Einwilligung des Verletzten
Begriff und Definition
Die Einwilligung des Verletzten ist ein zentraler Begriff im deutschen Strafrecht und Zivilrecht. Sie bezeichnet das vorgängige oder nachträgliche Einverständnis einer Person in eine ansonsten rechtswidrige Verletzung ihres eigenen Rechtsguts, insbesondere der körperlichen Unversehrtheit, der Ehre oder des Eigentums. Die Einwilligung hat die Wirkung, dass eine tatbestandsmäßige oder rechtswidrige Handlung unter bestimmten Voraussetzungen als rechtmäßig anzusehen ist und somit die Strafbarkeit oder Haftung entfällt.
Rechtsgrundlagen und Dogmatik
Strafrechtliche Relevanz
Im deutschen Strafrecht ist die Einwilligung des Verletzten anerkanntes Rechtfertigungselement. Sofern das Opfer in eine tatbestandliche Rechtsgutsverletzung wirksam eingewilligt hat, entfällt die Rechtswidrigkeit der Tat, was etwa für Straftaten wie Körperverletzung (§ 223 StGB) oder Sachbeschädigung (§ 303 StGB) entscheidend ist. Die Einwilligung ist kein Ausschluss des Tatbestandes, sondern rechtfertigt die Tat.
Rechtsgrundlagen im Gesetz
Obgleich die Einwilligung nicht ausdrücklich in allen Straftatbeständen geregelt ist, ist ihre Zulässigkeit als allgemeiner Rechtfertigungsgrund anerkannt (vgl. auch § 228 StGB für Körperverletzung mit Einwilligung, § 903 BGB für den Eigentumsschutz).
Voraussetzungen der wirksamen Einwilligung
Für die Wirksamkeit der Einwilligung des Verletzten müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:
Einwilligungsfähigkeit
Die einwilligende Person muss einwilligungsfähig sein, d. h. sie muss die Bedeutung und Tragweite der Rechtsgutsverletzung sachgerecht erfassen können. Dies erfordert grundsätzlich Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Minderjährige oder Personen mit eingeschränkter Geschäftsfähigkeit können oftmals nur mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters wirksam einwilligen (vgl. §§ 1626 ff. BGB).
Keine Willensmängel
Die Einwilligung muss frei von Willensmängeln wie Irrtum, Täuschung oder Zwang sein, damit sie wirksam ist. Wird die Einwilligung durch Drohung oder Täuschung erwirkt, kann sie unwirksam oder anfechtbar sein (§§ 123, 119 BGB entsprechend analog herangezogen).
Ausdrücklichkeit oder konkludentes Verhalten
Die Einwilligung kann ausdrücklich, d. h. durch eindeutige Erklärung, oder konkludent, d. h. durch schlüssiges Verhalten, erteilt werden. Es muss jedoch keine bestimmte Form eingehalten werden, sofern keine besonderen gesetzlichen Vorschriften entgegenstehen.
Bestimmtheit und Informiertheit
Eine Einwilligung ist nur wirksam, wenn sie konkret und informiert erfolgt. Das bedeutet, der Verletzte muss wissen, in welche Handlung mit welchen möglichen Folgen er einwilligt. Fehlt es an der nötigen Aufklärung über Risiken und Folgen, besteht keine wirksame Einwilligung.
Sittenwidrigkeit (§ 228 StGB)
Selbst bei vorliegender Einwilligung kann die Handlung dennoch strafbar sein, wenn sie gegen die guten Sitten verstößt. § 228 StGB stellt klar, dass eine Körperverletzung trotz Einwilligung strafbar ist, wenn sie “gegen die guten Sitten verstößt”. Die Sittenwidrigkeit wird insbesondere bei schwerwiegenden Eingriffen, sadistischen Praktiken oder Gefährdung des Lebens angenommen.
Rechtsfolgen der Einwilligung
Die Wirksamkeit der Einwilligung schließt grundsätzlich die Rechtswidrigkeit einer ansonsten strafbaren Handlung aus. Daraus folgt, dass eine Strafverfolgung oder Schadensersatzpflicht entfällt. Es existieren jedoch gesetzlich normierte Ausnahmen, zum Beispiel in Fällen der Einwilligung in schwere gesundheitliche Schädigungen oder andere elementare Rechtsgüter.
Grenzen der Einwilligung
Ausgeschlossene oder beschränkte Einwilligungsfähigkeit kann sich insbesondere im Bereich der körperlichen Selbstschädigung, bei medizinischen Eingriffen, im Sport sowie bei Sexualdelikten ergeben. Die Grenze zur Sittenwidrigkeit (§ 228 StGB) bildet einen wichtigen Schutzmechanismus.
