Einziehung im Strafverfahren – Begriff, rechtliche Grundlagen und Anwendungsbereiche
Die Einziehung ist eine strafprozessuale Maßnahme, die darauf abzielt, bestimmte Gegenstände oder Vermögenswerte, die im Zusammenhang mit einer Straftat stehen, dem Zugriff des Täters oder Dritter dauerhaft zu entziehen. Sie stellt neben der Strafe und den Maßregeln der Besserung und Sicherung eines der zentralen Rechtsinstrumente im deutschen Strafrecht dar, um sowohl die kriminellen Vorteile aus Straftaten abzuschöpfen als auch Gefahren für die Allgemeinheit abzuwenden.
Begriff und Zielsetzung der Einziehung
Die Einziehung dient primär der Tatprävention und dem Ziel, das unrechtmäßig Erlangte dem Rechtskreislauf zu entziehen. Durch sie soll verhindert werden, dass Täter oder sonstige Beteiligte aus Straftaten einen Vorteil ziehen oder durch bestimmte Gegenstände weitere Straftaten begangen werden können. Sie ist damit ein wesentliches Instrument zur Bekämpfung von Kriminalität und zur Abschöpfung unrechtmäßig erworbenen Vermögens.
Rechtliche Grundlagen der Einziehung
Einziehung im Strafgesetzbuch (StGB)
Die gesetzlichen Grundlagen der Einziehung finden sich in den §§ 73 ff. Strafgesetzbuch (StGB). Das Reformgesetz zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, das am 1. Juli 2017 in Kraft trat, hat die Regelungen zur Einziehung umfassend geändert und das bisherige Rechtssystem deutlich vereinfacht und erweitert.
Unterscheidung: Einziehung und Verfall
Bis zur Reform wurde zwischen Verfall (§§ 73, 73a StGB a.F.) und Einziehung (§§ 74, 74a StGB a.F.) unterschieden. Seit der Gesetzesänderung werden sämtliche Maßnahmen zur Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vermögenswerte als Einziehung bezeichnet.
Arten der Einziehung
Nach den aktuellen Regelungen lassen sich verschiedene Formen der Einziehung im Strafverfahren unterscheiden:
- Einziehung von Taterträgen und deren Surrogate (§ 73 StGB): Dies betrifft Vermögenswerte, die aus einer Straftat herrühren oder an deren Stelle getreten sind.
- Einziehung von Gegenständen (§ 74 StGB): Bezieht sich auf gefährliche oder zur Straftat verwendete bzw. bestimmte Sachen.
- Erweiterte Einziehung (§ 73a StGB): Ermöglicht die Einziehung weiterer Vermögenswerte, wenn sie aus anderen rechtswidrigen Taten stammen, für die keine Verurteilung vorliegt.
- Selbstständiges Einziehungsverfahren (§ 76a StGB): Erlaubt eine Einziehung unabhängig von einer Verurteilung, etwa bei Verfahrenseinstellung oder wenn der Täter nicht belangt werden kann.
- Einziehung bei Dritten (§ 73b und § 74b StGB): Auch Gegenstände, die sich im Besitz Dritter befinden, können unter bestimmten Voraussetzungen eingezogen werden.
Materielle Voraussetzungen der Einziehung
Taterträge und Instrumente der Tat
Einzuziehen sind insbesondere:
- Taterträge: Jeder Vorteil, den der Täter durch die Straftat erlangt hat.
- Tatprodukte: Sachen, die durch die Straftat hervorgebracht wurden.
- Tatmittel und Tatobjekte: Gegenstände, die zur Begehung oder Vorbereitung einer Straftat verwendet wurden oder bestimmt waren.
Subjektive Voraussetzungen und Schutz Dritter
Die Einziehung kann grundsätzlich unabhängig vom Verschulden des Täters erfolgen. Geschützt werden jedoch gutgläubige Dritte, die ohne Kenntnis der Herkunft einen Gegenstand rechtmäßig erworben haben (sogenannter „gutgläubiger Erwerb“; vgl. § 73e StGB).
