Begriff und rechtliche Einordnung der Eingliederungsvereinbarung
Die Eingliederungsvereinbarung ist ein zentrales Instrument im Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland und dient dazu, die gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen Leistungsberechtigten und dem zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende festzulegen. Rechtsgrundlage ist insbesondere § 15 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Ziel der Eingliederungsvereinbarung ist die Förderung der Integration in Arbeit und die Sicherstellung aktiver Mitwirkung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten an Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt.
Rechtliche Grundlagen und Anwendungsbereich
Sozialgesetzbuch II (SGB II)
Nach § 15 SGB II ist die Eingliederungsvereinbarung ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und dem Jobcenter als Träger der Grundsicherung. Sie enthält individuelle Regelungen über die zu erbringenden Eigenbemühungen des Leistungsberechtigten sowie die Leistungen, welche der Träger zur Eingliederung erbringt. Die Vereinbarung zielt auf eine schnelle und nachhaltige berufliche Eingliederung ab.
Vertragscharakter und Abgrenzung zu Verwaltungsakten
Die Eingliederungsvereinbarung stellt eine Form des öffentlich-rechtlichen Vertrages nach § 53 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar. Kommt eine Einigung über den Inhalt zwischen den Vertragsparteien nicht zustande, kann das Jobcenter die vorgesehenen Regelungen per Verwaltungsakt, dem sogenannten „ersetzenden Verwaltungsakt“, festlegen.
Inhalt der Eingliederungsvereinbarung
Rechte und Pflichten der Vertragsparteien
Die Eingliederungsvereinbarung legt konkret und dem individuellen Fall angepasst die Pflichten des Leistungsberechtigten fest, beispielsweise:
- Nachweise von Bewerbungsbemühungen (Anzahl und Form)
- Teilnahme an Fördermaßnahmen (z.B. Qualifizierungsmaßnahmen, Aktivierungsmaßnahmen)
- Informations- und Mitteilungspflichten zum Verlauf der Arbeitsuche
Im Gegenzug werden durch die Eingliederungsvereinbarung die Leistungen des Jobcenters verbindlich festgelegt, etwa:
- Vorschläge passender Stellenangebote
- Übernahme notwendiger Kosten (z.B. für Bewerbungsunterlagen, Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen)
- Vermittlung und Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen
Form und Dauer
Die Eingliederungsvereinbarung ist grundsätzlich schriftlich abzuschließen und hat eine gesetzliche Höchstdauer von sechs Monaten (§ 15 Abs. 3 SGB II). Eine Verlängerung oder Änderung ist im gegenseitigen Einvernehmen jederzeit möglich.
Rechtsfolgen bei Verletzung der Vereinbarung
Sanktionen bei Pflichtverletzungen
Werden die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Eigenbemühungen oder Pflichten ohne wichtigen Grund nicht eingehalten, drohen gemäß § 31 SGB II Minderungen der Geldleistungen (Sanktionen). Die maßgebliche rechtliche Grundlage hierfür bildet § 31a SGB II.
Überprüfung und Anfechtung
Der erwerbsfähige Leistungsberechtigte kann rechtswidrige oder unangemessen belastende Inhalte der Eingliederungsvereinbarung bzw. des ersetzenden Verwaltungsaktes mit den Rechtsmitteln nach dem Sozialgerichtsgesetz überprüfen lassen. Insbesondere bei Erlass eines Verwaltungsaktes besteht die Möglichkeit der Widerspruchseinlegung.
Besonderheiten bei Personengruppen und Sonderformen
Jugendliche und junge Erwachsene
Für unter 25-Jährige gelten gesonderte Regelungen hinsichtlich des Sanktionsrechts und der Gestaltung der Eingliederungsvereinbarung (§ 15 SGB II i.V.m. § 31a SGB II). Die Anforderungen an Eigenbemühungen und an die Zusammenarbeit sind hier besonders hoch.
Maßgeschneiderte Eingliederungsvereinbarungen
Das Gesetz schreibt vor, dass die Inhalte individuell zugeschnitten und dem Einzelfall gerecht sein müssen. Pauschale oder standardisierte Vereinbarungen, die keine Rücksicht auf die persönliche Eignung und Lebenssituation nehmen, widersprechen den gesetzlichen Vorgaben.
