Erlass von Steuern
Der Begriff Erlass von Steuern bezeichnet im Steuerrecht die vollständige oder teilweise Befreiung eines Steuerpflichtigen von einer bereits festgesetzten, bestehenden Steuerverbindlichkeit. Der Steuererlass ist ein wichtiges Instrument der Steuerverwaltung, das insbesondere bei sachlichen oder persönlichen Unbilligkeiten zur Anwendung kommt. Die gesetzliche Grundlage für den Steuererlass findet sich in den Abgabenordnungen der jeweiligen Staaten, in Deutschland maßgeblich in den §§ 227, 261 Abgabenordnung (AO). Im Folgenden wird der Steuererlass im deutschen Steuerrecht umfassend erklärt, sein Anwendungsbereich beschrieben und die zu beachtenden rechtlichen Grundlagen detailliert dargestellt.
Rechtliche Grundlagen des Steuererlasses
Begriff und gesetzliche Regelung
Unter einem Steuererlass wird der Verwaltungsakt verstanden, durch welchen die Steuerbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen ganz oder teilweise auf den Einzug einer geschuldeten Steuer verzichtet. In Deutschland ist die wesentliche Rechtsgrundlage § 227 AO, wonach die Finanzbehörde Steuern erlassen kann, soweit deren Einziehung nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Daneben regeln weitere Vorschriften, insbesondere § 261 AO (Erlass von Säumniszuschlägen und Nebenleistungen) sowie Sonderregelungen in materiellen Steuergesetzen wie dem Einkommensteuergesetz (EStG), das Verfahren und die Voraussetzungen spezifisch.
Erlassarten
Das Steuerrecht unterscheidet zwei wesentliche Arten des Steuererlasses:
- Rechtmäßiger Steuererlass: Dieser bezieht sich auf Steuern, die dem Grunde und der Höhe nach zutreffend festgesetzt wurden, aber aus Gründen der Unbilligkeit erstattet, erlassen oder niedergeschlagen werden (maßgeblich § 227 AO).
- Unrechtmäßiger Steuererlass: Hierunter fallen Fälle, in denen die Steuerfestsetzung unrichtig ist und ein Steuerpflichtiger ohne Rechtsgrund zur Leistung herangezogen würde. Dieser Fall wird regelmäßig durch eine Rücknahme oder Änderung des Verwaltungsakts, nicht durch einen Erlass, geregelt.
Unterschied zu Stundung und Niederschlagung
Der Erlass von Steuern ist abzugrenzen von:
- Stundung (§ 222 AO): Zeitlich befristete Hinausschiebung der Steuerzahlung.
- Niederschlagung (§ 261 AO): Vorübergehendes Absehen von der Einziehung der Steuer, ohne dass die Steuerpflicht erlischt.
Der Erlass bewirkt hingegen das endgültige Erlöschen der Steuerschuld.
Voraussetzungen des Steuererlasses
Unbilligkeit der Einziehung im Einzelfall
Ein Erlass ist nach § 227 AO nur dann möglich, wenn die Einziehung der Steuer im Einzelfall unbillig wäre. Dabei wird unterschieden zwischen:
- Sachlicher Unbilligkeit (Unbilligkeit aufgrund der Steuerregelung selbst, z. B. atypische Sachverhaltsgestaltung, auf die der Gesetzgeber nicht vorbereitet war)
- Persönlicher Unbilligkeit (Unbilligkeit aufgrund der persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen, z. B. Existenzgefährdung)
Beispiele für sachliche Unbilligkeit sind etwa Fälle, in denen infolge einer unerwarteten Gesetzesänderung oder Gesetzeslücke eine ungewollte Doppelbesteuerung eingetreten ist. Bei persönlicher Unbilligkeit geht es darum, ob durch die Steuererhebung eine außergewöhnliche Härte für den Steuerpflichtigen entsteht, die über das zumutbare Maß hinausgeht.
Kein Anspruch auf Erlass
Ein rechtsverbindlicher Anspruch auf Steuererlass besteht grundsätzlich nicht. Vielmehr liegt die Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Die Verwaltungsvorschriften (z. B. Erlassrichtlinien, AEAO zu § 227 AO) erläutern die Handhabung der Finanzämter und enthalten Kriterien zur Ermessensausübung, etwa zu Nachweispflichten und zum Umfang des Erlasses.
Verfahren zum Erlass von Steuern
Antragstellung
Der Steuerpflichtige hat den Steuererlass in der Regel schriftlich beim zuständigen Finanzamt zu beantragen und die maßgeblichen Gründe und Nachweise vorzulegen. Die Entscheidung erfolgt durch einen gesonderten Verwaltungsakt.
Mitwirkungspflichten
Im Rahmen des Steuererlassverfahrens trifft den Antragsteller eine umfassende Mitwirkungspflicht. Er muss insbesondere seine wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse offenlegen und alle zur Entscheidung notwendigen Unterlagen einreichen.
