Definition und Grundlagen des Entnahmerechts des Gesellschafters
Das Entnahmerecht des Gesellschafters beschreibt die gesetzliche und vertragliche Befugnis eines Gesellschafters einer Personengesellschaft – insbesondere bei der Offenen Handelsgesellschaft (OHG) und der Kommanditgesellschaft (KG) – Vermögenswerte, zumeist Geldbeträge, aus dem Gesellschaftsvermögen zu entnehmen. Dieses Recht ist ein wesentliches Element der vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft. Es unterscheidet sich grundlegend von der Gewinnverwendung, der Gewinnausschüttung und vom sogenannten Anspruch auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens nach Beendigung der Gesellschaft.
Gesetzliche Grundlagen des Entnahmerechts
Regelungen im Handelsgesetzbuch (HGB)
Das Entnahmerecht ist insbesondere in den Vorschriften des Handelsgesetzbuches geregelt. Für die OHG finden sich die maßgeblichen Vorschriften in § 122 HGB, für die KG gilt § 169 HGB. Danach ist jeder Gesellschafter grundsätzlich berechtigt, während des Geschäftsjahres unter bestimmten Voraussetzungen Geld aus dem Gesellschaftsvermögen zu entnehmen. Dieses Recht steht ihm jedoch nur zu, soweit es gesetzlich vorgesehen oder gesellschaftsvertraglich eingeräumt ist.
§ 122 HGB – Entnahmerecht in der OHG
Gemäß § 122 HGB darf der Gesellschafter einer OHG jährlich bis zu vier Prozent seines Kapitalanteils entnehmen, sofern nicht durch Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt wird. Darüber hinausgehende Entnahmen bedürfen der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter.
§ 169 HGB – Entnahmerecht in der KG
Für Kommanditisten setzt § 169 HGB vergleichbare, aber in Details differenzierte Maßstäbe. Auch hier ist das Entnahmerecht an den tatsächlichen Kapitalanteil und den Bilanzgewinn geknüpft. Komplementäre sind hiervon grundsätzlich nicht betroffen, für sie gelten die Regeln der OHG entsprechend (§ 161 Abs. 2 HGB).
Abweichende Regelungen durch Gesellschaftsvertrag
Von den gesetzlichen Regelungen kann im Gesellschaftsvertrag abgewichen werden. Insbesondere kann das Entnahmerecht erweitert, eingeschränkt oder gänzlich ausgeschlossen werden. In der Praxis finden sich häufig individuelle Gestaltungen, etwa durch Festlegung fixer oder flexibler Entnahmegrenzen.
Voraussetzungen und Ausgestaltung des Entnahmerechts
Persönlicher Anwendungsbereich
Das Entnahmerecht steht regelmäßig allen persönlich haftenden Gesellschaftern (OHG-Gesellschafter, Komplementäre) zu. Bei der KG ist das Recht der Kommanditisten auf Entnahme ausdrücklich gesetzlich geregelt, da diese nicht zur Geschäftsführung berechtigt sind.
Umfang der Entnahmebefugnis
Der Umfang des Entnahmerechts richtet sich nach dem Gesellschaftsvertrag und, soweit dieser keine besonderen Regelungen enthält, nach dem Gesetz. Die Begrenzung auf vier Prozent des Kapitalanteils ohne Zustimmung entspricht einer vorsorgenden Maßgabe des Gesetzgebers zum Schutz des Gesellschaftsvermögens und der Gläubiger.
Voraussetzungen für die Ausübung
Eine Entnahme darf grundsätzlich nur vorgenommen werden, wenn sie nicht zu einer Unterbilanz führt oder das Gesellschaftsvermögen gefährdet. Auch hier kann der Gesellschaftsvertrag abweichende Bedingungen festlegen, z.B. ein generelles Verbot von Entnahmen bei unzureichender Liquidität oder bei Verlustsituationen.
Formen der Entnahme
Entnahmen können sowohl in Geld als auch in Sachwerten erfolgen, soweit dies im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist. Eine Entnahme in Form von Sachwerten ist allerdings aufgrund gesellschaftsrechtlicher Bilanzierungs- und Bewertungsfragen regelmäßig komplex.