Rechtsprechung zur Eingliederungsvereinbarung
Gerichte haben die Anforderungen an die Ausgestaltung und Durchführung einer Eingliederungsvereinbarung wiederholt präzisiert. Wichtige Aspekte sind die Bestimmtheit der vereinbarten Leistungen und Pflichten, die Beachtung der Zumutbarkeitsregeln (§ 10 SGB II) sowie die Wahrung des Gleichgewichts zwischen Förderung und fordern. Die Verpflichtung zur Berücksichtigung besonderer Lebenslagen, wie Krankheit oder Betreuungspflichten, ist regelmäßig Gegenstand von Verfahren.
Abgrenzung zu anderen Instrumenten der Arbeitsförderung
Die Eingliederungsvereinbarung ist abzugrenzen von Maßnahmen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), die für andere Personengruppen (z.B. Arbeitslosengeld I-Empfänger) gelten. Auch §§ 16 ff. SGB II enthalten eine Vielzahl ergänzender Instrumente, die innerhalb einer Eingliederungsvereinbarung konkretisiert werden können.
Literatur- und Quellenhinweise
- Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)
- Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)
- Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Eingliederungsvereinbarung
- Kommentierungen, insbesondere zu § 15 SGB II
Hinweis: Die obigen Ausführungen dienen der allgemeinen Information über Eingliederungsvereinbarungen im Kontext der Grundsicherung für Arbeitsuchende und ersetzen keine individuelle Beratung im Einzelfall.
Häufig gestellte Fragen
Können Sanktionen bei einer Eingliederungsvereinbarung ohne vorherige Anhörung verhängt werden?
Nein, Sanktionen dürfen nach dem rechtlichen Rahmen des Sozialgesetzbuches (insb. SGB II und SGB III) grundsätzlich nicht ohne eine vorherige Anhörung verhängt werden. Das Anhörungsverfahren ist ein verbindlicher Bestandteil des Verwaltungshandelns und wird durch § 24 SGB X geregelt. Vor der Verhängung einer Sanktion gegenüber einer leistungsberechtigten Person muss die Behörde dieser Gelegenheit geben, sich zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zu äußern, insbesondere wenn ein angeblicher Verstoß gegen die Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung vorliegt. Eine unterbliebene Anhörung kann zur Rechtswidrigkeit der Sanktion führen und bietet damit einen erheblichen Ansatzpunkt für einen Widerspruch oder eine Klage gegen die Sanktionsentscheidung. Die Behörde ist verpflichtet, die Umstände des Einzelfalles zu würdigen und insbesondere auch Entschuldigungsgründe oder eine eventuelle Unzumutbarkeit der Mitwirkung zu prüfen. Erst nach Abschluss des Anhörungsverfahrens kann eine Sanktion rechtmäßig ausgesprochen werden.
Ist es möglich, eine Eingliederungsvereinbarung nachträglich anzufechten oder anzupassen?
Die Eingliederungsvereinbarung (§ 15 SGB II) ist rechtsverbindlich, sobald sie von beiden Parteien – dem Leistungsträger (Jobcenter oder Agentur für Arbeit) und der leistungsberechtigten Person – unterzeichnet wurde. Allerdings ist es möglich, eine bereits geschlossene Eingliederungsvereinbarung im Nachhinein anzufechten, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Irrtümer, Täuschungen oder eine widerrechtliche Drohung vorlagen, wie im allgemeinen Vertragsrecht (§§ 119 ff. BGB) üblich. Darüber hinaus kann die Eingliederungsvereinbarung angepasst oder aufgehoben werden, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse wesentlich ändern oder ein wichtiger Grund vorliegt, etwa eine Veränderung der gesundheitlichen oder familiären Situation. In diesen Fällen ist ein Änderungsantrag beim zuständigen Leistungsträger zu stellen. Wird keine Einigung erzielt, kann der Träger die Verpflichtungen auch durch einen Verwaltungsakt ersetzen, gegen den ein Widerspruch möglich ist.
Welche Rechte stehen Leistungsberechtigten bezüglich der Ausgestaltung der Eingliederungsvereinbarung zu?
