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Eisenbahnagentur der Europäischen Union


Eisenbahnagentur der Europäischen Union: Rechtliche Grundlagen und Aufgaben

Rechtlicher Status und Gründung der Eisenbahnagentur der Europäischen Union

Die Eisenbahnagentur der Europäischen Union (abgekürzt ERA, französisch: Agence de l’Union européenne pour les chemins de fer) ist ein dezentrales Organ der Europäischen Union (EU). Die verbindliche Rechtsgrundlage für die Gründung und die Tätigkeiten der Agentur bildet die Verordnung (EU) 2016/796 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Europäische Eisenbahnagentur und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 881/2004. Die ERA hat ihren Sitz im französischen Valenciennes und ihren Wirkungsbereich in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und teilweise in den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR).

Die Aufgabe der Agentur besteht darin, die technische und operative Harmonisierung von Bahn- und Schienenverkehrssystemen in Europa zu fördern und zu unterstützen. Sie ist auch für die Entwicklung und Umsetzung gemeinsamer Sicherheits- und Interoperabilitätsstandards zuständig.

Zielsetzung, Aufgaben und Zuständigkeiten

Förderung der Interoperabilität der Eisenbahnsysteme

Ein zentrales Ziel der Eisenbahnagentur der Europäischen Union ist die Förderung der Interoperabilität der nationalen Eisenbahnsysteme. Die ERA erarbeitet und aktualisiert sogenannte Technische Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI), die in Rechtsakten umgesetzt werden. Diese TSI regeln technische und betriebliche Anforderungen, die von allen Mitgliedstaaten übernommen werden müssen, um einen funktionierenden grenzüberschreitenden Schienenverkehr zu gewährleisten.

Sicherstellung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums

Die ERA unterstützt die Sicherstellung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums. Sie wirkt an der Ausarbeitung harmonisierter Sicherheitsstandards mit, welche in den europäischen Mitgliedstaaten verbindlich eingeführt werden. Grundlage hierfür ist die europäische Eisenbahnsicherheitsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2016/798), die von der ERA mit ausgearbeitet und implementiert wird.

Zulassung von Schienenfahrzeugen und Sicherheitsempfehlungen

Ein weiteres Kernelement der Agentur ist die Prüfung und Zulassung neuer Schienenfahrzeuge für den grenzüberschreitenden europäischen Einsatz. Die ERA ist befugt, entsprechende Fahrzeugzulassungen und Sicherheitsbescheinigungen auf europäischer Ebene zu erteilen (Artikel 21 Verordnung (EU) 2016/796). Bis zur Gründung der ERA war dies eine Aufgabe der nationalen Behörden der Mitgliedstaaten.

Überwachung und Beratung der Mitgliedstaaten

Die Agentur überwacht die Umsetzung der europäischen Eisenbahnregelungen in den Mitgliedstaaten und gibt Empfehlungen sowie Gutachten an die Europäische Kommission und die nationalen Regierungen ab. Darüber hinaus unterstützt sie bei der Erstellung von Prüfverfahren und Zertifizierungsprozessen im Rahmen der europäischen Eisenbahnrichtlinien.

Rechtsrahmen und Zusammenwirken mit anderen Institutionen

Bedeutung der Verordnung (EU) 2016/796

Die Verordnung (EU) 2016/796 verleiht der ERA einen eigenständigen Rechtsstatus, regelt die Organisation, das Mandat, die Finanzierung sowie das Kontrollsystem der Agentur. Sie legt die Kompetenzen der Agentur fest und definiert ihre Beziehungen zu anderen Organen, Agenturen und Einrichtungen der Europäischen Union.

Zusammenarbeit mit nationalen Sicherheitsbehörden

Die nationale Umsetzung der von der ERA gesetzten Vorgaben erfolgt über die nationalen Sicherheitsbehörden (NSA) der Mitgliedstaaten. Die ERA übernimmt hierbei eine koordinierende und überwachende Funktion, um die Einhaltung des EU-Rechts zu gewährleisten, insbesondere was Interoperabilität und Sicherheit angeht.

Steuerung und Rechtsaufsicht

Das oberste Organ der ERA ist der Verwaltungsrat. Die Kommission beteiligt sich an der Steuerung und Überwachung der Agentur. Die ERA untersteht der gerichtlichen Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und ist gegenüber dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission rechenschaftspflichtig.

