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Einwirkungen auf Nachbargrundstück


Begriff und rechtlicher Rahmen: Einwirkungen auf Nachbargrundstück

Der Begriff Einwirkungen auf Nachbargrundstück (auch Nachbareinwirkungen oder Immissionen genannt) bezeichnet im deutschen Zivilrecht solche Handlungen oder Umstände, durch die von einem Grundstück Einflüsse auf ein benachbartes Grundstück ausgehen. Diese Einwirkungen können verschiedenartige Formen annehmen, etwa physische, chemische, akustische oder optische. Das Recht der Einwirkungen dient dem Interessenausgleich zwischen benachbarten Grundstückseigentümern und wird hauptsächlich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), aber auch in Spezialgesetzen geregelt.


Gesetzliche Grundlagen und Regelungszweck

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Die maßgeblichen Bestimmungen finden sich insbesondere in den §§ 906 ff. BGB. Diese Normen regeln, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen von einem Grundstück Immissionen auf das Nachbargrundstück ausgehen dürfen, welche Abwehrrechte dem betroffenen Nachbarn zustehen und welche Ausgleichsansprüche bestehen können.

§ 906 BGB – Zulässigkeit von Einwirkungen

§ 906 BGB unterscheidet zunächst zwischen unmittelbaren und mittelbaren Einwirkungen und legt fest, ab wann Einwirkungen unzulässig sind und daher abgewehrt werden dürfen.

Unmittelbare und mittelbare Einwirkungen

  • Unmittelbare Einwirkungen erfolgen durch direkten physikalischen Kontakt, etwa durch Überbau, Anlehnen von Gegenständen oder Einbringen von Stoffen über die Grundstücksgrenze hinweg. Sie fallen grundsätzlich nicht unter § 906 BGB, sondern werden über Besitzschutzregeln (§§ 858 ff. BGB) oder § 1004 BGB (Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch) erfasst.
  • Mittelbare Einwirkungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ohne direkten Kontakt, etwa durch Luft, Wasser oder Schall, auf das Nachbargrundstück einwirken. Typische Fälle betreffen Lärm, Gerüche, Erschütterungen, Rauch, Staub, Licht, elektromagnetische Felder und ähnliche Immissionen.

Arten der Einwirkungen auf Nachbargrundstücke

Physikalische Einwirkungen

Hierzu zählen Schall (Lärm), Erschütterungen, Erschütterungen durch Baustellenbetrieb, Vibrationen durch Verkehr und das Eindringen von Wasser, etwa durch Hangwasser oder Regenwasser.

Chemische Einwirkungen

Hierunter fallen das Verbreiten von Gasen, Dämpfen, Gerüchen oder Partikeln (etwa Staub, Asche, Ruß), die zur Belastung oder Beeinträchtigung der Nutzung des Nachbargrundstücks führen können.

Biologische und optische Einwirkungen

Dazu gehören etwa das Übergreifen von Pflanzen, der Schattenwurf großgewachsener Bäume, Lichtimmissionen (z. B. durch Außenbeleuchtung), aber auch optische Beeinträchtigungen, die als unzumutbare Störung empfunden werden.


Zulässigkeit und Unzulässigkeit von Einwirkungen

Wesentlichkeit der Beeinträchtigung

Ob eine Immission unzulässig ist und abgewehrt werden kann, hängt davon ab, ob sie die Benutzung des betroffenen Grundstücks wesentlich beeinträchtigt (§ 906 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Wesentlichkeit richtet sich nach einem objektiven Maßstab, wobei die Nutzung des Grundstücks und die Verkehrsauffassung maßgeblich sind.

Gesetzliche Duldungspflichten

Nach § 906 Abs. 2 S. 1 BGB sind bestimmte Immissionen von Nachbarn zu dulden, wenn sie die Benutzung des Grundstücks nur unwesentlich beeinträchtigen oder ortsüblich sind und durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen nicht verhindert werden können.