Leistungsberechtigte Personen haben das Recht, an der Ausgestaltung der Eingliederungsvereinbarung aktiv mitzuwirken. Insbesondere besteht ein Anspruch darauf, dass individuelle Besonderheiten und persönliche Vermittlungshemmnisse, wie gesundheitliche Einschränkungen oder familiäre Verpflichtungen, berücksichtigt werden (§ 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Die Eingliederungsvereinbarung ist somit auf den Einzelfall abzustimmen und darf keine einseitigen oder pauschalen Vorgaben enthalten. Leistungsberechtigte können Änderungsvorschläge einbringen und dürfen eine angebotene Vereinbarung auch ablehnen, sofern diese nicht ihren tatsächlichen individuellen Gegebenheiten entspricht. In solchen Fällen darf der Leistungsträger die Regelungen lediglich durch einen ersetzenden Verwaltungsakt festsetzen, gegen den Rechtsmittel eingelegt werden können.
Muss eine Eingliederungsvereinbarung befristet sein und was passiert nach Ablauf der Frist?
Eine Eingliederungsvereinbarung muss gemäß § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II befristet werden, wobei eine Höchstdauer von sechs Monaten vorgesehen ist. Nach Ablauf dieser Frist verliert die Vereinbarung grundsätzlich ihre Wirksamkeit und muss durch eine neue Vereinbarung ersetzt oder – falls keine Einigung erzielt wird – durch einen ersetzenden Verwaltungsakt fortgeführt werden. Ohne erneute Vereinbarung oder Verwaltungsakt bestehen keine fortgeltenden Pflichten. Die Befristung dient dem Zweck, regelmäßig zu prüfen, ob die getroffenen Maßnahmen noch zielführend und aktuell sind.
Können Pflichten durch einen Verwaltungsakt ohne Zustimmung festgesetzt werden?
Sofern keine Einigung über eine Eingliederungsvereinbarung zwischen der leistungsberechtigten Person und dem Leistungsträger erzielt wird, kann der Träger nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II die Inhalte durch einen Verwaltungsakt festsetzen. In diesem Fall ist die Zustimmung der leistungsberechtigten Person nicht erforderlich. Ein solcher Verwaltungsakt hat die gleiche rechtliche Wirkung wie eine gemeinsam unterzeichnete Vereinbarung. Der Verwaltungsakt kann mit einem Widerspruch und gegebenenfalls einer Klage vor dem Sozialgericht angefochten werden. Das Jobcenter ist bei der Festsetzung an die gleichen gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich Individualisierung und Verhältnismäßigkeit gebunden wie bei einer vertraglichen Vereinbarung.
Was passiert, wenn eine Eingliederungsvereinbarung nicht unterzeichnet wird?
Wird eine vorgeschlagene Eingliederungsvereinbarung von der leistungsberechtigten Person nicht unterzeichnet, ist dies rechtlich zulässig und keine Pflichtverletzung per se. Der abgelehnte Abschluss darf nicht unmittelbar sanktioniert werden. Stattdessen kann die Behörde die angestrebten Pflichten durch einen Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II festlegen. Erst wenn gegen die Pflichten aus dem Verwaltungsakt verstoßen wird, können Sanktionsmaßnahmen eingeleitet werden. Die Gründe für die Ablehnung der Unterzeichnung sollten dennoch dokumentiert werden, da diese in einem späteren Rechtsstreit Bedeutung haben können.
Welche formalen Anforderungen müssen an eine rechtmäßige Eingliederungsvereinbarung gestellt werden?
Eine rechtsgültige Eingliederungsvereinbarung muss sowohl inhaltlich als auch formal bestimmten Anforderungen genügen. Dazu zählt die Schriftform, die Unterzeichnung durch beide Vertragsparteien sowie die eindeutige Bezeichnung der individuellen Ziele und Maßnahmen (§ 15 Abs. 1 SGB II). Weiterhin müssen die gegenseitigen Pflichten klar, verständlich und überprüfbar aufgeführt werden. Unbestimmte oder zu weit gefasste Vorgaben (z.B. „Bemühungen nach Ermessen“) sind rechtswidrig. Darüber hinaus muss die Befristung und eine Regelung zur Überprüfung und ggf. Anpassung enthalten sein. Werden diese Anforderungen nicht erfüllt, kann die Eingliederungsvereinbarung in Bezug auf ihre Wirksamkeit angefochten werden.