Begriff und rechtliche Einordnung
Die Einwilligung des Verletzten ist die Zustimmung einer betroffenen Person dazu, dass in ein sonst rechtswidriges Verhalten zu ihrem Nachteil eingegriffen wird. Durch die wirksame Einwilligung verliert die Handlung ihren unerlaubten Charakter, etwa bei medizinischen Eingriffen, sportlichen Zweikämpfen oder einvernehmlichen körperlichen Eingriffen. Die Einwilligung wirkt als Rechtfertigungsgrund: Das Verhalten bleibt zwar tatbestandsmäßig (zum Beispiel eine Körperverletzung), ist aber aufgrund der Zustimmung nicht rechtswidrig. Neben der rechtfertigenden Einwilligung gibt es die eng verwandte Figur des Einverständnisses, bei dem bereits der Tatbestand entfällt (etwa beim Betreten eines Grundstücks mit Zustimmung der Berechtigten). Beide Institute unterscheiden sich in Voraussetzungen und Rechtsfolgen.
Voraussetzungen der wirksamen Einwilligung
Disponibilität des betroffenen Rechtsguts
Nur über bestimmte, vom Einzelnen beherrschbare Rechtsgüter kann wirksam verfügt werden. Dazu gehören insbesondere körperliche Unversehrtheit, Eigentum und allgemeine Persönlichkeitsbelange. Absolute Grenzen bestehen dort, wo das Rechtsgut der Disposition entzogen ist oder eine Zustimmung als gesellschaftlich nicht hinnehmbar gilt. Bei besonders gravierenden Eingriffen bestehen enge Grenzen; je höher das Risiko und je schwerer der Eingriff, desto strengere Anforderungen gelten an die Wirksamkeit der Zustimmung.
Einwilligungsfähigkeit und freie Willensbildung
Einwilligungsfähig ist, wer Bedeutung und Tragweite des Eingriffs versteht und seine Entscheidung darauf stützen kann. Es kommt auf die natürliche Einsichtsfähigkeit an, nicht auf formale Geschäftsfähigkeit. Alter, Reife und geistiger Zustand spielen eine Rolle. Bei Personen ohne ausreichende Einsichtsfähigkeit können gesetzliche Vertreter zustimmen, soweit es sich nicht um höchstpersönliche Entscheidungen handelt. Die Entscheidung muss Ausdruck eigener Willensbildung sein.
Freiwilligkeit und Druckfreiheit
Die Einwilligung muss freiwillig erfolgen. Sie ist unwirksam, wenn sie durch Zwang, unzulässigen Druck, erhebliche Täuschung oder Ausnutzung einer Notlage erlangt wurde. Auch subtile Beeinflussungen können die Freiwilligkeit beeinträchtigen, wenn sie die autonome Entscheidung aushebeln.
Aufklärung und Bestimmtheit
Die Zustimmung setzt ein hinreichendes Verständnis des Eingriffs voraus. Erforderlich ist in der Regel eine Aufklärung über Art, Zweck, mögliche Risiken und Alternativen in einem Umfang, der der konkreten Situation angemessen ist. Die Einwilligung muss sich auf einen bestimmten oder hinreichend bestimmbaren Eingriff beziehen; pauschale, grenzenlose Zustimmungen sind problematisch.
Zeitpunkt und Form
Die Einwilligung muss grundsätzlich vor oder spätestens bei Vornahme des Eingriffs vorliegen. Sie kann ausdrücklich erklärt oder durch schlüssiges Verhalten (konkludent) erteilt werden, sofern die Umstände eindeutig sind. In bestimmten Konstellationen ist eine ausdrückliche, eindeutige Erklärung üblich.
Widerruflichkeit und Umfang
Eine Einwilligung ist jederzeit widerruflich. Sie wirkt nur in dem Umfang, in dem sie erteilt wurde. Überschreitet der Handelnde die Grenzen der Zustimmung (z. B. hinsichtlich Intensität, Methode oder Zweck), fehlt es insoweit an einer wirksamen Einwilligung.
Besondere Erscheinungsformen und Abgrenzungen
Mutmaßliche Einwilligung
Von mutmaßlicher Einwilligung spricht man, wenn eine rechtzeitige Einholung nicht möglich ist, der Eingriff aber dem wohlverstandenen Willen der betroffenen Person entspricht. Maßgeblich sind objektive Anhaltspunkte dafür, wie sich die Person bei Kenntnis aller Umstände entschieden hätte. Ist ein entgegenstehender Wille bekannt oder erkennbar, scheidet mutmaßliche Zustimmung aus.
