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Entschädigung (nationalsozialistisches Unrecht)


Entschädigung (nationalsozialistisches Unrecht)

Die Entschädigung (nationalsozialistisches Unrecht) bezeichnet die staatliche Wiedergutmachung und Ausgleichszahlungen an Geschädigte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zwischen 1933 und 1945. Dieser Rechtsbegriff umfasst die komplexe Gesamtheit von gesetzlichen Regelungen, Ansprüchen und Verfahren, die darauf abzielen, individuelles Leid und Schäden, die während des Nationalsozialismus entstanden sind, zu erkennen und – soweit möglich – zu kompensieren. Die Thematik ist eng mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und der Verantwortung des deutschen Staates verbunden.

Historische Entwicklung der Entschädigung für NS-Unrecht

Die Grundlage für die Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus wurde nach 1945 gelegt. Zunächst gab es reichsweite Ansätze zur individuellen Wiedergutmachung, doch erst mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und den Pariser Verträgen wurde ein systematisches, bundesweites Entschädigungsrecht etabliert.

Frühzeit (1945-1949)

Unmittelbar nach Kriegsende begannen in den Besatzungszonen erste Versuche zur Regelung von Rückgabeansprüchen und finanziellen Ausgleichen für Verfolgte. Diese Regelungen waren jedoch uneinheitlich und meist auf Initiative einzelner Bundesländer begrenzt.

Bundesentschädigungsgesetzgebung (1951 ff.)

Mit Inkrafttreten des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) ab 1951 etablierte die Bundesrepublik einen einheitlichen Rechtsrahmen, der in mehreren Stufen weiterentwickelt wurde (u.a. BEG-Schlussgesetz 1965). Zentrale Regelungsinhalte waren die Anerkennung von Verfolgungstatbeständen, die Definition tatbestandsmäßiger Schäden und die Festlegung von Entschädigungstatbeständen.

Rechtliche Grundlagen der Entschädigung

Bundesentschädigungsgesetz (BEG)

Das BEG ist das zentrale Gesetz zur Regelung der finanziellen Entschädigungsleistungen. Es gewährt materiellen und immateriellen Ausgleich an Personen, die aus religiösen, politischen oder ethnischen Gründen verfolgt wurden.

Geltungsbereich und Voraussetzungen

Anspruchsberechtigt sind Personen, die zwischen 1933 und 1945 aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder aus politischen Einstellungen verfolgt wurden und dadurch Schäden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen oder beruflichem Fortkommen erlitten haben. Die anspruchsberechtigten Personen oder deren Rechtsnachfolger mussten bis zu bestimmten Stichtagen einen Antrag stellen.

Entschädigungsarten

Das BEG unterscheidet zwischen mehreren Entschädigungsformen:

  • Rentenleistungen (z.B. wegen Körperschäden, Schadensrente)
  • Kapitalentschädigung (z.B. Ausgleich für Vermögens- und Eigentumsverluste)
  • Heirats- und Erziehungsbeihilfen
  • Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen

Rückerstattungsgesetzgebung

Unabhängig vom BEG wurde das Rückerstattungsgesetz (BRüG) geschaffen, um bevorzugt Vermögenswerte zurückzugeben, die in den Besitz des Deutschen Reiches oder Dritter gelangt waren.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz und Recht auf Rehabilitierung

Darüber hinaus existieren spezifische Gesetze zur Rehabilitierung von NS-Opfern (z. B. das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege), die insbesondere ideelle und nicht-finanzielle Entschädigungsdimensionen berücksichtigen.

Einzelne Entschädigungsansprüche im Detail

Schäden an Körper, Gesundheit und Freiheit

Opfer, die durch Verfolgungsmaßnahmen an Körper, Gesundheit oder Freiheit Schaden erlitten haben, erhalten Ausgleich in Form von Rentenzahlungen oder Kapitalentschädigungen. Hierzu zählen Invalidität, gesundheitliche Schädigungen durch Zwangsarbeit oder Haft.

Vermögens- und Eigentumsschädigungen

Jüdische Emigrationsgüter, Wohnungen, Unternehmen oder Bankguthaben, die durch Enteignungsmaßnahmen verloren gingen, können nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zurückgegeben oder ausgeglichen werden. Die konkrete Höhe der Entschädigung richtet sich nach Schadensumfang, Zeitwert sowie individuellen Antragsfristen.

