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Erbunfähigkeit


Begriffsbestimmung und rechtliche Einordnung der Erbunfähigkeit

Definition

Die Erbunfähigkeit bezeichnet im deutschen Erbrecht die Unfähigkeit einer Person, Erbe, Vermächtnisnehmer oder Pflichtteilsberechtigter zu werden. Sie ist gesetzlich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) – insbesondere in §§ 2341-2345 – geregelt. Erbunfähigkeit tritt ein, wenn bestimmte, gesetzlich normierte schwerwiegende Verfehlungen des potenziellen Erben gegenüber dem Erblasser oder einem nahen Angehörigen vorliegen.

Abgrenzung zur Enterbung

Während bei der Enterbung der Erblasser eine Person durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausschließt, entfaltet die Erbunfähigkeit ihre Wirkung kraft Gesetzes aufgrund spezifischer Vergehen unabhängig vom Willen des Erblassers. Die Erbunfähigkeit ist streng von der Entziehung des Pflichtteilsanspruchs (§ 2333 BGB) zu unterscheiden, die eine eigenständige rechtliche Qualität besitzt.


Voraussetzungen und gesetzliche Regelungen

Gesetzliche Grundlage

Die wesentlichen Vorschriften zur Erbunfähigkeit sind in den §§ 2341 bis 2345 BGB niedergelegt. Diese Tatbestände definieren abschließend die Voraussetzungen, unter denen eine Erbunfähigkeit eintreten kann.

Absolute und relative Erbunfähigkeit

  • Absolute Erbunfähigkeit: Betrifft jede Person, die wegen eines bestimmten, mit Strafe bedrohten Verhaltens im Verhältnis zum Erblasser die Erbfähigkeit verliert.
  • Relative Erbunfähigkeit: Bezieht sich nur auf ein bestimmtes Erbenverhältnis, nämlich gegenüber demjenigen, gegen den sich die sittliche Verfehlung richtete.

Tatbestände der Erbunfähigkeit (§ 2339 BGB)

Die wichtigsten Gründe für die Erbunfähigkeit einer Person sind:

  1. Verübung eines vorsätzlichen Tötungsversuchs am Erblasser (Erfolglosigkeit genügt),
  2. Verhinderung oder Vereitelung des letzten Willens, etwa durch Fälschung, Unterdrückung oder Vernichtung einer letztwilligen Verfügung,
  3. Täuschung oder Drohung zur Erlangung oder Veränderung einer Verfügung zugunsten des Täters oder Dritter,
  4. Rechtswidriges Verhalten im Zusammenhang mit dem Tod des Erblassers oder anderen schweren Verfehlungen gegen diesen.

Zusätzlich können bestimmte Handlungen gegenüber dem Lebenspartner, Elternteil oder Kind des Erblassers erbunfähig machen.

Zeitpunkt und Beginn der Erbunfähigkeit

Die Erbunfähigkeit muss im Zeitpunkt des Erbfalls vorliegen. Nachträgliche Ereignisse nach Eintritt des Erbfalls bleiben im Prinzip unbeachtlich, es sei denn, die Erbunfähigkeit wird nachträglich festgestellt und wirkt auf den Erbfall zurück.


Rechtsfolgen der Erbunfähigkeit

Ausschluss von der Erbfolge

Erbunfähige Personen können weder als gesetzliche Erben noch aufgrund einer Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) erben. Die Erbunfähigkeit führt wirkungsgleich dazu, als wäre der Betroffene zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits verstorben.

Behandlung von Vermächtnissen und Pflichtteilsrecht

Neben dem Ausschluss von der Erbfolge sind erbunfähige Personen auch vom Erwerb eines Vermächtnisses ausgeschlossen. Auch der Pflichtteilsanspruch entfällt, wenn Erbunfähigkeit vorliegt.

Ersatzerbe und Anwachsung

Sind einzelne Personen wegen Erbunfähigkeit ausgeschlossen, entsteht eine Erbfalllücke, die durch Ersatzerbfolge (§ 2096 BGB) oder Anwachsung (§ 2094 BGB) zu füllen ist. Der Anteil des erbunfähigen Erben wächst dem Nachlass entsprechend an andere Erben an.


Nachweis und Feststellung der Erbunfähigkeit

Verfahren

Die Feststellung der Erbunfähigkeit erfolgt nicht automatisch, sondern muss von einem Beteiligten während des Nachlassverfahrens geltend gemacht und bewiesen werden. Die Erbunfähigkeit wird grundsätzlich durch gerichtliche Entscheidung (Feststellungsklage) festgestellt.

