Erbfähigkeit
Die Erbfähigkeit ist ein zentraler Begriff im Erbrecht und bezeichnet die rechtliche Fähigkeit einer natürlichen oder juristischen Person, im Todesfall eines Erblassers Vermögenswerte im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zu erwerben. Sie ist maßgeblich für die Bestimmung, wer als Erbe in Betracht kommt und welche Voraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen. Die Regelungen zur Erbfähigkeit sind in Deutschland insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) normiert und unterscheiden zwischen natürlichen Personen, juristischen Personen sowie weiteren besonderen Konstellationen.
Voraussetzungen der Erbfähigkeit
Natürliche Personen
Natürliche Personen sind grundsätzlich erbfähig, sofern sie zur Zeit des Erbfalls leben (§ 1923 Abs. 1 BGB). Gleich behandelt werden nach § 1923 Abs. 2 BGB auch bereits gezeugte, aber noch nicht geborene Kinder (Nasciturus), die zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht geboren sind, jedoch lebend zur Welt kommen. Die Erbfähigkeit endet mit dem Tod einer Person; Verstorbene (sogenannte „erloschene Rechtspersönlichkeit“) sind nicht erbfähig.
Juristische Personen
Juristische Personen gelten unter bestimmten gesetzlichen und satzungsmäßigen Voraussetzungen als erbfähig. Zu den erbfähigen juristischen Personen zählen eingetragene Vereine, Stiftungen, Körperschaften öffentlichen Rechts und Gesellschaften mit Rechtspersönlichkeit. Die Erbfähigkeit tritt ein, sobald die jeweilige rechtsfähige Körperschaft im Rechtsverkehr als solche anerkannt ist. Auch Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) und offene Handelsgesellschaften (OHG) können für die Dauer ihrer Rechtsfähigkeit erbfähig sein, sofern die Voraussetzungen des § 124 HGB erfüllt sind.
Personengesellschaften und sonstige Vereinigungen
Nichtrechtsfähige Vereine oder Personengesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit sind grundsätzlich nicht erbfähig. Allerdings können in einzelnen Fällen Sonderregelungen eingreifen, wie etwa die Einsetzung einer künftigen Stiftung als Erbe unter der Bedingung ihrer Anerkennung.
Zeitpunkt der Erbfähigkeit
Erbfähigkeit setzt zwingend voraus, dass der Erbe zur Zeit des Erbfalls existiert. Bei natürlichen Personen bedeutet dies, dass sie im Moment des Todes des Erblassers leben oder jedenfalls als Nasciturus bereits gezeugt wurden. Juristische Personen müssen zu diesem Zeitpunkt gegründet und rechtlich existent sein.
Ausschluss der Erbfähigkeit
Die Erbfähigkeit kann in bestimmten Ausnahmefällen ausgeschlossen sein. So ist beispielsweise nach deutschem Recht derjenige von der Erbfolge ausgeschlossen, der vor dem Erblasser verstorben ist oder kraft Gesetzes als erbunwürdig gilt (§§ 1923 Abs. 1, 2344 BGB). Weitere Ausschlussgründe ergeben sich aus den Vorschriften über die Erbunwürdigkeit (§ 2339 BGB), zum Beispiel bei schwerwiegenden Verfehlungen gegenüber dem Erblasser.
Sonderformen der Erbfähigkeit
Ungeborene Kinder (Nasciturus)
Bereits gezeugte, aber noch nicht geborene Kinder können gemäß § 1923 Abs. 2 BGB erbfähig sein, sofern sie lebend geboren werden. Dies sichert die Rechte werdender Nachkommen und hat besondere Bedeutung bei der Gestaltung erbrechtlicher Verfügungen.
Vordem Tod des Erblassers verstorbene Personen
Wer vor dem Erblasser stirbt, ist grundsätzlich nicht erbfähig. Stirbt ein berufener Erbe vor dem Erbfall, kommt ein etwaiges Ersatzerbrecht (z. B. nach § 2069 BGB) oder das Anwachsungsrecht in Betracht.