Aufgabenbereiche im Einzelnen

Technische Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI)

Die ERA entwickelt TSIs für sämtliche Teilsysteme des Eisenbahnsektors, darunter Infrastruktur, Energieversorgung, Fahrzeuginstandhaltung, Zugsteuerung, Signalgebung und Kommunikation (zum Beispiel das European Rail Traffic Management System, ERTMS).

Sicherheitsrichtlinien und -zertifizierungen

Die Agentur erstellt Vorschläge für europäische Sicherheitsstandards und Sicherheitsmanagementsysteme sowie Regelungen zur Unfallmeldung und -untersuchung. Sie bewertet und genehmigt Sicherheitsbescheinigungen für Eisenbahnunternehmen und Infrastrukturbetreiber, insbesondere im grenzüberschreitenden Verkehr.

Unterstützung beim europäischen Eisenbahnrecht

Die ERA assistiert der Europäischen Kommission bei der Überwachung der Anwendung des Eisenbahnmarktrechts und entwickelt Hilfestellungen zur Umsetzung von EU-Richtlinien und -Verordnungen auf nationaler Ebene.

Bedeutung für den europäischen Binnenmarkt

Die Schaffung einheitlicher Sicherheits- und Interoperabilitätsregeln durch die ERA ist Voraussetzung für die Öffnung des europäischen Eisenbahnmarktes und für den Abbau von Marktzugangsbarrieren. Durch die Harmonisierung der technischen und rechtlichen Vorgaben trägt die Agentur wesentlich zur Realisierung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (Single European Railway Area, SERA) bei.

Rechtsprechung und Kontrolle

Die Entscheidungen der Eisenbahnagentur können in bestimmten Fällen vor den europäischen Gerichten angefochten werden, insbesondere im Zusammenhang mit Ablehnung oder Entzug von Fahrzeuggenehmigungen und Sicherheitsbescheinigungen. Die ERA ist verpflichtet, im Rahmen ihrer Tätigkeit europäisches Primär- und Sekundärrecht einzuhalten und einem institutionalisierten Kontrollsystem unterworfen.

Zusammenfassung

Die Eisenbahnagentur der Europäischen Union (ERA) ist das zentrale Organ zur Harmonisierung, Sicherheit und Interoperabilität des europäischen Eisenbahnsystems. Sie stützt sich auf die Verordnung (EU) 2016/796 sowie weitere relevante Rechtsakte, erarbeitet verbindliche technische und sicherheitsrelevante Vorschriften und überwacht deren Anwendung. Die ERA ist maßgeblicher Akteur bei der Schaffung des integrierten europäischen Eisenbahnraums und gewährleistet so einen sicheren, effizienten und grenzüberschreitenden Schienenverkehr im europäischen Binnenmarkt.

Häufig gestellte Fragen

Welche Aufgaben und Befugnisse hat die Eisenbahnagentur der Europäischen Union im rechtlichen Kontext?

Die Eisenbahnagentur der Europäischen Union (ERA) verfügt im europäischen Eisenbahnrecht über zahlreiche Aufgaben und Befugnisse, die sich aus mehreren EU-Verordnungen und Richtlinien, insbesondere aus der Verordnung (EU) 2016/796, ableiten. Die zentrale Aufgabe der ERA besteht darin, den Aufbau eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums zu fördern, Mindeststandards für Sicherheit und Interoperabilität zu entwickeln und Empfehlungen für die Weiterentwicklung und Harmonisierung des Eisenbahnrechts zu erstellen. Die ERA kann verbindliche technische Spezifikationen für Interoperabilität (TSI) und Empfehlungen für gemeinsame Sicherheitsmethoden (CSM) ausarbeiten und der Europäischen Kommission zur Annahme vorlegen. Die Agentur besitzt zudem die Befugnis, EU-weite Sicherheitsbescheinigungen und -genehmigungen für Eisenbahnunternehmen und -infrastrukturbetreiber auszustellen, sofern diese die Kriterien gemäß dem Vierten Eisenbahnpaket erfüllen. Weiterhin ist sie für die Überwachung der Anwendung des EU-Eisenbahnrechts in den Mitgliedstaaten und für die Zusammenarbeit mit nationalen Sicherheitsbehörden zuständig. Sie fungiert dabei als zentrale Anlaufstelle für die Beurteilung der Rechtskonformität nationaler Vorschriften, beantwortet Anfragen zu Rechtsfragen und wirkt bei Schlichtungen im Rahmen grenzüberschreitender Streitigkeiten zwischen nationalen Behörden mit. Die ERA ist zudem befugt, Untersuchungen über die Umsetzung und Anwendung des Eisenbahnrechts in den Mitgliedstaaten einzuleiten und Empfehlungen zur Beseitigung festgestellter Mängel auszusprechen.

