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Ermessensfehlgebrauch


Definition des Ermessensfehlgebrauchs

Unter dem Begriff Ermessensfehlgebrauch versteht man im deutschen Verwaltungsrecht den fehlerhaften Gebrauch des behördlichen Ermessens. Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn eine Behörde, der durch Gesetz ein Entscheidungsspielraum („Ermessen“) eingeräumt wurde, diesen nicht entsprechend Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften ausübt, sondern hierbei sachwidrige oder rechtswidrige Erwägungen anstellt. Im Ergebnis wird der Zweck der Ermächtigung verfehlt.

Begriffsklärung und laienverständliche Definition

Ermessensfehlgebrauch bezeichnet das falsche Ausnutzen des Handlungsspielraums, den das Gesetz einer Behörde oder sonstigen Entscheidungsträgern bei der Anwendung einer Regelung einräumt. Wird das Ermessen durch Missachtung rechtlicher Grenzen oder durch die Berücksichtigung unsachlicher Beweggründe ausgeübt, handelt es sich um Ermessensfehlgebrauch. Vereinfacht gesagt: Eine Behörde darf zwar bei bestimmten Entscheidungen abwägen und wählen, wie sie verfährt, sie darf dabei jedoch nicht willkürlich handeln, wichtige Aspekte außer Acht lassen oder sachfremde Ziele verfolgen.

Kontext und Relevanz des Begriffs

Allgemeiner Kontext

Der Begriff Ermessensfehlgebrauch ist besonders im Verwaltungsrecht sowie bei der staatlichen Entscheidungsfindung von zentraler Bedeutung. Staatliche Behörden, aber auch andere Institutionen mit Entscheidungsbefugnis, werden in zahlreichen Gesetzen dazu ermächtigt, nach eigenem Ermessen zu handeln, etwa bei der Vergabe von Genehmigungen, Bewilligungen, Bußgeldern oder bestimmten Fördermitteln. Die Einhaltung der rechtlichen Grenzen des Ermessens ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der jeweiligen Entscheidung.

Relevanz

Ermessensfehlgebrauch wird häufig im Zusammenhang mit der gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsakten relevant. Bürgerinnen und Bürger können gerichtlich gegen Verwaltungsakte vorgehen, wenn sie eine fehlerhafte Ermessensausübung vermuten. Im Rahmen der sogenannten „Ermessenskontrolle“ prüft das Gericht dann, ob die Verwaltung ihren Entscheidungsspielraum sachgerecht genutzt hat.

Formelle und rechtliche Perspektive

Im deutschen Verwaltungsrecht wird die Pflicht, Ermessen sachgerecht auszuüben, besonders hervorgehoben. Die wichtigsten Vorschriften finden sich im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) und in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gesetzliche Grundlagen

Eine zentrale Norm ist § 40 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), der wie folgt lautet:

„Soweit die Behörden ermächtigt sind, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen auszuüben.“

Das bedeutet, dass die Verwaltung in jedem Einzelfall überlegen muss, ob und wie sie von ihrem Ermessen Gebrauch macht. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt insbesondere vor, wenn

  • der Zweck der Ermächtigungsgrundlage missachtet wird,
  • im Entscheidungsprozess nachweislich wesentliche Überlegungen unberücksichtigt geblieben sind oder
  • abschließende Motive einbezogen werden, die rechtswidrig oder sachfremd sind.

Arten des Ermessensfehlgebrauchs

Ermessensfehlgebrauch ist ein Oberbegriff und umfasst verschiedene Erscheinungsformen der fehlerhaften Ermessensausübung. Wesentliche Arten sind:

  1. Ermessensnichtgebrauch (Ermessensunterschreitung)

– Die Behörde erkennt nicht, dass sie Handlungsspielraum besitzt und trifft eine Entscheidung, als ob sie keine Wahl hätte.

  1. Ermessensüberschreitung

– Die Behörde überschreitet die ihr gesetzlich gezogenen Grenzen und trifft eine Entscheidung, die vom Gesetz nicht mehr gedeckt ist.

  1. Ermessensfehlgebrauch im engeren Sinne

– Die Behörde übt das Ermessen zwar aus, stützt sich dabei jedoch auf sachfremde, willkürliche oder nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechende Erwägungen.

