerhebungen festgelegt. Die Finanzierung der Studien wird durch Vertragspartner geregelt und typischerweise solidarisch aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung bereitgestellt.
Durchführung der Erprobungsstudie
Die Durchführung erfolgt meist im Rahmen von multizentrischen, randomisierten und kontrollierten Studien. Die teilnehmenden Krankenhäuser und Vertragsärztinnen und -ärzte verpflichten sich zur Einhaltung der definierten Protokolle und Datenerhebungen.
Evaluierung und Entscheidung
Nach Abschluss der Erprobungsphase werden die gewonnenen Daten im Hinblick auf Nutzen, medizinische Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Sicherheit wissenschaftlich ausgewertet. Der G-BA trifft auf dieser Grundlage eine abschließende Entscheidung über die dauerhafte Aufnahme, Modifizierung oder Ablehnung der untersuchten Methode.
Rechtsfolgen und Auswirkungen auf die Leistungsgewährung
Vorläufige Leistungsgewährung während der Erprobung
Während der Erprobung können gesetzlich Versicherte unter bestimmten Voraussetzungen einen Leistungsanspruch auf die zu prüfende Methode haben, soweit eine Teilnahme an der Studie erfolgt. Allerdings begründet die Teilnahme an der Erprobungsstudie keinen uneingeschränkten Leistungsanspruch außerhalb des Studienprotokolls.
Entscheidung über den GKV-Leistungskatalog
Nach Abschluss des Erprobungsverfahrens beschließt der G-BA, ob die betreffende Methode als Leistung der GKV anerkannt wird. Eine positive Entscheidung bedeutet die Aufnahme der Methode in die Regelversorgung und damit einen generellen Anspruch der Versicherten. Im Falle eines negativen Beschlusses bleibt der Anspruch auf Anwendung der Methode ausgeschlossen.
Rechtsschutz und gerichtliche Überprüfung
Anfechtung von G-BA-Beschlüssen
Gegen die Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, insbesondere die Ablehnung einer Erprobung oder Nichtaufnahme einer Methode in den Leistungskatalog, besteht nach Maßgabe der §§ 78 ff. SGG die Möglichkeit, Rechtsmittel zum Sozialgericht einzulegen. Die gerichtliche Kontrolle bezieht sich insbesondere auf die Einhaltung der Verfahrensvorschriften, die Beachtung wissenschaftlicher Standards und die Berücksichtigung von Patienteninteressen.
Stellung der privaten Krankenversicherung
Für die private Krankenversicherung (PKV) gelten diese spezifischen Vorschriften zur Erprobung neuer Leistungen nicht unmittelbar. Die Aufnahme neuer Methoden orientiert sich dort an den vertraglichen Vereinbarungen des jeweiligen Tarifs sowie an den allgemeinen Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft und den Vorgaben der Musterbedingungen der PKV.
Bedeutung und aktuelle Herausforderungen
Die Erprobung neuer Leistungen ist maßgeblich für die Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung im System der gesetzlichen Krankenversicherung und stellt die wissenschaftliche Evidenz in den Vordergrund. Sie sichert einen patientenorientierten, transparenten und rechtsstaatlich abgesicherten Bewertungsprozess, der Innovation und Patientensicherheit miteinander verbindet. Herausforderungen bestehen vor allem in der Abgrenzung zwischen regulärer Leistung und Innovationsverfahren, der Finanzierung der Erprobungsstudien sowie der Balance zwischen Therapiefreiheit und Schutz der Versichertengemeinschaft vor unwirksamen oder schädlichen Methoden.
Literatur und weiterführende Normen
- Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), insbesondere §§ 137c, 137e SGB V
- Geschäftsordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)
- Materialien und Veröffentlichungen des G-BA zur Methodenbewertung
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Erprobung neuer Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt sein?
Für die Durchführung einer Erprobung neuer Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) müssen mehrere gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sein. Maßgeblich sind insbesondere § 137e und § 137h SGB V, die das Genehmigungsverfahren und die organisatorische Umsetzung regeln. Zunächst muss eine plausible Aussicht bestehen, dass die neue Methode ein Potenzial für eine notwendige medizinische Versorgung bietet und somit zu einer Verbesserung der Krankenbehandlung führen könnte. Weiterhin muss eine ausreichende wissenschaftliche Untermauerung vorliegen, dass auf Basis der vorliegenden Erkenntnisse ein begründetes Potenzial für einen Nutzen besteht, wobei in der Regel randomisierte kontrollierte Studien angestrebt werden. Die Erprobung bedarf eines strukturierten Erprobungsantrags, den in der Regel der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf Antrag prüft und über den er umfassend entscheidet. Wichtig ist außerdem, dass bei der Erprobung die unabhängige Kontrolle und Überwachung der Studienqualität sichergestellt ist und Hinweise auf Risiken berücksichtigt werden. Die Rahmenbedingungen werden mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) abgestimmt und sind verbindlich festgelegt.
