Elektronische Aktenführung
Die elektronische Aktenführung beschreibt die strukturierte und rechtssichere Verwaltung, Bearbeitung und Archivierung von Informationen und Dokumenten in digitaler Form innerhalb öffentlicher Verwaltungen, Gerichten sowie privatrechtlicher Organisationen. Sie umfasst sämtliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit der elektronischen Aufbereitung, Speicherung, Verwaltung und gesetzlichen Nachweissicherung relevanter Unterlagen als digitale Akten.
Begriff und Abgrenzung
Die elektronische Aktenführung grenzt sich von der herkömmlichen papierbasierten Aktenführung durch die ausschließliche oder überwiegende Verwendung elektronischer Datenformate und Datenbanksysteme ab. Sie bildet das technische und organisatorische Fundament der Verwaltungsmodernisierung und ist Kernbestandteil von E-Government-Strukturen.
Elektronische Akten (E-Akten) sind rechtlich anerkannte Äquivalente zur klassischen Papierakte, sofern deren Unveränderlichkeit, Vollständigkeit und Authentizität sichergestellt ist.
Rechtliche Grundlagen der elektronischen Aktenführung
Nationale Rechtsquellen
Die wesentlichen rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben sich aus verschiedenen Gesetzen und Vorschriften:
- Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
- Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung (E-Government-Gesetz, EGovG)
- Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs
- Landesspezifische Umsetzungsvorschriften
- Handelsgesetzbuch (HGB) und Abgabenordnung (AO) (bei wirtschaftlicher Aktenführung)
- Datenschutzrecht (insb. DSGVO und BDSG)
Verwaltungsverfahrensgesetz (§§ 29 ff. VwVfG)
§ 29 VwVfG regelt das Akteneinsichtsrecht und erlaubt ausdrücklich die Führung einer elektronischen Akte, soweit die Möglichkeit der Akteneinsicht technisch gesichert ist. Ebenso führen diverse landesrechtliche Vorschriften zu einer zunehmenden Verpflichtung, Aktenverwaltung digital zu organisieren.
E-Government-Gesetz (EGovG)
Das EGovG normiert in § 6 die elektronische Aktenführung in Behörden und verpflichtet öffentliche Stellen, Akten zukünftig grundsätzlich elektronisch zu führen, soweit technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar. Die elektronische Akte muss dabei dieselbe Beweiskraft und Rechtsverbindlichkeit wie Papierdokumente bieten.
Elektronischer Rechtsverkehr und Justiz
Im Bereich der Justiz ist die elektronische Aktenführung fest im Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und in der elektronischen Gerichtsakte verankert. Insbesondere § 298a Zivilprozessordnung (ZPO) und die jeweiligen Landesjustizgesetze enthalten spezielle Vorgaben für die rechtssichere Handhabung und Archivierung gerichtlicher E-Akten.
Anforderungen und Normen zur Beweis- und Rechtssicherheit
Integrität, Authentizität und Verfügbarkeit
Die digitale Aktenführung unterliegt hohen Anforderungen hinsichtlich der Integrität (Unveränderbarkeit und Vollständigkeit der Daten), der Authentizität (Eindeutigkeit der Ursprungsermittlung) sowie der dauerhaften Verfügbarkeit der Daten. Diese Grundsätze werden durch technische und organisatorische Maßnahmen erfüllt, darunter:
- Elektronische Signaturen
- Zeitstempel
- Protokollierungs- und Versionskontrollsysteme
- Zugriffs- und Berechtigungskonzepte
Eine rechtskonforme E-Akte muss sämtliche Veränderungen protokollieren und nachvollziehbar dokumentieren.
Datenschutz und Informationssicherheit
Alle Vorgänge der elektronischen Aktenführung müssen die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) sowie branchenspezifischer Regelwerke erfüllen. Insbesondere sind die Prinzipien der Datenminimierung, Zweckbindung, Speicherbegrenzung und IT-Sicherheit zwingend zu beachten.
Archivierungspflichten und Aufbewahrungsfristen
Die Aufbewahrungsfristen und die Anforderungen an die Löschung oder Archivierung digitaler Akten richten sich nach den einschlägigen Spezialgesetzen, insbesondere HGB, AO, Landesarchivgesetzen und Spezialgesetzen wie dem Sozialgesetzbuch. Die rechtswirksame Aufbewahrung umfasst zwingend:
- Prüfbarkeit der Echtheit (z. B. mittels qualifizierter elektronischer Signatur)
- Nachprüfbarkeit von Datenänderungen
- Langzeitarchivierungsstrategien (Formaterhaltung, Migration, technische Lesbarmachung)
Elektronische Aktenführung in Gerichten und Verwaltung
Öffentliche Verwaltung
Öffentliche Stellen sind verpflichtet, zunehmend auf elektronische Aktenführung umzustellen. Das EGovG sieht absehbar die vollständige Digitalisierung der Verwaltung vor. Technisch erfolgt die Umsetzung häufig auf Basis von Dokumentenmanagementsystemen, die den gesetzlichen Anforderungen genügen müssen.
