Entgelttransparenz: Bedeutung, Ziel und Einordnung
Entgelttransparenz bezeichnet die Offenlegung von Strukturen und Kriterien der Vergütung in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. Ziel ist es, ungerechtfertigte Entgeltunterschiede sichtbar zu machen und zu verhindern, insbesondere zwischen den Geschlechtern. Kern ist das Prinzip „Gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit“: Beschäftigte dürfen bei gleicher Tätigkeit oder gleichwertiger Tätigkeit nicht schlechter bezahlt werden, wenn der einzige Unterschied in einem gesetzlich verbotenen Merkmal liegt, insbesondere dem Geschlecht.
Rechtlicher Rahmen in Deutschland und Europa
Nationale Regelungen
In Deutschland prägt ein spezielles Transparenzrecht den Zugang zu Entgeltinformationen. Beschäftigte in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten können Auskunft über die Entgeltsituation einer Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts verlangen. Größere Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten, die zur Veröffentlichung eines Lageberichts verpflichtet sind, haben regelmäßig Berichte zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit zu erstellen und zu veröffentlichen. Daneben verbietet das allgemeine Gleichbehandlungsrecht Benachteiligungen wegen des Geschlechts beim Zugang zur Beschäftigung, bei Arbeitsbedingungen und damit auch beim Entgelt.
Als zusätzliches Instrument ist eine betriebliche Überprüfung der Entgeltstrukturen vorgesehen, mit der Arbeitgeber ihre Vergütungssysteme auf mögliche Benachteiligungen prüfen können. Dieses Instrument ist insbesondere für größere Unternehmen ausgelegt.
Europäische Vorgaben
Auf europäischer Ebene verpflichtet das Gleichbehandlungsprinzip zur Entgeltgleichheit. Die EU-Richtlinie zur Lohntransparenz aus dem Jahr 2023 stärkt die Transparenz weiter: Sie sieht unter anderem vor, dass Bewerbende vor oder spätestens beim Vorstellungsgespräch Zugang zu Gehaltsinformationen (z. B. Gehaltsspannen) erhalten, dass der Bezug auf frühere Gehälter eingeschränkt wird, dass Beschäftigte umfassende Rechte auf Entgeltinformationen haben und dass Unternehmen ab bestimmten Größen regelmäßig über Entgeltunterschiede berichten. Außerdem werden Schutz vor Benachteiligung, eine Beweislastverlagerung bei Anhaltspunkten für Diskriminierung sowie wirksame Sanktionen vorgesehen. Die Mitgliedstaaten setzen diese Vorgaben in nationales Recht um.
Zentrale Begriffe und Mechanismen
Gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit
„Gleiche Arbeit“ liegt vor, wenn Beschäftigte im Wesentlichen identische Aufgaben unter identischen Bedingungen ausführen. „Gleichwertige Arbeit“ liegt vor, wenn Tätigkeiten zwar unterschiedlich sind, aber unter Berücksichtigung von Kriterien wie Qualifikationsanforderungen, Verantwortung, Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastung gleichwertig sind. Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung anhand objektiver Kriterien der Arbeitsbewertung.
Vergleichsgruppen und Entgeltbestandteile
Für Transparenzauskünfte wird eine Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts gebildet, die eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit ausübt. Die Auskunft bezieht sich auf das monatliche Bruttoentgelt dieser Gruppe, typischerweise als Medianwert, sowie auf wesentliche Entgeltbestandteile (z. B. Grundentgelt, Zulagen, Boni, Sachleistungen). Um Rückschlüsse auf einzelne Personen zu vermeiden, wird nur informiert, wenn die Vergleichsgruppe eine ausreichende Mindestgröße hat. Vergleiche können – je nach Struktur – auch standortübergreifend innerhalb desselben Arbeitgebers möglich sein.
Rechte der Beschäftigten
Auskunftsanspruch
Beschäftigte in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten haben einen Anspruch auf Informationen zur Entgeltstruktur. In Betrieben mit Betriebsrat wird die Auskunft in der Regel über den Betriebsrat abgewickelt, andernfalls direkt gegenüber dem Arbeitgeber. Die Antwort erfolgt innerhalb einer gesetzlich vorgesehenen Frist und umfasst den Median des Bruttoentgelts der relevanten Vergleichsgruppe sowie Angaben zu Entgeltkriterien und -verfahren. Auskünfte können in regelmäßigen Abständen erneut verlangt werden.
Schutz vor Benachteiligung
Die Wahrnehmung von Auskunfts- oder Gleichbehandlungsrechten darf nicht zu Nachteilen führen. Benachteiligungen wegen der Geltendmachung solcher Rechte sind unzulässig. Liegen objektive Anhaltspunkte für eine ungerechtfertigte Entgeltungleichheit vor, greifen erleichterte Regelungen zur Darlegung und Beweisführung.
Durchsetzung und Ansprüche
Wird eine ungerechtfertigte Entgeltbenachteiligung festgestellt, kommen Ansprüche auf Gleichstellung des Entgelts sowie Nachzahlung in Betracht. Neben der Anpassung können je nach Fall Konstellationen für immaterielle Ansprüche bestehen. Ansprüche unterliegen Fristen; zudem können tarif- oder vertragsrechtliche Ausschlussfristen eine Rolle spielen.
Pflichten der Arbeitgeber
Entgeltstrukturen, Kriterien und Dokumentation
Arbeitgeber sind gehalten, Vergütungssysteme anhand nachvollziehbarer Kriterien zu gestalten und zu dokumentieren. Dazu gehören transparente Bewertungsmaßstäbe für Tätigkeiten, klare Regeln zu variablen Bestandteilen und Zulagen sowie eine konsistente Eingruppierung. Klauseln, die Beschäftigten verbieten, über ihr Entgelt zu sprechen, sind im Grundsatz unwirksam, soweit sie Transparenzrechte beeinträchtigen.
