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Erfüllbarkeit


Begriff und Bedeutung der Erfüllbarkeit im Recht

Die Erfüllbarkeit ist ein zentraler Begriff im Zivilrecht, insbesondere im Schuldrecht. Sie beschreibt den Zeitpunkt und die rechtlichen Voraussetzungen, ab wann eine vertraglich oder gesetzlich geschuldete Leistung durch den Schuldner erbracht werden kann, ohne dass der Leistungserfolg aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gehindert wird. Die Erfüllbarkeit unterscheidet sich von der Fälligkeit, die den Moment bezeichnet, ab dem der Gläubiger die Leistung verlangen kann.

Allgemeine Voraussetzungen der Erfüllbarkeit

Definition und Abgrenzung zur Fälligkeit

Erfüllbarkeit bedeutet, dass der Schuldner die geschuldete Leistung erbringen darf, während Fälligkeit das Recht des Gläubigers auf Leistung bestimmt. Oft fallen Erfüllbarkeit und Fälligkeit zusammen, müssen es jedoch nicht. Die Unterscheidung gewinnt insbesondere Bedeutung, wenn Verträge einen festen Leistungszeitraum oder bestimmte Modalitäten vorsehen.

Gesetzliche Grundlagen

Im deutschen Recht ist die Erfüllbarkeit in den §§ 271 fortfolgende des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt. § 271 Abs. 1 BGB sieht vor, dass die Leistung im Zweifel sofort erbracht werden kann, sofern keine andere Leistungszeit vereinbart oder aus den Umständen zu entnehmen ist. Die Abweichung von dieser Regel kann individuell oder kraft Gesetzes bestimmt sein.

Erfüllbarkeitsvoraussetzungen

Damit eine Leistung erfüllbar ist, müssen bestimmte objektive und subjektive Voraussetzungen vorliegen:

  • Bestehen eines gültigen Schuldverhältnisses: Ohne wirksamen Vertrag oder gesetzliche Schuld besteht keinerlei Grundlage für eine Leistungserbringung.
  • Rechtliche Zulässigkeit der Leistung: Die Leistung muss rechtlich möglich und nicht durch gesetzliche Verbote oder sonstige Hindernisse untersagt sein.
  • Keine aufschiebende Bedingung: Ist eine Verpflichtung unter einer aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) geschlossen, ist die Leistung erst mit Bedingungseintritt erfüllbar.
  • Keine entgegenstehenden Rechte Dritter: Die Leistungserbringung darf nicht Rechte Dritter beeinträchtigen, etwa bei gesetzlichen Vorkaufsrechten oder Pfandrechten.

Erfüllbarkeit im Schuldrecht

Erfüllbarkeit von Geldschulden

Geldschulden müssen grundsätzlich gemäß § 271 Abs. 1 BGB sofort erfüllbar sein, außer der Vertrag regelt eine andere Leistungszeit. Die Erfüllbarkeit ist beispielsweise dann nicht gegeben, wenn der Schuldner mangels Liquidität nicht zahlen kann – dies betrifft allerdings die Leistungsfähigkeit, nicht die Erfüllbarkeit aus rechtlicher Sicht.

Erfüllbarkeit bei Stück- und Gattungsschulden

Bei Stückschulden (individuellen Sachen) und Gattungsschulden (austauschbaren Sachen) spielt Erfüllbarkeit insbesondere bei Anwartschaftsrechten oder Bedingungen eine Rolle. Eine Stückschuld wird etwa dann erfüllbar, wenn das konkrete Stück bereitgestellt werden kann und keine vertraglichen oder gesetzlichen Hinderungsgründe entgegenstehen.

Erfüllbarkeit unter Einredevorbehalten

Der Schuldner kann die Erfüllbarkeit durch die Erhebung von Einreden verzögern oder verhindern, etwa im Fall des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB. In diesem Fall besteht die Verpflichtung bestand, die Erbringung der Leistung ist aber vorübergehend nicht erzwingbar.