Entscheidung und Rechtsbehelfe
Über den Antrag auf Steuererlass entscheidet das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen. Gegen eine ablehnende Entscheidung stehen dem Steuerpflichtigen die allgemeinen Rechtsbehelfe des Verwaltungsverfahrens offen, insbesondere Einspruch und gegebenenfalls Klage zum Finanzgericht.
Rechtsfolgen des Steuererlasses
Durch den Steuererlass erlischt rückwirkend die betreffende Steuerschuld, soweit sie erlassen wurde. Etwaige Steuerbescheide sind entsprechend zu ändern. Ein einmal gewährter Erlass kann grundsätzlich nicht widerrufen werden, es sei denn, die Voraussetzungen hierfür sind im Einzelfall gesetzlich vorgesehen (z. B. bei arglistiger Täuschung oder wesentlicher Änderung der maßgebenden Tatsachen).
Steuererlass im europäischen und internationalen Kontext
Auch im europäischen und internationalen Steuerrecht sind entsprechende Steuererleichterungen bekannt, wobei sich die Regelungen im Detail unterscheiden. Innerhalb der Europäischen Union ist zu beachten, dass Steuererlasse staatliche Beihilfen darstellen können und daher nach den Vorschriften des EU-Beihilferechts zu bewerten sind. Im bilateralen Verhältnis können Steuererlasse Auswirkungen auf Doppelbesteuerungsabkommen haben.
Besonderheiten und Grenzen des Steuererlasses
Öffentliche Haushaltsinteressen
Ein Steuererlass ist stets im Lichte der öffentlichen Finanzierung zu sehen. Das Interesse der Allgemeinheit an einer gleichmäßigen Besteuerung begrenzt den Umfang der Erlassmöglichkeiten. Daher sind insbesondere großzügige Erlassregelungen in der Praxis selten, und der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen eng gefasst.
Steuerliches Strafrecht
Ein Steuererlass schließt grundsätzlich die strafrechtliche Verantwortung wegen einer etwaigen Steuerhinterziehung nicht aus. Sollte ein Steuerpflichtiger unrichtige Angaben gemacht haben, kann trotz Erlassentscheidung ein Strafverfahren erfolgen.
Literaturhinweise und weiterführende Regelungen
- Abgabenordnung, insbesondere §§ 227, 261 AO
- Verwaltungsvorschriften zum Steuererlass (z. B. AEAO zu § 227 AO)
- Anwendungserlasse und Richtlinien der Finanzverwaltung
Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über den Begriff des Erlasses von Steuern sowie die rechtlichen Grundlagen, Verfahren, Voraussetzungen und Auswirkungen im deutschen Steuerrecht und berücksichtigt weitergehende Aspekte einer systematischen Einordnung im internationalen Kontext.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist für die Entscheidung über einen Steuererlass zuständig?
Für die Entscheidung über einen Steuererlass sind in Deutschland grundsätzlich die Finanzämter als lokale Verwaltungsbehörden der Finanzverwaltung zuständig. Die Zuständigkeit ergibt sich aus den Vorschriften der Abgabenordnung (insbesondere § 227 AO), die den Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis regeln. Der Antrag auf Steuererlass ist an das jeweils zuständige Finanzamt zu richten, das den Steuerfall verwaltet. In besonders gelagerten Fällen oder bei Erlassen von Steuern in erheblicher Größenordnung kann auch eine Entscheidung durch die Oberfinanzdirektion oder das zuständige Landesfinanzministerium notwendig sein. Im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung prüfen die Behörden die individuellen Verhältnisse und die Voraussetzungen des Erlasses und fällen auf dieser Basis eine Einzelfallentscheidung.
Welche formalen Anforderungen muss ein Antrag auf Steuererlass erfüllen?
Ein Antrag auf Steuererlass muss schriftlich gestellt werden und sollte nachvollziehbar und umfassend begründet sein, um eine aussichtsreiche Prüfung durch das Finanzamt sicherzustellen. Zwingend sind die Angabe der konkreten Steuerart, des Steuerbetrags sowie des betreffenden Veranlagungszeitraums erforderlich. Der Antragsteller muss seine wirtschaftliche Situation sowie sämtliche für den Erlass relevanten Umstände im Detail darlegen und durch geeignete Nachweise, wie zum Beispiel Einkommensnachweise, Kontoauszüge, Vermögensaufstellungen, Unterhaltsverpflichtungen oder Nachweise über außergewöhnliche Belastungen, belegen. Zudem muss er im Rahmen der Mitwirkungspflichten (§ 90 AO) sämtliche Informationen offenlegen, die für die Entscheidung bedeutsam sein können, da bei unvollständiger Antragstellung oder fehlender Mitwirkung eine Ablehnung des Antrags wahrscheinlich ist.
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für einen erfolgreichen Steuererlass vorliegen?
