Begriff und rechtliche Einordnung: Entgangener Gewinn
Entgangener Gewinn ist ein zentraler Begriff im deutschen Zivilrecht und bezieht sich auf den finanziellen Nachteil, den eine Partei durch das Ausbleiben erwarteter Einnahmen erleidet. Dieser Nachteil entsteht typischerweise durch eine unerlaubte Handlung, eine Vertragsverletzung oder einen sonstigen rechtswidrigen Eingriff. Entgangener Gewinn wird regelmäßig im Rahmen des Schadensersatzrechts geltend gemacht und gehört neben dem sogenannten positiven Schaden zum umfassenden Schadensbegriff.
Gesetzliche Grundlagen
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Die gesetzliche Grundlage für die Geltendmachung von entgangenem Gewinn findet sich maßgeblich in § 252 BGB. Dort heißt es:
„Als Schaden gilt auch der Gewinn, den der Verletzte unter gewöhnlichen Umständen erwarten konnte.“
Zusätzlich finden sich Regelungen zur Schadensberechnung, unter anderem in den §§ 249 ff. BGB (Schadensersatz).
Weitere relevante Normen
- Handelsgesetzbuch (HGB), insbesondere bei der Verletzung von Pflichten aus Handelsverträgen
- Spezialgesetze, wie zum Beispiel das Produkthaftungsgesetz oder das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG)
Abgrenzung und Begriffsklärung
Schaden versus entgangener Gewinn
Im Schadensrecht wird zwischen dem realen Schaden (positiver Schaden) und dem entgangenen Gewinn (negativer Interesse) unterschieden. Während der positive Schaden den bereits eingetretenen Vermögensnachteil beschreibt, bezieht sich der entgangene Gewinn auf finanzielle Vorteile, die ohne das schädigende Ereignis höchstwahrscheinlich erzielt worden wären.
Konkrete und abstrakte Schadensberechnung
Der entgangene Gewinn lässt sich entweder konkret-d.h. anhand tatsächlich nachweisbarer Einnahmen-oder abstrakt, auf der Grundlage typischer Erfahrungswerte, berechnen. Letzteres wird insbesondere angewandt, wenn konkrete Nachweise schwer zu führen sind, etwa bei neu gegründeten Unternehmen.
Voraussetzungen für die Ersatzfähigkeit
Ursächlichkeit (Kausalität)
Voraussetzung für die Zuerkennung von Ersatz für entgangenen Gewinn ist, dass das schädigende Ereignis kausal dafür war, dass der erwartete Gewinn nicht erzielt wurde. Es muss ein adäquater Zusammenhang zwischen dem Schadensereignis und dem entgangenen Gewinn bestehen.
Realisierbarkeit des Gewinns
Es genügt nicht, dass der Geschädigte abstrakt die Möglichkeit eines Gewinns behauptet. Es muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass der Gewinn ohne das schädigende Ereignis tatsächlich erzielt worden wäre. Das Gesetz spricht von „gewöhnlichen Umständen“, die einen Gewinn erwarten lassen.
Beweislast
Der Anspruchsteller trägt die Beweislast dafür, dass ihm ein Gewinn entgangen ist und dass dieser bei ordnungsgemäßem Verlauf auch tatsächlich realisiert worden wäre. Das Gericht unterliegt bei der Schätzung der Höhe des entgangenen Gewinns gemäß § 287 ZPO (freie Beweiswürdigung) einer gewissen Flexibilität, was die Glaubhaftmachung erleichtert.
Anspruchsgrundlagen
Vertragliche Haftung
Bei der Verletzung von vertraglichen Pflichten kann die geschädigte Partei gemäß §§ 280, 281 BGB Schadensersatz verlangen, wozu regelmäßig auch entgangener Gewinn zählt.
Deliktische Haftung
Auch im Deliktsrecht (unerlaubte Handlungen, §§ 823 ff. BGB) können Schäden in Form von entgangenem Gewinn eingefordert werden.
Weitere Anspruchsgrundlagen
Weitere Anspruchsgrundlagen ergeben sich beispielsweise aus dem Wettbewerbsrecht (z. B. bei Verstößen gegen §§ 3, 9 UWG).
Berechnung des entgangenen Gewinns
Methode der Schadensschätzung
Da es naturgemäß unmöglich ist, exakt zu bestimmen, wie sich ein Geschehen ohne das schädigende Ereignis entwickelt hätte, erfolgt die Berechnung regelmäßig durch Schätzung nach § 287 ZPO. Mögliche Schätzgrundlagen sind:
- Bisherige Geschäftsabschlüsse und Umsätze
- Vergleich zu Vorjahresumsätzen
- Branchenspezifische Gewinnmargen
- Prognosen und betriebswirtschaftliche Gutachten
Minderungsgrundsatz und Vorteilsanrechnung
Bei der Berechnung sind Vorteile, die durch das negative Ereignis entstanden sind, gegenzurechnen. Dies folgt aus dem Grundsatz der Vorteilsausgleichung im Schadensrecht.