Verfahren und Durchsetzung der Einziehung
Einziehung von Amts wegen
Ein besonders bedeutsames Merkmal der Einziehung ist ihre „Offizialnatur“. Das heißt, Justizbehörden sind verpflichtet, die Einziehung stets von Amts wegen zu prüfen und gegebenenfalls im Urteil auszusprechen, unabhängig davon, ob ein Antrag der Staatsanwaltschaft oder eines anderen Beteiligten vorliegt.
Selbstständiges Einziehungsverfahren
Das Gesetz sieht vor, dass Einziehungsentscheidungen auch dann unabhängig getroffen werden können, wenn gegen einen Täter aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Verurteilung möglich ist (§ 76a StGB). Dies ist insbesondere bei Verfahrenseinstellung, Verjährung oder Tod des Beschuldigten bedeutsam.
Vollstreckung der Einziehung
Die Vollstreckung der Einziehung richtet sich nach den Vorschriften über die Vermögensabschöpfung im Strafvollstreckungsrecht. Nach rechtskräftiger Anordnung erfolgt die Durchsetzung zumeist durch die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde. Hiervon erfasst sind beispielsweise die Beschlagnahme, Verwertung oder Vernichtung eingezogener Gegenstände.
Rechtsschutz gegen die Einziehung
Rechtsbehelfe der Betroffenen
Personen, bei denen die Einziehung angeordnet oder vollstreckt wird, können sich mit Rechtsmitteln gegen die Maßnahme wehren. Im Strafprozess erfolgt dies regelmäßig durch die Rechtsmittel der Berufung oder Revision. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, mittels Drittwiderspruchsklage nach § 111k StPO eigene Rechte geltend zu machen.
Wiedergutmachung und Entschädigung
Wird nachträglich festgestellt, dass die Einziehung unrechtmäßig erfolgt ist, sieht das Gesetz Entschädigungsansprüche der Betroffenen vor. In diesen Fällen sind die eingezogenen Gegenstände bzw. deren Wert herauszugeben oder ein angemessener Ausgleich zu zahlen.
Abgrenzung zu ähnlichen Maßnahmen
Zu unterscheiden ist die Einziehung von folgenden Maßnahmen:
- Sicherstellung/Beschlagnahme: Dabei handelt es sich um vorläufige Maßnahmen zur Beweissicherung oder Gefahrenabwehr im Ermittlungsverfahren.
- Vermögensarrest: Dient der Sicherung der späteren Einziehung durch vorläufigen Zugriff auf Vermögenswerte (§ 111e StPO).
Internationale Aspekte der Einziehung
Im Rahmen grenzüberschreitender Kriminalität spielt die Einziehung eine immer größere Rolle. Deutschland ist verpflichtet, auf der Grundlage internationaler Übereinkommen, etwa der EU-Richtlinie 2014/42/EU, Maßnahmen zur grenzüberschreitenden Vermögensabschöpfung und gegenseitigen Anerkennung von Einziehungsentscheidungen bereitzustellen.
Praxisrelevanz und Bedeutung
Die Einziehung hat eine erhebliche praktische Bedeutung im Kampf gegen organisierte und wirtschaftliche Kriminalität. Sie zielt darauf ab, den kriminellen Gewinn zu entziehen, Anreize für Straftaten zu minimieren und die Rechtstreue zu fördern. Sie betrifft daher nicht nur klassische Strafverfahren, sondern insbesondere Verfahren mit Vermögensdelikten (z. B. Betrug, Untreue, Korruption, Geldwäsche).
Mit der Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung wurde die Einziehung zu einem noch schärferen und für die Praxis bedeutsamen Instrument im Strafverfahren ausgebaut. Sie stellt sicher, dass illegale Gewinne abgeschöpft und zur Wiederherstellung der Rechtsordnung beigetragen wird.
