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Erkennungsdienstliche Maßnahmen


Begriff und Definition: Erkennungsdienstliche Maßnahmen

Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind polizeiliche Maßnahmen, die der Identitätsfeststellung und -sicherung von Personen dienen. Sie umfassen insbesondere die Aufnahme von Fingerabdrücken, die Fertigung von Lichtbildern (Fotografien) sowie die Erhebung biometrischer Daten und die Sicherung weiterer äußerlicher Merkmale einer Person. Die Grundlage für die Durchführung derartiger Maßnahmen findet sich in den Polizeigesetzen der Bundesländer sowie im Strafprozessrecht.

Rechtliche Grundlage in Deutschland

Strafprozessrecht (StPO)

Die zentrale Rechtsgrundlage für erkennungsdienstliche Maßnahmen im Strafverfahren bildet § 81b der Strafprozessordnung (StPO). Dort wird differenziert zwischen Maßnahmen zur Aufklärung einer Straftat und solchen zur Vorbeugung künftiger Straftaten:

  • § 81b Alt. 1 StPO ermöglicht die Durchführung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen, soweit dies für die Zwecke der Durchführung eines Strafverfahrens erforderlich ist. Hierzu zählen beispielsweise die Dokumentation äußerer Merkmale zur Identifizierung des Beschuldigten im Rahmen des konkreten Strafverfahrens.
  • § 81b Alt. 2 StPO gestattet die Anordnung solcher Maßnahmen auch zur vorbeugenden Zwecke, insbesondere um die betroffene Person im Falle weiterer Straftaten identifizieren zu können.

Die Maßnahmen können sich gegen Beschuldigte, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen aber auch gegen Zeugen oder andere Personen richten, sofern dies zur Strafverfolgung in besonderem Maße geboten erscheint.

Polizeirecht (präventive Maßnahmen)

Im Polizeirecht ermöglichen die Landespolizeigesetze die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen auch unabhängig von einem Strafverfahren, etwa zur Gefahrenabwehr oder zur Vorbeugung künftiger Straftaten. Die Regelungen variieren dabei leicht zwischen den Bundesländern, besitzen jedoch grundsätzlich ähnliche Voraussetzungen und Zweckrichtungen. Typische Bestimmungen finden sich beispielsweise in § 32 des Bundespolizeigesetzes (BPolG) sowie in den entsprechenden Paragrafen der Landespolizeigesetze.

Inhalt und Umfang Erkennungsdienstlicher Maßnahmen

Arten der Erkennungsdienstlichen Maßnahmen

Erkennungsdienstliche Maßnahmen können viele einzelne Maßnahmen umfassen. Hierzu gehören unter anderem:

  • Aufnahme von Fingerabdrücken
  • Fertigung von Lichtbildern (Porträt- und Profilaufnahmen)
  • Vermessung körperlicher Merkmale (zum Beispiel Größe, Besonderheiten am Körper)
  • Erhebung biometrischer Daten (zum Beispiel DNA-Proben, Iris-Scan)
  • Dokumentation besonderer Kennzeichen, wie Tattoos, Narben oder Muttermale
  • Spurensicherung an Kleidung und Gegenständen

Die Art und der Umfang der Maßnahmen richten sich nach dem jeweiligen Zweck und werden im Einzelfall durch die zuständige Behörde festgelegt.

Durchführung

Die Durchführung erfolgt in der Regel auf einer Polizeidienststelle durch hierzu befugtes Personal. Die Maßnahmen dürfen dabei grundsätzlich nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durchgeführt werden. Insbesondere bei der Erhebung körperlicher Merkmale, die einen Eingriff in die persönliche Integrität darstellen, sind die gesetzlichen Voraussetzungen und Grenzen besonders strikt zu beachten.

Voraussetzungen und Anordnung

Beschuldigtenstellung im Strafverfahren

Im Strafverfahren setzt die Anordnung voraus, dass die betroffene Person als Beschuldigter gilt. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn gegen die Person zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Die Maßnahmen müssen zudem erforderlich und geeignet sein, den angestrebten Zweck zu erfüllen.

Präventive Maßnahmen im Polizeirecht

Im Bereich der Gefahrenabwehr oder zur Identitätsfeststellung kann die Polizei auch unabhängig von einem bestehenden Strafverfahren erkennungsdienstliche Maßnahmen anordnen. Voraussetzung ist häufig, dass die Feststellung der Identität auf andere Weise nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich wäre oder ein präventives Bedürfnis besteht, etwa bei sogenannten Mehrfachtätern.