Entnahmerecht und Besteuerung
Steuerliche Behandlung von Entnahmen
Entnahmen wirken sich steuerlich unterschiedlich aus, je nach Rechtsform der Gesellschaft. In Personengesellschaften stellt die Entnahme eine Vermögensverschiebung dar, die zunächst keine Einkommenssteuerpflicht auslöst, da die Gewinnbesteuerung bereits unabhängig von der tatsächlichen Auszahlung erfolgt (Transparenzprinzip). Für Kapitalgesellschaften gilt das Entnahmerecht in dieser Form nicht; dort gibt es stattdessen Begriffe wie Gewinnausschüttung oder Dividende.
Auswirkungen auf die Buchführung und Bilanzierung
Entnahmen sind in der Gesellschaftsbilanz als Eigenkapitalminderung auszuweisen. Im Rahmen der Gewinn- und Verlustrechnung sind Entnahmen nicht zu berücksichtigen, da sie keinen Aufwand darstellen. Die Buchung erfolgt über entsprechende Gesellschafterkonten.
Grenzen und Pflichten beim Entnahmerecht
Gesellschaftsvertragliche Einschränkungen und Zustimmungsbedarf
Gemäß den gesetzlichen Vorschriften kann das Entnahmerecht durch gesellschaftsvertragliche Regelungen begrenzt werden. Diese sehen häufig vor, dass Entnahmen grundsätzlich nur nach vorherigem Gesellschafterbeschluss zulässig sind oder dass Schonfristen gelten.
Treuepflicht und Kapitalerhaltung
Die Gesellschafter unterliegen der Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft. Missbräuchliche Entnahmen, welche die Existenz der Gesellschaft gefährden, können zum Schadensersatz verpflichten. Zum Schutz der Gläubiger sind Entnahmen zu untersagen, wenn das Gesellschaftsvermögen nicht mehr ausreicht, um die Verbindlichkeiten zu decken (Kapitalerhaltung).
Folgen unzulässiger Entnahmen
Rückzahlungsansprüche
Wurden Entnahmen über den zulässigen Umfang hinaus getätigt, ist der betroffene Gesellschafter zur Rückzahlung verpflichtet. Darüber hinaus können schädliche Entnahmen zur persönlichen Haftung für Gesellschaftsschulden führen.
Gesellschaftsinterne Sanktionen
Unzulässige Entnahmen können mit gesellschaftsinternen Sanktionen (z. B. Ausschluss aus der Gesellschaft) oder zivilrechtlichen Ansprüchen (z. B. Schadensersatz) geahndet werden.
Entnahmerecht in der Praxis
Beispielszenarien aus dem Gesellschaftsrecht
In der Praxis ist das Entnahmerecht ein zentrales Instrument, um den Liquiditätsbedarf der Gesellschafter mit den Interessen der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Abweichende Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag ermöglichen eine flexible Anpassung an die individuelle Situation der Gesellschafter und der Gesellschaft.
Bedeutung bei Haftung und Insolvenz
Auch bei Haftungsfragen und Insolvenzverfahren spielt das Entnahmerecht eine entscheidende Rolle, insbesondere im Hinblick auf die Rückerstattungspflicht von Gesellschaftern aus überhöhten Entnahmen und auf den Gläubigerschutz.
Zusammenfassung
Das Entnahmerecht des Gesellschafters ist ein zentrales Instrument im Gesellschaftsrecht, das den Zugriff der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen regelt. Seine Ausgestaltung unterliegt komplexen gesetzlichen und vertraglichen Regelungen, die sowohl Gläubigerschutz als auch die Interessen der Gesellschafter balancieren. Eine sorgfältige vertragliche Ausgestaltung und Beachtung der gesetzlichen Vorgaben sind für einen rechtssicheren Umgang mit Entnahmen unerlässlich.
Häufig gestellte Fragen
Welche gesetzlichen Grundlagen regeln das Entnahmerecht des Gesellschafters in der Personengesellschaft?