Welche Rolle spielt die Eisenbahnagentur bei der Ausarbeitung technischer Spezifikationen und wie ist der rechtliche Ablauf?

Die Eisenbahnagentur der Europäischen Union ist maßgeblich für die Ausarbeitung, Überarbeitung und Harmonisierung der Technischen Spezifikationen für Interoperabilität (TSI) verantwortlich. Die rechtliche Grundlage hierfür finden sich u.a. in Art. 12 bis 15 der Verordnung (EU) 2016/796 und der Richtlinie (EU) 2016/797 über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems der Union. Der Prozess beginnt in der Regel mit einem Mandat der Europäischen Kommission an die ERA zur Entwicklung einer oder mehrerer TSI. Anschließend führt die Agentur Konsultationen mit nationalen Behörden, Eisenbahnunternehmen, Infrastrukturbetreibern sowie relevanten Interessenvertretern durch. Die ERA erstellt einen Entwurf der TSI nach wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen, wobei sie die Anforderungen aus der Interoperabilitätsrichtlinie sowie einschlägige Sicherheitsaspekte einbezieht. Der Entwurf wird dem sogenannten Ausschussverfahren („Komitologie“) mit Vertretern der Mitgliedstaaten zur Abstimmung vorgelegt und anschließend der Kommission zur Annahme vorgelegt. Nach dem Inkrafttreten der TSI sind diese in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich verbindlich und haben meist unmittelbare Rechtswirkung in den Mitgliedstaaten, sofern keine Ausnahmetatbestände greifen.

In welchem Umfang kann die ERA verbindliche Entscheidungen gegenüber nationalen Behörden und Eisenbahnunternehmen treffen?

Die Eisenbahnagentur besitzt im rechtlichen Rahmen die Befugnis, bestimmte verbindliche Entscheidungen zu treffen, vor allem im Kontext der Erteilung von Sicherheitsbescheinigungen und -genehmigungen gemäß der Verordnung (EU) 2016/796 und der Richtlinie (EU) 2016/798. Daneben kann sie im Bereich der Technischen Spezifikationen für Interoperabilität und bei der Anerkennung von Prüfstellen Entscheidungsbefugnisse ausüben. Für sonstige administrative und operative Bereiche, etwa bei der Feststellung der Rechtskonformität nationaler Regelungen, handelt sie üblicherweise im Wege von Empfehlungen oder Stellungnahmen, die für Mitgliedstaaten formal nicht unmittelbar bindend sind, die aber von den Mitgliedstaaten nach europarechtlichen Grundsätzen zu berücksichtigen und zu begründen sind, falls sie davon abweichen wollen. In Streitfällen kann die ERA auf Antrag als förmliche Vermittlungsinstanz auftreten und Gutachten erstellen, die für die Entscheidung nationaler Behörden erheblich sind. Ihre Entscheidungen hinsichtlich EU-weit gültiger Sicherheitsbescheinigungen sind unmittelbar rechtsverbindlich und können vor dem Gericht der Europäischen Union angefochten werden.

Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Beziehung zwischen ERA und den nationalen Sicherheitsbehörden?