Öffentliche Genehmigungen

Ist eine bestimmte Benutzung des Nachbargrundstücks öffentlich-rechtlich genehmigt (z. B. Industriebetrieb, Bauvorhaben), kann sich ein betroffener Nachbar dennoch unter Umständen auf zivilrechtliche Ansprüche berufen, sofern die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften nicht automatisch die Unzumutbarkeit von Immissionen ausschließt.


Rechte und Ansprüche des betroffenen Nachbarn

Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch (§ 1004 BGB)

Wird das Eigentum des Nachbarn durch unzulässige Immissionen beeinträchtigt, stehen dem Betroffenen Unterlassungs- und ggf. Beseitigungsansprüche nach § 1004 BGB zu.

Ausgleichsanspruch (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB)

Kann die Einwirkung nicht verhindert werden, weil sie beispielsweise ortsüblich und wirtschaftlich nicht abwendbar ist, kann dem betroffenen Nachbarn ein angemessener Ausgleich in Geld zustehen.

Schadensersatzansprüche

Ist die Einwirkung mit einer schuldhaften Pflichtverletzung verbunden (etwa vorsätzliche oder fahrlässige Herbeiführung von Immissionen), kann § 823 Abs. 1 BGB eingreifen. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen das Nachbargrundstück oder dessen Nutzung einen konkreten Schaden erleidet.


Einschränkungen und Duldungspflichten

Nachbarschaftsrechtliche Schranken

Nicht jede Beeinträchtigung berechtigt zur Abwehr. Maßgeblich ist, ob die Beeinträchtigung wesentlich ist und nicht unter eine Duldungspflicht fällt. Zudem muss der Nachbar zumutbare Schutzmaßnahmen getroffen haben, um Immissionen abzuwenden.

Nachbarrechtliche Sonderregelungen

In den Landesnachbarrechtsgesetzen (z. B. Nachbarrechtsgesetz NRW, NRG Baden-Württemberg) finden sich ergänzende Vorschriften, etwa zur Einfriedung, zum Überhang von Bäumen und Sträuchern, zum Fensterrecht oder zur Grenzbebauung. Diese Gesetze konkretisieren die allgemeinen Regeln des BGB im jeweiligen Bundesland.


Besonderheiten bei bestimmten Immissionsarten

Geruchs- und Lärmimmissionen

Insbesondere Lärm und Gerüche sind häufige Streitpunkte. Die Wesentlichkeit wird hier oft anhand von Richtwerten aus der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) und anderen Regelwerken beurteilt.

Bau- und Anlagenimmissionen

Bei Baumaßnahmen oder dem Betrieb technischer Anlagen können spezielle öffentlich-rechtliche Vorschriften (z. B. Bundes-Immissionsschutzgesetz, TA Luft, Bauordnungen) neben den privatrechtlichen Ansprüchen zu beachten sein.

Pflanzen, Überhang und Überwuchs

Für das Übergreifen von Pflanzen (z. B. Wurzeln oder Zweige) enthält § 910 BGB besondere Regelungen. Danach kann der betroffene Nachbar unter bestimmten Voraussetzungen eigenmächtig überhängendes Grün abschneiden und behalten.


Anspruchsdurchsetzung und Rechtsschutz

Verfahren und Klagearten

Die Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung oder Ausgleich können gerichtlich im Wege der Klage durchgesetzt werden. Vor Einreichung einer Klage kann in vielen Bundesländern eine obligatorische Güteverhandlung bei Schieds- oder Schlichtungsstellen vorgeschrieben sein.

Beweislast und Nachweise

In zivilrechtlichen Verfahren muss grundsätzlich der beeinträchtigte Nachbar die wesentliche Beeinträchtigung durch Einwirkungen beweisen. Messprotokolle, Gutachten und Zeugen sind hierbei maßgebliche Beweismittel.


