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Einheitsstrafe


Einheitsstrafe

Die Einheitsstrafe ist ein grundlegendes Rechtsinstitut des deutschen Strafrechts, das maßgeblich bei der Aburteilung mehrerer Straftaten innerhalb eines einheitlichen Strafverfahrens zur Anwendung kommt. Sie ist die rechtliche Folge der sogenannten „Gleichzeitigkeit von Strafverfahren“, wenn eine Person wegen mehrerer, rechtlich selbständiger Straftaten verurteilt wird, diese jedoch in einem gerichtlichen Verfahren zu einer Gesamtstrafe verbunden werden. Die Regelungen zur Einheitsstrafe sind maßgeblich in § 54 des Strafgesetzbuches (StGB) verankert. Die Einheitsstrafe zentrale Bedeutung im deutschen Sanktionensystem, da sie eine Balance zwischen Schuldangemessenheit, Prävention und Rechtsgüterschutz bietet.


Anwendungsbereich der Einheitsstrafe

Die Einheitsstrafe kommt immer dann zur Anwendung, wenn eine oder mehrere Taten vor Gericht zusammengefasst werden, sofern keine rechtliche Konsumtion oder Spezialität vorliegen. Ihr Hauptanwendungsfeld ist die Gesamtstrafe nach §§ 53, 54 StGB. Die Einheitsstrafe betrifft nicht lediglich gleichartige Delikte, sondern alle rechtlich selbständigen Straftaten, die jeweils eigenständig strafbar sind und eine eigene Strafdrohung aufweisen.

Tatmehrheit (§ 53 StGB)

Die Einheitsstrafe setzt grundsätzlich voraus, dass zwischen den verurteilten Straftaten Tatmehrheit besteht. Tatmehrheit liegt vor, wenn der Angeklagte mehrere rechtlich selbständige Handlungen begangen hat, die jeweils für sich eine Straftat darstellen. Im Unterschied zur Tateinheit (Idealkonkurrenz) werden hier also verschiedene Handlungen rechtlich bewertet. Die Einheitsstrafe vereint die für jede Tat festgesetzten Einzelstrafen zu einer einheitlichen Gesamtstrafe.

Leistung der Einheitsstrafe zur Strafzumessung

Das Gericht trifft die Entscheidung über die Höhe der Einheitsstrafe unter Berücksichtigung aller Schuld- und Strafzumessungskriterien. Die gesetzlichen Grundlagen verlangen, dass die Gesamtstrafe „dem Unrechts- und Schuldgehalt der vereinigten Taten insgesamt entspricht“. Maßgebliches Ziel ist es, eine schuldangemessene und verhältnismäßige Strafe zu gewährleisten, ohne dass eine bloße Addition der Einzelstrafen erfolgt.


Bildung und Rechtsfolgen der Einheitsstrafe

Bildung der Einheitsstrafe nach § 54 StGB

Die Bildung einer Einheitsstrafe erfolgt nach den Regeln der §§ 53 ff. StGB. Einzelstrafen, die für jede abgeurteilte Tat separat zu bestimmen sind, werden durch gerichtlichen Entscheid zu einer einheitlichen Gesamtstrafe zusammengezogen. Dabei darf die gebildete Einheitsstrafe die Summe der Einzelstrafen grundsätzlich nicht überschreiten und muss die jeweils höchste Einzelstrafe übersteigen oder mindestens erreichen.

Festlegung des Strafrahmens
  • Obergrenze: Die Einheitsstrafe darf die Summe der für die Einzeltaten erkannten Strafen nicht überschreiten.
  • Untergrenze: Sie darf die höchste Einzelstrafe insgesamt nicht unterschreiten.
Bemessungskriterien nach § 54 StGB

Das Gericht hat bei der Festlegung der Einheitsstrafe insbesondere zu beachten:

  • Das Maß der Schuld für die Gesamtheit der Taten,
  • Die Wirkungen der Strafe auf den Täter,
  • Die Wechselwirkung und das Gewicht der abgeurteilten Straftaten zueinander.

Rechtsfolgen der Einheitsstrafe

Die Einheitsstrafe ersetzt die ursprünglich festgelegten Einzelstrafen vollständig. Mit Rechtskraft des Urteils existiert nur noch die Einheitsstrafe. Die Einzelstrafen dienen lediglich als Entscheidungsgrundlage und Orientierung für die Bemessung der Einheitsstrafe. Etwaige Strafaussetzungen zur Bewährung oder Nebenstrafen richten sich fortan nach den Regelungen für die Gesamtstrafe.