Besonderheiten und typische Anwendungsbereiche
Unternehmensschäden
Insbesondere Unternehmen machen häufig Ansprüche auf entgangenen Gewinn geltend, etwa bei Produktionsausfällen, Lieferverzug oder der Beschädigung von Betriebsmitteln.
Schadensersatzansprüche bei Vertragsverletzungen
Beispielhaft kann eine Partei bei Nichteinhaltung eines exklusiven Liefervertrags den entgangenen Gewinn einfordern, der aus nicht realisierten Weiterverkäufen resultiert.
Wettbewerbsrechtliche Konstellationen
Im Fall von Marktverdrängung durch unlauteren Wettbewerb kann ebenfalls ein Anspruch auf Ersatz des nicht erzielten Gewinns bestehen.
Rechtsprechung und Praxis
Anforderungen an den Nachweis
Die Rechtsprechung stellt keine überhöhten Anforderungen an die Darlegung: Der Anspruchsteller muss eine schlüssige Sachverhaltsschilderung und stichhaltige Anhaltspunkte für die gewinnbringende Entwicklung im Normalfall liefern.
Schätzung durch das Gericht
Die Gerichte haben einen weiten Ermessensspielraum bei der Schadensschätzung und können unter Zuhilfenahme aller Umstände eine angemessene bezifferte Summe ansetzen.
Fazit
Der Begriff des entgangenen Gewinns ist im deutschen Zivilrecht ein vielschichtiger und praxisrelevanter Schadensposten. Seine Geltendmachung erfordert die Darlegung eines hinreichend wahrscheinlichen Gewinns, der unter gewöhnlichen Umständen erzielt worden wäre, sowie der Ursächlichkeit des schädigenden Ereignisses. Die Berechnung erfolgt in der Regel durch Schätzung, wobei die Beweisanforderungen nicht überspannt werden dürfen. Zahlreiche gesetzliche Anspruchsgrundlagen und Anwendungsbereiche, vor allem im Vertrags- und Deliktsrecht, sichern dem entgangenen Gewinn eine zentrale Bedeutung im Schadensersatzrecht zu.
Häufig gestellte Fragen
Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, um einen Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns geltend zu machen?
Ein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns setzt zunächst das Vorliegen einer Rechtsverletzung voraus, etwa in Form einer Vertragsverletzung oder unerlaubten Handlung (§§ 249 ff. BGB für das deutsche Recht). Darüber hinaus muss kausal durch diese Handlung ein finanzieller Schaden eintreten, der konkret darin besteht, dass der Geschädigte einen Gewinn nicht erzielen konnte, den er ohne das schädigende Ereignis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwirtschaftet hätte. Es ist erforderlich, dass der entgangene Gewinn konkret und nachvollziehbar dargelegt werden kann; bloße Spekulationen reichen hierfür nicht aus. Die Darlegungslast liegt beim Geschädigten, der auch die Höhe des entgangenen Gewinns substantiiert darlegen und gegebenenfalls beweisen muss. Zudem darf der Gewinn tatsächlich nicht erzielt worden sein und es darf keine Obliegenheitsverletzung des Geschädigten vorliegen, insbesondere muss dieser mögliche Schadensminderungsmaßnahmen ergriffen haben.
Wie wird der entgangene Gewinn rechtlich exakt berechnet?
Die Berechnung des entgangenen Gewinns erfolgt nach dem sogenannten Differenzschadenprinzip. Rechtsgrundlage ist § 252 BGB, wonach auch der entgangene Gewinn zu ersetzen ist. Es wird ermittelt, wie sich die Vermögenslage des Geschädigten entwickelt hätte, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Relevant sind hierbei nicht nur die ausgefallenen Umsätze, sondern auch die abgezogenen ersparten Aufwendungen (z. B. Materialkosten, Personalkosten für nicht produzierte Waren). Der Geschädigte hat den hypothetischen Gewinn zu beziffern und dabei meist betriebswirtschaftliche Unterlagen, wie Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen oder Auftragsbücher vorzulegen. Im Zweifel darf das Gericht gemäß § 287 ZPO die Höhe des entgangenen Gewinns nach freier Überzeugung unter Würdigung aller Umstände schätzen.
Welche Beweislastverteilung gilt beim entgangenen Gewinn?