Der Steuererlass ist nach § 227 AO grundsätzlich nur möglich, wenn die Erhebung der Steuer im Einzelfall unbillig wäre. Eine Unbilligkeit kann sachlicher oder persönlicher Natur sein. Sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die Steuer trotz ihrer formalen Festsetzung nach dem Gesetz dem Zweck der Steuer oder anderen Rechtsnormen zuwiderlaufen würde (z. B. aufgrund einer Gesetzesänderung mit rückwirkender Wirkung). Persönliche Unbilligkeit besteht, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Zahlung wirtschaftliche Schwierigkeiten entstehen, die über die normale Belastung hinausgehen; insbesondere, wenn dadurch die Existenz gefährdet wäre. Weiterhin ist erforderlich, dass alle milderen Mittel wie zum Beispiel Stundung oder Vollstreckungsaufschub ausgeschöpft wurden und ein Ermessensspielraum besteht; ein Anspruch auf Erlass besteht grundsätzlich nicht. Die Behörde trifft eine Ermessensentscheidung, wobei sowohl die Interessen der Allgemeinheit als auch die individuellen Verhältnisse des Steuerpflichtigen abgewogen werden.
Können Steuererlässe auch nach bereits erfolgter Vollstreckung beantragt werden?
Grundsätzlich kann ein Antrag auf Steuererlass auch nach Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen gestellt werden, solange die Forderung noch nicht vollständig beglichen ist. Das Finanzamt ist dennoch berechtigt, den Antrag abzulehnen, wenn zum Beispiel durch bereits erfolgte Zahlungen oder Verwertung von Vermögenswerten keine erhebliche oder aus der Sicht der Unbilligkeit relevante Belastung mehr vorliegt. Wurden durch die Vollstreckung unzumutbare Härten verursacht, so kann dies im Einzelfall zur Berücksichtigung im Rahmen des Ermessens führen. Nach vollständiger Begleichung der Steuerforderung ist ein Erlass grundsätzlich nur noch im Rahmen einer Erstattung wegen fehlerhafter Rechtsanwendung (z. B. bei einer rechtswidrigen oder herangezogenen Steuerforderung) möglich.
Unterliegen Entscheidungen über Steuererlässe der gerichtlichen Überprüfung?
Ja, Entscheidungen über den Erlass von Steuern unterliegen grundsätzlich der gerichtlichen Überprüfung durch die Finanzgerichte. Der Steuerpflichtige kann nach erfolglosem Antrag auf Erlass Einspruch erheben und, wenn dieser zurückgewiesen wird, im Wege der Anfechtungsklage oder Verpflichtungsklage das zuständige Finanzgericht anrufen. Die gerichtliche Überprüfung ist allerdings auf Ermessensfehler beschränkt; das heißt, das Gericht prüft, ob das Finanzamt das Ermessen korrekt ausgeübt hat, insbesondere ob alle relevanten Aspekte gewürdigt und keine sachfremden Erwägungen angestellt wurden. Ein Anspruch auf Erlass besteht nicht, das Gericht kann jedoch die Behörde zu einer erneuten Entscheidung verpflichten, falls Verfahrens- oder Ermessensfehler festgestellt werden.
Gibt es Besonderheiten beim Steuererlass für Körperschaften, Vereine oder juristische Personen?
Für Körperschaften, Vereine oder sonstige juristische Personen gelten die allgemeinen Regeln zum Steuererlass gemäß § 227 AO, allerdings sind deren spezifische wirtschaftliche und rechtliche Verhältnisse besonders zu würdigen. Im Rahmen der Prüfung der wirtschaftlichen Unbilligkeit werden etwaige Rücklagen, das Vermögen der juristischen Person sowie deren satzungsgemäße Zwecke besonders berücksichtigt. Bei gemeinnützigen Organisationen kann ein Steuererlass in Betracht kommen, wenn durch außergewöhnliche finanzielle Belastungen die Steuerzahlung den Fortbestand der gemeinnützigen Tätigkeit gefährden würde. Maßgeblich sind auch hier umfangreiche Nachweise zur finanziellen Situation und den Auswirkungen der Steuerzahlung auf den satzungsgemäßen Zweck erforderlich.
Können Steuererlässe auch für zukünftige Steuerperioden beantragt werden?
Grundsätzlich bezieht sich ein Steuererlass immer auf eine bereits festgesetzte oder festzusetzende Steuer, nicht auf zukünftige Steuerperioden. Eine Ausnahme kann bei wiederkehrenden Steuerarten (etwa bei der Gewerbesteuer oder Grundsteuer) bestehen, wenn für einen absehbaren Zeitraum bereits erkennbar ist, dass die Unbilligkeit auch künftig gegeben sein wird. Dennoch muss für jede betroffene Steuerperiode ein gesonderter Antrag gestellt und die aktuelle Situation jeweils neu dargestellt und belegt werden. Ein Erlass auf Vorrat oder pauschal für unbestimmte künftige Zeiträume ist rechtlich ausgeschlossen.