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Entweichen von Gefangenen


Entweichen von Gefangenen – Begriff, Rechtslage und rechtliche Einordnung

Das Entweichen von Gefangenen bezeichnet im rechtlichen Kontext das unerlaubte Verlassen einer staatlichen oder vergleichbaren Verwahrung durch Personen, die sich rechtmäßig in Haft oder in amtlichen Gewahrsam befinden. Der Tatbestand und die Folgen des Entweichens sind in verschiedenen Vorschriften des deutschen Straf- und Strafvollzugsrechts geregelt. Er umfasst sowohl das selbstständige Entweichen als auch die Regelungen zur Beihilfe und Unterstützung durch Dritte.


Begriffsbestimmung und Abgrenzung

Definition

Als Gefangene gelten natürliche Personen, die auf Grundlage einer gerichtlich angeordneten oder vollziehbaren Entscheidung ihre Freiheit entzogen bekommen haben und in einer behördlichen Verwahrungseinrichtung (z. B. Justizvollzugsanstalt, Polizeigewahrsam, Unterbringung nach Maßregelvollzug) festgehalten werden. Das Entweichen beschreibt jede eigenmächtige Entfernung oder Flucht aus dieser Verwahrung gegen den Willen der zuständigen Behörde.

Abgrenzung zum unbefugten Entfernen

Das bloße „Entziehen“ von einer Aufsichtsperson, das Ausnutzen eines unbeaufsichtigten Moments oder – in technischer Auslegung – das Überwinden von Sicherungsmaßnahmen, fällt wie das Öffnen von Türen oder das Durchtrennen von Fenstergittern, unter den Begriff „Entweichen“. Maßgeblich ist, dass das Entweichen nicht durch einen erlaubten Aufenthalt außerhalb (z. B. Hafturlaub, Ausführung) gedeckt ist.


Strafbarkeit des Entweichens von Gefangenen

Gesetzliche Grundlage (§ 120 StGB)

Das Entweichen von Gefangenen ist im deutschen Recht in § 120 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Hiernach wird jeder, der aus dem amtlichen Gewahrsam entweicht, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Vorschrift differenziert hierbei nach dem Personenkreis (Gefangene, sonstige Personen im amtlichen Gewahrsam) und nach Beteiligungsformen.

Tatbestandsvoraussetzungen
  • Der Täter muss sich in amtlichem Gewahrsam befinden, sei es aufgrund Untersuchungshaft, Strafhaft, Jugendarrest oder eines sonstigen gerichtlich angeordneten Freiheitsentzuges.
  • Das Entweichen erfolgt durch eine aktive Handlung (z. B. Überwinden von Sicherungsmaßnahmen) oder eine gewaltlose Entfernung ohne äußere Einwirkung.
  • Nicht erforderlich ist das Überwinden von Widerständen oder eine gewaltsame Befreiung.
Rechtsfolgen

Das unerlaubte Entfernen aus dem Gewahrsam sowie der Versuch sind strafbar. Die Strafe reicht bis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren oder Geldstrafe. Ein besonderes Gewicht erhält die Tat, wenn durch das Entweichen zusätzliche Straftatbestände verwirklicht werden, wie z. B. Sachbeschädigung bei der Flucht.

Straflosigkeit des bloßen Entweichens unter besonderen Umständen

Das Gesetz sieht explizit keine Strafe vor, wenn Gefangene lediglich „weglaufen“ und dabei keine weiteren Rechtsgüter verletzen. Instrumente wie Gewalttätigkeit gegen Personen oder Sachbeschädigung führen jedoch stets zu zusätzlicher Strafbarkeit.


Beihilfe und Unterstützung zum Entweichen von Gefangenen

Begünstigung und Ausbruchshilfe

Das Verschaffen oder Bereitstellen von Hilfsmitteln, das Verschleiern des Aufenthaltsortes oder aktive Unterstützung beim Entweichen stellt eine eigenständige strafbare Handlung dar, geregelt u. a. unter den Tatbeständen der Gefangenenbefreiung (§ 120 Abs. 1 StGB) bzw. der Beihilfe (§ 27 StGB).

Strafmaß für Beteiligte

Personen, die Gefangenen zum Entweichen helfen oder diese bei der Flucht unterstützen, unterliegen denselben Strafrahmen wie das strafbare Entweichen selbst. Der Gesetzgeber unterscheidet hierbei zwischen aktiver Befreiung und Beihilfe.


