Begriff und Rechtsgrundlagen der Ergänzenden Schutzzertifikate
Ergänzende Schutzzertifikate (kurz: SPC, von engl. “Supplementary Protection Certificate”) stellen eine spezielle Form des gewerblichen Rechtsschutzes im Bereich des Arzneimittel- und Pflanzenschutzmittelrechts dar. Sie dienen dazu, den Inhabern eines Patents für ein Arzneimittel oder Pflanzenschutzmittel nach Ablauf des Grundpatents einen zeitlich begrenzten zusätzlichen Schutz für das spezifische Erzeugnis zu gewähren. Ziel ist es, den Zeitverlust auszugleichen, der im Rahmen der zwingend erforderlichen behördlichen Zulassungsverfahren zwischen Patenterteilung und Marktzulassung entsteht.
Die rechtlichen Grundlagen für ergänzende Schutzzertifikate finden sich in der Europäischen Union insbesondere in folgenden Rechtsakten:
- Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 betreffend das Ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (sog. Arzneimittel-SPC-Verordnung)
- Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel (sog. Pflanzenschutzmittel-SPC-Verordnung)
Diese Regelungen wurden in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in nationales Recht umgesetzt.
Zweck und Bedeutung von Ergänzenden Schutzzertifikaten
Wirtschaftliches und rechtspolitisches Ziel
Pharmazeutische und agrochemische Unternehmen investieren erhebliche Ressourcen in die Forschung und Entwicklung innovativer Arzneimittel und Pflanzenschutzmittel. Die Zulassungsverfahren für derartige Produkte sind umfangreich, kostenintensiv und nehmen oft mehrere Jahre in Anspruch. Der wirtschaftliche Wert eines Patents wird dadurch gemindert, dass der tatsächliche kommerzielle Nutzen erst nach Abschluss dieser oft langwierigen Genehmigungsverfahren eintritt. Ein ergänzendes Schutzzertifikat soll diesen Nachteil durch eine zeitliche Verlängerung des Schutzes ausgleichen und einen Anreiz für Innovation bieten.
Funktion des SPC
Das ergänzende Schutzzertifikat erweitert die exklusive Vermarktungsposition des Patentinhabers für ein bestimmtes Erzeugnis über die normale Patentlaufzeit hinaus um maximal fünf Jahre und gewährleistet so einen effektiven Schutz vor Nachahmerprodukten (Generika). Für Kinderarzneimittel kann unter bestimmten Voraussetzungen zusätzlich eine sechsmonatige Verlängerung des Schutzzertifikats gewährt werden.
Voraussetzungen für die Erteilung eines Ergänzenden Schutzzertifikats
Schutzfähige Erzeugnisse
Ein SPC kann ausschließlich für Erzeugnisse erteilt werden, die entweder als Arzneimittel oder als Pflanzenschutzmittel einer behördlichen Zulassungspflicht unterliegen. “Erzeugnis” ist dabei definiert als der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung, der/die durch das Grundpatent geschützt und Bestandteil eines zugelassenen Produkts ist.
Grundpatent
Voraussetzung für die Beantragung eines ergänzenden Schutzzertifikats ist das Bestehen eines in Kraft stehenden nationalen oder europäischen Patents, das den Wirkstoff, die Wirkstoffzusammensetzung oder die durch das Zertifikat zu schützende Anwendung schützt.
Erste Zulassung
Das SPC kann nur erteilt werden, wenn das Erzeugnis durch eine erste behördliche Zulassung für den Markt des jeweiligen Staates verfügbar gemacht wird. Der Antrag auf Erteilung muss innerhalb einer bestimmten Frist nach der Erstzulassung und unter Bezug auf das Grundpatent gestellt werden.
Verfahrensrechtliche Aspekte der Antragstellung
Frist und Form
Der Antrag auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats ist bei der jeweils zuständigen nationalen Behörde (z.B. Deutsches Patent- und Markenamt) einzureichen. Die Frist beträgt gemäß Verordnung grundsätzlich 6 Monate nach dem Tag, an dem die Genehmigung zum Inverkehrbringen erteilt wurde, oder – falls das Grundpatent später erteilt wurde – 6 Monate nach dem Tag der Patenterteilung.