Teilleistung und Teilunmöglichkeit

Gemäß § 266 BGB ist der Gläubiger nicht verpflichtet, eine Teilleistung anzunehmen, sofern nichts anderes vereinbart ist. Solange nicht die gesamte Leistung erbracht werden kann, ist auch die Erfüllbarkeit der Gesamtverbindlichkeit eingeschränkt.

Erfüllbarkeit in besonderen Rechtsverhältnissen

Bedingte Rechtsgeschäfte

Ein Rechtsgeschäft, das unter einer Bedingung steht, wird erst mit Eintritt des Ereignisses erfüllbar; § 158 BGB unterscheidet zwischen aufschiebender und auflösender Bedingung.

Befristete Schuldverhältnisse

Bei befristeten Leistungen (z.B. Mietverträge, befristete Dienste) ist die Erfüllbarkeit auf den jeweils vereinbarten Zeitraum beschränkt. Eine vorzeitige Leistung ist dann in der Regel nicht zulässig bzw. nicht erfüllbar.

Erfüllbarkeit im Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht steht die Erfüllbarkeit einer Arbeitsleistung häufig in Zusammenhang mit der Bezugsdauer, dem Arbeitszeitgesetz sowie tariflichen oder betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen. Arbeitsleistungen können häufig nur am vereinbarten Arbeitsort und zu den festgelegten Zeiten erfüllt werden.

Rechtsfolgen und Rechtsprobleme bei fehlender Erfüllbarkeit

Rechtsfolgen bei (nicht) erbringbarer Leistung

Ist eine Leistung nicht erfüllbar, führt eine dennoch vorgenommene Zahlung oder Handlung regelmäßig nicht zur Erfüllung im Sinne des § 362 BGB. Zahlungen an einen falschen Gläubiger oder vor Eintritt der Fälligkeit haben möglicherweise keine Leistungsauswirkung und können zur Rückabwicklung im Bereicherungsrecht, insbesondere nach § 812 BGB, führen.

Leistungsverweigerungsrechte

Sowohl Gläubiger als auch Schuldner können unter Umständen die Erfüllung verweigern, wobei das Leistungsverweigerungsrecht auf Einreden oder Gegenrechte gestützt ist. Dadurch bleibt die Leistung rechtlich auch dann zunächst nicht erfüllbar.

Unmöglichkeit und Erfüllbarkeit

Ist die Leistung dauerhaft oder zumindest vorübergehend objektiv unmöglich, besteht keine Erfüllbarkeit. Bei nachträglicher Unmöglichkeit entfällt zudem die Leistungspflicht, wobei das Risiko je nach Typus des Schuldverhältnisses verteilt wird (vgl. §§ 275 ff. BGB).

Unterschiede zur Leistungsmöglichkeit und Fälligkeit

Die Erfüllbarkeit ist von der reinen Leistungsmöglichkeit, die auf tatsächlichen Gegebenheiten beruht, wie auch von der Fälligkeit, die den Zeitpunkt des Leistungsanspruchs markiert, abzugrenzen. Eine Leistung kann erfüllbar, aber noch nicht fällig sein, ebenso wie eine fällige Leistung unter tatsächlichen Voraussetzungen nicht erfüllbar, etwa bei vorübergehender Unmöglichkeit, sein kann.

Bedeutung der Erfüllbarkeit in der Praxis

Die Erfüllbarkeit ist für die Vertragsdurchführung und die prozessuale Geltendmachung von Ansprüchen von erheblicher Bedeutung. Sie determiniert, ab wann eine Leistung rechtlich erfolgen kann, und ist somit etwa für die Frage des Verzugs, der Klagebefugnis und für die Wirksamkeit der Annahme einer Leistung durch den Gläubiger ausschlaggebend.