Beruflicher und wirtschaftlicher Schaden

Berufsverbot, Enteignung von Unternehmen, Verlust der Erwerbstätigkeit und andere wirtschaftliche Schäden sind über spezialisierte Regelungen des BEG kompensierbar. Berücksichtigt wird der langjährige Verdienstausfall, oft als Rentenleistung oder als Einmalzahlung.

Verfahren zur Geltendmachung

Antragsfrist und Nachweispflicht

Die Geltendmachung setzt regelmäßige fristgerechte Antragstellung und Glaubhaftmachung des erlittenen Unrechts voraus. Die Antragstellung unterlag teils strengen Fristen, die im Zuge von Gesetzesänderungen partiell verlängert oder neu geregelt wurden.

Verwaltungs- und Gerichtsverfahren

Die Bearbeitung erfolgt durch spezialisierte Behörden, etwa das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen. Im Falle der Ablehnung stehen Rechtsmittelverfahren mit Überprüfung durch Verwaltungsgerichte offen.

Internationale Dimension

Die Entschädigung für NS-Unrecht war auch Gegenstand bilateraler und internationaler Vereinbarungen, besonders im Rahmen des Luxemburger Abkommens (1952) mit Israel sowie verschiedenen Globalabkommen mit betroffenen Staaten Mittel- und Osteuropas. Hierdurch verpflichtete sich die Bundesrepublik zu weiteren finanziellen Leistungen an Staaten wie Griechenland, Polen oder die Tschechische Republik.

Weitergehende Kompensationsmaßnahmen und aktuelle Fragestellungen

Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” (EVZ)

Mit dem Gesetz zur Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” wurde eine ergänzende Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter und deren Nachfahren eingeführt. Die Stiftung ist seit 2000 tätig.

Fortdauernde Herausforderungen

Auch Jahrzehnte nach dem Inkrafttreten der Entschädigungsgesetze bestehen Herausforderungen: Restitutionsansprüche auf „verschollene” Güter, nachträgliche Anerkennung bislang nicht oder falsch beurkundeter Schadensfälle, Anpassung an internationale Standards. Die Bereitstellung von Unterstützungsleistungen und Hilfen für ältere Überlebende steht weiterhin im Fokus der öffentlichen und politischen Debatte.

Bedeutung der Entschädigung (nationalsozialistisches Unrecht)

Die rechtliche Aufarbeitung des NS-Unrechts und die daraus resultierenden Entschädigungsregelungen gelten als weltweit einzigartiges Beispiel für staatliche Übernahme von Verantwortung für Gewalt und Unrecht. Sie bilden einen Grundpfeiler des deutschen Rechtsstaates und unterstreichen das Bemühen um umfassende Vergangenheitsbewältigung und Anerkennung individuellen Leids. Durch die Vielzahl an Gesetzen, Regelungen und Sonderfonds bleibt das Thema Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht fortlaufend Gegenstand rechtlicher, sozialpolitischer und gesellschaftlicher Diskussion.

Häufig gestellte Fragen

Wer hatte Anspruch auf Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG)?

Anspruchsberechtigt nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) waren vorrangig diejenigen Personen, die aufgrund nationalsozialistischen Unrechts aus rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und dadurch körperlichen Schaden, Gesundheitsschäden, Freiheitsentzug oder wirtschaftliche Nachteile (Schädigungen im Beruf oder Vermögen) erlitten hatten. Der Anspruch konnte sich unter bestimmten Umständen auch auf Hinterbliebene (Erben, Witwen, Waisen) erstrecken, wenn der ursprünglich Geschädigte infolge der Verfolgung zu Tode gekommen war. Voraussetzung war üblicherweise, dass der Geschädigte am 23. Mai 1949 (dem Inkrafttreten des Grundgesetzes) seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hatte bzw. der Schaden im damaligen Bundesgebiet eingetreten war. Ausländer und Staatenlose konnten unter bestimmten Bedingungen ebenfalls anspruchsberechtigt sein, insbesondere wenn sie eine Benachteiligung im Vergleich zu deutschen Staatsbürgern nachweisen konnten oder ihnen aus humanitären Gründen eine Entschädigung zustehen sollte.

Wie gestalteten sich die Fristen zur Antragstellung auf Entschädigungsleistungen?