Häufig gestellte Fragen
Wann kann im Strafverfahren eine Einziehung angeordnet werden?
Die Anordnung der Einziehung im Strafverfahren kann erfolgen, wenn bestimmte Voraussetzungen nach den §§ 73 ff. StGB erfüllt sind. Grundsätzlich ist die Einziehung möglich, wenn ein Zusammenhang zwischen einer Straftat und einem Vermögensgegenstand besteht. Erfasst werden sowohl der unmittelbare Gewinn aus der Tat (zum Beispiel Geld aus einem Diebstahl) als auch Gegenstände, die zur Begehung oder Vorbereitung der Straftat verwendet wurden (Tatwerkzeuge oder Tatmittel). Zudem kann auch das sogenannte Surrogat, also der Ersatzwert aus veräußerten oder auf andere Weise erhaltenen Gegenständen, eingezogen werden. Die Entscheidung über die Einziehung obliegt dem Gericht und kann sowohl im Rahmen eines Hauptverfahrens als auch im selbständigen Einziehungsverfahren (§§ 435 ff. StPO) getroffen werden. Die Einziehung ist als Maßnahme zur Abschöpfung rechtswidriger Vermögenswerte ausgestaltet und dient dabei weniger der Bestrafung, sondern vielmehr der Verhinderung, dass sich jemand aus einer Straftat wirtschaftlich bereichert.
Welche Arten der Einziehung gibt es im Strafverfahren?
Im deutschen Strafrecht wird zwischen verschiedenen Arten der Einziehung unterschieden: Zunächst gibt es die Einziehung von Taterträgen und deren Surrogaten (§ 73 StGB), womit sämtliche durch die Straftat erlangten Vermögenswerte und deren Ersatz gemeint sind. Weiterhin gibt es die Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten (§ 74 StGB). Tatprodukte sind Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht wurden, Tatmittel sind Gegenstände, die zur Begehung oder Vorbereitung der Tat gedient haben, und Tatobjekte sind die durch die Strafnorm geschützten Gegenstände oder Subjekte. Zusätzlich ist die erweiterte Einziehung (§ 73a StGB) vorgesehen, bei der auch Vermögenswerte eingezogen werden können, die aus anderen, nicht konkret nachweisbaren, aber im selben Zeitraum begangenen rechtswidrigen Taten stammen. Abschließend besteht noch die Möglichkeit der selbstständigen Einziehung (§§ 76a StGB, §§ 435 ff. StPO), wenn eine strafbare Handlung bewiesen, der Täter aber nicht zu belangen ist.
Wer entscheidet über die Einziehung und wie läuft das Verfahren ab?
Die Entscheidung über eine Einziehung trifft grundsätzlich das erkennende Gericht im Rahmen des Strafverfahrens. Die Staatsanwaltschaft stellt hierzu entweder im Rahmen der Anklage einen Einziehungsantrag oder das Gericht ordnet die Einziehung von Amts wegen an, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind (§ 421 StPO). Das Gericht muss im Urteil ausdrücklich feststellen, dass und welche Gegenstände oder Vermögenswerte eingezogen werden. Die Einziehungsanordnung muss auch den Inhalt der Einziehung (zum Beispiel den Wert des Erlangten) konkret benennen. Ist im Zuge des Verfahrens nicht feststellbar, welche konkreten Gegenstände aus der Tat erlangt wurden, kann der sogenannte Wertersatzeinziehungsbeschluss ergehen, bei dem anstelle des Gegenstandes dessen Wert eingezogen wird. Im Rahmen des Hauptverfahrens ist dem Angeklagten und anderen Betroffenen rechtliches Gehör zu gewähren. Gegen die Entscheidung kann Rechtsmittel eingelegt werden, etwa Berufung oder Revision.
Welche Rechte haben Dritte bei einer drohenden Einziehung ihrer Vermögenswerte?
