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Einstellung der Vollstreckung


Begriff und rechtliche Grundlagen der Einstellung der Vollstreckung

Die Einstellung der Vollstreckung bezeichnet im deutschen Recht die (vorübergehende oder endgültige) Beendigung, Unterbrechung oder Aussetzung eines bereits eingeleiteten staatlichen Vollstreckungsverfahrens durch eine gerichtliche oder behördliche Entscheidung. Sie dient vor allem dem Schutz von Schuldnerinteressen, dem Rücksichtnehmen auf rechtliche Hinderungsgründe oder der Vermeidung unbilliger Härten.

Die Regelungen zur Einstellung finden sich in verschiedenen Verfahrensordnungen, insbesondere der Zivilprozessordnung (ZPO), der Strafprozessordnung (StPO), der Abgabenordnung (AO), im Verwaltungsvollstreckungsrecht und im Sozialgesetzbuch (SGB). Die genaue Ausgestaltung und die Voraussetzungen unterscheiden sich dabei je nach Rechtsgebiet.


Einstellung der Vollstreckung im Zivilrecht

Rechtsgrundlagen der zivilrechtlichen Vollstreckungseinstellung

Die Vollstreckung im Zivilprozessrecht basiert primär auf den §§ 704 ff. ZPO. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung kann gemäß §§ 769, 775, 776 ZPO erfolgen.

Vorläufige Einstellung nach § 769 ZPO

Das Prozessgericht kann auf Antrag die Vollstreckung aussetzen, wenn der Schuldner glaubhaft macht, dass er gegen den Vollstreckungstitel ein Rechtsmittel oder eine andere Einwendung eingelegt hat, deren Erfolgschancen offenstehen. Meist wird die Einstellung mit oder ohne Sicherheitsleistung gewährt.

Einstellung nach § 775 ZPO

Eine Einstellung oder Aufhebung erfolgt, wenn sich nachträglich ergibt, dass die Vollstreckungsvoraussetzungen entfallen sind. Gründe können zum Beispiel die Erfüllung des Anspruchs, Aufhebung des Vollstreckungstitels oder Anordnung der Restitution sein.

Einstellung nach § 776 ZPO

Die Einstellung der Vollstreckung ist auch dann möglich, wenn andere, außerhalb des titulierenden Erkenntnisverfahrens liegende Gründe die Vollstreckung unzulässig machen. Dazu zählen etwa materiellrechtliche Hindernisse.

Verfahrensablauf der Einstellung

Die Entscheidung über die Einstellung trifft das zuständige Vollstreckungsgericht oder das Prozessgericht erster Instanz (§ 764 ZPO). Sie kann mit oder ohne Sicherheitsleistung verfügt werden. Gegen die Entscheidung ist im Regelfall die sofortige Beschwerde (§ 793 ZPO) zulässig.

Rechtsfolgen der Einstellung

Mit der Einstellung der Vollstreckung wird das Verfahren vorübergehend (bei vorläufiger Einstellung) oder endgültig gehemmt. Bereits vorgenommene Vollstreckungsmaßnahmen können aufgehoben werden. Gezahlte Beträge werden, soweit rechtswidrig eingezogen, an den Schuldner zurückerstattet.


Einstellung der Vollstreckung im Strafrecht

Rechtsgrundlagen im Strafvollstreckungsverfahren

Im Strafvollstreckungsrecht ist die Einstellung der Vollstreckung hauptsächlich in der Strafprozessordnung geregelt (§§ 454b, 458 ff. StPO). Sie findet insbesondere bei erneuter Überprüfung gemeinschaftlicher oder mildernder Umstände Anwendung.

Typische Gründe und Verfahren

Eine Einstellung kommt unter anderem in Betracht:

  • bei Gnadenerweis, Amnestie oder Begnadigung,
  • im Gnadenverfahren (§ 453 StPO),
  • bei Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung (§§ 56 ff. StGB),
  • im Falle der Zahlungsunfähigkeit bei Geldstrafen (§ 459a StPO),
  • bei Tod des Verurteilten (§ 454a StPO).

Die Entscheidung trifft grundsätzlich die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde, gerichtlich überprüfbar bei entsprechenden Rechtsbehelfen.


Einstellung der Vollstreckung im Verwaltungsrecht

Vollstreckungseinstellung nach Verwaltungsvollstreckungsgesetzen

Im Verwaltungsvollstreckungsrecht regeln die jeweiligen Verwaltungsvollstreckungsgesetze des Bundes und der Länder (VwVG, LVwVG) die Einstellungsmöglichkeiten, etwa in § 19 VwVG.