Typische Kontexte des Ermessensfehlgebrauchs

Verwaltung und staatliche Institutionen

Am häufigsten findet Ermessensfehlgebrauch bei der Prüfung und Kontrolle von Verwaltungsakten statt. Ob es sich um Baugenehmigungen, polizeiliche Maßnahmen, steuerliche Sachentscheidungen oder Sozialleistungen handelt – immer wenn das Gesetz der zuständigen Stelle einen Ermessensspielraum lässt, kann ein Ermessensfehlgebrauch auftreten.

Beispiele:

  • Eine Behörde entscheidet über die Erteilung einer Erlaubnis und bezieht dabei ausschließlich persönliche Sympathien oder Antipathien ein.
  • Bei der Festsetzung eines Bußgelds werden willkürlich unverhältnismäßig hohe Beträge verhängt, ohne die konkreten Umstände des Einzelfalls zu würdigen.
  • Ein Amt versagt eine Förderung aus sachfremden Gründen, etwa aus politischen Motiven, die mit dem Förderzweck nichts zu tun haben.

Wirtschaft und Unternehmen

Auch in wirtschaftlichen Kontexten, etwa bei öffentlich-rechtlichen Unternehmen, tritt das Problem des Ermessensfehlgebrauchs auf. Das betrifft zum Beispiel die Vergabe öffentlicher Aufträge, Subventionen oder die Anwendung behördlicher Maßnahmen im Wettbewerbsrecht.

Alltag und Gesellschaft

Im Alltag entstehen etwa dann Probleme, wenn Bürgerinnen und Bürger bei Behördenauskünften oder Dienstleistungen erleben, dass Entscheidungen offensichtlich nach willkürlichen oder ungerechtfertigten Kriterien getroffen werden. Auch hier kann im übertragenen Sinne von Ermessensfehlgebrauch gesprochen werden, wenngleich sich die rechtlichen Konsequenzen meist auf den öffentlichen Sektor beschränken.

Gesetzliche Regelungen und einschlägige Normen

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)

  • § 40 VwVfG – Ermessen, Begrenzung des Ermessens durch Gesetz und Zweckmäßigkeit.

Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)

  • § 114 VwGO – Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle auf das Vorliegen von Ermessensfehlern.

Gerichte prüfen auf Antrag, ob ein Ermessensfehler vorliegt. Ein festgestellter Ermessensfehler führt in der Regel dazu, dass die verwaltungsrechtliche Entscheidung für rechtswidrig erklärt wird.

Weitere Gesetze

Je nach Sachgebiet können weitere Spezialgesetze einschlägig sein, beispielsweise im Polizeirecht, Baurecht, Sozialrecht oder im Steuerrecht. Allen ist gemein, dass sie Normen enthalten, die Behörden einen Ermessensspielraum einräumen und damit die Gefahr eines Ermessensfehlgebrauchs implizieren.

Besonderheiten und häufige Problemstellungen

Abgrenzung von Ermessensfehlgebrauch zu anderen Fehlern

Es muss präzise unterschieden werden zwischen einem Ermessensfehlgebrauch und anderen Formen rechtswidriger Verwaltungstätigkeit, etwa dem Verstoß gegen zwingendes Recht oder der fehlerhaften Ermittlung des Sachverhalts. Während beim Ermessensfehlgebrauch die richtige Anwendung des Entscheidungsspielraums im Fokus steht, sind bei anderen Fehlerarten falsche Auslegungen oder Tatsachenannahmen entscheidend.

Typische Gründe für Ermessensfehlgebrauch

  • Unzureichende Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen
  • Einflussnahme politischer oder wirtschaftlicher Interessen, die außerhalb der eigentlichen Entscheidungsgrundlage liegen
  • Mangelnde Sachkenntnis oder missverstandene gesetzliche Ziele
  • Übermäßige Routineentscheidungen ohne spezifische Beachtung des Einzelfalls

Folgen des Ermessensfehlgebrauchs

Stellt ein Gericht einen Ermessensfehlgebrauch fest, wird der betroffene Verwaltungsakt in der Regel aufgehoben oder an die Behörde zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Die erneute Entscheidung muss dann unter Beachtung der vom Gericht festgestellten Fehler erfolgen.

Beispiele für Ermessensfehlgebrauch

Nachfolgend eine Aufzählung typischer Konstellationen:

  • Eine Baugenehmigung wird mit der Begründung verweigert, dass dem Antragsteller persönlich nicht vertraut wird, obwohl sonstige Voraussetzungen erfüllt sind.
  • Ein Ordnungsgeld wird unter Missachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen pauschal festgesetzt.
  • Subventionen werden ausdrücklich an bestimmte politische Loyalität geknüpft, obwohl objektive Förderbedingungen vorliegen.
  • Eine Behörde setzt eine Maßnahme ohne Rücksicht auf die individuellen Umstände des Betroffenen automatisch um („Schema F“).