Elektronische Gerichtsakte (EGA)
Die elektronische Gerichtsakte etabliert das digitale Pendant zur klassischen Prozessakte. Sie ist im Prozessrecht, etwa in der Zivilprozessordnung und Strafprozessordnung, normiert und regelt die Verwaltungs- und Archivierungsabläufe innerhalb der Justiz.
Herausforderungen und praktische Umsetzung
Technische Implementierung
Die technische Einführung der elektronischen Aktenführung ist mit der Auswahl und dem Betrieb komplexer IT-Lösungen verbunden. Zu den Herausforderungen zählen Interoperabilität, Migration von Altdatenbeständen sowie die dauerhafte Gewährleistung von Zugriffssicherheit und Datenschutz.
Organisationsrechtliche Maßnahmen
Zur Umsetzung in Behörden und Organisationen bedarf es spezifischer organisatorischer Regelungen, darunter die Festlegung von Zuständigkeiten, Rollenkonzepten für den Datenzugriff und Schulungen der Mitarbeitenden.
Rechtliche Risiken und Compliance
Die Nichteinhaltung rechtlicher Vorgaben bei der elektronischen Aktenführung kann schwerwiegende Folgen haben: Dazu zählen u. a. Beweiswertverlust, Rechtsnachteile im Verfahren oder Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen mit entsprechenden Sanktionen.
Zusammenfassung
Die elektronische Aktenführung ist ein zentraler Bestandteil moderner Verwaltungs- und Justizarbeitsprozesse. Sie unterliegt in Deutschland und der EU umfassenden gesetzlichen Rahmenbedingungen, die insbesondere auf Rechtssicherheit, Datenschutz, Beweiswert und sichere Archivierung abzielen. Die Einhaltung dieser Vorgaben ist zwingend für die Anerkennung digital geführter Akten als rechtsverbindliche Unterlagen.
Weiterführende Themen:
- Elektronischer Rechtsverkehr
- Datenschutz bei elektronischer Dokumentenverwaltung
- IT-Sicherheit in Behörden
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Anforderungen müssen bei der Aufbewahrung elektronischer Akten berücksichtigt werden?
Bei der Aufbewahrung elektronischer Akten sind insbesondere die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs (HGB), der Abgabenordnung (AO), sowie – je nach Branche und Einsatzgebiet – spezielle Regelungen, etwa des Sozialgesetzbuchs (SGB) oder des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG), zu beachten. Nach § 257 HGB und § 147 AO müssen elektronische Akten so aufbewahrt werden, dass sie während der gesamten Aufbewahrungsfrist unverlierbar, unveränderbar und jederzeit lesbar bleiben. Zur Sicherstellung der Unveränderbarkeit werden in der Praxis Technologien wie qualifizierte elektronische Signaturen, Zeitstempelmechanismen oder revisionssichere Archivsysteme eingesetzt. Darüber hinaus sind Lösch- und Vernichtungsfristen exakt entsprechend den gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Ein Zugriffsschutz muss gewährleisten, dass Unbefugte keinen Zugang zu den Akten erhalten und Zugriffe nachvollziehbar protokolliert werden. Schließlich sind – insbesondere im Kontext personenbezogener Daten – die Anforderungen der DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) hinsichtlich Integrität, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit zu wahren.
Sind elektronische Akten als Beweismittel vor Gericht zugelassen?
Elektronische Akten können grundsätzlich als Beweismittel vor Gericht verwendet werden. Nach § 371a Zivilprozessordnung (ZPO) sind elektronische Dokumente den schriftlichen Dokumenten gleichgestellt, sofern ihre Echtheit und Unverfälschtheit nachgewiesen werden kann. Voraussetzung ist, dass die elektronische Akte während ihrer Aufbewahrung nicht nachträglich verändert werden konnte (Revisionssicherheit) und ihr Ursprungszeitpunkt belegbar ist. Die Anerkennung der Beweiskraft setzt i.d.R. die Nutzung technischer Sicherungsmaßnahmen, wie elektronische Signaturen oder manipulationssichere Archivierungssysteme, voraus. Gerichte prüfen zudem, ob die Art der elektronischen Archivierung den gesetzlichen Vorgaben entspricht und die Datei während des gesamten Archivierungszeitraums ordnungsgemäß verwahrt wurde.
Welche Rolle spielt die GoBD bei der elektronischen Aktenführung?