Stiftungen in Gründung
Stiftungen können unter der aufschiebenden Bedingung ihrer Anerkennung als erbfähig eingesetzt werden. Die Erbfähigkeit tritt in diesem Fall mit der staatlichen Anerkennung der Stiftung ein (§ 84 BGB).
Internationale Aspekte der Erbfähigkeit
Bei internationalen Sachverhalten, wie etwa grenzüberschreitenden Erbgängen, richtet sich die Erbfähigkeit regelmäßig nach dem anzuwendenden Erbrecht, das nach den Vorschriften der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) ermittelt wird. Maßgeblich ist in der Regel das Recht des Staates, in dem der Erblasser zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Bedeutung der Erbfähigkeit im Erbgang
Die Erbfähigkeit ist Voraussetzung für den Erwerb von Vermögenswerten und Rechten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge. Neben der gesetzlichen Erbfolge spielt sie vor allem bei Verfügungen von Todes wegen (Testament, Erbvertrag) eine zentrale Rolle. Die Prüfung der Erbfähigkeit erfolgt stets vor der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft.
Ausschluss und Verlust der Erbfähigkeit
Ein Ausschluss von der Erbfähigkeit kann auch im Wege der Testamentsanfechtung, Feststellung der Erbunwürdigkeit oder durch gesetzliche Einschränkungen im Einzelfall erfolgen. Insbesondere die Erbunwürdigkeit stellt einen besonderen Verlustgrund der Erbfähigkeit dar und hat gravierende Auswirkungen auf die erbrechtliche Stellung einer Person.
Fazit
Die Erbfähigkeit ist ein grundlegendes Rechtsinstitut im deutschen Erbrecht und entscheidet darüber, wer im Todesfall Vermögenspositionen übertragen bekommen kann. Ihre Voraussetzungen, ihr zeitlicher Bezug und die gesetzlichen Ausschlussgründe sind für jeden Erbgang genau zu prüfen. Sie umfasst natürliche sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch juristische Personen und ist von erheblicher Bedeutung für die rechtswirksame Gestaltung von Testamenten, Erbverträgen und die Abwicklung von Nachlässen. Die Einhaltung der gesetzlichen Normen zur Erbfähigkeit gewährleistet die Rechtssicherheit und Klarheit im erbrechtlichen Verfahren.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist nach deutschem Recht erbfähig?
Nach deutschem Recht, insbesondere gemäß § 1923 BGB, ist grundsätzlich jede natürliche Person erbfähig, das heißt, sie kann als Erbe eingesetzt werden oder gesetzlicher Erbe sein, sofern sie zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits geboren oder jedenfalls bereits gezeugt und später lebend geboren wird („Nasciturus“). Erbfähigkeit tritt unabhängig vom Alter oder Geschäftsfähigkeit ein. Auch juristische Personen (z. B. Vereine, Stiftungen, Kapitalgesellschaften) können erben, sofern sie zum Zeitpunkt des Erbfalls rechtlich bestehen und nach ihrer Satzung oder nach Gesetz die Fähigkeit besitzen, Rechte und Pflichten zu erwerben. Nicht erbfähig sind hingegen Personengesellschaften ohne eigene Rechtsfähigkeit sowie nicht rechtsfähige Vereinigungen.
Wann ist die Erbfähigkeit ausgeschlossen?
Die Erbfähigkeit kann im Wesentlichen aus zwei Gründen ausgeschlossen sein: Zum einen ist eine bereits verstorbene Person (mit Ausnahme des sog. „Enkeltricks“ – der nur für den Nasciturus gilt) nicht erbfähig, da der Erbfall erst mit dem Tod des Erblassers eintritt. Zum anderen kann die Erbfähigkeit durch eine erbrechtliche Ausschließung, etwa durch Erbunwürdigkeit (§§ 2339 ff. BGB), grundsätzlich entfallen. Wird eine Person rechtskräftig als erbunwürdig erklärt, so wird sie so behandelt, als wäre sie nie Erbe geworden. Beispiele für Erbunwürdigkeit sind etwa das vorsätzliche Töten des Erblassers oder die Verfälschung eines Testaments.