Anordnungskompetenz und Widerspruch

Die Anordnung erfolgt regelmäßig durch die Polizei selbst. In bestimmten Konstellationen, insbesondere bei umfassenden Maßnahmen, kann eine richterliche Anordnung erforderlich sein (vgl. Richtervorbehalt). Gegen erkennungsdienstliche Maßnahmen steht den Betroffenen der Rechtsweg offen; ein Widerspruch kann erhoben werden, der jedoch in der Regel keine aufschiebende Wirkung hat.

Rechtsschutz und Grenzen

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Erkennungsdienstliche Maßnahmen dürfen stets nur im erforderlichen Ausmaß durchgeführt werden. Die Polizei muss eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung bzw. Gefahrenabwehr und den Grundrechten des Einzelnen, insbesondere dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, vornehmen.

Datenschutz und Löschung

Die bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen gewonnenen Daten unterliegen dem Datenschutz. Eine Speicherung in polizeilichen Datenbanken ist nur zulässig, soweit und solange der Zweck dies erfordert. Nach Wegfall des Speicherzwecks, insbesondere bei Einstellung des Strafverfahrens ohne Feststellung einer Schuld oder nach erfolgtem Freispruch, sind die Daten grundsätzlich zu löschen. In bestimmten Fällen kann eine weitere Aufbewahrung geschaffen werden, beispielsweise bei schwerwiegenden Straftaten und wiederholter Tatbegehung.

Rechtsschutzmöglichkeiten

Gegen die Anordnung und Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen besteht ein Beschwerderecht. Die Betroffenen können die Maßnahme auf ihre Rechtmäßigkeit hin von den Verwaltungs- oder Strafgerichten überprüfen lassen. Die Maßnahmen sind auf Antrag auch auf ihre Dauer und rechtliche Zulässigkeit in Bezug auf die Datenspeicherung hin überprüfbar.

Internationaler Vergleich

In anderen Rechtsordnungen existieren vergleichbare Regelungen, etwa im österreichischen Sicherheitspolizeigesetz (SPG) oder im schweizerischen Bundesgesetz über polizeiliche Informationssysteme. Die Ausgestaltung und die zulässigen Maßnahmen unterscheiden sich dabei im Einzelnen, in der Zielrichtung stimmt das Instrumentarium jedoch weitgehend überein.

Bedeutung und Kritik

Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind ein zentrales Instrument der Polizeiarbeit zur Identitätsklärung und Prävention. Sie werden jedoch mitunter kritisch gesehen, insbesondere im Hinblick auf ihre Eingriffsintensität und ihre praktische Anwendung bei geringfügigen Tatvorwürfen. Datenschutzrechtliche Bedenken sowie die Gefahr einer Stigmatisierung Betroffener stehen häufig im Mittelpunkt der Diskussion.

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass diese Maßnahmen nicht unbegrenzt zulässig sind, sondern stets einer strikten Prüfung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit bedürfen.


Zusammenfassung:
Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind gesetzlich geregelte polizeiliche Maßnahmen zur Identitätsfeststellung und Vorsorge gegen künftige Straftaten. Sie unterliegen strengen Anforderungen hinsichtlich Anordnung, Durchführung, Speicherung und Datenschutz. Im Rechtsstaat setzt ihre Zulässigkeit stets die Beachtung der Grundrechte und der Prinzipien des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes voraus.

Häufig gestellte Fragen

Wann dürfen erkennungsdienstliche Maßnahmen von der Polizei angeordnet werden?

Erkennungsdienstliche Maßnahmen dürfen von der Polizei grundsätzlich nur dann angeordnet werden, wenn dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten oder zur Durchführung eines Strafverfahrens erforderlich ist (§ 81b StPO). Hierbei muss zwischen präventiven und repressiven Maßnahmen differenziert werden: Zu präventiven Zwecken – etwa um die Identität einer Person für zukünftige Ermittlungen festzuhalten – ist eine Anordnung möglich, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person künftig Straftaten begehen könnte („Gefahrenabwehr”). Im repressiven Bereich – also im Zusammenhang mit einer konkreten Straftat – kann die Maßnahme zur Aufklärung der vorliegenden Straftat und zur Beweissicherung angeordnet werden. In beiden Fällen muss die Maßnahme erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Maßnahme nicht außer Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Tatverdacht steht und keine milderen Mittel zur Verfügung stehen.

Muss für erkennungsdienstliche Maßnahmen ein richterlicher Beschluss vorliegen?