Sonderbereiche und Praxisbeispiele
Einwilligung bei Körperverletzung (insbesondere § 228 StGB)
Die Einwilligung des Verletzten hat im Bereich der Körperverletzungsdelikte besondere Bedeutung. Sie ist vor allem bei medizinischen Heilbehandlungen, Körperschmuck (wie Piercings oder Tattoos) sowie sportlichen Betätigungen relevant. Auch in diesen Fällen muss die Einwilligung alle zuvor genannten Voraussetzungen erfüllen.
Medizinische Eingriffe
Medizinisch indizierte Behandlungen stellen strafrechtlich gesehen oftmals eine Körperverletzung dar und sind nur mit wirksamer Einwilligung des Patienten (§§ 630d, 630e BGB, Patientenrechtegesetz) rechtmäßig. Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, den Patienten vor dem Eingriff über die Natur, Schwere und Alternativen des Eingriffs ausreichend aufzuklären (aufklärungsgemäße Einwilligung). Bei fehlender oder fehlerhafter Aufklärung ist die Einwilligung unwirksam.
Sportliche Betätigung
Im Sport akzeptieren Teilnehmer das Risiko bestimmter, regelkonformer körperlicher Beeinträchtigungen. Die Teilnahme am Wettkampf gilt als stillschweigende Einwilligung in regelgerechte Verletzungen; nicht umfasst sind jedoch grob regelwidrige oder besonders gefährliche Handlungen.
Sexuelle Selbstbestimmung
Nach § 177 ff. StGB (Sexualstrafrecht) fehlt die Einwilligung, wenn der sexuelle Kontakt nicht erwünscht ist. Die ausdrücklich erklärte oder implizit erkennbare Einwilligung ist zentrale Abgrenzung zum strafbaren Verhalten.
Einwilligung im Zivilrecht
Auch im Zivilrecht ist die Einwilligung beachtlich, beispielsweise bei der Frage der Haftung für Schäden oder bei Eingriffen in Persönlichkeitsrechte (§§ 823, 1004 BGB). Eine Einwilligung schließt grundsätzlich die Rechtswidrigkeit des Eingriffs aus. Auch hier gelten die oben genannten Voraussetzungen entsprechend.
Widerruf der Einwilligung
Die Einwilligung kann vor Durchführung der Maßnahme jederzeit widerrufen werden. Ein späterer Widerruf macht bereits vollzogene Handlungen jedoch nicht rückwirkend rechtswidrig.
Dokumentation und Nachweis der Einwilligung
Insbesondere im medizinischen Bereich sollte die Einwilligung dokumentiert werden, um Streitigkeiten über das Vorliegen und die Reichweite der Einwilligung vorzubeugen. Auch im Zivilrecht empfiehlt sich eine Beweisführung im Streitfall.
Internationale Aspekte
Im ausländischen Recht unterscheiden sich die Regeln zur Einwilligung teils erheblich. Im anglo-amerikanischen Common Law ist die “consent defence” ähnlich ausgebildet. Europarechtliche Vorgaben, z. B. im Datenschutzbereich (GDPR), normieren Einwilligungen auch außerhalb des Straf- und Zivilrechts explizit.
Literatur und Rechtsprechung
Maßgebliche Urteile und Stellungnahmen der obersten Bundesgerichte (insbesondere BGH und BVerfG) prägen die Auslegung des Begriffs und die Anforderungen an eine wirksame Einwilligung. Die aktuelle Kommentarliteratur und Lehrbücher bieten umfassende Analysen und Auslegungshilfen.
Zusammenfassung:
Die Einwilligung des Verletzten ist ein wesentlicher und vielschichtiger Rechtsbegriff, der die Rechtmäßigkeit von Eingriffen in fremde Rechtsgüter voraussetzt. Neben strengen formalen und inhaltlichen Anforderungen kommt ihr praktisch große Bedeutung in Medizin, Sport, Sexualstrafrecht und Privatrecht zu. Durch die Einwilligung wird die Strafbarkeit oder zivilrechtliche Haftung für eine ansonsten rechtswidrige Handlung ausgeschlossen, sofern nicht übergeordnete Normen, wie etwa Sittenwidrigkeit oder Schutzpflichten, entgegenstehen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Anforderungen werden an die Wirksamkeit der Einwilligung des Verletzten gestellt?
Damit eine Einwilligung rechtlich wirksam ist, müssen verschiedene Voraussetzungen vorliegen. Zunächst muss der Einwilligende einwilligungsfähig sein, das heißt, er muss die Fähigkeit besitzen, die Bedeutung und Tragweite der Einwilligung zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln. Dies ist in der Regel mit Vollendung des 18. Lebensjahres gegeben, kann aber im Einzelfall auch bei jüngeren Personen angenommen werden, sofern diese die erforderliche Einsichtsfähigkeit besitzen. Weiterhin muss die Einwilligung freiwillig und ohne Zwang erfolgen; Drohungen, Täuschungen oder sonstige Einflussnahmen, die den Willen des Verletzten beeinträchtigen, führen zur Unwirksamkeit der Einwilligung. Schließlich setzt die wirksame Einwilligung voraus, dass der Betroffene zur Entscheidung sachgemäß aufgeklärt wird (sog. “informierte Einwilligung”). Nur wenn er über Art, Umfang, mögliche Folgen und Risiken der Maßnahme im Bilde ist, kann die Einwilligung als wirksam angesehen werden.