Abgrenzungen: Einheitsstrafe, Gesamtstrafe und Einzelstrafe

Die Einheitsstrafe ist terminologisch und systematisch von der Gesamtstrafe und Einzelstrafe zu unterscheiden:

  • Einzelstrafe: Strafe, die für jede einzeln abgeurteilte Tat von Gericht festgesetzt wird.
  • Gesamtstrafe: Die aus den Einzelstrafen gebildete und festgesetzte strafrechtliche Sanktion bei Tatmehrheit (§ 53 StGB).
  • Einheitsstrafe: Bezeichnet die durch dieses Verfahren gebildete Strafe als solche (gleichbedeutend mit Gesamtstrafe), im Unterschied zu Einzelstrafen.

Sonderfälle und Besonderheiten

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB)

Kommt es zur Verurteilung von Straftaten, die nach einer bereits rechtskräftigen Entscheidung begangen wurden, sieht das Gesetz eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung vor. Das Gericht, das zuletzt entscheidet, bildet eine neue Einheitsstrafe unter Einbeziehung der früher verhängten Strafen.

Mehrfache Verurteilungen und Teilrechtskraft

Sollte vor oder nach der Hauptverhandlung Teilrechtskraft oder Teilvollstreckung einzelner Strafen eintreten, ist das Gericht gehalten, unter Beachtung der Materie der Einheitsstrafe eine Gesamtstrafe aus allen noch zu berücksichtigenden Strafen zu bilden.

Besondere Regelungen bei Jugendstrafen

Im Jugendstrafrecht findet die Einheitsstrafe ausdrücklich mit einigen Modifikationen ebenfalls statt. Hierbei ist besonders auf die Vorschriften der §§ 31, 35 JGG zu achten, die eine gesonderte und teils abweichende Gesamtstrafenbildung für Jugendliche vorsehen.


Praktische Relevanz und Bedeutung der Einheitsstrafe

Die Einheitsstrafe hat erhebliche praktische Bedeutung für das deutsche Strafrechtssystem. Sie verhindert eine unverhältnismäßige Kumulation von Einzelstrafen bei mehreren abgeurteilten Straftaten und sichert so das Gebot schuldangemessener Bestrafung. Zugleich trägt sie zur Effizienz und Übersichtlichkeit der Strafzumessung im Rechtsalltag bei und unterstützt das strafrechtliche Ziel der Resozialisierung.


Literatur und weiterführende Normen

Gesetzliche Grundlagen:

  • §§ 53, 54, 55 StGB (Strafgesetzbuch)
  • §§ 31, 35 JGG (Jugendgerichtsgesetz)

Literaturhinweise:

  • Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar (aktuellste Auflage)
  • Schönke/Schröder, Kommentar zum StGB

Zusammenfassung

Die Einheitsstrafe repräsentiert ein zentrales Instrument des deutschen Strafrechts, das bei der Verurteilung von Mehrfachtätern eine sinnvolle, schuldeckende und verhältnismäßige Sanktionierung gewährleistet. Sie ist sowohl für eine angemessene individuelle Bestrafung und für die Rechtssicherheit im Strafprozessrecht von essenzieller Bedeutung und steht im Spannungsfeld zwischen Prävention, Schuldangemessenheit und Humanität.

Häufig gestellte Fragen

Wie wird die Einheitsstrafe im deutschen Strafrecht konkret gebildet?

Die Bildung der Einheitsstrafe erfolgt im sogenannten Realkonkurrenz- oder Tatmehrheitsfall, das heißt, wenn jemand mehrere selbstständige Straftaten begangen hat, die zusammen in einem Prozess abgeurteilt werden. Nach § 54 StGB bildet das Gericht aus den für die einzelnen Taten verwirkten Einzelstrafen eine Gesamtstrafe, die als Einheitsstrafe bezeichnet wird. Dabei ermittelt das Gericht zunächst die Strafe für jede einzelne Tat (Einzelstrafe) und bestimmt aus diesen Strafen dann unter Berücksichtigung aller strafzumessungsrelevanten Aspekte eine Gesamtstrafe, die die Schuld des Täters insgesamt abbilden soll. Die Einheitsstrafe darf nicht höher sein als die Summe der festgesetzten Einzelstrafen, allerdings auch nicht niedriger als die höchste Einzelstrafe. Die genaue Festlegung der Einheitsstrafe unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts und erfordert eine Abwägung aller schuldrelevanten Umstände aus den Einzeltaten.

Welche Auswirkungen hat die Bildung einer Einheitsstrafe auf Bewährung und Strafvollzug?

Die Bildung einer Einheitsstrafe beeinflusst sowohl die Frage, ob eine Aussetzung zur Bewährung in Betracht kommt, als auch die Modalitäten des Strafvollzugs. Die Bewährungsfähigkeit richtet sich stets nach der Höhe der verhängten Einheitsstrafe, nicht nach den Einzelstrafen. So kann etwa eine Kombination mehrerer einzelner Delikte, die für sich genommen jeweils bewährungsfähig (also maximal zwei Jahre Freiheitsstrafe) wären, in der Summe zu einer nicht mehr bewährungsfähigen Einheitsstrafe führen, wenn die Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre übersteigt. Hinsichtlich des Strafvollzugs gilt, dass nur die Einheitsstrafe vollstreckt wird, während die Einzelstrafen durch die Gesamtstrafe „verbraucht“ werden. Das bedeutet, dass ein Straferlass oder eine Teilverbüßung an der Einheitsstrafe anknüpft, nicht an den Einzelstrafen.