Gründe für eine Einstellung sind typischerweise:

  • aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs bzw. einer Anfechtungsklage,
  • Erledigung des zugrunde liegenden Verwaltungsakts,
  • Untersagung durch das Gericht im vorläufigen Rechtsschutz.

Die Entscheidung trifft jeweils die Vollstreckungsbehörde; häufig kann gegen diese Verwaltungsentscheidung Widerspruch oder Antrag auf gerichtlichen Rechtsschutz eingelegt werden.


Einstellung der Vollstreckung im Steuer- und Abgabenrecht

Abgabenordnung und Einstellungsmöglichkeiten

Die Abgabenordnung (AO) regelt die Einstellung der Vollstreckung in § 257 AO, sofern die Steuerforderung ausgesetzt wird oder Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen. Dies ist etwa bei eingelegtem Einspruch mit Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO) der Fall.

Die Finanzbehörde stellt die Vollstreckung zusätzlich ein, wenn Unrichtigkeit des Steuerbescheids zu erwarten ist oder Billigkeitserwägungen greifen (§ 258 AO).


Sozialrechtliche Einstellung der Vollstreckung

Regelungen im SGB

Im Sozialrecht – beispielsweise im SGB X – können Vollstreckungsmaßnahmen eingestellt werden, wenn Rechtsmittel ergriffen wurden, neue Tatsachen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts wecken oder Aussetzung der Vollziehung gewährt wird.


Rechtsmittel und Rechtsschutz bei der Einstellung der Vollstreckung

Gegen die Entscheidung über die Einstellung oder Ablehnung der Einstellung der Vollstreckung kann in der Regel Beschwerde oder Klage eingelegt werden. Die jeweiligen Verfahrensordnungen regeln, ob und wann eine sofortige Beschwerde, ein Antrag auf gerichtlichen Rechtsschutz oder eine Klage zulässig ist.


Zusammenfassung

Die Einstellung der Vollstreckung ist ein zentrales Rechtsinstitut in sämtlichen Bereichen staatlicher Durchsetzung von Ansprüchen. Sie dient dem Ausgleich zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen, der Wahrung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen sowie der Verhinderung von Rechtsverlusten oder unbilligen Härten. Die materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen unterscheiden sich zwischen Zivil-, Straf-, Verwaltungs-, Steuer- und Sozialrecht, beruhen aber regelmäßig auf dem Grundsatz, dass keine rechtswidrige Vollstreckung stattfinden darf. Die Entscheidung über die Einstellung ist mit effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten ausgestattet, um sowohl die Interessen des Gläubigers als auch des Schuldners zu sichern.

Häufig gestellte Fragen

Unter welchen Voraussetzungen kann die Einstellung der Vollstreckung beantragt werden?

Die Einstellung der Vollstreckung kann grundsätzlich nur beantragt werden, wenn rechtliche Gründe dies rechtfertigen. Häufige Beispiele sind die Einlegung von Rechtsmitteln wie Einspruch, Widerspruch oder Berufung gegen den zugrundeliegenden Titel, einstweiliger Rechtsschutz (z.B. durch eine einstweilige Anordnung), oder das Vorliegen von Stundungsvereinbarungen bzw. Zahlungsaufschub. Auch unzumutbare Härte, etwa bei existenzieller Gefährdung des Schuldners, kann zur Einstellung führen. Regelmäßig ist ein Antrag bei der Vollstreckungsbehörde, dem Vollstreckungsgericht oder im Falle der Zwangsvollstreckung durch einen Gerichtsvollzieher bei diesem zu stellen. Die spezifischen Voraussetzungen ergeben sich jeweils aus den einschlägigen Gesetzen, wie etwa §§ 153 AO, 775, 769 ZPO oder landesrechtlichen Vorschriften. Der Antrag muss in der Regel die Tatsachen und Beweismittel genau darlegen und glaubhaft machen, weshalb die weitere Vollstreckung unzulässig oder unbillig wäre.

Wer ist für die Entscheidung über die Einstellung der Vollstreckung zuständig?

Die Zuständigkeit richtet sich zunächst danach, ob es sich um die gerichtliche oder eine behördliche Vollstreckung handelt. Bei der Vollstreckung eines zivilrechtlichen Titels ist regelmäßig das Vollstreckungsgericht gemäß §§ 764, 766, 769 ZPO zuständig. Handelt es sich um die Vollstreckung von öffentlich-rechtlichen Forderungen – etwa aus Steuer- oder Sozialleistungsbescheiden – ist die jeweilige Vollstreckungsbehörde bzw. die Verwaltung selbst für die Entscheidung zuständig, vgl. § 258 AO oder die entsprechenden Verwaltungsvollstreckungsgesetze (z.B. VwVG). Im Einzelfall können auch höhere Verwaltungsbehörden als Aufsichtsinstanzen zuständig sein. Bei laufenden Einsprüchen oder Berufungen kann zudem das Ausgangsgericht zur Einstellung ermächtigt werden.

