Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Erpresserischer Menschenraub

Erpresserischer Menschenraub


Begriff und Einordnung des erpresserischen Menschenraubs

Der erpresserische Menschenraub ist eine der schwersten Straftaten des deutschen Strafrechts und wird im Kern in § 239a des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Diese Deliktsform schützt in besonderem Maße die persönliche Freiheit sowie die körperliche und seelische Unversehrtheit von Personen vor Angriffen, die mit dem Ziel eines Vermögensvorteils beziehungsweise einer Erpressung durchgeführt werden. Zugleich verfolgt das Gesetz eine umfassende Abschreckung vor schwerwiegenden Freiheitsberaubungen, insbesondere im Zusammenhang mit weiteren Straftaten gegen das Vermögen.

Tatbestandsmerkmale des erpresserischen Menschenraubs

Tatobjekt und Täterkreis

Das Tatobjekt des erpresserischen Menschenraubs ist jede lebende, nicht notwendig volljährige Person. Täter kann jede nach dem Strafrecht schuldhaft handelnde natürliche Person sein. Eine Besonderheit besteht darin, dass der Tatbestand keine speziellen Qualifikationen hinsichtlich Täter oder Opfer verlangt.

Tathandlung

Die zentrale Tathandlung besteht aus dem Entführen bzw. Sich-Bemächtigen einer Person.

  • Entführung liegt vor, wenn das Opfer gegen seinen Willen aus seiner gewohnten Umgebung oder aus der Herrschaftssphäre anderer entrissen und an einen anderen, für das Opfer unbekannten oder unzugänglichen Ort verbracht wird.
  • Sich-Bemächtigen ist gegeben, wenn der Täter durch seine Verhaltensweisen die tatsächliche Gewalt über die Person ausübt – beispielsweise durch Festhalten, Einsperren oder Fesseln.

Erpressungsabsicht

Erforderlich ist, dass die Tat zur Erzwingung eines Vermögensvorteils verübt wird. Der Täter muss dabei mit einer sogenannten Erpressungsabsicht handeln, das heißt, der Freiheitsentzug dient dem Zweck,

  • das Opfer oder
  • einen Dritten

zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, die dem Täter oder einem Dritten einen Vermögensvorteil verschaffen soll. Dabei reicht auch ein mittelbarer wirtschaftlicher Vorteil.

Subjektives Tatbestandsmerkmal

Neben dem Vorsatz hinsichtlich der Tathandlung verlangt das Gesetz dolose (vorsätzliche) Begehung auch in Bezug auf die Erpressungsabsicht. Bedingter Vorsatz ist ausreichend, sofern alle objektiven Merkmale des Tatbestandes bewusst und gewollt verwirklicht werden.

Strafmaß und Rechtsfolgen

Der erpresserische Menschenraub wird in § 239a StGB mit einer Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bedroht. In minder schweren Fällen kann das Strafmaß abweichen, jedoch ist der Handlungsspielraum auch hier stark eingeschränkt. Wird die Tat fahrlässig verursacht, kommt keine Strafbarkeit nach § 239a StGB in Betracht.

Besonders schwer wiegende Fälle oder eine Verbindung mit Todesfolge führen zu weiteren Qualifikationen gemäß § 239b StGB (Menschenraub mit Todesfolge), welche eine nochmalige Erhöhung des Strafrahmens zur Folge haben können, bis hin zur lebenslangen Freiheitsstrafe.

Verhältnis zu weiteren Straftatbeständen und Konkurrenzen

Abgrenzung zum Menschenraub (§ 239b StGB)

Der Menschenraub nach § 239b StGB unterscheidet sich insbesondere durch die geplante oder eingetretene Todesfolge im Zusammenhang mit der Entführung. Während beim erpresserischen Menschenraub die Erpressungsabsicht im Vordergrund steht, setzt § 239b StGB eine besondere Qualifikation durch das Eintreten des Todes des Opfers voraus.

Verhältnis zu Erpressung (§ 253 StGB) und Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)

Die Vorschriften über die Erpressung und die Freiheitsberaubung werden vom Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs regelmäßig verdrängt (Konkurrenzprinzip). Eine eigenständige Strafbarkeit wegen Erpressung oder Freiheitsberaubung kommt nur in Betracht, soweit eine zusätzliche, nicht vom Spezialtatbestand des § 239a StGB erfasste Handlung vorliegt.

Konkurrenzen zu anderen Delikten

Im Falle begleitender Gewalteinwirkungen können auch andere Delikte (z. B. Körperverletzung, schwere Körperverletzung) in Tateinheit stehen. Die Beurteilung erfolgt nach den allgemeinen Konkurrenzregeln des Strafrechts.

