Begriff und Bedeutung von Equity
Equity bezeichnet im anglo-amerikanischen Rechtskreis eine eigenständige, historisch gewachsene Rechtsmaterie, die auf Grundsätzen der Billigkeit und Gewissenhaftigkeit aufbaut. Sie ergänzt und korrigiert das striktere Gewohnheitsrecht (Common Law), wenn dessen Anwendung zu unbilligen Ergebnissen führen würde. Equity prägt zahlreiche Rechtsinstitute wie Treuhandverhältnisse (Trusts), Treuepflichten, besondere Rechtsbehelfe (zum Beispiel Unterlassungsanordnungen) sowie Eigentums- und Sicherungsrechte, die außerhalb des klassischen Sachen- und Vertragsrechts angesiedelt sind.
Kurzdefinition
Equity ist ein System von Grundsätzen, Rechtspositionen und Rechtsbehelfen, die Gerichte vor allem in Common-Law-Staaten anwenden, um gerechte Ergebnisse zu erreichen, wo das strikte Recht keine angemessene Abhilfe bietet. Es wirkt ergänzend, nicht ersetzend: Equity „folgt dem Recht“, schreitet aber ein, wenn starre Regeln unbillig wirken.
Abgrenzung: Equity als Rechtsmaterie und Equity als Anteilsrecht
Der Begriff „Equity“ hat zwei gebräuchliche rechtliche Bedeutungen:
- Als Rechtsmaterie: die Grundsätze und Rechtsbehelfe der Billigkeit im anglo-amerikanischen Recht.
- Als Anteilsrecht: die Beteiligungsrechte am Unternehmen (zum Beispiel Stamm- und Vorzugsaktien) und der verbleibende Restanspruch der Anteilseigner nach Abzug der Verbindlichkeiten. Dieser Bedeutungsgebrauch ist im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht verbreitet und berührt Fragen der Stimm-, Dividenden- und Liquidationsrechte.
Historische Entwicklung und Stellung im Rechtssystem
Ursprung im englischen Recht
Equity entstand historisch als Reaktion auf die starre Anwendung des Gewohnheitsrechts. Streitparteien wandten sich an den Kanzler des Königs, der nach Billigkeit entschied. Daraus entwickelte sich ein paralleles Gerichtssystem mit eigenen Verfahren und Rechtsbehelfen.
Integration in die ordentlichen Gerichte
Im Zuge von Reformen des 19. Jahrhunderts wurden die chancery-Gerichte organisatorisch mit den Common-Law-Gerichten zusammengeführt. Seitdem wenden dieselben Gerichte sowohl Common Law als auch Equity an. Inhaltlich bestehen die Grundsätze und Abhilfen der Equity jedoch fort.
Heutiger Geltungsbereich
Equity ist fester Bestandteil des Rechts zahlreicher Common-Law-Staaten. Über internationale Verträge, Rechtswahlklauseln und Schiedsverfahren wirken Equity-Grundsätze zudem in grenzüberschreitende Sachverhalte hinein.
Grundprinzipien der Equity (Maximen)
Equity folgt dem Recht
Equity verdrängt das geltende Recht nicht, sondern ergänzt es. Vorrangig gelten die gesetzlichen und gewohnheitsrechtlichen Regeln. Equity schreitet ein, wenn deren Ergebnis unbillig wäre.
Handeln nach Treu und Glauben (Clean hands)
Wer eine Billigkeitsmaßnahme begehrt, muss sich selbst einwandfrei verhalten haben. Unredliches Verhalten kann abwehrend entgegengehalten werden.
Absicht geht vor Form
Equity berücksichtigt die tatsächliche Absicht und wirtschaftliche Realität stärker als formale Gestaltungen, etwa bei der Auslegung von Verträgen oder der Zuweisung von Vermögenswerten.
Wirkung in Person (In personam)
Viele Equity-Rechtsbehelfe richten sich gegen die Person (zum Beispiel auf Unterlassen oder Vornahme einer Handlung), nicht unmittelbar gegen die Sache. Gleichwohl kennt Equity eigene vermögensbezogene Rechtspositionen (equitable interests).
Verzögerung schadet (Laches)
Unangemessene Verzögerung bei der Rechtsverfolgung kann Ansprüche aus Equity schwächen oder ausschließen, insbesondere wenn sie zu Nachteilen für die Gegenseite führt.
Equity-Rechtsbehelfe und Rechtspositionen
Equitable remedies (Billigkeitsrechtsschutz)
Unterlassungsanordnung (Injunction)
Eine gerichtliche Anordnung, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen oder vorzunehmen, wenn Geldersatz unzureichend ist, etwa zum Schutz vertraulicher Informationen oder einzigartiger Güter.