Literatur und weiterführende Rechtsquellen

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 158, 271 ff., 362, 266, 273, 275
  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, aktuelle Auflage, Kommentar zu den genannten Vorschriften
  • MüKoBGB, Münchener Kommentar zum BGB, Schuldrecht Allgemeiner Teil
  • BeckOK BGB, Online-Kommentar Bürgerliches Gesetzbuch

Dieser Beitrag bietet einen umfassenden Überblick über die Erfüllbarkeit und deren Bedeutung im deutschen Zivilrecht. Er behandelt die rechtlichen Grundlagen, Abgrenzungen und praktischen Anwendungsbereiche des Begriffs und eignet sich insbesondere zur Einordnung der Thematik im Rahmen weitergehender schuldrechtlicher Fragestellungen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Erfüllbarkeit einer vertraglichen Leistung gegeben sein?

Im rechtlichen Kontext ist für die Erfüllbarkeit einer vertraglichen Leistung maßgeblich, dass die Leistung rechtlich und tatsächlich möglich ist. Die rechtliche Möglichkeit ist gegeben, wenn das geltende Recht der Leistungserbringung nicht entgegensteht. Dies bedeutet beispielsweise, dass die Leistung nicht gegen Gesetze oder behördliche Verbote verstoßen darf (etwa nach § 134 BGB Nichtigkeit wegen Gesetzesverstoß). Zudem darf keine dauerhafte rechtliche Unmöglichkeit vorliegen, etwa wenn das Rechtsgeschäft einen tatsächlich nicht existierenden Gegenstand betrifft oder der Schuldner nicht berechtigt ist, über den Leistungsgegenstand zu verfügen. Besondere Beachtung finden zudem spezielle Verbote, z.B. aus dem Wettbewerbs-, Steuer- oder Verwaltungsrecht, die einer realisierbaren Vertragserfüllung entgegenstehen können. Schließlich muss der Gläubiger auch empfangsberechtigt sein, also noch eine Forderung bestehen, die durch Erfüllung erlischt.

Welche Rolle spielt die tatsächliche Möglichkeit bei der Erfüllbarkeit einer Leistung?

Die tatsächliche Möglichkeit bezeichnet die physisch-praktische Durchführbarkeit der Leistung im Moment der Erfüllung. Eine Leistung ist tatsächlich dann erfüllbar, wenn der Schuldner objektiv imstande ist, das Geschuldete zu erbringen, zum Beispiel eine Ware zu liefern oder eine Dienstleistung zu vollziehen. Ist die Leistung wegen eines dauerhaften Leistungshindernisses, etwa durch Untergang des Leistungsgegenstands, objektiv nicht mehr möglich, so liegt eine nachträgliche Unmöglichkeit vor (§ 275 Abs. 1 BGB), wodurch keine Erfüllbarkeit mehr gegeben ist. Lediglich zeitweilige Leistungshindernisse, wie behördliche Betriebsverbote oder Naturereignisse, verhindern die Erfüllbarkeit nur temporär und lassen sie grundsätzlich wieder aufleben, sobald das Hindernis entfällt. Die Abgrenzung zwischen rechtlicher und tatsächlicher Unmöglichkeit ist hierbei stets präzise vorzunehmen.

Welche Bedeutung hat die Fälligkeit für die Erfüllbarkeit einer Leistung?

Die Fälligkeit bestimmt den Zeitpunkt, ab dem der Gläubiger die Leistung rechtlich verlangen darf und der Schuldner sie erbringen muss. Eine Leistung ist erst dann erfüllbar, wenn sie fällig ist (§ 271 BGB). Vor dem Eintritt der Fälligkeit ist der Schuldner rechtlich nicht verpflichtet, die Leistung zu erbringen, die Erfüllbarkeit liegt somit noch nicht vor. Ab der Fälligkeit besteht für den Gläubiger das Recht, die Leistung einzufordern und für den Schuldner die Pflicht zur Erbringung. Die Fälligkeit kann sich entweder aus dem Gesetz, dem Inhalt des Vertrages oder den Umständen ergeben. Insoweit ist die Fälligkeit eine notwendige Bedingung für die rechtliche Erfüllbarkeit.