Die Fristen zur Antragstellung im Rahmen des Bundesentschädigungsgesetzes waren mehrfach Gegenstand gesetzlicher Änderungen und wurden teilweise verlängert. Grundsätzlich galt, dass Ansprüche möglichst zeitnah geltend gemacht werden mussten, um eine rechtsverbindliche Würdigung der Tatumstände und zügige Abwicklung zu ermöglichen. Für die erstmalige Anzeige bestand bezüglich der unterschiedlichen Schädigungsarten (z. B. Gesundheitsschaden, Freiheitsentzug, Vermögensschaden) zunächst eine Frist bis 1. April 1958, später bis zum 31. Dezember 1969. Wiedereinsetzungen in den vorigen Stand waren bei unverschuldeter Fristversäumnis möglich, etwa wenn die Verfolgten erst zu einem späteren Zeitpunkt von ihrem Entschädigungsrecht Kenntnis erlangen konnten oder aus zwingenden Gründen (zum Beispiel haft- oder krankheitsbedingt) an der rechtzeitigen Antragstellung gehindert waren.

Welche Arten von Entschädigungsleistungen sah das BEG vor?

Das Bundesentschädigungsgesetz differenzierte verschiedene Entschädigungsarten, die sich an der jeweiligen Art des erlittenen Unrechts orientierten. Dazu zählten vor allem die Entschädigung für Gesundheitsschäden (beispielsweise medizinische Behandlungskosten, Renten bei dauerhafter Erwerbsminderung), für Vermögensverluste (wie Enteignungen, Einziehung von Immobilien oder Vermögen, Verlust von Geschäftsgründungen), für Schäden im beruflichen Fortkommen sowie für Freiheitsentzug (z. B. Internierung, KZ-Haft). Ferner gab es Leistungen für Hinterbliebene, sogenannte Ausgleichszahlungen sowie Pension oder einmalige Abfindungen je nach Schadensumfang und persönlicher Lebenssituation des Geschädigten. Die genaue Bemessung der Leistungen erfolgte nach jeweils spezifischen Parametern, etwa dem Grad der Erwerbsminderung oder dem nachgewiesenen materiellen Schaden.

Gab es Leistungsausschlüsse oder Einschränkungen?

Ja, das Gesetz legte bestimmte Einschränkungen und Ausschlussgründe fest. Ansprüche waren insbesondere dann ausgeschlossen, wenn die Betroffenen durch eigenes schuldhaftes Verhalten (zum Beispiel durch Unterstützung des nationalsozialistischen Regimes) zur Schädigung beigetragen hatten. Auch Vergehen oder bestimmte nachträgliche Straftaten konnten einen Verlust des Anspruchs begründen. Weiterhin waren Personen nicht anspruchsberechtigt, die sich nach dem Ende des Dritten Reiches eines schweren Unrechts schuldig gemacht hatten oder als Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung galten (etwa Aktivisten extremistischer Gruppen). Es existierten zudem Regelungen zur Anrechnung bereits geleisteter Entschädigungszahlungen aus anderen staatlichen oder internationalen Programmen, um eine Doppelentschädigung zu vermeiden.

In welcher Weise wurde die Entschädigung festgesetzt und ausbezahlt?

Die Festsetzung und Auszahlung von Entschädigungsleistungen erfolgte nach Antragstellung und umfassender Prüfung der individuellen Anspruchsvoraussetzungen durch die zuständigen Landesämter für Wiedergutmachung beziehungsweise Entschädigungsbehörden. Die Höhe der Leistungen wurde in der Regel durch Sachverständigengutachten, Nachweise über erlittene Schäden, ärztliche Atteste sowie wirtschaftliche Dokumente bestimmt. Zahlungen erfolgten zumeist als Einmalbeträge, laufende Renten oder in Form von Sachleistungen (zum Beispiel medizinische Versorgung). Je nach Art der Schädigung gab es Höchstbetragsregelungen oder Mindestleistungen, um eine gerechte Verteilung und bestmögliche Wiedergutmachung sicherzustellen.

Was war der Unterschied zwischen individueller Entschädigung und Kollektiventschädigung?

Die individuelle Entschädigung nach dem BEG bezog sich auf die unmittelbare Kompensation persönlicher Schäden einzelner Verfolgter und deren Hinterbliebener, basierend auf individuell nachzuweisenden Tatbeständen. Die Kollektiventschädigung hingegen umfasste Vereinbarungen, bei denen Staaten (zum Beispiel Israel oder bestimmte jüdische Organisationen) oder Gruppen für die Gesamtheit der betroffenen Mitglieder pauschale Entschädigungszahlungen erhielten. Solche Kollektivregelungen mussten politisch zwischenstaatlich verhandelt werden und standen oft in Ergänzung zur individuellen Wiedergutmachung, um auch solche Opfer einzubeziehen, für die eine Einzellfallprüfung nicht mehr praktikabel war.