Können bei nachträglicher Verurteilung weitere Straftaten in die bestehende Einheitsstrafe einbezogen werden?

Ja, gemäß § 55 StGB ist eine nachträgliche Einbeziehung weiterer Straftaten möglich, wenn eine Person nach ihrer ersten Verurteilung wegen zusätzlich begangener und nicht bereits abgeurteilter Straftaten erneut vor Gericht steht. In diesem Fall wird die sogenannte „nachträgliche Gesamtstrafe“ gebildet. Voraussetzung ist, dass die weiteren Taten vor der ersten Verurteilung begangen wurden und dass die ursprüngliche Strafe bei Bildung der neuen Einheitsstrafe noch nicht vollständig vollstreckt ist. Das Gericht bildet dabei eine neue Einheitsstrafe aus den früheren und den jetzt abgeurteilten Taten, wobei die bereits verbüßte Strafzeit in entsprechender Weise angerechnet wird.

Ist eine nachträgliche Auflösung oder Reduzierung der Einheitsstrafe nach ihrer Rechtskraft möglich?

Nach Rechtskraft des Urteils ist eine grundsätzliche Änderung oder Auflösung der Einheitsstrafe nur in sehr engen Ausnahmefällen möglich, beispielsweise dann, wenn im sogenannten Wiederaufnahmeverfahren das Urteil über eine der einbezogenen Taten aufgehoben wird. In einem solchen Fall wird die Einheitsstrafe aufgehoben und neue Einzelstrafen oder eine neue Einheitsstrafe, gegebenenfalls unter Einbeziehung der verbliebenen Taten, festgesetzt. Auch eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO kommt in Betracht, wenn verfahrensrechtliche Besonderheiten dies gebieten. Eine bloße Korrektur des Umfangs ohne rechtliches Verfahren zur Aufhebung des früheren Urteils ist nicht möglich.

Wie verhält sich die Einheitsstrafe bei Verurteilungen in verschiedenen Verfahren?

Sind für verschiedene, aber sachlich zusammenhängende Taten mehrere Urteile ergangen – also wurde der Täter in getrennten Verfahren verurteilt – kann nach § 55 StGB unter bestimmten Voraussetzungen in einem späteren Verfahren eine Gesamtstrafe gebildet werden. Dies ist möglich, wenn die nun abgeurteilte Tat vor der ersten Verurteilung begangen wurde und die früheren Strafen noch nicht vollständig vollstreckt sind. Das Gericht kann dann die Einzelstrafen aus den unterschiedlichen Urteilen zusammenfassen und eine neue Einheitsstrafe festlegen. Einzelheiten zu Grenze und Verfahren regelt dabei die Strafprozessordnung, insbesondere um sicherzustellen, dass keine rechtsstaatswidrige Doppelbestrafung erfolgt.

Welche Bedeutung hat das Verschlechterungsverbot bei der Bildung der Einheitsstrafe in der Berufung oder Revision?

Das sogenannte Verschlechterungsverbot (Verbot der reformatio in peius) ist bei der Berufung und Revision von großer Bedeutung. Es bedeutet, dass das Urteil im Hinblick auf die Einheitsstrafe für den Angeklagten nicht zum Nachteil geändert werden darf, wenn allein er selbst oder zu seinen Gunsten das Urteil angefochten hat. Das Gericht muss bei der Neubildung der Einheitsstrafe im Berufungs- oder Revisionsverfahren sicherstellen, dass die neu festgesetzte Gesamtstrafe nicht zu einer höheren Belastung führt als in der ersten Instanz. Dieses Verbot erstreckt sich sowohl auf das Strafmaß als auch auf sonstige Strafausübungsfolgen, etwa die Frage der Bewährungsfähigkeit.

Welche Rolle spielen Verletzungen von Regeln zur Bildung der Einheitsstrafe im Rechtsmittelverfahren?

Fehler bei der Bildung der Einheitsstrafe können im Rechtsmittelverfahren (Berufung oder Revision) beanstandet werden. Typische Fehler sind beispielsweise die unzureichende Abwägung aller schuldrelevanten Umstände, die Nichtbeachtung der Ober- und Untergrenzen nach § 54 StGB oder das Missverständnis des Zeitpunkts, zu dem die Taten begangen wurden (relevante Reihenfolge für die Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB). Ein solcher Fehler kann zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch und zur Zurückverweisung an eine niedrigere Instanz führen, damit die Einheitsstrafe korrekt neu festgesetzt wird. Auch Verfahrensverstöße, etwa bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung, können ein erfolgreiches Rechtsmittel begründen.