Ein richterlicher Beschluss ist nicht zwingend Voraussetzung für die Durchführung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen. Nach § 81b StPO sind diese Maßnahmen im Rahmen eines Strafverfahrens bereits durch die Staatsanwaltschaft oder deren Ermittlungspersonen (insbesondere Polizeibeamte) anordnungsfähig. Ein richterlicher Beschluss ist nur erforderlich, wenn die Maßnahme mit einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff verbunden ist – zum Beispiel bei einer zwangsweisen Vorführung zur Erhebung von ED-Material. Für freiwillige und weniger eingriffsintensive Maßnahmen (wie etwa Fotografieren oder Fingerabdrucknahme) genügt in der Regel die polizeiliche Anordnung. Eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung kann jedoch – etwa im Wege der Beschwerde – durch die betroffene Person beantragt werden.

Welche Daten werden bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung erhoben?

Im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung werden verschiedene personenbezogene Daten und biometrische Merkmale erhoben. Hierzu zählen insbesondere Lichtbilder (Fotografien des Gesichts sowie ggf. von besonderen Merkmalen wie Tätowierungen), Fingerabdrücke aller zehn Finger (teils auch Handflächen und Fußabdrücke) und gegebenenfalls Körpermaße und weitere äußerlich erkennbare Merkmale. In jüngerer Zeit können auch DNA-Proben im Sinne des § 81g StPO gewonnen werden, wobei für die DNA-Entnahme grundsätzlich strengere Anforderungen – insbesondere ein richterlicher Beschluss – gelten. Die erhobenen Daten werden in der Regel in Datenbanken wie dem Polizeilichen Informationssystem (INPOL) gespeichert und stehen zur Identifizierung im Rahmen zukünftiger Ermittlungen zur Verfügung.

Wie lange werden die im Rahmen erkennungsdienstlicher Maßnahmen erhobenen Daten gespeichert?

Die Dauer der Speicherung erkennungsdienstlicher Daten richtet sich nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie spezialgesetzlichen Regelungen (z. B. § 81e StPO, § 44 Bundesdatenschutzgesetz, Polizeigesetze der Länder). Maßgeblich ist, ob und wann die weitere Speicherung noch notwendig ist. Mit rechtskräftigem Abschluss eines Strafverfahrens, insbesondere bei Freispruch oder Einstellung, ist regelmäßig zu prüfen, ob die gespeicherten Daten noch erforderlich sind. Spätestens dann, wenn die Zwecke der Datenspeicherung – etwa zur Aufklärung oder Verfolgung zukünftiger Straftaten – entfallen sind, müssen die Daten gelöscht werden. Die betroffene Person hat einen Anspruch auf Überprüfung der Erforderlichkeit und kann die Löschung beantragen; über die Löschung entscheidet in der Regel die speichernde Behörde.

Haben Betroffene die Möglichkeit, sich gegen erkennungsdienstliche Maßnahmen zu wehren?

Betroffene können sich gegen die Anordnung und Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen rechtlich zur Wehr setzen. Dies ist zunächst durch Einlegen eines Widerspruchs oder einer förmlichen Beschwerde gemäß § 304 StPO gegen die Anordnung möglich. Die Anfechtung kann vor der zuständigen Staatsanwaltschaft oder dem Gericht (Amtsgericht) erfolgen. Im Vorfeld kann auch Akteneinsicht beantragt werden, um die Grundlage der Maßnahme zu überprüfen. Ergibt sich keine Abhilfe, besteht weiterhin die Möglichkeit eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, insbesondere bei präventiven Maßnahmen auf Grundlage der Polizeigesetze der Länder. Die Wirksamkeit des Rechtsmittels hängt unter anderem davon ab, ob die Maßnahme bereits vollzogen wurde oder noch bevorsteht.

Unter welchen Voraussetzungen kann die Polizei einen Zwang zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen anwenden?

Die Anwendung von Zwang zur Durchsetzung erkennungsdienstlicher Maßnahmen ist nur dann zulässig, wenn die betroffene Person sich der Anordnung widersetzt oder die Mitwirkung verweigert. Hierbei müssen die Voraussetzungen der jeweiligen Eingriffsnorm – insbesondere § 81b StPO oder die spezialgesetzlichen Regelungen der Länder – sowie die Vorschriften des unmittelbaren Zwangs (§§ 70 ff. StPO bzw. Polizei- und Ordnungsgesetze) eingehalten werden. Die Zwangsanwendung muss verhältnismäßig sein, das heißt, sie darf kein unangemessenes Mittel darstellen und ist nur zulässig, wenn mildere Mittel nicht erfolgreich sind. Bestehen medizinische Bedenken gegen die zwangsweise Anwendung, müssen diese im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden. Für bestimmte Eingriffe, wie die Entnahme von Blutproben, ist außerdem eine ärztliche Durchführung vorgeschrieben.