Einverständnis (tatbestandsausschließend)
Das Einverständnis unterscheidet sich von der rechtfertigenden Einwilligung: Es lässt bereits den Tatbestand entfallen, etwa wenn eine Person eine Handlung von vornherein nicht als Eingriff ansieht (z. B. Zutritt mit Zustimmung der Berechtigten). Die Anforderungen an Aufklärung und Einsichtsfähigkeit sind hier anders gelagert, da nicht ein Verbot aufgehoben, sondern der Tatbestand gar nicht erst verwirklicht wird.
Einwilligung im sozialen und sportlichen Kontext
Bei sportlichen Wettkämpfen oder sozialen Interaktionen stimmt die betroffene Person typischen, regelkonformen Risiken zu. Die Zustimmung deckt nur das, was im Rahmen der anerkannten Regeln und Gepflogenheiten liegt. Grobe Regelverstöße oder überobligatorische Härten sind regelmäßig nicht von der Einwilligung umfasst.
Medizinische Behandlung und Körpermodifikationen
Medizinische Eingriffe, kosmetische Behandlungen oder Körpermodifikationen stellen körperliche Eingriffe dar, die ohne Zustimmung grundsätzlich unzulässig wären. Eine wirksame Einwilligung setzt eine an der konkreten Maßnahme ausgerichtete Information und Freiwilligkeit voraus. Bei Personen ohne ausreichende Einsichtsfähigkeit ist die Entscheidung der Vertretungsberechtigten maßgeblich, soweit es nicht um höchstpersönliche Angelegenheiten geht. In dringlichen Notfällen kommt eine mutmaßliche Einwilligung in Betracht.
Rechtsfolgen
Strafrechtliche Konsequenzen
Ist die Einwilligung wirksam, entfällt die Rechtswidrigkeit der Handlung; eine Bestrafung wegen des Grunddelikts scheidet aus. Irrt sich der Handelnde über das Vorliegen einer Einwilligung oder deren Umfang, sind die Folgen je nach Art des Irrtums unterschiedlich. Maßgeblich ist, ob der Irrtum den Sachverhalt oder die rechtfertigende Wirkung betrifft; hiervon hängen Schuldspruch und Bewertung ab.
Zivilrechtliche Konsequenzen
Ohne Einwilligung kann eine rechtswidrige Verletzung Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche auslösen. Eine wirksame Einwilligung schließt diese Ansprüche grundsätzlich aus. Überschreitungen der erteilten Zustimmung können zu Haftung führen, insbesondere wenn die Handlung über die vereinbarte Maßnahme hinausgeht.
Beweis und Dokumentation
Wer sich auf eine Einwilligung beruft, muss deren Existenz, Reichweite und Voraussetzungen darlegen können. In sensiblen Bereichen ist eine klare, nachvollziehbare Dokumentation verbreitet, um Inhalt und Umfang der Zustimmung zu verdeutlichen.
Grenzen und Unwirksamkeitsgründe
Sitten- und Ordnungswidrigkeit
Selbst erteilte Zustimmungen können unwirksam sein, wenn der zugestimmte Eingriff grundlegenden Wertungen der Rechtsordnung widerspricht. Dies betrifft insbesondere extrem gefährliche, entwürdigende oder gemeinwohlgefährdende Handlungen.
Täuschung, Irrtum und Drohung
Wird die Einwilligung durch erhebliche Täuschung erlangt oder beruht sie auf einem wesentlichen Irrtum über Art, Umfang oder Risiken des Eingriffs, fehlt es an einer freien und informierten Entscheidung. Gleiches gilt bei Drohung oder Ausnutzung einer Zwangslage.
Schutz vulnerabler Personen
Bei Minderjährigen oder Personen mit eingeschränkter Einsichtsfähigkeit gelten gesteigerte Anforderungen. Die Wirksamkeit hängt von der individuellen Fähigkeit ab, die Tragweite des Eingriffs zu erfassen. Soweit ein Vertreter entscheiden darf, richtet sich dessen Befugnis nach dem Wohl und den berechtigten Interessen der betroffenen Person.