Die „Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff“ (GoBD) legen verbindliche Vorgaben für die elektronische Aktenführung insbesondere im steuerrechtlichen Kontext fest. Sie schreiben vor, dass sämtliche steuerlich relevante elektronische Dokumente jederzeit verfügbar, unverzüglich lesbar und maschinell auswertbar sein müssen. Wesentliche GoBD-Anforderungen sind die Nachvollziehbarkeit, Nachprüfbarkeit, Unveränderbarkeit von Daten, sowie eine lückenlose Verfahrensdokumentation. Jede Änderung an den Daten muss protokolliert werden (Änderungsprotokollierung). Zudem muss sichergestellt sein, dass die einmal gespeicherten Informationen weder gelöscht noch unbefugt verändert werden können.
Unter welchen Voraussetzungen dürfen elektronische Akten vernichtet werden?
Die Vernichtung elektronisch geführter Akten ist zulässig, sobald die gesetzlich vorgeschriebenen Aufbewahrungsfristen abgelaufen sind. Die Fristen ergeben sich aus diversen Spezialgesetzen, wie etwa § 257 HGB bzw. § 147 AO. Vor der Vernichtung ist sicherzustellen, dass keine schutzwürdigen Interessen entgegenstehen, etwa laufende behördliche oder gerichtliche Verfahren. Die Vernichtung elektronischer Akten muss, analog zu Papierakten, revisionssicher, datenschutzkonform und lückenlos dokumentiert erfolgen. Dabei müssen technische Maßnahmen ergriffen werden, die eine Wiederherstellung der gelöschten Daten ausschließen und die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben (insbesondere Art. 17 DSGVO: Recht auf Vergessenwerden) sicherstellen.
Welche datenschutzrechtlichen Vorgaben sind bei der elektronischen Aktenführung einzuhalten?
Bei der elektronischen Aktenführung sind insbesondere die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) zu beachten. Es muss gewährleistet werden, dass personenbezogene Daten nur für den zulässigen Zweck verarbeitet werden und entsprechende technische sowie organisatorische Maßnahmen (TOMs) implementiert sind, um einen angemessenen Schutz der Daten zu gewährleisten. Die Aktenführung muss Transparenz-, Speicherbegrenzungs-, Integritäts- und Zweckbindungsgrundsätzen genügen. Zugriffsbeschränkungen, Verschlüsselung, Authentifizierung und Protokollierung sind ebenfalls unerlässlich. Darüber hinaus ist eine datenschutzrechtliche Dokumentation sowie ggf. eine Datenschutz-Folgenabschätzung erforderlich, insbesondere bei sensiblen Daten (z.B. Gesundheitsdaten i.S.d. Art. 9 DSGVO).
Müssen elektronische Akten regelmäßig auf ihre Lesbarkeit überprüft werden?
Ja, die regelmäßige Kontrolle der Lesbarkeit und Integrität elektronischer Akten ist rechtlich geboten. Nach den Vorgaben des HGB, der AO und der GoBD muss die Lesbarkeit elektronischer Dokumente über den gesamten Aufbewahrungszeitraum hinweg sichergestellt werden. Aufgrund technischer Entwicklungen, Formatänderungen oder Softwareupdates kann es erforderlich sein, Datenmigrationen durchzuführen, um die Lesbarkeit und Integrität der Akten zu erhalten. Alle Migrationen und Prüfmaßnahmen müssen dokumentiert werden, um einen Nachweis gegenüber Behörden oder im Streitfall führen zu können. Unternehmen sind verpflichtet, im Rahmen eines internen Kontrollsystems geeignete Maßnahmen zur regelmäßigen Überprüfung und Wartung ihrer digitalen Archive zu implementieren.
Welche Konsequenzen drohen bei Verstößen gegen rechtliche Vorgaben der elektronischen Aktenführung?
Verstöße gegen die rechtlichen Anforderungen der elektronischen Aktenführung können sowohl zivilrechtliche als auch straf- und bußgeldrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Fehlende oder nicht ordnungsgemäß geführte elektronische Akten können zur steuerlichen Hinzuschätzung, Verfahrensnachteilen bis hin zur Versagung der Beweiskraft in gerichtlichen Verfahren führen. Datenschutzverstöße, insbesondere im Kontext der DSGVO, können mit erheblichen Bußgeldern (bis zu 20 Millionen Euro oder 4 % des Jahresumsatzes) sowie Schadensersatzforderungen betroffener Personen geahndet werden. Darüber hinaus drohen bei Verstößen gegen handels- und steuerrechtliche Ordnungsvorschriften weitere Sanktionen, wie Ordnungsgelder oder gewerberechtliche Maßnahmen.