Prüfung und Veröffentlichung
Die Behörde prüft, ob alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und veröffentlicht die Erteilung im Patentblatt beziehungsweise einer vergleichbaren amtlichen Publikation. Gegen die Erteilung können innerhalb bestimmter Fristen Dritte Einwendungen bzw. Löschungsanträge geltend machen.
Wirkungen und Rechtswirkungen des Ergänzenden Schutzzertifikats
Reichweite des Schutzes
Das ergänzende Schutzzertifikat gewährt im Wesentlichen dieselben Rechte wie das dem Zertifikat zugrunde liegende Patent. Dabei bezieht sich der Schutz jedoch ausschließlich auf das konkret benannte Erzeugnis und dessen Verwendung als Arzneimittel bzw. Pflanzenschutzmittel, wie sie in der Zulassung beschrieben ist.
Schutzdauer
Das SPC tritt am Tag nach Ablauf des Grundpatents in Kraft und kann für einen Zeitraum von höchstens 5 Jahren gewährt werden. Die genaue Schutzdauer errechnet sich aus dem Zeitraum zwischen dem Anmeldetag des Grundpatents und dem Tag der ersten Zulassung des Erzeugnisses in der Europäischen Union abzüglich 5 Jahre.
Ein Beispiel:
- Anmeldung des Patents: 1. Januar 2000
- Erste Zulassung: 1. Januar 2010
- Differenz: 10 Jahre
- Abzüglich 5 Jahre: 5 Jahre
- Maximale SPC-Dauer: 5 Jahre (gesetzliche Obergrenze)
Verlängerungsmöglichkeiten
Für Kinderarzneimittel kann sich die Schutzdauer unter bestimmten Voraussetzungen um weitere sechs Monate verlängern, sofern eine entsprechende Genehmigung für die Anwendung am Kind (Pädiatrie-Verordnung) vorliegt.
Beschränkung auf das Erzeugnis
Der Schutz umfasst ausschließlich das in der Zulassung genannte Erzeugnis; andere Anwendungsmöglichkeiten oder Wirkstoffe sind nicht automatisch einbezogen, auch wenn sie vom Patent erfasst werden.
Grenzen und Einschränkungen des Ergänzenden Schutzzertifikats
Keine neue Schutzrechtsart
Das SPC stellt keine eigenständige Schutzrechtsart dar, sondern ist eng mit dem zugrunde liegenden Patent verknüpft. Es verlängert den Schutz lediglich in zeitlicher Hinsicht.
Einschränkung auf zugelassene Indikationen
Wird das Arzneimittel später für weitere Indikationen (z.B. zusätzliche Anwendungsgebiete) zugelassen, erstreckt sich das SPC grundsätzlich nur auf die ursprüngliche Anwendung, sofern nicht für die neuen Indikationen eigene SPC-Anträge gestellt und genehmigt werden.
Parallelimporte und Ausnahmen
Die mit dem SPC einhergehenden Rechte können durch Zwangslizenzen, wissenschaftliche Ausnahmen (Forschungsklausel) oder durch Regelungen des Parallelimports eingeschränkt werden. Zudem bestehen im Rahmen der sogenannten „Manufacturing Waiver” spezifische Ausnahmen, die es Herstellern erlauben, während der SPC-Laufzeit generische oder biosimilarische Arzneimittel für den Export in bestimmte Drittländer zu produzieren.
Bedeutung in der Praxis und aktuell-rechtliche Entwicklungen
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
Die Auslegung und Anwendung der SPC-Verordnungen ist Gegenstand zahlreicher Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), insbesondere zur Definition des Erzeugnisses, zur Frage des Schutzumfangs und zum Verhältnis zwischen Patent und Ergänzungszertifikat. Ein häufig diskutiertes Thema ist, ob bei Kombinationen mehrerer Wirkstoffe für jede einzelne Kombination ein separates SPC erteilt werden kann.