Das Entnahmerecht des Gesellschafters in Personengesellschaften – insbesondere der GbR, OHG und KG – ist primär im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und im Handelsgesetzbuch (HGB) geregelt. Nach § 722 BGB steht jedem Gesellschafter grundsätzlich das Recht zu, angemessene Beträge zum Lebensunterhalt aus der Gesellschaftskasse zu entnehmen, soweit vertraglich nichts anderes bestimmt ist. Für die OHG und KG regelt § 122 HGB, dass Gesellschafter nach Ablauf des Geschäftsjahres ihren Gewinnanteil entnehmen dürfen, im laufenden Jahr sind gemäß § 122 Abs. 1 HGB Entnahmen im Rahmen eines fortlaufenden Guthabens bis zu vier Prozent ihres Kapitalanteils erlaubt, sofern der Gesellschaftsvertrag keine abweichenden Regelungen trifft. Die konkreten Befugnisse können durch Gesellschaftsvertrag modifiziert, erweitert oder beschränkt werden. Bedeutung haben daneben auch dispositive Regelungen und das Steuerrecht, sofern Ausschüttungen an steuerliche Besonderheiten gebunden sind.
Welche Beschränkungen können dem Entnahmerecht des Gesellschafters durch den Gesellschaftsvertrag auferlegt werden?
Der Gesellschaftsvertrag kann das Entnahmerecht des Gesellschafters umfassend regeln und dabei verschiedene Beschränkungen vorsehen. Typische Einschränkungen sind die Begrenzung des Entnahmebetrages, die Festlegung von Zeitpunkten für zulässige Entnahmen, die Verknüpfung von Entnahmen mit vorhandenen Gewinnen oder Guthaben sowie die Anknüpfung an bestimmte Entscheidungsquoren innerhalb der Gesellschaft. Es ist etwa möglich, dass Entnahmen nur mit Zustimmung der übrigen Gesellschafter oder nach einem förmlichen Beschluss erfolgen dürfen. Auch kann die Berechtigung auf bestimmte Gesellschaftergruppen (z.B. Komplementäre bei der KG) beschränkt werden. Weiterhin kann der Gesellschaftsvertrag regeln, dass Entnahmen nur anteilig zum Kapitalkonto oder pro rata erfolgen dürfen oder aus besonderen Rücklagen ausgeschlossen sind. Schließlich darf der Gesellschaftsvertrag aber das Entnahmerecht nicht soweit beschneiden, dass das Recht auf einen angemessenen Lebensunterhalt vollständig ausgeschlossen wird, sofern dies nicht durch die gesellschaftsrechtliche Struktur (etwa rein kapitalistische Beteiligung) gerechtfertigt ist.
Welche rechtlichen Folgen kann eine unzulässige bzw. unrechtmäßige Entnahme durch einen Gesellschafter haben?
Unzulässige oder überhöhte Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen können schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Der Gesellschafter ist verpflichtet, die zu Unrecht entnommenen Beträge unverzüglich zurückzuerstatten, da andernfalls ein Verstoß gegen die gesellschaftliche Treuepflicht und ein Eingriff in das gemeinschaftliche Vermögen der Gesellschaft vorliegt. Darüber hinaus können Schadensersatzansprüche der Gesellschaft oder der Mitgesellschafter entstehen, wenn durch die Entnahme ein finanzieller Schaden verursacht wurde. Die Gesellschaft kann unter Umständen bei schwerwiegenden Verstößen ein Ausschlussverfahren gegen den betreffenden Gesellschafter einleiten. Bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft infolge der Entnahme können zudem zivilrechtliche und ggf. strafrechtliche Sanktionen – etwa wegen Insolvenzverschleppung oder Untreue – drohen. In steuerlicher Hinsicht können unberechtigte Entnahmen als verdeckte Gewinnausschüttungen qualifiziert und nachversteuert werden.
Wie unterscheiden sich Entnahmen von Gewinnausschüttungen rechtlich?
