Begriff und grundlegende Bedeutung des Eigentumsherausgabeanspruchs
Der Eigentumsherausgabeanspruch ist ein zentrales Rechtsinstitut im Sachenrecht, das dem Eigentümer das Recht gewährt, von jedem, der seine Sache widerrechtlich besitzt, die Herausgabe zu verlangen. Dieser Anspruch spielt vor allem in Fällen von Besitzverlust, Besitzstörung oder -verlagerung eine bedeutsame Rolle und dient der effektiven Durchsetzung des Eigentumsrechts. Der Eigentumsherausgabeanspruch ist im deutschen Recht vor allem in § 985 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt und stellt das sogenannte „dingliche Recht“ des Eigentümers auf Wiederauskehr seiner Sache dar.
Gesetzliche Regelung
§ 985 BGB – Herausgabeanspruch des Eigentümers
Die zentrale Norm für den Eigentumsherausgabeanspruch im deutschen Zivilrecht ist § 985 BGB. Der Wortlaut dieser Vorschrift lautet: „Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen.“ Daraus ergibt sich, dass zur erfolgreichen Durchsetzung des Anspruchs zwei Voraussetzungen notwendig sind:
- Eigentum des Anspruchstellers an der Sache
- Besitz der Sache durch eine andere Person (den Anspruchsgegner)
- Kein Recht zum Besitz des Besitzenden (§ 986 BGB)
Abgrenzung zu § 812 BGB (Bereicherungsrecht)
Der Eigentumsherausgabeanspruch ist von bereicherungsrechtlichen Ansprüchen (§ 812 BGB) wie der „Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung“ zu unterscheiden. Während § 985 BGB direkt an das Eigentumsrecht und den aktuellen Besitz anknüpft, findet § 812 BGB Anwendung, wenn Vermögenswerte ohne rechtlichen Grund erlangt wurden, unabhängig von sachenrechtlicher Zuordnung.
Voraussetzungen des Eigentumsherausgabeanspruchs
1. Eigentum
Der Anspruchsteller muss im Zeitpunkt der Geltendmachung Eigentümer der herausverlangten Sache sein. Eigentum wird entweder durch gesetzlichen Erwerb (z. B. Erbschaft) oder durch Rechtsgeschäft (insbesondere durch Übergabe und Einigung, § 929 BGB) erworben.
2. Besitz des Anspruchsgegners
Der Anspruchsgegner muss zum Zeitpunkt der Anspruchserhebung Besitzer der Sache sein. Besitz bezeichnet gemäß § 854 BGB die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache.
3. Kein Recht zum Besitz (§ 986 BGB)
Der Besitzer kann die Herausgabe verweigern, wenn ihm selbst oder einer dritten Person ein Recht zum Besitz zusteht. Solche Rechte können sich aus Gesetz, Vertrag oder einem sonstigen Rechtsverhältnis ergeben, wie z. B. ein Mietverhältnis, Leihe oder Pfandrecht.
Rechtsnatur und Charakteristika
Absolutes Recht
Der Eigentumsherausgabeanspruch ist als „absolutes Recht“ ausgestaltet: Er wirkt gegenüber jedermann, der widerrechtlich im Besitz der Sache ist. Der Anspruch kann von jedem Eigentümer gegen den jeweiligen, unberechtigten Besitzer geltend gemacht werden.
Dinglicher Anspruch
Im Gegensatz zu schuldrechtlichen Ansprüchen gründet der Eigentumsherausgabeanspruch unmittelbar auf dem Recht an der Sache selbst, d. h. auf dem Eigentum, und ist nicht auf vertragliche Vereinbarungen angewiesen.
Abgrenzung zu weiteren Ansprüchen
Herausgabeanspruch aus Besitzschutz (§ 861 BGB)
Ist ein früherer Besitzer durch verbotene Eigenmacht seines Besitzes beraubt worden, steht ihm innerhalb eines Jahres ein Herausgabeanspruch aus § 861 BGB zu. Dieser Anspruch ist vom Eigentumsherausgabeanspruch strikt zu trennen; ersterer dient dem Schutz des Besitzes, letzterer dem Schutz des Eigentums.
Bereicherungsrechtliche und deliktische Ansprüche
Neben dem Eigentumsherausgabeanspruch kommen gegebenenfalls bereicherungsrechtliche (§ 812 BGB) oder deliktische (§ 823 BGB) Herausgabe- oder Schadenersatzansprüche in Betracht, jedoch stets auf einer anderen rechtlichen Grundlage und mit unterschiedlicher Zielsetzung.
Inhalt und Umfang des Herausgabeanspruchs
Herausgabepflicht und Rückgewähr
Der Besitzer ist verpflichtet, die Sache an den Eigentümer herauszugeben. Bei bestimmten Sachverhalten erstreckt sich die Herausgabepflicht auch auf getrennte Bestandteile oder Nutzungen (bspw. Früchte, § 100 BGB).