Zusammenfassung

Einwirkungen auf Nachbargrundstück stellen einen zentralen Bereich des Nachbarrechts dar. Sie regeln den Ausgleich zwischen der Nutzungsausübung verschiedener Grundstückseigentümer und dem Schutz vor Beeinträchtigungen. Maßgeblich ist das Abwägungsprinzip zwischen den Belangen der beteiligten Parteien, ergänzt durch spezifische Regelungen im BGB und Landesgesetzen sowie einschlägige technische Richtlinien. Für Betroffene bietet das Recht vielfältige Möglichkeiten zur Abwehr, Duldung oder zum Ausgleich von nachbarschaftlichen Störungen.


Siehe auch:

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Maßnahmen kann ein Grundstückseigentümer ergreifen, wenn von einem Nachbargrundstück schädliche Einwirkungen ausgehen?

Tritt eine unzulässige Einwirkung (z.B. Lärm, Gerüche, Rauch, Erschütterungen) von einem Nachbargrundstück auf das eigene Grundstück auf, kann der betroffene Grundstückseigentümer verschiedene rechtliche Maßnahmen ergreifen. Grundlage hierfür bildet § 1004 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), der dem Eigentümer einen Unterlassungsanspruch einräumt, sofern die Einwirkung nicht durch eine Duldungspflicht gemäß § 906 BGB gedeckt ist. Der Eigentümer kann den Störer abmahnen und zur Beseitigung bzw. Unterlassung der Beeinträchtigung auffordern. Kommt der Nachbar dem nicht nach, kann beim zuständigen Amts- oder Landgericht eine Unterlassungsklage erhoben werden. Zusätzlich kann – wenn konkrete Gefahren für Leib, Leben oder wesentliche Sachwerte bestehen – auch ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt werden, um schnelle Abhilfe zu erhalten. Die gerichtliche Durchsetzung ist im Regelfall erst dann zulässig, wenn eine außergerichtliche Konfliktlösung, gegebenenfalls im Rahmen eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens nach den Nachbarrechtsgesetzen der Länder, erfolglos geblieben ist.

Wann besteht eine Duldungspflicht gegenüber Einwirkungen vom Nachbargrundstück?

Eine Duldungspflicht ist dann gegeben, wenn die von einem Nachbargrundstück ausgehenden Einwirkungen ortsüblich und unvermeidbar sind oder wenn sie die Benutzung des eigenen Grundstücks nur unwesentlich beeinträchtigen (§ 906 Abs. 1 BGB). Ob eine Einwirkung ortsüblich ist, richtet sich nach den örtlichen Gegebenheiten und der Nutzung der angrenzenden Grundstücke; dies gilt z.B. für landwirtschaftliche Gerüche in ländlichen Gegenden. Unerheblich ist die Duldungspflicht, wenn die Beeinträchtigung über das ortsübliche Maß hinausgeht oder alternativ durch zumutbare Maßnahmen verhindert werden könnte. Im Zweifelsfall müssen Gerichte anhand von Sachverständigengutachten prüfen, ob wirklich eine Duldungspflicht vorliegt. Eine Duldungspflicht besteht außerdem dann, wenn behördlich genehmigte Anlagen (§ 906 Abs. 2 BGB) rechtmäßig betrieben werden, es sei denn, der Eigentümer kann einen Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB geltend machen.

Welche Unterschiede bestehen zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Vorschriften bei Einwirkungen auf Nachbargrundstücke?

Privatrechtliche Vorschriften, insbesondere die §§ 903ff. BGB, regeln die Ansprüche zwischen den Grundstücksnachbarn direkt; hier steht insbesondere das Abwehrrecht gegen unzulässige Einwirkungen, Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche im Vordergrund. Öffentlich-rechtliche Vorschriften ergeben sich etwa aus dem Bauordnungsrecht, dem Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und den jeweiligen Landesgesetzen. Diese regeln vorrangig die Anforderungen an Baugenehmigungen, Abstandsflächen, Lärmschutzgrenzen etc. und werden von Behörden im Rahmen des Genehmigungs- und Überwachungsverfahrens kontrolliert. Beide Regelungsbereiche existieren nebeneinander, sodass sich ein Betroffener sowohl an Behörden (z.B. Bauamt, Umweltamt) als auch an die ordentlichen Gerichte wenden kann. Dennoch können öffentlich-rechtliche Genehmigungen Duldungspflichten im Privatrecht beeinflussen (siehe dazu § 906 Abs. 2 BGB).

