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Elterliche Gewalt


Begriff und Definition der Elterlichen Gewalt

Elterliche Gewalt ist ein zentraler Begriff im Familienrecht, der die umfassende rechtliche Stellung und die mit ihr verbundenen Rechte und Pflichten der Eltern gegenüber ihrem minderjährigen Kind beschreibt. Traditionell bezeichnete die elterliche Gewalt die umfassende Befugnis der Eltern, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen und dieses in wichtigen Lebensbereichen zu vertreten. In der modernen Rechtsordnung wurde der Begriff vielfach durch den Ausdruck „elterliche Sorge“ abgelöst. In bestimmten Rechtssystemen und im historischen Kontext wird allerdings weiterhin der ursprüngliche Terminus benutzt.


Historische Entwicklung der Elterlichen Gewalt

Begriffsgeschichte

Ursprünglich verwies elterliche Gewalt (lateinisch: „patria potestas“) auf eine nahezu uneingeschränkte, patriarchalisch verstandene Befugnis, die vor allem dem Vater zustand. Ab dem 19. Jahrhundert wurde diese rechtliche Stellung zunächst durch rechtliche Einschränkungen und eine stärkere Betonung der Sorgepflichten und -rechte beider Elternteile ersetzt.

Wandel im 20. Jahrhundert

Im Zuge zahlreicher Familienrechtsreformen, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde der Begriff weitgehend durch die Bezeichnung „elterliche Sorge“ ersetzt, um die Fürsorge- und Schutzfunktion gegenüber dem Kind stärker hervorzuheben und elterliches Handeln an das Kindeswohl zu binden.


Rechtliche Grundlagen der Elterlichen Gewalt

Gesetzlicher Rahmen in Deutschland

Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wird heute überwiegend der Begriff der „elterlichen Sorge“ (§§ 1626 ff. BGB) verwendet. Die elterliche Gewalt umfasste jedoch nach früherer Rechtslage sowohl die Personen- als auch die Vermögenssorge sowie das Vertretungsrecht für das Kind. Im internationalen Rechtsvergleich finden sich verwandte Regelungen beispielsweise im österreichischen und im schweizerischen Recht.

Gegenstand der elterlichen Gewalt

Die elterliche Gewalt erstreckt sich grundlegend auf folgende Bereiche:

  • Personensorge: Umfasst die Sorge für das körperliche und geistige Wohl sowie die Erziehung und Pflege des Kindes.
  • Vermögenssorge: Beinhaltet die Verwaltung und den Schutz des Vermögens des Kindes.
  • Vertretungsrecht: Ermöglicht Eltern, das Kind bei der Ausübung seiner Rechte rechtlich zu vertreten.

Dauer und Grenzen der elterlichen Gewalt

Elterliche Gewalt besteht grundsätzlich bis zur Volljährigkeit des Kindes. Allerdings unterliegt sie umfassenden gesetzlichen Schranken, die insbesondere das Kindeswohl als Maßstab und Grenze allen elterlichen Handelns festlegen. Eine Entziehung oder Einschränkung ist durch gerichtliche Entscheidung bei Gefahren für das Kindeswohl möglich.


Inhalt und Ausübung der Elterlichen Gewalt

Umfang der Rechte und Pflichten

Elterliche Gewalt verpflichtet die Eltern, für das Kind zu sorgen und dessen Interessen zu schützen. Zugleich berechtigt sie, Entscheidungen für das Kind zu treffen, soweit diese dem Wohl des Kindes dienen.

Sorgerechtsarten

Unter dem historischeren Begriff der elterlichen Gewalt lassen sich, analog zu den heutigen sorgerechtlichen Begriffen, folgende Teilbereiche differenzieren:

  • Alleinige elterliche Gewalt: Wird einem Elternteil übertragen, wenn die gemeinsame Ausübung dem Wohl des Kindes widerspricht.
  • Gemeinsame elterliche Gewalt: Standardfall bei verheirateten oder um das Kind gemeinsam sorgenden Eltern.

Mitwirkung Dritter und staatliche Kontrolle

Die Ausübung der elterlichen Gewalt steht unter laufender Kontrolle der Gerichte und Jugendbehörden, insbesondere bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung. Staatliche Eingriffe sind zulässig, wenn die Kindesinteressen beeinträchtigt werden.


