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Entgangener Gewinn

Entgangener Gewinn: Begriff, Einordnung und Bedeutung

Entgangener Gewinn bezeichnet den Vermögensnachteil, der dadurch entsteht, dass eine erwartbare und hinreichend wahrscheinliche Gewinnerzielung ausbleibt. Ziel des Ausgleichs ist es, die benachteiligte Partei so zu stellen, wie sie stünde, wenn das schadensauslösende Ereignis nicht eingetreten wäre. Anders als ein reiner Umsatzverlust erfasst entgangener Gewinn nur den Betrag, der nach Abzug der ersparten, mit der verhinderten Leistung verbundenen Kosten als Überschuss verblieben wäre.

Abgrenzung zu anderen Vermögenseinbußen

Umsatz ist nicht gleich Gewinn: Beim entgangenen Gewinn werden ersparte variable Aufwendungen, die infolge des Schadensereignisses nicht anfielen (etwa Material, Transport, fremde Leistungen), abgezogen. Fixkosten werden je nach Einzelfall berücksichtigt, soweit sie unabhängig vom schädigenden Ereignis weiter angefallen wären. Nicht umfasst sind immaterielle Beeinträchtigungen; diese folgen eigenen Regeln.

Voraussetzungen der Ersatzfähigkeit

Damit entgangener Gewinn ersetzt werden kann, müssen bestimmte allgemeine Voraussetzungen erfüllt sein. Diese ergeben sich aus den Grundsätzen zum Ausgleich von Vermögensschäden.

Pflichtverletzung oder sonstiger Zurechnungsgrund

Es bedarf eines zurechenbaren Auslösers, etwa einer Vertragsstörung, einer rechtswidrigen Beeinträchtigung oder eines anderen, rechtlich relevanten Eingriffs in geschützte Vermögensinteressen.

Kausalität und Zurechenbarkeit

Zwischen Ereignis und Gewinnentgang muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen, der auch normativ zugerechnet werden kann. Der Ausfall der Gewinnchance muss adäquat auf das Ereignis zurückzuführen sein.

Vorhersehbarkeit und Wahrscheinlichkeit

Der Gewinn muss im Zeitpunkt des schadensauslösenden Ereignisses als typische und vorhersehbare Folge erscheinen. Er darf nicht lediglich spekulativ sein, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erzielbar gewesen sein.

Anrechnung ersparter Aufwendungen und Vorteilsausgleich

Ersparte Kosten sind abzuziehen. Zudem sind Vorteile zu berücksichtigen, die infolge des Ereignisses eingetreten sind und in einem inneren Zusammenhang mit dem Schaden stehen (Vorteilsausgleich).

Mitverantwortung und Schadensminderung

Ein eigenes Mitverschulden kann die Ersatzhöhe mindern. Ebenso ist der ersatzfähige Gewinn auf das Maß beschränkt, das auch unter Berücksichtigung zumutbarer Schadensminderungsmaßnahmen angefallen wäre.

Darlegung und Beweis

Die betroffene Partei muss den Eintritt und die Höhe des entgangenen Gewinns schlüssig darlegen und beweisen. Absolute Gewissheit ist nicht erforderlich; es genügt eine auf belastbaren Tatsachen beruhende, überwiegende Wahrscheinlichkeit.

Erforderlicher Substantiierungsgrad

Die Darstellung muss erkennen lassen, wie der Gewinn unter gewöhnlichem Lauf der Dinge entstanden wäre. Dazu gehören nachvollziehbare Angaben zu Auftragslage, Kapazitäten, Marktverhältnissen, Preisen, Deckungsbeiträgen und Kostenstruktur.

Typische Beweismittel

Üblich sind betriebswirtschaftliche Auswertungen, Jahres- und Monatszahlen, Auftragsbücher, Vergleichszeiträume, Warenkörbe, Prognosen, Branchendaten, Korrespondenzen zu konkreten Geschäften sowie Auswertungen von Deckungsbeiträgen.

Schätzungsbefugnis des Gerichts

Wenn die exakte Höhe nicht feststellbar ist, kann das Gericht den Gewinn schätzen. Grundlage müssen objektive Anhaltspunkte sein; bloße Vermutungen genügen nicht.

Berechnungsmethoden

Die Berechnung orientiert sich an der Frage, welcher Überschuss ohne das Ereignis erzielt worden wäre. Je nach Konstellation kommen unterschiedliche Ansätze in Betracht.