Bedeutung für die Pharma- und Agrochemiebranche
Für forschende Unternehmen besitzen SPC eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Die verlängerte Monopolstellung ermöglicht es, Entwicklungskosten zu amortisieren und weitere Forschungsvorhaben zu finanzieren. Auch für die Entwicklung innovativer Therapien und die Versorgung mit modernen Arzneimitteln besitzen ergänzende Schutzzertifikate eine wichtige Lenkungswirkung.
Geplante Reformen
Aktuell werden auf europäischer Ebene Reformvorschläge zur Vereinheitlichung und Modernisierung der SPC-Regelungen diskutiert, insbesondere im Hinblick auf das sogenannte “Einheitliche ergänzende Schutzzertifikat”, das einen gemeinsamen Antragsprozess für alle EU-Staaten vorsehen soll.
Literaturhinweise und weiterführende Informationsquellen
- Verordnung (EG) Nr. 469/2009 (Arzneimittel-SPC, konsolidierte Fassung)
- Verordnung (EG) Nr. 1610/96 (Pflanzenschutzmittel-SPC)
- Leitfäden und Mitteilungen der nationalen Patentämter zum Thema SPC
- Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (z.B. C-130/11)
- Veröffentlichungen und Arbeitspapiere der Europäischen Kommission zu geplanten SPC-Reformen
Die ergänzenden Schutzzertifikate bilden ein zentrales Element des gewerblichen Rechtsschutzes für forschungsintensive Branchen und unterliegen einer fortwährenden rechtlichen und legislativen Entwicklung.
Häufig gestellte Fragen
Welche Voraussetzungen müssen für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats (ESC) erfüllt sein?
Die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats (ESC) setzt voraus, dass ein gültiges Grundpatent für das betreffende Erzeugnis (z. B. Arzneimittel oder Pflanzenschutzmittel) besteht, welches im Hoheitsgebiet des jeweiligen EU-Mitgliedstaates wirksam ist. Weiter ist zwingend erforderlich, dass für das Erzeugnis eine gemäß Artikel 3 der ESC-Verordnungen erstbewilligte, gültige behördliche Genehmigung zum Inverkehrbringen (Arzneimittelzulassung oder Pflanzenschutzmittelzulassung) im betreffenden Mitgliedstaat erteilt wurde. Das ESC kann nur für den ersten, tatsächlich erteilten Marktzulassungsbescheid bezüglich des betroffenen Erzeugnisses ausgestellt werden. Zudem darf für dasselbe Erzeugnis bislang kein Zertifikat erteilt worden sein und das Erzeugnis muss vom Schutzbereich des Grundpatents umfasst sein, was regelmäßig durch eine genaue Prüfung des Patentanspruchs erfolgt. Die Antragstellung muss spätestens innerhalb einer von der Zulassung abhängigen, gesetzlich festgelegten Frist erfolgen (bei Arzneimitteln sechs Monate ab Zulassung bzw. ab Erteilung des Grundpatents, je nachdem, was später eintritt).
Wie lange beträgt die maximale Schutzdauer eines ergänzenden Schutzzertifikats und wie wird sie berechnet?
Die Laufzeit eines ergänzenden Schutzzertifikats beträgt maximal fünf Jahre ab dem Ablauf des Grundpatents. Die genaue Schutzdauer ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Datum der ersten Genehmigung zum Inverkehrbringen (erstmalige Zulassung) und dem Anmeldetag des Grundpatents, vermindert um fünf Jahre (Artikel 13 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 für Arzneimittel bzw. Artikel 13 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 für Pflanzenschutzmittel). Die so errechnete Dauer darf fünf Jahre jedoch nicht überschreiten. Bei Kinderarzneimitteln kann unter bestimmten Voraussetzungen ein weiterer Zeitraum von sechs Monaten als „Kinderverlängerung” gemäß Artikel 36 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 gewährt werden, sofern die verlangten Studien zum Einsatz bei Kindern ordnungsgemäß durchgeführt wurden.
Welcher Schutzumfang besteht durch das ergänzende Schutzzertifikat?