Zusammenfassung

Der Ermessensfehlgebrauch ist eine zentrale Fehlerquelle im Bereich staatlicher und behördlicher Entscheidungen, wenn Gesetze einen Ermessensspielraum einräumen. Ein solcher Fehlgebrauch liegt vor, wenn eine Behörde ihr Ermessen nicht entsprechend Sinn und Zweck der Ermächtigungsgrundlage ausübt, sachfremde Kriterien anwendet, wesentliche Gesichtspunkte außer Acht lässt oder die gesetzlichen Grenzen überschreitet. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen sind § 40 VwVfG und § 114 VwGO, die den kontrollierbaren Rahmen behördlichen Handelns festlegen.

Hinweise zur Relevanz des Begriffs

Der Begriff Ermessensfehlgebrauch ist besonders für Personen relevant, die mit behördlichen Entscheidungen konfrontiert sind, etwa Antragsteller in Verwaltungsverfahren, Beteiligte in Genehmigungsverfahren oder auch Interessierte an der Kontrolle staatlichen Handelns. Ebenso spielt er eine bedeutende Rolle bei der Überprüfung von Verwaltungsakten durch Gerichte. Die genaue Kenntnis des Begriffs und seiner rechtlichen Bedeutung kann helfen, sich effektiv gegen unrechtmäßige Entscheidungen zur Wehr zu setzen und Missstände im Verwaltungshandeln zu erkennen.

Häufig gestellte Fragen

Was versteht man unter einem Ermessensfehlgebrauch im Verwaltungsrecht?

Ein Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn eine Behörde bei der Ausübung ihres Ermessensrahmens, den das Gesetz ihr einräumt, die Grenzen dieses Ermessens überschreitet oder das Ermessen auf fehlerhafte Weise ausübt. Das kann zum Beispiel geschehen, wenn die Behörde von einer falschen Tatsachengrundlage ausgeht, sachfremde Erwägungen anstellt oder die gesetzlichen Ermessensgrenzen nicht einhält. Das Verwaltungshandeln kann dann rechtswidrig sein, obwohl der Behörde grundsätzlich ein Entscheidungsspielraum zusteht. Das deutsche Verwaltungsrecht unterscheidet hierbei verschiedene Formen des Ermessensfehlgebrauchs, wie Ermessensnichtgebrauch (Nichtausübung des Ermessens), Ermessensüberschreitung (Überschreiten der gesetzlichen Schranken) und Ermessensfehlgewichtung (Fehlbewertung der maßgeblichen Gesichtspunkte). Die Kontrolle durch die Gerichte ist meist darauf beschränkt, ob einer dieser Fehler vorliegt; eine vollständige Ermessensausübung durch das Gericht ist nicht zulässig.

Wie unterscheidet sich Ermessensnichtgebrauch von Ermessensfehlgebrauch?

Ermessensnichtgebrauch (auch Ermessensunterschreitung genannt) bedeutet, dass die Behörde ihr Ermessen überhaupt nicht betätigt, obwohl das Gesetz sie dazu auffordert. Sie handelt dann so, als hätte sie gar keinen Entscheidungsspielraum, und trifft etwa eine Entscheidung „nach Schema F“. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt hingegen vor, wenn das Ermessen zwar ausgeübt wird, aber auf eine Art und Weise, die mit den Vorgaben des Gesetzes nicht im Einklang steht. Während Ermessensnichtgebrauch oft daran erkannt werden kann, dass stereotype Entscheidungen getroffen werden oder ein Automatismus besteht, zeigt sich Ermessensfehlgebrauch eher in einer fehlerhaften Abwägung oder bei Berücksichtigung sachfremder Umstände. Beide führen dazu, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist.

Welche Fehlerarten umfasst der Begriff des Ermessensfehlgebrauchs?