Anfechtungsmöglichkeiten

Bestimmt sich, dass ein Erbe erbunfähig ist, so können enterbte Nachkommen oder andere Beteiligte die Erbfolge anfechten und eine entsprechende Korrektur der Nachlassverteilung verlangen.


Wegfall und Aufhebung der Erbunfähigkeit

Vergebung (§ 2343 BGB)

Der Erblasser kann zu Lebzeiten die Erbunfähigkeit durch ausdrückliche oder konkludente Vergebung des Fehlverhaltens aufheben, sofern dies unzweideutig festgestellt werden kann.

Sonderregelungen im internationalen Kontext

Bei grenzüberschreitenden Fällen ist ggf. zu prüfen, welches nationale Erbrecht Anwendung findet und wie die Erbunfähigkeit dort geregelt ist (z. B. bei binationalen Erbfällen).


Erbunfähigkeit in anderen Rechtsordnungen

Vergleich mit weiteren Rechtssystemen

Obgleich das Prinzip der Erbunfähigkeit auch in anderen europäischen Staaten wie Österreich und der Schweiz existiert, variieren die genauen gesetzlichen Tatbestände und die rechtlichen Folgen. Häufig sind jedoch ähnliche schwerwiegende Verfehlungen Voraussetzung.


Bedeutung und praktische Relevanz

Die Erbunfähigkeit schützt das Erbrecht und die letztwillige Verfügungsfreiheit vor unredlichen Einflussnahmen und schwerwiegenden Übergriffen innerhalb der Familie oder im näheren Umfeld des Erblassers. Ihre Anwendung ist in der Praxis selten, kann jedoch zu grundlegenden Änderungen in der Nachlassabwicklung führen, insbesondere bei erheblichen Pflichtteilsansprüchen oder großen Erbengemeinschaften.


Literaturnachweise und Weblinks

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), §§ 2339-2345
  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar §§ 2317 ff.
  • MüKo BGB, Kommentar Erbrecht, §§ 2339 ff.

Hinweis: Dieser Artikel dient der allgemeinen Information über das Thema Erbunfähigkeit gemäß deutschem Recht und bietet einen umfassenden Überblick über die Rechtslage und ihre praktische Bedeutung.

Häufig gestellte Fragen

Welche Gründe führen zu einer Erbunfähigkeit im deutschen Erbrecht?

Im deutschen Erbrecht tritt Erbunfähigkeit gemäß § 2339 BGB insbesondere dann ein, wenn eine Person sich einer besonders schweren Verfehlung gegenüber dem Erblasser schuldig gemacht hat. Zu den gesetzlichen Gründen zählen insbesondere: die Tötung oder der Versuch der Tötung des Erblassers oder einer ihm nahe stehenden Person, sofern nicht eine Entschuldigung vorliegt; die vorsätzliche und widerrechtliche Verhinderung, Aufhebung oder Änderung einer Verfügung von Todes wegen; sowie die schuldhafte falsche Beurkundung eines letzten Willens. Des Weiteren führen auch Drohung, Täuschung oder Nötigung gegenüber dem Erblasser zur Erbunfähigkeit, wenn dadurch eine Verfügung von Todes wegen beeinflusst oder der Erblasser in seinem freien Willen beeinträchtigt wurde. Die Erbunfähigkeit ist jedoch nicht automatisch gegeben, sondern muss im Streitfall festgestellt und gegebenenfalls von den Erben oder anderen Beteiligten nachgewiesen werden. Hierbei wird auch geprüft, ob gegebenenfalls eine nachträgliche Verzeihung durch den Erblasser vorliegt, die zur Wiederherstellung der Erbfähigkeit führt.

Wer entscheidet über die Erbunfähigkeit einer Person im Erbfall?

Die Feststellung der Erbunfähigkeit erfolgt nicht automatisch, sondern muss durch ein Gericht im Wege eines speziellen Feststellungsverfahrens getroffen werden. Meistens wird diese Frage im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens oder einer Klage auf Feststellung der Erbunfähigkeit relevant. Die betroffenen Beteiligten – insbesondere Erben oder potenzielle Erben – müssen die Erbunfähigkeit konkret darlegen und beweisen. Das zuständige Nachlassgericht prüft dann die vorgebrachten Tatsachen und entscheidet, ob eine der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß §§ 2339 ff. BGB erfüllt ist. Es kann dabei sowohl Zeugen vernehmen als auch sonstige Beweismittel heranziehen. Erst wenn die Erbunfähigkeit gerichtlich festgestellt wurde, verliert die betreffende Person alle Rechte aus dem Erbfall.