Naturalrestitution durch Leistung (Specific performance)
Anordnung, einen vertraglich versprochenen Gegenstand zu übereignen oder eine Leistung zu erbringen, insbesondere bei Unikaten oder Grundstücken, wenn eine Geldzahlung den vereinbarten Leistungserfolg nicht ersetzt.
Anfechtung und Berichtigung (Rescission und Rectification)
Rückabwicklung bei Täuschung, Irrtum oder unredlichem Verhalten sowie Berichtigung schriftlicher Vereinbarungen, damit sie die tatsächliche Übereinkunft widerspiegeln.
Herausgabe von Vorteilen (Account of profits)
Abschöpfung unrechtmäßig erzielter Gewinne, insbesondere bei Verletzung von Treuepflichten oder Verwertung vertraulicher Chancen.
Treuhänderische Bindungen (Constructive trust, Equitable lien)
Gerichtliche Anordnung, dass eine Person Vermögenswerte treuhänderisch hält oder ein besicherndes Recht entsteht, um ungerechtfertigte Bereicherung zu verhindern oder Vertrauen zu schützen.
Equitable defenses (Einwendungen aus Equity)
Verwirkung durch Verzögerung (Laches)
Ein Anspruch kann entfallen, wenn seine Geltendmachung unangemessen verzögert wurde und die Gegenseite darauf vertrauen durfte, dass keine Durchsetzung mehr erfolgt.
Billigkeitseinreden (Estoppel, Unconscionability, Acquiescence)
Wer berechtigtes Vertrauen geschaffen hat, kann sich an früheren Zusicherungen festhalten lassen (Estoppel). Grob unfaire Vertragsklauseln können eingeschränkt werden (Unconscionability). Stillhalten kann als Zustimmung gewertet werden (Acquiescence).
Treuhand- und Treuepflichten
Trust-Struktur
Der Trust ist ein Kerninstitut der Equity. Vermögen wird von einer Person zugunsten einer anderen gehalten. Der Treuhänder verwaltet das Vermögen, die Begünstigten haben ein eigenständiges, durchsetzbares Recht (equitable interest). Der Trust erlaubt die Trennung von rechtlichem Titel und wirtschaftlichem Nutzen.
Treuepflichten von Organwaltern und Verwaltern
Personen, die fremde Vermögensinteressen wahren, unterliegen strengen Loyalitäts-, Sorgfalts- und Rechenschaftspflichten. Interessenkonflikte, geheim gehaltene Vorteile oder Nutzung fremder Geschäftschancen können zu Herausgabe- und Unterlassungsansprüchen führen.
Abgrenzung zu kontinentaleuropäischen Konzepten
Kontinentale Rechtsordnungen kennen den Trust in dieser Form nicht. Vergleichbare Ziele werden durch Treuhandabreden, dingliche Rechte oder schuldrechtliche Gestaltungen erreicht. Gleichwohl haben Equity-Grundsätze die Auslegung und Gestaltung grenzüberschreitender Verträge beeinflusst.
Eigentums- und Sicherungsrechte in der Equity
Equitable interests und Priorität
Equity anerkennt eigenständige, durchsetzbare vermögensbezogene Rechte. Treffen mehrere Rechte aufeinander, entscheidet ein Prioritätssystem, das auf Kenntnis, Gutgläubigkeit, Registrierung und Gegenleistungsaspekten abstellt.
Tracing und Schutz vor Vermögensverschiebung
Tracing ermöglicht die Nachverfolgung fehlgeleiteter Werte in Surrogate oder Mischmassen. Equity stellt hierfür flexible Instrumente bereit, um Vermögensverschiebungen zu neutralisieren.
Equity of redemption und besichernde Rechte
Bei Sicherungsübertragungen und Hypotheken erkennt Equity ein Rücklösungsrecht an, das vor übermäßiger Bindung schützt. Zudem entstehen in der Equity besichernde Rechte (equitable mortgage oder charge), wenn formale Anforderungen des strikten Rechts fehlen, die Schutzwürdigkeit aber gegeben ist.
Equity im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht
Equity als Anteilsrecht
Im gesellschaftsrechtlichen Sprachgebrauch umfasst Equity die Rechte der Anteilseigner an Kapitalgesellschaften. Dazu gehören Stimmrechte, Informationsrechte, Dividendenansprüche und der Anteil am Liquidationserlös. Diese Rechte werden durch Satzung, Emissionsbedingungen und Kapitalmaßnahmen geprägt.
Strukturierungen und Beteiligungsklassen
Beteiligungsfinanzierungen nutzen unterschiedliche Klassen von Anteilen, etwa mit Vorzugsrechten, Wandlungsrechten oder Liquidationspräferenzen. Rechtlich bedeutsam sind Rangverhältnisse, Verwässerungsschutz und die Ausgestaltung von Mitverwaltungsrechten.