Die Beziehung zwischen der ERA und den nationalen Sicherheitsbehörden ist in erster Linie durch die Verordnung (EU) 2016/796 sowie durch die Richtlinien (EU) 2016/797 (Interoperabilität) und 2016/798 (Sicherheit) geregelt. Laut Art. 31 der ERA-Verordnung besteht eine enge Zusammenarbeit: Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten und bei der Anwendbarkeit von Unionsrecht fungiert die ERA als koordinierende und unterstützende Stelle. Sie erstellt Leitfäden, gibt Empfehlungen ab und wirkt an gemeinsamen Arbeitsgruppen mit. Sind harmonisierte Sicherheits- oder Interoperabilitätsanforderungen zu interpretieren, so ist die ERA anzuhören; in Streitfällen steht ihr ein vermittelndes Mandat zu. Nationale Sicherheitsbehörden sind verpflichtet, die ERA bei der Ausarbeitung von Vorschriften und bei deren Umsetzung zu konsultieren und ihr alle hierfür relevanten Informationen bereitzustellen. Im Konfliktfall, etwa bei Meinungsverschiedenheiten zur Anwendung von TSI oder nationalen Vorschriften, kann das Schlichtungsverfahren der ERA in Anspruch genommen werden.

Wie werden die von der ERA entwickelten technischen Anforderungen rechtlich verbindlich?

Die von der ERA entwickelten technischen Anforderungen – insbesondere Technische Spezifikationen für Interoperabilität (TSI) – werden rechtlich verbindlich, indem sie von der Europäischen Kommission im Rahmen eines delegierten oder Durchführungsrechtsaktes gemäß den Artikeln 290 und 291 AEUV übernommen und mit unmittelbarer Geltung im Unionsrecht veröffentlicht werden. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, diese Anforderungen in ihrem Hoheitsgebiet uneingeschränkt anzuwenden und gegebenenfalls bestehende nationale Vorschriften abzuändern oder aufzuheben. Ausnahmen sind nur in gesetzlich vorgesehenen Fällen (z.B. bei bestehenden Infrastrukturen, spezifischen geografischen Bedingungen) und nach Genehmigung durch die Kommission möglich. Die Einhaltung der TSI ist Voraussetzung für die Genehmigung neuer Eisenbahnfahrzeuge, -infrastruktur und für die europaweite Gültigkeit von Zulassungen und Sicherheitsbescheinigungen.

Welche Möglichkeiten des Rechtsschutzes bestehen gegen Entscheidungen der ERA?

Gegen Entscheidungen der ERA, insbesondere im Zusammenhang mit der Erteilung oder Versagung von Sicherheitsbescheinigungen, -genehmigungen oder der Anerkennung technischer Einrichtungen, bestehen Rechtsschutzmöglichkeiten nach Maßgabe des Unionsrechts. Adressaten solcher Entscheidungen können binnen zwei Monaten gemäß Art. 263 AEUV Klage beim Gericht der Europäischen Union (EuG) erheben. Die Klage kann sich auf Verfahrensfehler, fehlerhafte Auslegung oder Anwendung von Unionsrecht sowie auf Ermessensüberschreitungen stützen. Im Rahmen der Verwaltungsverfahren der ERA sind zudem inneragentureigene Rechtsbehelfe vorgesehen, beispielsweise Anträge auf Überprüfung oder Korrektur einer getroffenen Entscheidung vor einer Beschwerdekommission. Die nationalen Gerichte haben daneben nur eingeschränkte Kompetenzen im Bezug auf ERA-Entscheidungen, da für die Kontrolle primär die Unionsgerichte zuständig sind.

Inwiefern ist die ERA in die Entwicklung und Harmonisierung von nationalem Eisenbahnrecht eingebunden?

Die ERA nimmt bei der Entwicklung und Harmonisierung des nationalen Eisenbahnrechts eine koordinierende und beratende Rolle ein. Nach den europäischen Rechtsgrundlagen (insbesondere Verordnung (EU) 2016/796) sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, der ERA im Rahmen von Notifizierungsverfahren Entwürfe zu neuen oder geänderten nationalen technischen und sicherheitsbezogenen Regelungen vorzulegen. Die Agentur prüft diese Entwürfe auf ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht und mit den bestehenden harmonisierten Vorschriften und gibt eine rechtliche und technische Stellungnahme ab. Sind die Entwürfe nach Auffassung der ERA nicht rechtskonform, kann sie eine förmliche Beanstandung aussprechen, woraufhin die Kommission das weitere Verfahren übernimmt. Die nationalen Gesetz- und Verordnungsgeber müssen die ERA-Stellungnahmen bei ihrer weiteren Arbeit zwingend berücksichtigen und im Falle einer Ablehnung ausführlich begründen. Die Agentur trägt hiermit maßgeblich zur Harmonisierung und Vereinheitlichung des Eisenbahnrechtsraums in Europa bei.