Abgrenzungen und verwandte Institute
Hausrecht und Zutrittsgestattung
Die Gestattung des Zutritts durch die Berechtigten ist ein Einverständnis, das bereits den Tatbestand bestimmter Eingriffsdelikte ausschließt. Im Unterschied dazu hebt die rechtfertigende Einwilligung die Rechtswidrigkeit einer an sich tatbestandsmäßigen Handlung auf.
Risikotragung und Haftungsfreistellung
Vertragliche Risikoübernahmen und Haftungsklauseln sind von der Einwilligung in konkrete Eingriffe zu unterscheiden. Eine allgemeine Risikoeinräumung ersetzt nicht stets die notwendige, auf einen bestimmten Eingriff gerichtete Zustimmung. Reichweite und Grenzen ergeben sich aus Inhalt, Transparenz und dem Schutzniveau der Rechtsordnung.
Zusammenfassung
Die Einwilligung des Verletzten erlaubt Eingriffe, die ohne Zustimmung unzulässig wären. Voraussetzung sind die Disponibilität des Rechtsguts, Einwilligungsfähigkeit, Freiwilligkeit, hinreichende Aufklärung, Bestimmtheit sowie Beachtung von Zeitpunkt und Umfang. Besondere Ausprägungen sind mutmaßliche Einwilligung und tatbestandsausschließendes Einverständnis. Grenzen ergeben sich aus Wertentscheidungen der Rechtsordnung, Täuschung, Drohung und dem Schutz vulnerabler Personen. Wirksame Einwilligung schließt in der Regel straf- und zivilrechtliche Verantwortlichkeit aus; Überschreitungen oder Mängel führen zur Unwirksamkeit mit entsprechenden Folgen.
Häufig gestellte Fragen zur Einwilligung des Verletzten
Wann ist eine Einwilligung wirksam?
Wirksam ist eine Einwilligung, wenn das betroffene Rechtsgut disponibel ist, die betroffene Person einwilligungsfähig und ihre Entscheidung freiwillig ist, sie ausreichend über Art, Zweck und Risiken informiert wurde, die Zustimmung hinreichend bestimmt ist und rechtzeitig vor oder bei der Handlung erteilt wurde. Sie gilt nur innerhalb des erklärten Umfangs.
Kann eine Einwilligung mündlich oder konkludent erfolgen?
Ja. Eine Einwilligung kann ausdrücklich, mündlich oder schriftlich erklärt werden oder sich aus eindeutigem Verhalten ergeben. Entscheidend ist, dass Inhalt und Tragweite der Zustimmung klar erkennbar sind. In sensiblen Bereichen ist eine klare, nachweisbare Erklärung üblich.
Dürfen Minderjährige wirksam einwilligen?
Das hängt von der individuellen Einsichtsfähigkeit und der Art des Eingriffs ab. Minderjährige können einwilligen, wenn sie Bedeutung und Folgen verstehen. Fehlt diese Fähigkeit, entscheiden Vertretungsberechtigte, soweit es nicht um höchstpersönliche Angelegenheiten geht. Je gewichtiger der Eingriff, desto strengere Maßstäbe gelten.
Gilt eine Einwilligung auch, wenn die vereinbarten Grenzen überschritten werden?
Nein. Die Wirksamkeit ist auf den erteilten Umfang beschränkt. Wird intensiver oder in anderer Weise gehandelt, als von der Zustimmung gedeckt, fehlt es insoweit an einer Einwilligung. Das kann straf- und zivilrechtliche Folgen haben.
Was ist der Unterschied zwischen Einwilligung und Einverständnis?
Die rechtfertigende Einwilligung lässt eine an sich tatbestandsmäßige Handlung rechtmäßig erscheinen. Das Einverständnis bewirkt bereits, dass der Tatbestand nicht erfüllt ist, weil die Handlung aus Sicht der betroffenen Person keinen Eingriff darstellt. Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen unterscheiden sich entsprechend.
Was bedeutet mutmaßliche Einwilligung?
Mutmaßliche Einwilligung liegt vor, wenn die Zustimmung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, aber nach objektiven Maßstäben anzunehmen ist, dass die betroffene Person bei Kenntnis aller Umstände zugestimmt hätte. Ist ein entgegenstehender Wille bekannt oder erkennbar, kommt sie nicht in Betracht.
Kann eine einmal erteilte Einwilligung widerrufen werden?
Ja. Eine Einwilligung ist grundsätzlich jederzeit widerruflich. Ab dem Widerruf fehlt es an einer wirksamen Zustimmung; weitere Eingriffe sind dann nicht mehr gedeckt.