Prozessuale Besonderheiten

Ermittlungsverfahren

Aufgrund der außerordentlichen Schwere des Tatvorwurfs und der betroffenen Rechtsgüter erfolgen Ermittlungen nach erpresserischem Menschenraub regelmäßig durch spezialisierte Ermittlungsbehörden und Ermittlungsrichter. Das Verfahren ist oft von besonderer Eilbedürftigkeit und Geheimhaltung geprägt.

Opferschutz und Zeugenschutz

Den Opfern eines erpresserischen Menschenraubs stehen umfangreiche Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen zu. Diese reichen von polizeilichem Opferschutz über anwaltliche Beratung bis hin zu psychologischer Betreuung. Nicht selten greifen Zeugenschutzprogramme, wenn ein erhebliches Gefährdungspotenzial besteht.

Tätertypologie und Erscheinungsformen

Erpresserischer Menschenraub kann sehr unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen. Neben klassischen Fällen wie Entführung zur Lösegelderpressung treten auch dissimulierte Formen auf, bei denen das Opfer durch zivilrechtliche Maßnahmen oder betrügerische Täuschung in eine ausweglose Lage gebracht wird, um einen wirtschaftlichen Vorteil zu erpressen.

Strafbarkeitsausschluss, Versuch und Rücktritt

Versuch und Vollendung

Der Versuch des erpresserischen Menschenraubs ist nach § 239a Abs. 3 StGB stets strafbar. Maßgeblich ist dabei, dass der Täter zur Tatsausführung unmittelbar angesetzt hat, auch wenn der Erfolg nicht eintritt.

Rücktritt vom Versuch

Ein Rücktritt vom Versuch kann strafbefreiend wirken, wenn der Täter freiwillig die Drohung einer vollendeten Tat abwendet und das Opfer wieder in seine Freiheit entlässt, bevor das angestrebte Ziel erreicht wird.

Internationale Bezüge

Erpresserischer Menschenraub ist weltweit eine schwerwiegende Straftat und wird in nahezu allen Rechtssystemen mit erheblichen Strafen bedroht. Völkerrechtliche Verträge und Konventionen, wie das UN-Übereinkommen gegen transnationale organisierte Kriminalität, verpflichten Vertragsstaaten zur Verfolgung und Ahndung dieser Straftaten.

Literatur und weiterführende Hinweise

Für die vertiefende Beschäftigung mit erpresserischem Menschenraub sind insbesondere Kommentierungen zu § 239a StGB sowie aktuelle Urteilsbesprechungen zu empfehlen. Weiterführende Studien und Analysen bieten kriminalpolitische Schriften und Handbücher zum deutschen Strafrecht.


Hinweis: Dieser Artikel stellt eine umfassende und sachliche Darstellung des erpresserischen Menschenraubs dar und ist darauf ausgelegt, sowohl inhaltlich fundierte Informationen zu bieten als auch für Suchmaschinen sichtbar und hilfreich zu sein.

Häufig gestellte Fragen

Welche Strafen drohen bei einer Verurteilung wegen erpresserischen Menschenraubs nach deutschem Recht?

Erpresserischer Menschenraub ist im deutschen Strafgesetzbuch (StGB) in § 239a geregelt und zählt zu den schwersten Gewaltdelikten. Die Strafandrohung ist dementsprechend hoch: Es droht eine Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. In minder schweren Fällen kann das Gericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren erkennen. Handelt der Täter „gewerbsmäßig“ oder wird das Opfer durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht, kann das Gericht im Einzelfall sogar von einem besonders schweren Fall ausgehen, was einen Strafrahmen von nicht unter zehn Jahren bedeutet. Schwere Folgen für das Opfer – wie Tod oder schwere Organschäden – ziehen zusätzlich strafschärfende Konsequenzen nach sich und können zu lebenslanger Freiheitsstrafe führen. Daneben besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung, falls der Täter als besonders gefährlich eingestuft wird.

Welche Unterschiede bestehen zwischen erpresserischem Menschenraub und Geiselnahme?

Der erpresserische Menschenraub (§ 239a StGB) und die Geiselnahme (§ 239b StGB) sind eigenständige Tatbestände, die sich jedoch stark ähneln und häufig verwechselt werden. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass beim erpresserischen Menschenraub das Opfer zunächst entführt oder sich bemächtigt wird, um dann durch die folgende Erpressung einen Vermögensvorteil oder eine andere Leistung zu erzwingen. Bei der Geiselnahme hingegen wird jemand „als Geisel“ genommen, um einen Dritten (zum Beispiel die Polizei oder Angehörige) zu einem bestimmten Verhalten zu nötigen. Während § 239a regelmäßig auf eine wirtschaftliche Bereicherung abzielt, reicht bei § 239b jede Nötigungshandlung. Die Strafen sind ähnlich hoch, aber die Tatbestandsvoraussetzungen unterscheiden sich insbesondere hinsichtlich des Tatmotivs und Kreises der angegriffenen Rechtsgüter.