Private Equity und Venture Capital
In Beteiligungsverträgen werden Rechte der Eigenkapitalgeber detailliert festgelegt, unter anderem Informations- und Kontrollrechte, Vetorechte, Mitveräußerungsrechte sowie Regelungen zu Exit-Szenarien. Diese Bestimmungen wirken auf das interne Machtgefüge und die Verteilung von Chancen und Risiken.
Internationale Bezüge und Rezeption
Billigkeit und Treu und Glauben
Auch außerhalb des Common Law finden sich Grundgedanken der Equity, etwa in allgemeinen Leitlinien zu Redlichkeit, Rücksichtnahme und angemessener Vertragsausübung. Gleichwohl bleibt die dogmatische Ausgestaltung unterschiedlich.
Schiedsverfahren
In internationalen Schiedsverfahren können Parteien vereinbaren, dass Billigkeitsgesichtspunkte berücksichtigt werden. Dies ermöglicht Lösungen, die neben dem strikt anwendbaren Recht auch Gerechtigkeitserwägungen einbeziehen.
Rechtswahl und Kollisionsfragen
Wird auf eine Rechtsordnung des Common Law abgestellt, gelangen Equity-Institute wie Trusts, equitable remedies und Prioritätsregeln zur Anwendung. Dies hat Auswirkungen auf Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung.
Abgrenzungen, Missverständnisse und Sprachgebrauch
Equity ist mehr als „Gerechtigkeit“ im umgangssprachlichen Sinn
Equity ist ein technisch geprägtes System mit eigenen Regeln und Rechtsbehelfen. Es geht nicht um freie Angemessenheitsentscheidungen, sondern um konsistente, historisch entwickelte Grundsätze.
Unterschied zu allgemeinen Fairnessklauseln
Vertraglich vereinbarte Fairness- oder Härteklauseln können Anknüpfungspunkte für Billigkeitserwägungen liefern, sind aber nicht mit der eigenständigen Rechtsmaterie der Equity gleichzusetzen.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet „Equity“ im Rechtssinn?
Equity ist ein System ergänzender Grundsätze und Rechtsbehelfe, das Gerichte vor allem in Common-Law-Staaten anwenden, um unbillige Ergebnisse des strikten Rechts zu vermeiden. Es umfasst eigene Rechtspositionen (equitable interests) und besondere Abhilfen wie Unterlassungsanordnungen oder die Anordnung der Vertragserfüllung.
Gilt Equity auch in Deutschland?
In Deutschland existiert Equity nicht als eigenständige Rechtsmaterie. Einzelne Gedanken wie Redlichkeit und Treu und Glauben finden jedoch Widerhall in allgemeinen Grundsätzen. Bei Rechtswahl zugunsten eines Common-Law-Systems oder in grenzüberschreitenden Sachverhalten können Equity-Institute mittelbar relevant werden.
Welche Rechtsbehelfe sind typisch für Equity?
Typisch sind Unterlassungsanordnungen, die Anordnung der Naturalrestitution durch Erfüllung, Rückabwicklung und Berichtigung von Verträgen, die Abschöpfung von Vorteilen sowie treuhänderische Bindungen wie constructive trusts und equitable liens.
Worin unterscheidet sich Equity vom Common Law?
Common Law beruht auf strikt angewendeten Regeln und Geldersatz als Hauptabhilfe. Equity ergänzt dieses System um Billigkeitsgrundsätze und personengerichtete Maßnahmen, die eingreifen, wenn Geldersatz unzureichend ist oder starre Regeln unfaire Ergebnisse erzeugen.
Welche Rolle spielen Trusts in der Equity?
Trusts sind ein Kernbereich der Equity. Sie trennen rechtlichen Titel und wirtschaftlichen Nutzen, begründen eigenständige Rechte der Begünstigten und unterwerfen Treuhänder strengen Treue- und Rechenschaftspflichten.
Was bedeutet „Equity“ im Gesellschaftsrecht?
Im gesellschaftsrechtlichen Kontext bezeichnet Equity die Beteiligungsrechte am Unternehmen, einschließlich Stimm-, Informations- und Vermögensrechte der Anteilseigner. Die konkrete Ausgestaltung ergibt sich aus Satzung, Emissionsbedingungen und Kapitalmaßnahmen.
Wie werden Prioritäten zwischen Rechten in der Equity bestimmt?
Prioritätsfragen richten sich nach zeitlicher Reihenfolge, guten Glauben, Gegenleistung, Registrierung und Kenntnis. Gutgläubiger Erwerb kann Vorrang begründen, während Kenntnis nachteiliger Rechte den Rang schwächen kann.