Versuch und Vollendung

Versuch

Der Versuch des Entweichens ist ebenfalls strafbar. Vollendet ist das Entweichen, sobald der Gefangene den Bereich des amtlichen Gewahrsams dauerhaft verlässt und nicht mehr unter unmittelbarer Kontrolle der Behörden steht.


Rechtliche Konsequenzen und Auswirkungen auf das Vollzugsverfahren

Disziplinarmaßnahmen und Rückführung

Neben den strafrechtlichen Sanktionen sieht das Strafvollzugsrecht Disziplinarmaßnahmen bis hin zur verschärften Sicherungsverwahrung oder einzelner Isolationsmaßnahmen vor. Die Rückführung entwichener Gefangener erfolgt nach Einleitung einer bundesweiten Fahndung.

Auswirkungen auf Bewährung und Lockerungen

Ein Entweichen wirkt sich negativ auf Bewährungsentscheidungen, Vollzugslockerungen sowie günstigere Haftbedingungen aus. Gerichte und Vollzugsbehörden berücksichtigen Entweichungen bei allen nachfolgenden Haftprüfungen.


Internationale Regelungen und Auslieferung

Auch im internationalen Kontext und dem Rechtshilfeverkehr werden Entweichungen von Gefangenen relevant. Die Rückführung entwichener Personen kann durch Auslieferungsabkommen nach dem jeweiligen nationalen Recht erfolgen. Hierzu bedarf es regelmäßig eines Auslieferungsersuchens sowie besonderer Voraussetzungen.


Zusammenfassung

Das Entweichen von Gefangenen stellt eine eigenständige und umfassend geregelte Rechtsmaterie dar. Sie umfasst sowohl das eigenmächtige Verlassen des amtlichen Gewahrsams durch den Inhaftierten selbst als auch Unterstützungsleistungen Dritter. Der Tatbestand ist insbesondere im Strafgesetzbuch (§ 120 StGB) geregelt und zieht strafrechtliche, disziplinarische und vollzugsrechtliche Folgen nach sich. Die rechtlichen Bestimmungen stellen damit ein zentrales Instrumentarium zum Schutz öffentlicher Sicherheit und zur Aufrechterhaltung der Ordnung des Strafvollzugs dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche strafrechtlichen Folgen hat das Entweichen von Gefangenen für den Gefangenen selbst?

Das unerlaubte Entweichen aus dem Vollzug stellt nach deutschem Recht in bestimmten Fallkonstellationen eine Straftat dar. Nach § 120 Strafgesetzbuch (StGB) wird der Gefangene, der entweder aus amtlichem Gewahrsam entweicht oder diesen durch andere Umstände verhindert, grundsätzlich nicht nach dem Entweich-Paragrafen selbst, sondern gegebenenfalls wegen anderer Straftaten – insbesondere, wenn er bei der Flucht Gewalt gegen Personen anwendet oder Sachbeschädigungen begeht – strafrechtlich verfolgt. Wichtig zu beachten ist, dass das „bloße“ Entweichen aus der Haft im deutschen Recht, anders als beispielsweise Flucht aus dem Justizvollzug in anderen Ländern, nicht automatisch eine gesonderte Strafe nach sich zieht. Greift der Gefangene jedoch Hilfsmittel wie Gewalt, Drohung oder Bestechung zurück, so können entsprechende Normen wie § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte), §§ 223 ff. StGB (Körperverletzung) oder § 303 StGB (Sachbeschädigung) zur Anwendung kommen. Der rechtliche Fokus liegt somit weniger auf dem reinen Entweichen, sondern auf den hierbei begangenen Straftaten.

Können Personen, die dem Gefangenen bei der Flucht helfen, ebenfalls strafrechtlich belangt werden?

Ja, Dritte, die einem Gefangenen beim Entweichen helfen, machen sich strafbar. Für Helfer regelt § 120 Abs. 1 StGB („Gefangenenbefreiung“) die Strafbarkeit: Wer einen Gefangenen befreit, sei es durch Gewalt, List oder andere Mittel, oder wer das Entweichen fördert oder erleichtert, ist strafrechtlich zu belangen. Der Strafrahmen reicht dabei von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, wobei die Strafzumessung je nach Beteiligung, angewandter Mittel und den konkreten Begleitumständen variiert. Der Versuch ist ebenfalls strafbar (§ 120 Abs. 2 StGB). Die Anstiftung oder Beihilfe fallen unter die allgemeinen Grundsätze der Täterschaft und Teilnahme (§§ 26, 27 StGB).

Welche Rolle spielt der Vorsatz beim Entweichen eines Gefangenen und seiner Helfer?