Konkrete Vergleichsrechnung

Vergleich der tatsächlichen Entwicklung mit der hypothetischen Entwicklung ohne Störung. Ausgangsbasis sind z. B. konkrete, entgangene Geschäfte oder belastbar erwartbare Vertragsabschlüsse.

Vergleich mit Referenzzeiträumen (Before-and-After)

Heranziehung früherer, vergleichbarer Zeiträume des eigenen Betriebs als Maßstab, bereinigt um Markt- und Saisoneffekte.

Branchen- oder Yardstick-Vergleich

Abgleich mit vergleichbaren Unternehmen oder Branchendurchschnitten, wenn unternehmensinterne Vergleichsdaten fehlen oder verzerrt sind.

Abzug ersparter Aufwendungen

Von der hypothetischen Erlösseite sind variabel verursachte Kosten abzuziehen. Fixkosten werden nur insoweit abgezogen, als sie gerade wegen der Störung nicht anfielen.

Typische Fallkonstellationen

Vertragsstörungen im Leistungsverkehr

Lieferverzug, -ausfall oder mangelhafte Leistung können dazu führen, dass Anschlussgeschäfte scheitern oder Produktionskapazitäten ausfallen. Erfasst wird der entfallene Gewinn aus den dadurch verhinderten Verkäufen oder Leistungen.

Wettbewerbs- und Schutzrechtsverletzungen

Unerlaubte Nachahmungen, Kennzeichen- oder Urheberrechtsverletzungen sowie unlautere Abwerbung können zu entgangenen Verkäufen führen. Ersatzfähig ist der Gewinn, der ohne die Beeinträchtigung typischerweise realisiert worden wäre.

Betriebsunterbrechungen

Beschädigungen an Betriebsmitteln oder Infrastruktur können die Leistungserbringung hindern. Erfasst werden die während der Unterbrechung nicht erzielten Deckungsbeiträge.

Dienstleistungen und freie Berufe

Bei projektbezogenen Honoraren und Kapazitätsauslastung lässt sich entgangener Gewinn aus dem verhinderten Honorarüberschuss ableiten, sofern die Auslastung und Preisgestaltung hinreichend gesichert waren.

Grenzen der Ersatzfähigkeit

Spekulationsverbot

Reine Chancen ohne belastbare Grundlage sind nicht ersatzfähig. Es bedarf konkreter Anhaltspunkte, die eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gewinnanfalls tragen.

Vorhersehbarkeit und Adäquanz

Nur solche Gewinnentgänge sind ersatzfähig, die als typische und vorhersehbare Folge des Ereignisses gelten. Außergewöhnliche Kettenverläufe ohne ausreichende Nähe bleiben außer Betracht.

Vorteilsausgleich und Ersatzgeschäfte

Erlöse aus zumutbaren Ersatzgeschäften oder anderweitigen Dispositionen mindern den ersatzfähigen Gewinn.

Besonderheiten in verschiedenen Rechtsverhältnissen

Kauf- und Werkverträge

Entgangener Gewinn kann sich aus verhinderten Weiterverkäufen, Produktionsstillständen oder dem Verlust von Folgeaufträgen ergeben. Die Berechnung orientiert sich an typischen Margen und kalkulierten Deckungsbeiträgen.

Dienstleistungs- und Arbeitsverhältnisse

Bei abhängigen Beschäftigungsverhältnissen steht regelmäßig der Verdienstausfall im Vordergrund; dieser ist nicht gleichzusetzen mit Gewinn. Bei selbständig Tätigen wird auf den entgangenen Überschuss abgestellt.

Gesellschaftsrechtliche Konstellationen

Störungen innerhalb von Unternehmensverbünden oder zwischen Gesellschaftern können entgangene Gewinne einzelner Gesellschaften oder der Gruppe betreffen. Eine getrennte Betrachtung der betroffenen Einheit und Konzernverflechtungen ist üblich.

Öffentliche Beschaffung und Konzessionen

Bei vergaberechtlich relevanten Konstellationen kann entgangener Gewinn in Betracht kommen, wenn die Zuschlagschance in rechtlich relevanter Weise vereitelt wurde und der Auftrag mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erteilt worden wäre.

Verhältnis zu anderen Schadensarten

Konkreter vs. abstrakter Schaden

Der entgangene Gewinn ist regelmäßig konkret zu berechnen. In Fällen mit standardisierbaren Durchschnittsmargen können abstrakte Elemente einfließen, wenn die Tatsachengrundlage hinreichend belastbar ist.