Kann die Erbunfähigkeit durch Verzeihung des Erblassers aufgehoben werden?

Ja, das deutsche Erbrecht sieht in § 2343 BGB ausdrücklich vor, dass die Erbunfähigkeit nicht eintritt oder aufgehoben wird, wenn der Erblasser der erbunfähigen Person die schwere Verfehlung verzeiht. Diese Verzeihung muss jedoch eindeutig erfolgen, wobei hierfür keine bestimmte Form vorgeschrieben ist. Sie kann ausdrücklich oder konkludent, das heißt durch schlüssiges Handeln, erfolgen, beispielsweise durch erneute Zuwendung oder Testamentserrichtung zugunsten der Person nach Bekanntwerden der Verfehlung. Im Zweifelsfall ist stets zu prüfen, ob aus dem Verhalten des Erblassers auf eine bewusste Verzeihung geschlossen werden kann, was im Streitfall von den Gerichten beurteilt wird.

Welche Folgen hat die Erbunfähigkeit für Nachkommen und Ehepartner des erbunfähigen Erben?

Die Erbunfähigkeit nach deutschem Recht wirkt grundsätzlich nur persönlich auf die betreffende Person und nicht automatisch auf deren Nachkommen oder Ehepartner. Das bedeutet, dass Kinder oder Ehegatten der erbunfähigen Person durch die sogenannte Erbfolge „durch Erbfall“ nicht ausgeschlossen sind, sondern vielmehr gemäß § 1924 BGB an die Stelle des erbunfähigen Erben treten, sofern sie gesetzliche Erben wären. Diese Nachrückung erfolgt aber auch nur – wie bei einem normalen Erbverzicht – wenn die übrigen Voraussetzungen der gesetzlichen Erbfolge erfüllt sind. Die Erbunfähigkeit ist demnach kein generelles Familienausschlusskriterium, sondern beschränkt sich auf die einzelne Person.

Muss ein bereits ausgehändigter Erbteil von einer erbunfähigen Person zurückgegeben werden?

Nach § 2344 BGB ist ein auf Grund Erbunfähigkeit erlangter Erbteil oder sonstiger Vorteil aus dem Nachlass von der erbunfähigen Person nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückzugeben. Das bedeutet, dass alles, was die betreffende Person aus dem Nachlass erhalten hat, zurückzugeben ist. Das gilt insbesondere auch dann, wenn die Erbunfähigkeit erst nachträglich festgestellt wird. Sind Mittel oder Gegenstände bereits verbraucht oder weitergegeben worden, muss unter Umständen der Wert ersetzt werden. Darüber hinaus gehen die Rechte auf den oder die nunmehr berechtigten Erben über.

Kann eine erbunfähige Person noch Pflichtteilsansprüche geltend machen?

Auch hinsichtlich des Pflichtteils gilt, dass die Erbunfähigkeit gemäß § 2339 BGB den Verlust sämtlicher erbrechtlicher Ansprüche einschließlich des Pflichtteils zur Folge hat. Eine erbunfähige Person ist demnach nicht nur von der Erbfolge ausgeschlossen, sondern verliert auch jegliche Pflichtteilsrechte, die ihr unter anderen Umständen als enterbter gesetzlicher Erbe noch zugestanden hätten. Ein Pflichtteilsentzug aufgrund Erbunfähigkeit setzt aber dieselben schweren Verfehlungen voraus, die auch für den Erbverlust relevant sind.

Wie wirkt sich die Erbunfähigkeit auf Vermächtnisse oder Auflagen aus?

Auch bezüglich etwaiger Vermächtnisse oder Auflagen, die der Erblasser zugunsten des erbunfähigen Begünstigten angeordnet hat, ist die Unfähigkeit zu beachten. § 2345 BGB bestimmt insoweit, dass nicht nur die gesetzliche oder testamentarische Erbfolge, sondern auch sonstige Zuwendungen (wie Vermächtnisse) wegen Erbunfähigkeit ausgeschlossen sind. Hat eine Person beispielsweise ein Vermächtnis testamentarisch erhalten, verliert sie dieses kraft Gesetzes, sobald ihre Erbunfähigkeit festgestellt ist. Das gilt grundsätzlich auch für Auflagen, da sie ein Begünstigungsmerkmal aufweisen. Ausnahmen oder abweichende Vereinbarungen sind nur möglich, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht oder der Erblasser nach der schuldhaften Handlung eine Verzeihung ausgesprochen hat.