Können ungeborene Kinder erben?
Ungeborene Kinder („Nasciturus“) sind gemäß § 1923 II BGB grundsätzlich erbfähig, sofern sie zur Zeit des Erbfalls bereits gezeugt, jedoch noch nicht geboren sind. Die Erbfähigkeit entsteht unter der aufschiebenden Bedingung, dass das Kind lebend geboren wird. Stirbt das Kind vor der Geburt (Tod- oder Fehlgeburt), entfällt die Erbfähigkeit rückwirkend. In der Praxis wird der Erbteil für den Nasciturus zunächst von einem Pfleger verwaltet, bis über das Schicksal des Kindes Klarheit besteht.
Dürfen juristische Personen als Erbe eingesetzt werden?
Ja, juristische Personen können nach deutschem Erbrecht grundsätzlich als Erben eingesetzt werden, sofern sie im Zeitpunkt des Erbfalls rechtsfähig und existent sind. Dies betrifft unter anderem eingetragene Vereine, Kapitalgesellschaften (etwa GmbH, AG), Stiftungen des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts und Kirchen. Die Erbfähigkeit setzt voraus, dass die juristische Person vom Gesetzgeber anerkannt ist und die Fähigkeit besitzt, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (§ 1923 I BGB).
Kann ein Erbverzicht die Erbfähigkeit beeinträchtigen?
Ein wirksamer Erbverzicht nach § 2346 BGB in Form eines notariellen Vertrags führt dazu, dass die verzichtende Person für den Verzichtenden und dessen Abkömmlinge so behandelt wird, als wäre sie zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr vorhanden. Der Erbverzicht schließt somit die Erbfähigkeit im konkreten Nachlassfall aus, hindert aber nicht die generelle Erbfähigkeit z. B. bei anderen Erbfällen eines anderen Erblassers.
Welche Rolle spielt die Staatsangehörigkeit für die Erbfähigkeit?
Die Staatsangehörigkeit spielt im deutschen Erbrecht grundsätzlich keine Rolle für die Erbfähigkeit. Sowohl Inländer als auch Ausländer sind nach deutschem Recht grds. erbfähig. Im internationalen Kontext kann es jedoch durch das Kollisionsrecht (Art. 25 EGBGB) dazu kommen, dass für einen ausländischen Erben das Heimatrecht maßgeblich ist und dort spezielle Einschränkungen der Erbfähigkeit bestehen könnten. Deutsche Gerichte prüfen daher immer auch etwaige ausländische Vorschriften, wenn diese nach internationalen Regeln anwendbar sind.
Wann verliert eine Person nachträglich die Erbfähigkeit?
Die Erbfähigkeit wird nachträglich insbesondere dann aberkannt, wenn die betreffende Person nach dem Erbfall als erbunwürdig eingestuft oder der Erbverzicht rechtskräftig wirksam wird. Außerdem verliert eine Person die Erbfähigkeit für einen bestimmten Nachlassfall, wenn der Erblasser die betreffende Person vor dem Erbfall rechtswirksam enterbt hat, z. B. durch ein wirksames Testamentsvollstreckungsdekret. Eingeschränkt wird sie auch durch das Wegfallen der Existenz bei juristischen Personen (z. B. durch Auflösung oder Löschung einer GmbH vor dem Erbfall).
Welche besonderen Regelungen gelten für Adoptivkinder hinsichtlich der Erbfähigkeit?
Adoptivkinder sind nach deutschem Recht nach Durchführung einer Volladoption (§ 1754 BGB) den leiblichen Kindern gleichgestellt und daher in vollem Umfang erbfähig gegenüber den Adoptiveltern und deren Verwandten. Das gesetzliche Erbrecht gegenüber den leiblichen Eltern und deren Verwandten erlischt durch die Adoption (außer bei der sog. schwachen Adoption vor 1977). Für Adoptionen mit Auslandsbezug können besondere Regelungen gelten, insbesondere hinsichtlich des anzuwendenden Rechts.