Deckungsbeitrag, Fixkosten und Opportunitätskosten

Im Zentrum steht der Deckungsbeitrag der verhinderten Geschäfte. Fixkosten sind zu behandeln, wie sie hypothetisch angefallen wären. Opportunitätskosten können eine Rolle spielen, wenn Kapazitäten gebunden oder alternative, gewinnträchtige Einsätze verhindert wurden.

Prozessuale Aspekte und Fristen

Die betroffene Partei trägt die Darlegungs- und Beweislast für Grundlage und Höhe des Gewinnentgangs. Gerichte können bei verbleibenden Unsicherheiten schätzen, benötigen dafür jedoch verlässliche Anknüpfungstatsachen. Für die Durchsetzung gelten gesetzliche Fristen; sie knüpfen typischerweise an die Entstehung des Anspruchs und die Kenntnis der maßgeblichen Umstände an und sehen regelmäßige sowie absolute Höchstfristen vor.

Internationaler Kontext

Im internationalen Vergleich finden sich ähnliche Grundgedanken: Ersatz des Erwartungsinteresses, Begrenzung durch Vorhersehbarkeit, Ausschluss reiner Spekulation und Anrechnung ersparter Aufwendungen. Unterschiede bestehen bei Beweismaß, Berechnungsmethoden und Reichweite der Zurechnung. In grenzüberschreitenden Fällen richtet sich die Beurteilung nach dem anwendbaren Recht, das anhand allgemeiner Kollisionsregeln bestimmt wird.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum entgangenen Gewinn

Was bedeutet entgangener Gewinn im rechtlichen Sinn?

Entgangener Gewinn ist der Überschuss, der ohne das schadensauslösende Ereignis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erzielt worden wäre. Er ergibt sich aus den verhinderten Erlösen abzüglich der Kosten, die für deren Erzielung angefallen wären.

Welche Voraussetzungen müssen für einen Anspruch auf entgangenen Gewinn vorliegen?

Erforderlich sind ein zurechenbares auslösendes Ereignis, Kausalität zwischen Ereignis und Gewinnentgang, Vorhersehbarkeit der Gewinnchance, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Gewinnanfalls sowie die Anrechnung ersparter Aufwendungen und etwaiger Vorteile.

Wie wird entgangener Gewinn berechnet?

Üblich ist eine konkrete Vergleichsrechnung zwischen tatsächlicher und hypothetischer Entwicklung unter Berücksichtigung von Preisen, Mengen, Margen, Kapazitäten und Marktbedingungen, jeweils nach Abzug ersparter variabler Kosten.

Welche Beweismittel sind geeignet, um entgangenen Gewinn darzulegen?

Geeignet sind betriebswirtschaftliche Auswertungen, Auftrags- und Kundenhistorien, Markt- und Branchendaten, Korrespondenzen zu konkreten Geschäften, Kalkulationen der Deckungsbeiträge sowie Vergleichszahlen aus Referenzzeiträumen.

Gibt es Grenzen der Ersatzfähigkeit von entgangenem Gewinn?

Grenzen ergeben sich aus Vorhersehbarkeit, Adäquanz und dem Verbot reiner Spekulation. Mitverantwortung und unterlassene Schadensminderung können den Anspruch mindern. Vorteile und Ersatzgeschäfte sind anzurechnen.

Worin liegt der Unterschied zwischen entgangenem Gewinn und Umsatzverlust?

Umsatzverlust erfasst die entgangenen Erlöse, während entgangener Gewinn nur den verbleibenden Überschuss nach Abzug der mit dem Geschäft verbundenen Kosten umfasst.

Wie gehen Gerichte mit Unsicherheiten bei der Berechnung um?

Bei verbleibenden Unklarheiten kann eine gerichtliche Schätzung erfolgen. Grundlage sind nachvollziehbare, objektive Anhaltspunkte; bloße Annahmen ohne Tatsachenbasis genügen nicht.

Kann auch ein neu gegründetes Unternehmen entgangenen Gewinn verlangen?

Grundsätzlich ist dies möglich, wenn belastbare Indikatoren für die Gewinnwahrscheinlichkeit vorliegen, etwa gesicherte Aufträge, belastbare Marktanalysen oder vergleichbare Referenzdaten. Reine Hoffnung auf künftige Erträge reicht nicht aus.