Welche Auswirkungen hat eine nachträgliche Unmöglichkeit auf die Erfüllbarkeit?

Tritt nach Vertragsschluss eine Unmöglichkeit ein, so ist die Erfüllbarkeit dauerhaft ausgeschlossen. Der Schuldner wird unter den Voraussetzungen des § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht frei. Je nachdem, ob es sich um eine objektive (niemand kann die Leistung mehr erbringen, z.B. nach Zerstörung des Leistungsgegenstands) oder subjektive Unmöglichkeit (nur der Schuldner selbst kann nicht leisten), sind die Rechtsfolgen verschieden. Bei objektiver Unmöglichkeit erlischt die Erfüllbarkeit, Ersatzansprüche wie Schadensersatz oder Rücktritt kommen ggf. in Betracht (§§ 280 ff., 323, 326 BGB). Bei bloß subjektiver Unmöglichkeit bleibt die Erfüllbarkeit für Dritte bestehen, etwa wenn ein Dritter die Leistung erbringen könnte, der Schuldner aber selbst nicht.

Kann eine teilweise Erfüllbarkeit rechtlich relevant sein?

Ja, ist nur ein Teil der geschuldeten Leistung erfüllbar, spricht man von Teilleistung. Die rechtliche Zulässigkeit einer Teilerfüllung hängt gemäß § 266 BGB grundsätzlich vom Einverständnis des Gläubigers ab, es sei denn, dieser ist nach der Beschaffenheit des Schuldverhältnisses verpflichtet, eine Teilleistung anzunehmen. Erlaubt der Vertrag, das Gesetz oder das Interesse des Gläubigers eine Aufspaltung der Leistung, könnendie Teilerfüllbarkeit und die damit verbundenen Rechtsfolgen (wie Teilzahlungen oder Teilleistungserfüllung) erhebliche Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis haben. Fehlt eine Einigung, kann der Gläubiger die vollständige Erfüllung verlangen.

Wie wirken sich gesetzliche Verbote auf die Erfüllbarkeit aus?

Gesetzliche Verbote wirken unmittelbar auf die rechtliche Erfüllbarkeit ein. Wird durch ein Gesetz oder eine behördliche Anordnung eine ursprünglich vereinbarte Leistung untersagt, so ist die Erfüllbarkeit rechtlich ausgeschlossen. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig und damit auch die Erfüllbarkeit der vertraglichen Verpflichtung ausgeschlossen. Diese Nichtigkeit besteht unabhängig von der Kenntnis der Vertragsparteien über das Verbot. Entsprechendes gilt für zeitlich beschränkte Verbote, wodurch die Erfüllbarkeit zumindest temporär ausgesetzt werden kann.

Welche Wirkung hat die Leistungsbestimmtheit auf die Erfüllbarkeit eines Anspruchs?

Die Leistungsbestimmtheit ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Erfüllbarkeit im rechtlichen Sinn. Ein Anspruch ist nur dann erfüllbar, wenn eindeutig feststeht, was, wie und an wen zu leisten ist. Fehlt es an der Bestimmtheit der Leistungsbeschreibung (z.B. bei Gattungsschulden ohne Konkretisierung), ist eine rechtlich wirksame Erfüllung nicht möglich, da Unsicherheiten oder Unklarheiten bzgl. des Erfüllungsgegenstands bestehen oder gar Streit über das „Wie“ der Leistung entstehen kann. Die Bestimmtheit ergibt sich regelmäßig aus dem Vertrag, Hilfsubjekte sind ergänzende Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) oder dispositive gesetzliche Vorschriften. Erst mit hinreichender Konkretisierung ist eine ordnungsgemäße Erfüllung und damit die Erfüllbarkeit gewährleistet.