Dritte, die nicht selbst Täter oder Teilnehmer der angeklagten Straftat sind, aber an deren Vermögenswerte die Einziehung (etwa durch Übertragung, Schenkung oder Kauf) greifen soll, sind vom Gesetzgeber ausdrücklich geschützt. Gemäß § 73 Abs. 3 StGB hat die Einziehung zu unterbleiben, soweit der Anspruch eines Verletzten oder eines Dritten an dem zu entziehenden Gegenstand entgegensteht. Das Strafgericht hat im Verfahren zu prüfen, ob ein solcher Dritter Eigentumsrechte oder besitzrechtliche Ansprüche geltend machen kann. Liegen berechtigte Interessen vor, ist dem Dritten die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen (§ 428 StPO). Außerdem kann der Dritte im Anschluss an das Strafverfahren ein selbständiges Einziehungsverfahren betreiben, um seine Rechte geltend zu machen, insbesondere im Rahmen eines sogenannten Drittwiderspruchsverfahrens nach § 439 StPO.
Ist eine Einziehung auch im Abwesenheitsverfahren möglich?
Ja, die Einziehung kann auch im Abwesenheitsverfahren angeordnet werden. Hierbei gelten die allgemeinen Regeln der §§ 73 ff. StGB und der §§ 428 ff. StPO. Insbesondere im sogenannten isolierten oder selbstständigen Einziehungsverfahren kann das Gericht auch dann eine Einziehung anordnen, wenn eine Verurteilung des Täters aufgrund seines unbekannten Aufenthaltsortes oder fehlender Strafbarkeit, etwa infolge von Todesfall oder Verjährung, nicht möglich ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die begangene Straftat und das Erlangte sich objektiv feststellen lassen. Im Abwesenheitsverfahren müssen allerdings die Rechte des Beschuldigten und etwaiger Dritter besonders gewahrt werden, etwa durch Benennung eines gesetzlichen Vertreters und umfassende rechtliche Anhörungs- und Beschwerdemöglichkeiten.
Können eingezogene Gegenstände oder Werte zurückgegeben werden?
Die Rückgabe von eingezogenen Gegenständen oder Werten ist grundsätzlich ausgeschlossen, soweit eine rechtskräftige Einziehung angeordnet wurde. Lediglich in Ausnahmefällen, etwa wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Voraussetzungen der Einziehung nicht vorlagen oder der Einziehungsbeschluss rechtswidrig war, kann gemäß § 459h StPO ein Antrag auf Herausgabe gestellt werden. Auch Dritte, deren Rechte durch die Einziehung verletzt wurden, haben unter bestimmten Umständen Anspruch auf Herausgabe des Gegenstandes oder Wertersatzes, falls ihre Rechtsstellung erst später bekannt oder im Hauptverfahren nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Voraussetzung hierfür ist in jedem Fall ein Antrag und ein eigenständiges Prüfungsverfahren, in dem das Gericht die Rechtslage neu beurteilt.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen gegen eine Einziehungsanordnung?
Gegen eine gerichtliche Einziehungsanordnung im Strafverfahren bestehen verschiedene rechtliche Schutzmöglichkeiten. Zum einen kann der Angeklagte oder Betroffene gemäß den allgemeinen Vorschriften der Strafprozessordnung Rechtsmittel einlegen, insbesondere die Berufung oder Revision. Für Dritte, die durch die Einziehung ihrer Rechte betroffen sind, etwa Eigentümer oder Gläubiger, besteht die Möglichkeit, Einspruch oder Widerspruch gemäß § 439 StPO zu erheben. Das betreffende Gericht prüft dann in einem gesonderten Verfahren, ob die Rechte des Dritten der Einziehung entgegenstehen. Darüber hinaus ist in bestimmten Konstellationen auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. eine Korrektur nach § 458 StPO möglich, insbesondere wenn sich im Nachhinein neue Tatsachen ergeben, die zur Aufhebung oder Abänderung der Einziehung führen.