Welche Rolle spielen lokale Satzungen und Nachbarrechtsgesetze der Länder?

Lokale Satzungen (zum Beispiel Baumschutzsatzungen, Immissionsrichtlinien) und spezielle Nachbarrechtsgesetze der Bundesländer ergänzen die bundesrechtlichen Regelungen. Die Nachbarrechtsgesetze enthalten nähere Vorschriften zu Einwirkungen wie Überwuchs, Grenzbepflanzungen, Einfriedungen oder nachbarliche Abstände für bauliche Anlagen. Sie regeln auch das Schlichtungsverfahren, bevor gerichtliche Maßnahmen zulässig sind. Die Ausgestaltung dieser Regelungen variiert stark zwischen den Bundesländern und kann im Einzelfall maßgeblich für die Beurteilung eines Einwirkungsstreits sein. Grundstückseigentümer sollten sich deshalb stets über die spezifischen landesrechtlichen Bestimmungen sowie etwaige gemeindliche Satzungen informieren.

Welche Bedeutung hat das Verschulden des Nachbarn bei unzulässigen Einwirkungen?

Das Verschulden des Nachbarn spielt vor allem im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen eine Rolle. Während für den Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB kein Verschulden des Störers erforderlich ist und bereits eine objektiv unzulässige Einwirkung genügt, ist für den Schadensersatzanspruch nach § 823 ff. BGB ein Verschulden des Nachbarn Voraussetzung. Das bedeutet, dass der Nachbar zumindest fahrlässig handeln muss, etwa indem er eine Anlage nicht ordnungsgemäß wartet oder gesetzliche Pflichten verletzt. Liegt kein Verschulden vor (z.B. höhere Gewalt, behördlich genehmigte und korrekt betriebene Anlagen), so scheidet ein Ersatzanspruch aus, es bleiben aber eventuell Ausgleichsansprüche nach § 906 Abs. 2 BGB möglich.

Wie verjähren Ansprüche aus Einwirkungen auf Nachbargrundstücke?

Ansprüche auf Beseitigung beziehungsweise Unterlassung nach § 1004 BGB unterliegen keiner normalen Verjährung, solange die Beeinträchtigung andauert. Erst nach endgültigem Wegfall der Einwirkung beginnt gemäß § 199 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren zu laufen. Schadensersatzansprüche hingegen verjähren in der Regel nach drei Jahren ab Kenntnis von Schaden und Schädiger, bei explosions- oder umwelthaften Schäden können abweichende Sonderregelungen greifen. Ansprüche aus nachbarrechtlichen Sonderregelungen der Landesgesetze (z.B. Überhang, Überbau) können teilweise deutlich kürzere Fristen aufweisen, sodass eine rasche Geltendmachung geboten ist.

Welche Rolle spielen Gutachten oder Beweissicherungsverfahren bei nachbarlichen Einwirkungen?

Bei Streitigkeiten über Art, Ausmaß und Ursache von Einwirkungen sind Sachverständigengutachten regelmäßig von zentraler Bedeutung. Sie dienen dazu, objektive Grundlagen etwa für Lärm-, Geruchs- oder Schadstoffimmissionen zu liefern und werden von Gerichten häufig eingeholt, um die Erheblichkeit und Zumutbarkeit der Einwirkung festzustellen. Ein gerichtliches oder außergerichtliches Beweissicherungsverfahren ist besonders dort sinnvoll, wo etwa bauliche Veränderungen, erhebliche Schäden oder wiederkehrende, schwer nachvollziehbare Einwirkungen zu dokumentieren sind. Das rechtzeitige Einleiten eines Beweissicherungsverfahrens kann entscheidend für die spätere Rechtsdurchsetzung sein.