Rechtlich wird streng zwischen Entnahmen und Gewinnausschüttungen unterschieden: Die Entnahme bezieht sich auf den Vorgang, mit dem ein Gesellschafter Vermögensgegenstände (nicht nur Geld, sondern ggf. auch Waren oder Gebrauchsvorteile) aus dem Gesellschaftsvermögen für private Zwecke entnimmt. Die Gewinnausschüttung hingegen bezeichnet die Zuteilung des erwirtschafteten und festgestellten Überschusses entsprechend der Beteiligungsquote am Jahresende. Während Entnahmen grundsätzlich im laufenden Jahr und ggf. auch vorschüssig erfolgen können (sofern dies der Gesellschaftsvertrag oder das Gesetz zulassen), ist die Gewinnverwendung immer an eine förmliche Feststellung gebunden. Rechtlich ist zu beachten, dass die Entnahme nicht zwingend gleichbedeutend mit einem erwirtschafteten Gewinn ist – sogenannte „Überentnahmen“ belasten das Eigenkapital und können zu Rückforderungsansprüchen führen.
Inwieweit haftet ein Gesellschafter für von ihm getätigte Entnahmen gegenüber Gläubigern der Gesellschaft?
Gesellschafter einer Personengesellschaft, insbesondere einer OHG oder GbR, haften den Gesellschaftsgläubigern grundsätzlich unbeschränkt und persönlich, unabhängig davon, ob sie im Rahmen ihres Entnahmerechts Gesellschaftsvermögen entnommen haben. Entnahmen eines Gesellschafters vermindern das Gesellschaftskapital und können im Extremfall zur Zahlungsunfähigkeit führen, wofür die Gesellschafter gesamtschuldnerisch haften. Insbesondere bei einer Insolvenz der Gesellschaft kann der Insolvenzverwalter nicht nur unzulässige, sondern je nach Lage sogar alle in einem bestimmten Zeitraum getätigten Entnahmen vom Gesellschafter zurückverlangen, soweit sie nicht aus tatsächlich erzielten Gewinnen resultieren. Die Gläubigerinteressen sind insoweit besonders geschützt, als dass gesetzwidrige Entnahmen keine die Haftung gegenüber Dritten begrenzende Wirkung entfalten.
Welche Formerfordernisse bestehen für Entnahmen durch Gesellschafter?
Gesetzlich bestehen keine zwingenden Formerfordernisse für Entnahmen durch Gesellschafter; sie können in der Regel formlos erfolgen. Der Gesellschaftsvertrag kann jedoch bestimmte Formerfordernisse vorsehen, etwa eine schriftliche Zustimmung, eine Protokollierung oder ein Antragsverfahren unter Angabe von Grund und Höhe der gewünschten Entnahme. Für die ordnungsgemäße Buchführung und Bilanzierung muss jede Entnahme lückenlos und nachvollziehbar dokumentiert werden, um Transparenz und Nachvollziehbarkeit insbesondere gegenüber Finanzamt und Mitgesellschaftern sicherzustellen. Die Gesellschaft ist gehalten, interne Buchungsunterlagen so zu führen, dass der Umfang und Anlass jeder Gesellschafterentnahme eindeutig zugeordnet werden kann.
Gibt es besondere Vorgaben für Entnahmen in der Ein-Personen-GmbH oder bei Kapitalgesellschaften?
Das klassische Entnahmerecht besteht nur in Personengesellschaften. In Kapitalgesellschaften wie der GmbH oder AG sind Entnahmen durch Gesellschafter rechtlich ausgeschlossen; es ist lediglich die Ausschüttung von bereits erzielten und durch die Gesellschaftsorgane festgestellten Gewinnen nach Maßgabe des Aktiengesetzes bzw. GmbH-Gesetzes zulässig. Eigenmächtige Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen – etwa durch den Gesellschafter-Geschäftsführer einer Ein-Personen-GmbH – stellen regelmäßig eine verbotene Rückzahlung von Einlagen nach § 30 GmbHG dar und können zivil- wie strafrechtliche Konsequenzen haben. Stattdessen sind Gehaltszahlungen, Gewinnausschüttungen oder Darlehen an den Gesellschafter als zulässige Zahlungsströme zu gestalten.