Kann ein erpresserischer Menschenraub auch bereits im Versuchsstadium strafbar sein?

Ja, sowohl der Versuch des erpresserischen Menschenraubs als auch die Vorbereitungshandlungen sind bereits strafbar, sofern zu erkennen ist, dass der Täter zur Tatausführung unmittelbar ansetzt. Der Versuch wird nach § 239a Abs. 4 StGB ebenfalls mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft, was zeigt, wie ernst die Rechtsordnung diesen Angriff auf die persönliche Freiheit und Sicherheit nimmt. Ein Rücktritt vom Versuch ist nach den Regeln des Allgemeinen Teils des StGB (§ 24 StGB) möglich und kann zur Straffreiheit führen, sofern der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt, ohne dass der Erfolg eintritt.

Sind Mittäter und Gehilfen beim erpresserischen Menschenraub gleichermaßen strafbar?

Bei einem erpresserischen Menschenraub sind nicht nur die unmittelbaren Täter strafbar, sondern auch Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) und Gehilfen (§ 27 StGB). Wer also an Planung, Durchführung, Überwachung oder Absicherung der Tat beteiligt ist oder den Täter in sonstiger Weise unterstützt, kann als Mittäter oder Gehilfe belangt werden. Die Abgrenzung hängt von der Beteiligungsform und Intensität des Tatbeitrags ab. Für Mittäter gelten die gleichen Strafrahmen wie für den Haupttäter. Bei Gehilfen erfolgt eine Strafmilderung nach § 27 Abs. 2 StGB. Eine besondere Rolle spielt auch derjenige, der „nur“ zur Vorbereitung eines Menschenraubes beiträgt – je nach Auslegung kann dies bereits als strafbare Beteiligung angesehen werden.

Welche Bedeutung hat das Opferverhalten im Rahmen einer Strafzumessung beim erpresserischen Menschenraub?

Das Verhalten des Opfers kann bei der Strafzumessung eine Rolle spielen, insbesondere in minder schweren Fällen. Beispielsweise kann es strafmildernd berücksichtigt werden, wenn das Opfer keinerlei Widerstand geleistet hat und sich kooperativ verhalten hat, sofern dies zur raschen Beendigung der Tat geführt hat. Allerdings hat das Opferverhalten nur eine untergeordnete Bedeutung im Vergleich zu Aspekten wie Tatausführung, Intensität der Nötigung, Dauer der Freiheitsentziehung und etwaigen körperlichen oder psychischen Verletzungen. Auch die Bereitschaft des Täters, das Opfer frühzeitig freizulassen oder sich selbst zu stellen, kann maßgeblich für eine Strafmilderung sein.

Gibt es besondere Regelungen zum Schutz der Opfer nach einem erpresserischen Menschenraub?

Ja, das deutsche Recht sieht vielfältige Schutzmaßnahmen für Opfer solcher Kapitaldelikte vor. Opfer von erpresserischem Menschenraub haben Anspruch auf Opferentschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) und können psychosoziale Prozessbegleitung beanspruchen, wenn sie als Zeugen im Strafverfahren aussagen müssen. Es besteht für Betroffene ein Recht auf Akteneinsicht und anwaltliche Vertretung, Gefährdungsschutz und unter Umständen Zeugenschutz, insbesondere wenn sie durch die Aussage in weiterer Gefahr schweben. Neben dem eigentlichen Strafverfahren ermöglichen zivilrechtliche Ansprüche Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen gegenüber dem Täter.

Welche besonderen Verjährungsregeln gelten für den erpresserischen Menschenraub?

Für den erpresserischen Menschenraub gilt eine verlängerte Verjährungsfrist. Nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB richtet sich die Verjährung nach dem Höchstmaß der angedrohten Strafe. Da der Strafrahmen nicht unter fünf Jahren liegt, beträgt die Verjährungsfrist 20 Jahre. In besonders schweren Fällen mit drohender lebenslanger Freiheitsstrafe kommt es zu einer Verjährungsfrist von 30 Jahren (§ 78 Abs. 2 StGB). Sollte es im Zuge des Menschenraubs zu Tötungsdelikten gekommen sein, kann die Verjährung sogar vollständig entfallen.