Herausgabe von Surrogaten
Ist die Sache untergegangen oder nicht mehr auffindbar, kann sich der Anspruch gegebenenfalls auf Surrogate (Ersatzleistungen, Versicherungssummen etc.) erstrecken, allerdings ist hierfür regelmäßig ein zusätzlicher Anspruch (z. B. aus Bereicherungsrecht oder Schadensersatz) erforderlich.
Anspruchsgegner: Unmittelbarer und mittelbarer Besitzer
Der Anspruch richtet sich – mit wenigen Ausnahmen – an den unmittelbaren Besitzer. In bestimmten Konstellationen kann auch ein Herausgabeverlangen gegen den mittelbaren Besitzer (z. B. im Rahmen eines Besitzmittlungsverhältnisses) bestehen.
Durchsetzung des Eigentumsherausgabeanspruchs
Gerichtliche Durchsetzung
Weigert sich der Besitzer, die Sache freiwillig herauszugeben, kann der Herausgabeanspruch vor den ordentlichen Zivilgerichten geltend gemacht werden. Im Erfolgsfall erhält der Eigentümer einen vollstreckbaren Titel zur zwangsweisen Durchsetzung (§ 883 ZPO – Herausgabevollstreckung durch den Gerichtsvollzieher).
Verjährung
Der Eigentumsherausgabeanspruch unterliegt grundsätzlich keiner Verjährung, solange das Eigentum fortbesteht (§ 902 BGB). Lediglich bestimmte abgeleitete Ansprüche (z. B. Nutzungsersatz, Schadensersatz) unterliegen eigenen Verjährungsregelungen.
Ausschluss und Einschränkungen
Recht zum Besitz (§ 986 BGB)
Steht dem Besitzer ein Recht zum Besitz zu, etwa durch ein bestehendes Mietverhältnis oder aufgrund eines Pfandrechts, ist der Anspruch aus § 985 BGB ausgeschlossen.
Gutgläubiger Erwerber
Hat ein Dritter die Sache gutgläubig erworben (§§ 932 ff. BGB), scheidet ein Herausgabeanspruch des früheren Eigentümers gegen den gutgläubigen Erwerber aus.
Herausgabe unzumutbar
In seltenen Fällen (z. B. vollständige Zerstörung der Sache) entfällt die Herausgabepflicht. Dann kommen vielmehr Ansprüche auf Wertersatz in Betracht.
Besonderheiten im internationalen Sachenrecht
Im internationalen Kontext kann sich die Durchsetzbarkeit des Eigentumsherausgabeanspruchs nach dem Recht des Belegenheitsortes der Sache (lex rei sitae) richten; insbesondere im internationalen Warenverkehr und bei Verbringung ins Ausland sind unterschiedliche Rechtsordnungen zu beachten.
Praxisbeispiele
- Verlust des Fahrrads: Wird ein gestohlenes Fahrrad wiederaufgefunden und von einer fremden Person genutzt, kann der Eigentümer die Herausgabe verlangen, sofern kein gutgläubiger Erwerb vorliegt.
- Vermietete Wohnung: Der Vermieter kann nach Beendigung des Mietverhältnisses die Herausgabe der Wohnung fordern, jedoch nur, wenn das Mietrecht zum Besitz entfallen ist.
- Pfandrecht: Der Eigentümer kann vom Pfandgläubiger erst nach Erfüllung der gesicherten Forderung die Herausgabe verlangen.
Zusammenfassung
Der Eigentumsherausgabeanspruch nach § 985 BGB ist ein grundlegendes sachenrechtliches Instrument, das dem Eigentümer effektiven Schutz und Durchsetzung seiner Vermögensrechte an beweglichen und unbeweglichen Sachen ermöglicht. Die klare Trennung zu schuldrechtlichen, bereicherungsrechtlichen und deliktischen Ansprüchen sowie die Beachtung von Besitzrechten Dritter sind unerlässliche Voraussetzungen für dessen erfolgreiche Anwendung. Die praktische Relevanz reicht von alltäglichen Fallgestaltungen bis hin zu komplexen, internationalen Sachverhalten im Wirtschaftsverkehr.
Häufig gestellte Fragen
Welche Voraussetzungen müssen für die Durchsetzung des Eigentumsherausgabeanspruchs vorliegen?
Für die erfolgreiche Durchsetzung des Eigentumsherausgabeanspruchs nach § 985 BGB müssen mehrere rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Der Anspruchsteller muss zunächst beweisen, dass er zum Zeitpunkt der Geltendmachung Eigentümer der herausverlangten Sache ist. Weiterhin darf sich die Sache im Besitz des Anspruchsgegners befinden, der wiederum kein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB haben darf. Das bedeutet beispielsweise, dass der Besitz nicht durch ein wirksames Besitzrecht – etwa vertraglicher Art (Miete, Leihe, Verwahrung) oder gesetzlicher Art (Pfandrecht, Zurückbehaltungsrecht) – gedeckt sein darf. Neben den formellen Ansprüchen ist auch darauf zu achten, dass keine Verjährung vorliegt und etwaige Einwendungen oder Einreden, wie Leistungsverweigerungsrechte oder Zurückbehaltungsrechte, nicht greifen.
Wie verhält sich der Anspruch auf Eigentumsherausgabe gegenüber dinglichen Sicherungsrechten wie dem Pfandrecht?