Welche Wirkung hat die Einstellung der Vollstreckung auf den Titel selbst?

Die Einstellung der Vollstreckung betrifft ausschließlich die Zwangsvollstreckung als staatlichen Durchsetzungsakt und berührt die materielle Rechtskraft des Vollstreckungstitels nicht. Das bedeutet, dass durch die Einstellung weder der Anspruch selbst entfällt noch der Titel als solcher aufgehoben wird. Die Einstellung bewirkt lediglich, dass vorläufig oder dauerhaft keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen. Die Forderung als solche bleibt weiterhin bestehen, bis sie durch Zahlung, Aufhebung oder sonstige rechtskräftige Erledigung des Titels erlischt. Mit Wegfall des Einstellungsgrundes oder bei Ablehnung von Rechtsmitteln kann die Vollstreckung wieder aufgenommen werden.

Kann die Einstellung der Vollstreckung rückwirkend erfolgen?

Die Einstellung der Vollstreckung kann grundsätzlich nur für die Zukunft, also für noch nicht vollzogene Maßnahmen, angeordnet werden. Bereits durchgeführte Vollstreckungsmaßnahmen (wie die Kontopfändung oder Lohnpfändung) bleiben von der späteren Einstellung unberührt. Die Rückgängigmachung bereits erfolgter Vollstreckungshandlungen kann regelmäßig nur durch gesonderte Anträge, etwa auf Rückgabe gepfändeter Sachen oder Herausgabe von Erlös, erreicht werden, falls sich der zugrundeliegende Titel als nichtig oder fehlerhaft erweist. In einigen Fällen – etwa bei Erledigung des ursprünglichen Titels oder erfolgreicher Anfechtung desselben – ist eine Rückabwicklung im Wege des Schadensersatzes oder Bereicherungsrechts möglich.

Welche Rechtsmittel stehen gegen die Ablehnung eines Einstellungsantrages zur Verfügung?

Wird der Antrag auf Einstellung der Vollstreckung abgelehnt, stehen dem Antragsteller je nach Rechtsgebiet und Verfahrensstand unterschiedliche Rechtsschutzmöglichkeiten offen. Im zivilrechtlichen Vollstreckungsverfahren kommt insbesondere die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO gegen ablehnende Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts in Betracht. Im Verwaltungs- oder Steuerrecht kann Widerspruch, Anfechtungsklage oder auch Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß §§ 80, 80a VwGO beim Verwaltungsgericht erhoben werden. Daneben können in Eilfällen auch einstweilige Anordnungen beantragt werden, um nachteilige Folgen aus einer fortgesetzten Vollstreckung abzuwenden.

Ist für die Einstellung der Vollstreckung eine Sicherheitsleistung erforderlich?

Ob und unter welchen Umständen eine Sicherheitsleistung zu erbringen ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall und der rechtlichen Grundlage ab. Bei der Einstellung der Zwangsvollstreckung im Falle eines eingelegten, aber noch nicht entschiedenen Rechtsmittels sieht § 769 ZPO die Möglichkeit vor, die Einstellung nur gegen Stellung einer Sicherheit auszusprechen. Hierzu genügt in der Regel eine Bürgschaft, Bankgarantie oder die Hinterlegung eines entsprechenden Betrages. Sinn und Zweck der Sicherheitsleistung ist es, den Gläubiger für den Fall abzusichern, dass sich das Rechtsmittel als unbegründet erweist und die Vollstreckung nachträglich fortzusetzen ist.

Welche Folgen hat eine missbräuchliche oder unberechtigte Einstellung der Vollstreckung?

Eine unberechtigt oder missbräuchlich erwirkte Einstellung der Vollstreckung kann für den Antragsteller erhebliche rechtliche und finanzielle Folgen haben. Stellt sich nachträglich heraus, dass die Einstellung auf Grund falscher Angaben oder nichtzutreffender Tatsachen erfolgte, kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verlangen. Zudem drohen prozessuale Sanktionen, wie die Verwerfung des Antrags als unzulässig, und im Einzelfall sogar strafrechtliche Konsequenzen, etwa wegen versuchten Prozessbetrugs. Gerichte und Behörden prüfen daher die Voraussetzungen der Einstellung regelmäßig sehr sorgfältig.