Internationale Perspektiven und Besonderheiten

Elterliche Gewalt im internationalen Recht

Der Begriff und die Ausgestaltung der elterlichen Gewalt finden sich in verschiedenen Rechtssystemen unterschiedlich geregelt. Das internationale Privatrecht, beispielsweise das Haager Kinderschutzübereinkommen, sieht Regelungen vor, die bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Anwendung finden und den Schutz und die elterliche Verantwortung regeln.

Regelung in Österreich und der Schweiz

In Österreich spricht das Gesetz von der „Obsorge“, in der Schweiz von der „elterlichen Sorge“. Beide Begriffe entsprechen inhaltlich dem, was historisch unter elterlicher Gewalt zu verstehen ist. Auch hier steht das Kindeswohl im Zentrum der gesetzlichen Regelungen.


Einschränkung und Entziehung der Elterlichen Gewalt

Gründe für eine Einschränkung oder Entziehung

Eine Entziehung oder Einschränkung elterlicher Gewalt ist zwingend, wenn das Wohl des Kindes dauerhaft gefährdet ist und die Eltern nicht zur Abhilfe bereit oder in der Lage sind. Typische Gründe umfassen Vernachlässigung, Misshandlung oder grobe Pflichtverletzungen.

Verfahren zur Entziehung

Die Entziehung oder Einschränkung der elterlichen Gewalt erfolgt durch gerichtliche Entscheidung. Zentrale Verfahrensgrundsätze sind die Anhörung aller Beteiligten sowie die Berücksichtigung des Alters und der Reife des Kindes.


Beendigung der elterlichen Gewalt

Die elterliche Gewalt endet grundsätzlich mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Kindes. Sie kann ferner durch gerichtliche Entscheidung bei gravierenden Pflichtverletzungen oder bei Tod eines Elternteils enden oder sich ändern.


Literatur und Quellenangaben

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 1626 ff.
  • FamFG – Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
  • Haager Kinderschutzübereinkommen
  • Bundeszentrale für politische Bildung: Familienrecht (2023)
  • C. H. Beck: Münchener Kommentar zum BGB, Familienrecht

Dieser Artikel beschäftigt sich umfassend mit dem Begriff „elterliche Gewalt“ im rechtlichen Kontext, erläutert dessen Entwicklung, Inhalt, Umfang und Grenzen, zeigt Unterschiede im internationalen Vergleich auf und gibt einen Überblick über die maßgeblichen rechtlichen Grundlagen und Verfahren.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Schritte können gegen elterliche Gewalt unternommen werden?

Betroffene von elterlicher Gewalt – also von jeglicher Form körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt durch Eltern oder Erziehungsberechtigte – haben in Deutschland verschiedene rechtliche Optionen, um sich zu schützen. Zunächst können die Betroffenen oder außenstehende Personen wie Verwandte, Nachbarn, Lehrkräfte oder Ärzt:innen das Jugendamt informieren. Das Jugendamt hat dann die Pflicht, den Sachverhalt zu prüfen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz des Kindes einzuleiten, zum Beispiel die Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII). Zusätzlich kann bei akuter Gefahr das Familiengericht mit einem Antrag gemäß § 1666 BGB (Gefährdung des Kindeswohls) angerufen werden, um Maßnahmen wie das Kontakt- oder Wohnungsverbot gegen die gewaltanwendenden Elternteile zu erwirken. Bei schweren körperlichen Übergriffen greift zudem das Strafrecht: Körperverletzung, Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) oder andere einschlägige Tatbestände können zur Anzeige gebracht werden. In solchen Fällen kann die Polizei eingeschaltet werden, die nicht nur beim unmittelbaren Schutz hilft, sondern auch Ermittlungen einleitet. In extremen Fällen kann ein vollständiges Aufenthaltsbestimmungsrecht auf das Jugendamt oder auf andere Sorgeberechtigte übertragen werden.

Welche Rechte haben Kinder im Rahmen von Familiengerichtsverfahren bei elterlicher Gewalt?