Ein bestehendes Pfandrecht als Sicherungsrecht auf der betreffenden Sache begründet ein Besitzrecht des Pfandgläubigers im Sinne des § 986 BGB, welches vorrangig gegenüber dem Herausgabeanspruch ist. Das bedeutet, dass solange das Pfandrecht besteht und nicht erloschen ist, der Pfandgläubiger berechtigt ist, den Besitz an der Sache zu behalten. Erst mit der vollständigen Erfüllung der gesicherten Forderung oder einem anderen Erlöschensgrund des Pfandrechts entfällt dieses Besitzrecht, sodass der Eigentümer die Sache vom Pfandgläubiger herausverlangen kann.
Welche Rolle spielt der gute Glaube des Besitzers beim Eigentumsherausgabeanspruch?
Der gute Glaube des Besitzers an das eigene oder eines Dritten Besitzrecht steht dem Eigentumsherausgabeanspruch grundsätzlich nicht entgegen. Eigentumsschutz ist absolut und unabhängig davon, ob der Besitzer im guten oder schlechten Glauben ist. Allerdings kann ein redlicher Erwerb in besonderen Fällen nach §§ 932 ff. BGB dazu führen, dass der Besitzer selbst Eigentümer geworden ist, wodurch der Herausgabeanspruch entfällt. In Ausnahmefällen, etwa im Rahmen von § 985 i.V.m. § 986 BGB, spielt der gute Glaube im Zusammenhang mit Besitzrechten aus abgeleiteten Rechtsverhältnissen eine Rolle.
In welchen Fällen ist die Durchsetzung des Anspruchs auf Eigentumsherausgabe ausgeschlossen?
Die Durchsetzung des Eigentumsherausgabeanspruchs ist insbesondere dann ausgeschlossen, wenn der Besitzer ein Recht zum Besitz nach § 986 BGB hat. Beispiele sind bestehende Miet-, Pacht-, oder Leihverhältnisse sowie Sicherungsrechte wie Pfandrecht oder ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB). Daneben können auch sonstige Einreden wie Verjährung (§ 214 BGB) oder Stundungsvereinbarungen geltend gemacht werden. Ebenso kann eine konkrete vertragliche Regelung, die etwa ein Besitzrecht zu Gunsten des bisherigen Besitzers oder ein Besitzmittlungsverhältnis vorsieht, den Anspruch ausschließen.
Wie kann ein Herausgabeurteil im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden?
Sollte der Eigentumsherausgabeanspruch gerichtlich durch Urteil festgestellt werden, so kann der Gläubiger die Zwangsvollstreckung nach § 883 ZPO (Zivilprozessordnung) betreiben. Hierbei wird der Gerichtsvollzieher mit der Herausgabe der Sache an den Eigentümer beauftragt. Stellt sich heraus, dass sich die Sache nicht mehr im Besitz des Schuldners befindet oder der Herausgabe nicht mehr zugänglich ist, kann gemäß § 887 ZPO ein Anspruch auf Herausgabeersatz, in Form von Schadensersatz, durchgesetzt werden. Die genaue praktische Durchsetzung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, wie der Beschaffenheit der Sache und der Mitwirkung des Schuldners.
Welche Ansprüche bestehen bei Verschlechterung, Untergang oder Veräußerung der Sache während des Herausgabeprozesses?
Geht die Sache während des Herausgabeprozesses unter oder wird sie verschlechtert, hat der Eigentümer grundsätzlich Anspruch auf Schadensersatz (insbesondere §§ 989, 990 BGB), wenn der Besitzer bösgläubig war oder zum Zeitpunkt des Untergangs kein Recht zum Besitz mehr hatte. Veräußert der Besitzer die Sache weiter, kann der Eigentümer unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. bei gutgläubigem Erwerb des Dritten ausgeschlossen) auch von diesem Herausgabe verlangen oder folgende Ansprüche auf Wertersatz geltend machen. Ferner kommen Bereicherungsansprüche gem. §§ 812 ff. BGB in Betracht, wenn der Besitzer durch die Verwertung einen Vermögensvorteil erlangt hat.
Gibt es Besonderheiten beim Eigentumsherausgabeanspruch bei unbeweglichen Sachen (Immobilien)?
Ja, bei Immobilien kann der Eigentumsherausgabeanspruch insbesondere in Gestalt der Räumungsklage geltend gemacht werden, wenn der Nichtberechtigte den Besitz an einem Grundstück oder Gebäude innehat. Hier gelten die besonderen Vorschriften der §§ 985, 986 BGB in Verbindung mit miet- und wohnraumschutzrechtlichen Regelungen. Die Zwangsvollstreckung erfolgt nach den §§ 885, 885a ZPO (Räumungsvollstreckung). Bei Immobilien sind zudem stets dingliche Rechte Dritter (Hypotheken, Grundschulden, Dienstbarkeiten) sowie das besondere Schutzbedürfnis von Mietern und Pächtern zu berücksichtigen, die unter Umständen den Herausgabeanspruch zeitlich oder inhaltlich beschränken können.