In welchen Fällen ist eine Einwilligung des Verletzten im Strafrecht relevant?
Die Einwilligung des Verletzten spielt insbesondere bei Tatbeständen mit Erfolgsdelikten an der Person, wie etwa Körperverletzungsdelikten (§ 223 StGB), eine wesentliche Rolle. Grundsätzlich beseitigt eine wirksame Einwilligung die Rechtswidrigkeit einer Tat, sofern das betroffene Rechtsgut disponibel ist. Die Einwilligung ist etwa von Bedeutung bei medizinischen Eingriffen, sportlichen Betätigungen mit Verletzungsrisiko oder etwa bei Body Modifications (Tätowierungen, Piercings). Sie ist dabei aber grundsätzlich ausgeschlossen bei Delikten, bei denen das Opfer nicht über das betroffene Rechtsgut disponieren kann (z.B. Tötungsdelikte oder schwere Körperverletzungen mit Lebensgefahr).
Ist eine Einwilligung widerruflich und was sind die rechtlichen Folgen eines Widerrufs?
Ja, eine Einwilligung kann grundsätzlich jederzeit frei widerrufen werden. Der Widerruf wirkt ab dem Moment, zu dem er dem (potentiellen) Täter zur Kenntnis gelangt ist. Eine danach erfolgte Handlung ist nicht mehr von der ursprünglichen Einwilligung gedeckt und kann folglich rechtswidrig sein. Es ist auch möglich, die Einwilligung auf bestimmte Handlungen oder Bedingungen zu beschränken; überschreitet der Handelnde den Rahmen dieser Einwilligung, liegt insoweit keine Rechtfertigung mehr vor.
Welche Rolle spielt die Sittenwidrigkeit der Tat bei der Einwilligung?
Nach § 228 StGB hat die Einwilligung keine rechtfertigende Wirkung, wenn die Körperverletzung trotz Einwilligung sittenwidrig ist. Die Sittenwidrigkeit beurteilt sich nach dem allgemeinen sittlichen Werteempfinden. Typischerweise wird sie bei schwerwiegenden Körperverletzungen insbesondere dann angenommen, wenn das Opfer durch die Tat in Lebensgefahr gerät oder die Handlung gegen fundamentale gesellschaftliche Normen verstößt (z.B. sog. “Herausfordernde Mutproben”, exzessiver Sadomasochismus). In diesen Fällen ist die Einwilligung unbeachtlich.
Muss die Einwilligung zwingend schriftlich erfolgen oder ist auch eine mündliche oder konkludente Einwilligung möglich?
Die Einwilligung bedarf grundsätzlich keiner besonderen Form und kann schriftlich, mündlich oder sogar konkludent – also durch schlüssiges Verhalten – erklärt werden. Entscheidend ist, dass dem Täter der Wille des Verletzten eindeutig und unmissverständlich zur Kenntnis gelangt. In bestimmten Bereichen, etwa bei medizinischen Eingriffen, ist jedoch aus Beweisgründen eine schriftliche Dokumentation der Einwilligung üblich und ratsam, aber nicht immer zwingend erforderlich.
Welche Bedeutung hat die Einwilligung im Zivilrecht, insbesondere bei Schadensersatzansprüchen?
Im Zivilrecht entfällt bei einer wirksamen Einwilligung regelmäßig die Rechtswidrigkeit der Handlung, sodass auch zivilrechtliche Ansprüche etwa auf Schadensersatz (§ 823 BGB) ausgeschlossen sind. Allerdings muss die Einwilligung, vor allem bei gravierenden Eingriffen, besonders sorgfältig dokumentiert sein, um im Streitfall beweissicher zur Verfügung zu stehen. Im Falle sittenwidriger Handlungen bleibt jedoch auch im Zivilrecht die Einwilligung unbeachtlich (§ 138 BGB).
Welche Besonderheiten gelten bei der Einwilligung von minderjährigen Personen?
Bei Minderjährigen ist zwischen der Einwilligungs- und der Einsichtsfähigkeit zu unterscheiden. Grundsätzlich kommt es auch bei ihnen auf die jeweilige Einsichtsfähigkeit an. Ist diese vorhanden, kann der Minderjährige – unter Umständen auch gegen den Willen der Eltern – in die Maßnahme einwilligen. In Zweifelsfällen, insbesondere bei medizinischen Eingriffen, kann eine Mitwirkung der gesetzlichen Vertreter erforderlich sein. Das Maß der erforderlichen Aufklärung und Beteiligung der Sorgeberechtigten richtet sich nach Art und Schwere des Eingriffs sowie dem Alter und der Reife des Minderjährigen.