Im Strafrecht ist beim Entweichen von Gefangenen sowie bei der Gefangenenbefreiung Vorsatz erforderlich. Der Entweichen selbst ist, wie oben beschrieben, nicht unmittelbar strafbar. Beim § 120 StGB (Gefangenenbefreiung) muss der Helfer jedoch mit Wissen und Wollen handeln, also den Vorsatz besitzen, den Gefangenen aus amtlichem Gewahrsam zu befreien oder dessen Entweichen zu fördern. Fahrlässigkeit reicht nicht aus. In Grenzfällen kann die genaue Feststellung des Vorsatzes schwierig sein, hier ist die individuelle Motivation und Einsicht des Handelnden entscheidend.

Welche zivilrechtlichen Konsequenzen drohen dem Gefangenen nach einer Flucht?

Neben strafrechtlichen Konsequenzen können Gefangene nach einer gelungenen Flucht für entstandene Schäden zivilrechtlich haftbar gemacht werden. Dies betrifft insbesondere Sachschäden, beispielsweise Beschädigungen an Türen, Fenstern oder anderen Einrichtungen während der Flucht, oder Kosten, die durch die Suche und Festnahme entstehen können. Die Haftungsnormen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), insbesondere §§ 823 ff. (unerlaubte Handlung), kommen zur Anwendung. Geschädigte – zum Beispiel das Land oder die Justizvollzugsanstalt – können Schadensersatzansprüche geltend machen.

Welche disziplinarischen Konsequenzen hat das Entweichen eines Gefangenen im Vollzug?

Unabhängig von straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen kann das Entweichen auch disziplinarisch geahndet werden. Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug sind im jeweiligen Strafvollzugsgesetz des Bundeslandes geregelt, etwa durch Einschränkung von Vergünstigungen, Einzelunterbringung zur Abwehr weiterer Fluchtgefahr oder Verlegung in eine Anstalt mit höherer Sicherheitsstufe. Darüber hinaus kann es zu einem Ausschluss von Haftlockerungen kommen, wie etwa Ausgang, Freigang oder Urlaub aus der Haft.

Welche Bedeutung hat der Begriff des „amtlichen Gewahrsams“ im Zusammenhang mit Gefangenenflucht?

Der Begriff „amtlicher Gewahrsam“ beschreibt die tatsächliche und rechtliche Überstellung eines Menschen in die Obhut staatlicher Organe, insbesondere bei Inhaftierung oder Freiheitsentziehung auf behördlicher oder richterlicher Anordnung. Nur wenn sich der Gefangene in einem solchen Gewahrsam befindet, greifen die spezifischen Regelungen zur Gefangenenbefreiung (§ 120 StGB). Verlässt eine Person eine frei betretene Polizeistation oder befreit eine Person sich aus privatem Gewahrsam, so fallen diese Fälle nicht unter die spezielle Strafbestimmung des § 120 StGB.

Wie wird zwischen einer erlaubten Flucht und einer strafbaren Gefangenenbefreiung unterschieden?

Obwohl das reine Entweichen aus Strafhaft durch den Gefangenen selbst nicht unter § 120 StGB fällt, ist die erlaubte Flucht als sogenannter „rechtlicher Notstand“ im deutschen Recht nicht anerkannt. Es gibt jedoch eine grundsätzliche Differenzierung: Während der Gefangene selbst beim „Freikommen“ nicht spezifisch bestraft wird, wohl aber mögliche dabei begangene Straftaten, macht sich der externe Helfer regelmäßig strafbar. Ein erlaubtes Entkommen gibt es rechtlich gesehen nicht, sondern es bestehen lediglich Einschränkungen bei der Strafverfolgung des Entwichenenseins gegenüber Eigenhandlungen des Gefangenen.

Welche strafprozessualen Maßnahmen werden nach einer Flucht eingeleitet?

Nach dem Entweichen eines Gefangenen werden unterschiedliche strafprozessuale Maßnahmen eingeleitet. Üblich ist in erster Linie die sofortige Fahndung, meist begleitet durch bundesweite oder sogar europaweite Polizeiausschreibungen (Fahndungsmaßnahmen). Ferner wird regelmäßig ein Strafverfahren gegen unbekannt oder bekannte Helfer und Mittäter eröffnet. Kommen im Zusammenhang mit der Flucht weitere Straftaten in Betracht (z.B. Sachbeschädigung, Körperverletzung, Widerstand), wird dies zum Gegenstand entsprechender Ermittlungsverfahren gemacht. Parallel dazu können Haftbefehle ausgeweitet oder erneuert werden.