Wer ist berechtigt, einen Antrag auf die Durchführung einer Erprobung neuer Leistungen zu stellen?
Das Initiierungsrecht für die Erprobung neuer Methoden liegt laut § 137e Abs. 3 SGB V bei verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens. Antragsberechtigt sind in erster Linie die Hersteller von Medizinprodukten oder pharmazeutischen Produkten, Fachgesellschaften, Krankenkassen, der GKV-Spitzenverband, Patientenvertretungen sowie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) selbst. Der Antrag muss eine Auswertung des wissenschaftlichen Erkenntnisstands zu der betreffenden Untersuchungs- oder Behandlungsmethode enthalten und insbesondere darlegen, in welcher Weise eine qualitätsgesicherte Durchführung und Auswertung der Erprobung vorgesehen ist. Der G-BA entscheidet daraufhin, ob das Erprobungsverfahren eingeleitet wird und definiert methodische sowie organisatorische Vorgaben für die Durchführung.
Welche Bedeutung hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Erprobungsverfahren?
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nimmt eine zentrale Rolle bei der Erprobung neuer Leistungen ein. Ihm obliegt es, auf Antrag zu prüfen, ob hinreichende Hinweise auf ein Potenzial der neuen Methode bestehen und das Erprobungsverfahren in die Wege zu leiten. Der G-BA legt genaue Vorgaben zum Ablauf, zur Studiendurchführung, zu Studientyp und -design, zur Patientenauswahl, zu Qualitätsanforderungen und zur Ergebnisauswertung fest. Er steuert das Erprobungsverfahren, überwacht die Einhaltung der vorgegebenen Standards und sorgt für Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit. Nach Abschluss der Studie evaluiert der G-BA die vorgelegten Ergebnisse und entscheidet, ob und unter welchen Bedingungen die Methode regulär in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen wird.
Welche rechtlichen Auswirkungen hat eine Erprobung für die Leistungsansprüche der Versicherten?
Während der Erprobung neuer Methoden in der GKV ist der Zugang der Patientinnen und Patienten auf die im Rahmen der Studie zu behandelnden Versicherten beschränkt, das heißt: Versicherte können die Methode regulär nur im Rahmen der Studie in Anspruch nehmen. Ein allgemeiner Leistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse besteht bis zum Abschluss der Erprobung nicht. Die Finanzierung der im Rahmen der Erprobung erbrachten Leistungen erfolgt aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung, wobei oftmals spezielle Abrechnungsverfahren festgelegt werden. Mit Abschluss und positiver Bewertung kann die Methode jedoch in den Regelleistungskatalog aufgenommen werden und steht dann grundsätzlich allen Versicherten zur Verfügung.
Wie ist der Datenschutz während der Erprobung neuer Leistungen geregelt?
Datenschutzrechtliche Vorgaben spielen eine erhebliche Rolle im Rahmen der Erprobung neuer medizinischer Leistungen. Für jede klinische Erprobungsstudie gilt, dass die personenbezogenen Daten der Teilnehmenden nach Maßgabe der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und der speziellen sozialrechtlichen Datenschutzregelungen zu schützen sind. Studienprotokolle müssen datenschutzrechtliche Einwilligungserklärungen und technische wie organisatorische Maßnahmen zum Schutz der patientenbezogenen Gesundheitsdaten vorsehen. Zusätzlich sind unabhängige Datenschutzkontrollen und gegebenenfalls die Einschaltung von Datenschutzbeauftragten gesetzlich vorgeschrieben.
Welche Pflichten bestehen hinsichtlich der wissenschaftlichen Begleitung und Auswertung?
Es besteht eine strenge Verpflichtung zur wissenschaftlichen Begleitung der Erprobung, die in den Regelungen des G-BA konkret festgelegt wird. Die wissenschaftliche Auswertung erfolgt nach predefinierten Standards und muss transparent, nachvollziehbar und statistisch abgesichert sein. Die Daten werden regelmäßig durch unabhängige wissenschaftliche Institute, oftmals auf Veranlassung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), ausgewertet. Die Ergebnisse werden nach Abschluss der Erprobung veröffentlicht und sind für die Entscheidungen des G-BA bindend.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen gegen Entscheidungen im Erprobungsverfahren?
Entscheidungen des G-BA im Zusammenhang mit der Ablehnung oder Ausgestaltung eines Erprobungsverfahrens unterliegen der gerichtlichen Überprüfung. Betroffene Antragssteller – beispielsweise Hersteller, Patientenvertreter oder auch Krankenkassen – können nach Maßgabe des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Widerspruch einlegen und gegebenenfalls Klage vor dem Sozialgericht erheben. Voraussetzung ist jedoch, dass sie durch die Entscheidung unmittelbar beschwert sind. Das gerichtliche Verfahren stellt sicher, dass die Rechte der Beteiligten gewahrt werden und die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen umfassend überprüft werden können.