Das ergänzende Schutzzertifikat gewährt für das im Zertifikat bezeichnete Erzeugnis im Rahmen des Schutzumfangs, wie er durch das Grundpatent definiert wurde, weiterhin die gleichen Rechte wie das Grundpatent. Der Patentschutz wird also nicht erweitert, sondern lediglich zeitlich für das ausgewählte Erzeugnis verlängert. Das bedeutet insbesondere, dass das ESC für dieselben Handlungen Dritter (Herstellung, Angebot, Inverkehrbringen, Verwendung, Einfuhr) gilt, die auch unter das Grundpatent fallen würden. Einschränkend ist jedoch zu beachten, dass das ESC jeweils nur für das konkrete Erzeugnis wirksam ist, auf das sich auch die im Zertifikat angegebene Zulassung bezieht. Der Schutz ist daher regelmäßig auf den Wirkstoff (oder die Wirkstoffkombination), nicht aber auf anders zusammengesetzte Produkte oder Verfahren, beschränkt.
Können ergänzende Schutzzertifikate auch für Kombinationserzeugnisse oder neue Anwendungsformen erteilt werden?
Die ESC-Verordnungen erlauben grundsätzlich auch die Beantragung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Kombinationserzeugnisse, also etwa eine Kombination mehrerer bekannter Wirkstoffe. Entscheidend ist jedoch, dass die spezifische Kombination im Grundpatent hinreichend offenbart und geschützt ist sowie eine erstmalige Marktzulassung für eben diese Kombination vorliegt. Neue Anwendungsformen eines bekannten Wirkstoffs (z. B. neue Indikationen, neue Darreichungsformen) berechtigen grundsätzlich nicht zur Erteilung eines ESC, es sei denn, die neue Anwendung begründet eine eigenständige Zulassung für ein als neu anzusehendes Erzeugnis und das Grundpatent schließt diese Anwendungsform ausdrücklich ein. Im Zweifelsfall wird durch Behörden und europäische Rechtsprechung im Einzelfall beurteilt, ob es sich um ein eigenständiges Erzeugnis handelt.
Wie erfolgt die Antragstellung und welche formalen Anforderungen sind zu beachten?
Der Antrag auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats ist bei der zuständigen nationalen Patentbehörde einzureichen. Die Frist zur Einreichung des Antrages beträgt grundsätzlich sechs Monate nach Bekanntmachung der Marktzulassung oder, falls das Grundpatent zu diesem Zeitpunkt noch nicht erteilt wurde, sechs Monate ab Patentserteilung für das Erzeugnis. Dem Antrag sind umfangreiche Unterlagen beizufügen, darunter ein Exemplar des Grundpatents, eine Kopie der ersten gültigen Marktzulassung, gegebenenfalls Übersetzungen sowie eine ausführliche Identifikation und Beschreibung des Erzeugnisses. Weiterhin sind Nachweise zur Einhaltung der genannten Fristen und zur Erfüllung der materiellen Voraussetzungen sowie Angaben zur Prioritätslage vorzulegen. Fehler in der Antragstellung, Unvollständigkeit oder Fristversäumnis führen in der Regel zur Zurückweisung des Antrags.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen im Fall der Ablehnung oder Anfechtung eines ergänzenden Schutzzertifikats?
Gegen die Ablehnung eines ESC-Antrags steht dem Antragsteller grundsätzlich der Rechtsweg zu, was je nach Mitgliedstaat die Einlegung eines Einspruchs, Widerspruchs oder die Anrufung der zuständigen Gerichte umfasst. Ebenso können erteilte ESCs Dritter durch Dritte (z. B. Wettbewerber) mit geeigneten Rechtsmitteln angefochten werden, etwa im Wege der Nichtigkeitsklage oder eines Einspruchs, wenn materielle oder formale Voraussetzungen nicht eingehalten wurden. Die inhaltliche Prüfung erfolgt jeweils auf nationaler Ebene, wobei zunehmend die EuGH-Rechtsprechung maßgeblich für die Auslegung der ESC-Verordnungen ist. Im Streitfall können Verfahren über mehrere Instanzen bis hin zum Europäischen Gerichtshof Nationaler Ebene ausgetragen werden. Eine rechtskräftige Ablehnung oder Nichtigerklärung des ESC führt zum dauerhaften Wegfall des ergänzenden Schutzes für das Erzeugnis.