Die Beweislast für das Vorliegen eines Schadens und die Möglichkeit, einen Gewinn zu erzielen, trägt grundsätzlich der Geschädigte. Er muss darlegen und beweisen, dass und in welcher Höhe ihm ein Gewinn entgangen ist. Allerdings genügt es, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Gewinnentgang glaubhaft zu machen, absolute Gewissheit wird nicht verlangt (§ 252 Satz 2 BGB). Die genaue Höhe kann gemäß § 287 ZPO von den Gerichten geschätzt werden, wobei der Geschädigte alle relevanten Beweismittel (Verträge, Geschäftsunterlagen, Zeugenaussagen) beibringen muss. Dem Schädiger steht es offen, konkrete Anhaltspunkte, etwa außergewöhnliche Risiken im Geschäftsmodell oder mangelnde Auftragslage, einzuwenden.
Gibt es besondere branchenspezifische Besonderheiten bei der Geltendmachung des entgangenen Gewinns?
Ja, in bestimmten Branchen gelten besondere Anforderungen oder Gepflogenheiten bei der Berechnung und Darlegung des entgangenen Gewinns. Beispielsweise müssen Produktionsbetriebe detaillierte Auskunft über Produktionskapazitäten und Auslastungen erteilen, während im Dienstleistungssektor die konkrete Möglichkeit der Auftragsannahme nachzuweisen ist. Im Handelsbereich sind oft Rahmenlieferverträge, bestehende Geschäftsbeziehungen und Marktanalysen relevant. Im Baugewerbe wird regelmäßig auf Bauzeitenpläne, Nachunternehmerverträge und Preisentwicklungen Bezug genommen. Alle Nachweise müssen hinreichend belegen, dass der behauptete Gewinnentgang mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre.
Wie verhält sich der Ersatz entgangenen Gewinns zu Mitverschulden oder Schadensminderungspflicht?
Nach § 254 BGB ist bei der Bemessung des Schadensersatzes, einschließlich Ersatz des entgangenen Gewinns, jedes Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen. Das bedeutet, falls der Geschädigte durch eigenes Verhalten – wie verspätete Information des Schädigers oder unterlassene Maßnahmen zur Schadensbegrenzung – den Eintritt oder das Ausmaß des entgangenen Gewinns (mit-)verursacht hat, wird der zu ersetzende Schaden entsprechend gekürzt. Ebenso ist der Geschädigte verpflichtet, nach dem Grundsatz der Schadensminderungspflicht alles Zumutbare zu veranlassen, um den Schaden möglichst gering zu halten, zum Beispiel durch Ersatzbeschaffung, Ausweichaufträge oder anderweitige Nutzung freier Kapazitäten.
Welche Bedeutung haben Prognosen und Wahrscheinlichkeiten im Rahmen des entgangenen Gewinns?
Bei der Geltendmachung entgangenen Gewinns kommt es wesentlich auf Prognosen an, ob der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (§ 252 Satz 2 BGB). Absolute Sicherheit ist nicht erforderlich; vielmehr genügt eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Das Gericht darf zur Einschätzung der Wahrscheinlichkeit und zur Höhe des Gains betriebswirtschaftliche Gutachten, Branchenkennzahlen, betriebliche Vorjahreszahlen oder Marktanalysen heranziehen. Unsicherheiten, die selbst bei sorgfältigster Darstellung verbleiben, gehen jedoch nicht zu Lasten des Schädigers, sondern werden vom Gericht bei der Schätzung berücksichtigt.
Kann entgangener Gewinn steuerlich berücksichtigt werden?
Die steuerliche Behandlung des Ersatzes für entgangenen Gewinn ist so geregelt, dass die erhaltene Entschädigung als Einnahme im Sinne des Einkommensteuerrechts gilt. Sie ist steuerpflichtig und in der Steuererklärung anzugeben, weil sie an die Stelle eines originär steuerpflichtigen Umsatzes tritt. Umgekehrt können die durch den entgangenen Gewinn ersparten Aufwendungen nicht mehr als Betriebsausgaben geltend gemacht werden. Die steuerliche Erfassung hängt zudem davon ab, auf welche Steuerart sich der entgangene Gewinn bezieht (z. B. Einkommen-, Gewerbe- oder Umsatzsteuer).
Gibt es bei der Geltendmachung des entgangenen Gewinns Fristen zu beachten?
Auch für Ansprüche auf Ersatz des entgangenen Gewinns gelten die allgemeinen Verjährungsfristen des Schadensersatzrechts (§§ 195, 199 BGB). Das bedeutet, dass der Anspruch grundsätzlich innerhalb von drei Jahren ab dem Ende des Jahres, in dem der Geschädigte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen, geltend gemacht werden muss. In bestimmten Fällen (etwa aus einem Werkvertrag) können spezielle oder abweichende Verjährungsregelungen zur Anwendung kommen. Werden Fristen versäumt, ist der Ersatzanspruch endgültig ausgeschlossen.