Kinder haben im Rahmen familiengerichtlicher Verfahren umfassende Anhörungsrechte (§ 159 FamFG). Die Gerichte sind verpflichtet, das betroffene Kind – abhängig von seinem Alter und seiner persönlichen Einsichtsfähigkeit – persönlich anzuhören und dessen Meinung, Wohl und Interessen angemessen zu berücksichtigen. Oftmals wird ein Verfahrensbeistand („Anwalt des Kindes“) bestellt, der ausschließlich die Interessen des Kindes im Verfahren vertritt (§ 158 FamFG). Darüber hinaus kann das Gericht im Sinne des Kindeswohls einstweilige Anordnungen treffen (etwa Wohnungszuweisung, Kontaktbeschränkungen), um das Kind unmittelbar vor weiterer Gewalt zu schützen.

Was sind die strafrechtlichen Folgen für Eltern, die Gewalt ausüben?

Eltern, die gegenüber ihren Kindern Gewalt anwenden, müssen mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Die wichtigsten Straftatbestände sind Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB), Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) sowie ggf. Nötigung oder Freiheitsberaubung (§§ 240, 239 StGB). Auch psychische Gewalt kann unter Umständen den Straftatbestand der Misshandlung erfüllen. Werden Eltern in einem Strafverfahren verurteilt, kann dies Auswirkungen auf das Sorgerecht haben. In gravierenden Fällen kann ihnen das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen werden (§ 1666 BGB).

Wann gilt das Sorgerecht als eingeschränkt oder entzogen?

Das Familiengericht kann das Sorgerecht einschränken oder entziehen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch elterliche Gewalt gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, diese Gefahr abzuwenden (§ 1666 BGB). Die Entziehung kann sich auf Teilbereiche (Personensorge oder Vermögenssorge) beschränken oder das ganze Sorgerecht betreffen. Darüber hinaus kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind auf das Jugendamt oder einen Vormund übertragen werden, um den Schutz des Kindes sicherzustellen.

Welche Beweislast besteht bei Verdacht auf elterliche Gewalt?

Im familienrechtlichen Verfahren gilt grundsätzlich der Amtsermittlungsgrundsatz, das heißt, das Gericht ist verpflichtet, von sich aus alle erforderlichen Ermittlungen zu tätigen, wenn Anhaltspunkte für elterliche Gewalt vorliegen. Entsprechend müssen Betroffene oder Dritte zwar nicht den vollen Beweis erbringen, jedoch sollten möglichst konkrete Tatsachen und Umstände (z. B. ärztliche Befunde, Zeugenaussagen, Berichte von Jugendamt oder Schule) vorgelegt werden. Im Strafverfahren gilt die Unschuldsvermutung. Hier müssen die Tatsachen, die die Gewalt belegen, mit ausreichender Sicherheit bewiesen werden.

Welche Schutzmaßnahmen können kurzfristig angeordnet werden?

Bei akuter Gefahr für das Kind kann das Familiengericht im Wege der einstweiligen Anordnung sofortige Schutzmaßnahmen treffen. Dazu gehören zum Beispiel Kontaktverbote, die Zuweisung der Wohnung an das Kind und den nicht gewalttätigen Elternteil oder die Inobhutnahme durch das Jugendamt. Auch das Polizeigesetz der Länder ermöglicht in dringenden Fällen polizeiliches Einschreiten (z. B. Platzverweis für den gewaltausübenden Elternteil).

Wie wirken sich laufende Strafverfahren auf das Sorge- und Umgangsrecht aus?

Ein laufendes Strafverfahren wegen elterlicher Gewalt kann das Familiengericht veranlassen, das Sorgerecht ruhen zu lassen oder den Umgang zu beschränken beziehungsweise auszuschließen, um das Kind zu schützen. Das Sorgerecht kann insbesondere ruhen, wenn gegen die Eltern Untersuchungshaft angeordnet wurde oder ein strafrechtliches Kontakt- oder Näherungsverbot besteht. Auch nach Abschluss eines Strafverfahrens kann eine strafrechtliche Verurteilung Indizwirkung für zukünftige familiengerichtliche Entscheidungen hinsichtlich Sorgerecht und Umgang entfalten.