Berichtspflichten größerer Unternehmen
Unternehmen mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten, die bestimmte Publizitätspflichten erfüllen, erstellen regelmäßig Berichte zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit. Diese Berichte enthalten Angaben zur aktuellen Lage, zu Maßnahmen und zum Stand der Umsetzung. Die Berichtsfrequenz kann je nach Tarifbindung variieren.
Beteiligung von Betriebsrat und Tarifparteien
Der Betriebsrat hat Informations- und Mitwirkungsrechte bei Vergütungsgrundsätzen und kann Auskunftsverfahren unterstützen. Tarifverträge prägen Entgeltsysteme maßgeblich; sie definieren Eingruppierungen, Entgeltgruppen und Zulagen. Betriebsvereinbarungen können ergänzend Regelungen zur Transparenz und zur Ausgestaltung des Auskunftsprozesses enthalten.
Datenschutz und Geschäftsgeheimnisse
Entgelttransparenz wahrt den Datenschutz und den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Informationen werden aggregiert, insbesondere über Medianwerte, um Rückschlüsse auf einzelne Personen zu vermeiden. Es gelten Mindestgrößen für Vergleichsgruppen. Die Offenlegung umfasst Kriterien, Verfahren und aggregierte Entgeltdaten, jedoch keine individuellen Gehälter einzelner Kolleginnen oder Kollegen.
Öffentlicher Dienst und besondere Beschäftigtengruppen
Die Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsätze gelten auch im öffentlichen Dienst, der häufig über detaillierte Entgeltordnungen verfügt. Erfasst sind grundsätzlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, häufig auch Auszubildende; für Beamtinnen und Beamte bestehen entsprechende Regelungen im öffentlichen Bereich. Teilzeit, befristete Beschäftigung und andere Arbeitsformen sind einbezogen, soweit sie unter das jeweilige Arbeits- und Gleichbehandlungsrecht fallen.
Entwicklung und Trends
Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Lohntransparenz werden Transparenzanforderungen voraussichtlich ausgeweitet. Dazu zählen erweiterte Informationsrechte, Berichts- und Prüfpflichten, Gehaltsspannen in Stellenausschreibungen sowie stärkere Vorgaben zu objektiven, geschlechtsneutralen Bewertungssystemen. Außerdem rücken Aspekte jenseits einer binären Geschlechterbetrachtung, intersektionale Diskriminierung sowie Transparenz bei algorithmisch gestützten Vergütungsentscheidungen in den Fokus.
Abgrenzung
Entgelttransparenz (Zugang zu Informationen, Verfahren und Kriterien) ist von Entgeltgleichheit (materielle Gleichbehandlung beim Lohn) zu unterscheiden. Transparenz ist ein Mittel, um Gleichheit durchzusetzen; sie ersetzt nicht die Prüfung, ob eine konkrete Entgeltpraxis sachlich gerechtfertigt ist.
Häufig gestellte Fragen zur Entgelttransparenz
Was bedeutet „gleichwertige Arbeit“ im rechtlichen Sinn?
Gleichwertige Arbeit liegt vor, wenn unterschiedliche Tätigkeiten insgesamt vergleichbar sind. Maßgeblich sind objektive Kriterien wie Qualifikationsanforderungen, Verantwortung, Arbeitsbedingungen und Belastung. Ergeben diese Kriterien ein gleiches Wertniveau, ist ein Vergleich zulässig.
Wer hat Anspruch auf Auskunft über das Entgelt?
Der gesetzliche Auskunftsanspruch steht Beschäftigten in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten zu. In Betrieben mit Betriebsrat wird die Auskunft typischerweise über den Betriebsrat eingeholt; ohne Betriebsrat erteilt der Arbeitgeber die Auskunft.
Welche Informationen umfasst die Auskunft?
Die Auskunft nennt den Median des monatlichen Bruttoentgelts der relevanten Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts sowie die zugrunde liegenden Entgeltkriterien und -verfahren. Zudem können ausgewählte Entgeltbestandteile (z. B. Boni, Zulagen) gegenübergestellt werden. Individuelle Gehälter Einzelner werden nicht offengelegt.
Gilt Entgelttransparenz auch in kleinen Betrieben?
Der gesetzliche Auskunftsanspruch setzt eine bestimmte Betriebsgröße voraus. In kleineren Betrieben gelten die allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsätze, jedoch ohne das spezielle Auskunftsverfahren. Unabhängig von der Größe sind benachteiligende Entgeltpraktiken unzulässig.
Wie wird der Datenschutz bei Auskünften gewahrt?
Es werden ausschließlich aggregierte Daten mit ausreichender Mindestgröße der Vergleichsgruppe übermittelt, in der Regel als Medianwerte. So wird verhindert, dass Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich sind. Individuelle Gehaltsangaben werden nicht mitgeteilt.
Welche Rolle spielt der Betriebsrat?
Der Betriebsrat nimmt in mitbestimmten Betrieben eine zentrale Rolle ein: Er wirkt bei Vergütungsgrundsätzen mit, ist in das Auskunftsverfahren eingebunden und achtet auf die Beachtung der Gleichbehandlungsgrundsätze. Er erhält hierfür die notwendigen Informationen vom Arbeitgeber.
Welche Folgen hat eine festgestellte Entgeltbenachteiligung?
Bei festgestellter ungerechtfertigter Entgeltungleichheit kommen die Anpassung des Entgelts nach oben sowie Nachzahlungen in Betracht. Daneben können immaterielle Ansprüche bestehen. Für die Durchsetzung gelten erleichterte Darlegungs- und Beweisregeln, sobald Anhaltspunkte für eine Benachteiligung vorliegen.