Der Ermessensfehlgebrauch umfasst insbesondere drei Fehlerarten:

  1. Ermessensüberschreitung: Die Behörde überschreitet die durch das Gesetz gezogenen äußersten Grenzen des Ermessens. Das ist dann der Fall, wenn sie Maßnahmen ergreift, die vom Gesetz nicht gedeckt oder sogar ausgeschlossen sind.
  2. Ermessensnichtgebrauch (Ermessensunterschreitung): Die Behörde macht von ihrem eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch und trifft statt einer gerechten Abwägung eine schematische Entscheidung.
  3. Ermessensfehlgewichtung (Ermessensmissbrauch): Hierbei werden wesentliche Faktoren bei der Entscheidungsfindung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt, irrelevante Umstände einbezogen oder das Gewicht der einzelnen Aspekte falsch eingeschätzt. Dies ist der häufigste und am schwierigsten feststellbare Fehler, da die Abwägung sehr einzelfallbezogen erfolgt, aber dennoch die gesetzlichen Vorgaben und der Zweck der Ermächtigung beachtet werden müssen.

Welche rechtlichen Folgen hat ein Ermessensfehlgebrauch?

Ein Ermessensfehlgebrauch führt zur Rechtswidrigkeit des betreffenden Verwaltungsakts. Das bedeutet, dass Betroffene den Verwaltungsakt mit Widerspruch und/oder Klage anfechten können. Das zuständige Verwaltungsgericht prüft dann insbesondere, ob die angeführten Fehler in der Ermessensausübung vorliegen. Allerdings ersetzt das Gericht nicht das Ermessen der Behörde durch eigenes Ermessen, sondern kontrolliert nur, ob die gesetzlichen Ermessensgrenzen und -vorgaben beachtet wurden. Stellt das Gericht fest, dass ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt, hebt es den Verwaltungsakt normalerweise auf und verweist die Sache zur erneuten Entscheidung an die Behörde zurück, damit diese ihr Ermessen korrekt ausübt („zurückverweisen“).

Wie kann ein Ermessensfehlgebrauch in der Praxis festgestellt werden?

Ein Ermessensfehlgebrauch kann festgestellt werden, indem das Verwaltungshandeln im Einzelfall daraufhin überprüft wird, ob die gesetzlichen Voraussetzungen und Ermessensgrenzen eingehalten wurden, ob die Tatsachen richtig und vollständig ermittelt wurden und ob die maßgeblichen Gesichtspunkte in die Entscheidung korrekt einbezogen wurden. Auch ist zu prüfen, ob gegebenenfalls sachfremde Erwägungen angestellt wurden. Das kann zum Beispiel bei diskriminierenden, willkürlichen oder politisch motivierten Entscheidungen der Fall sein. Eine sorgfältige Dokumentation der Erwägungen und der Abwägung durch die Behörde erleichtert diese Überprüfung erheblich.

In welchen Bereichen der Verwaltung kommt es besonders häufig zu Ermessensfehlgebrauch?

Typische Anwendungsbereiche, in denen Ermessensfehlgebrauch häufiger vorkommt, sind das Polizei- und Ordnungsrecht (z.B. bei Anordnungen und Verboten), das Ausländerrecht (Entscheidungen über Aufenthaltserlaubnisse, Abschiebungen oder Duldungen), das Sozialrecht (Leistungen nach dem SGB II/XII), das Baurecht (z.B. Befreiungen, Ausnahmen) sowie generell bei Genehmigungs- und Erlaubnisverfahren aller Art. In diesen Fällen sieht das Gesetz zwar einen Spielraum für die Behörde vor, der jedoch nach bestimmten Grundsätzen wahrgenommen werden muss, wodurch die Möglichkeit von Fehlern im Ermessensprozess steigt.

Wie können Betroffene gegen Ermessensfehlgebrauch vorgehen?

Wer von einem Verwaltungsakt betroffen ist und einen Ermessensfehlgebrauch vermutet, kann Rechtsmittel wie Widerspruch und Klage einlegen. Im Rahmen des Verfahrens sollte möglichst genau dargelegt werden, an welcher Stelle nach Auffassung des Betroffenen das Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt wurde. Hilfreich ist es, auf mögliche Sachverhaltsfehler, fehlende bzw. unzutreffend berücksichtigte Gesichtspunkte und auf die Begründung der Behörde Bezug zu nehmen. Das Verwaltungsgericht überprüft dann, ob die Voraussetzungen für einen Ermessensfehlgebrauch vorliegen, und kann die fehlerhafte Entscheidung aufheben. Betroffene sollten darauf achten, die maßgeblichen Fristen zu wahren und gegebenenfalls rechtzeitig Rechtsrat einzuholen.