Definition und rechtlicher Begriff: Verbotene Eigenmacht
Unter „verbotener Eigenmacht” versteht man einen im deutschen Zivilrecht normierten Tatbestand, bei dem jemand einem anderen den Besitz ohne dessen Willen und ohne rechtfertigenden Grund entzieht oder ihn in der Ausübung des Besitzrechts beeinträchtigt. Die Regelung hierzu findet sich in § 858 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Begriff dient insbesondere dem Schutz des Eigen- und Fremdbesitzers vor Eingriffen Dritter in die tatsächliche Sachherrschaft.
Gesetzliche Grundlage und Umfang
§ 858 BGB – Verbotene Eigenmacht
Der Wortlaut des § 858 Abs. 1 BGB lautet:
„Wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn in der Ausübung des Besitzes stört, begeht verbotene Eigenmacht.”
Diese gesetzliche Norm bezweckt den Erhalt des Rechtsfriedens und schützt unabhängig von etwaigen Eigentumsverhältnissen den Bestand und die Ausübung von Besitz.
Abgrenzung zu anderen Sachverhalten
Verbotene Eigenmacht ist von weiteren gesetzlichen Tatbeständen, wie etwa Diebstahl (§ 242 StGB), Unterschlagung (§ 246 StGB) oder Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) abzugrenzen. Im Gegensatz zu diesen richtet sich die Regelung der verbotenen Eigenmacht nicht primär auf das Strafrecht, sondern verfolgt zivilrechtlichen Schutz des Besitzes. Allerdings kann verbotene Eigenmacht auch strafrechtliche Relevanz entfalten, etwa im Rahmen des Hausfriedensbruchs.
Tatbestandsmerkmale der verbotenen Eigenmacht
1. Besitz des Betroffenen
Geschützt wird sowohl der Eigenbesitzer als auch der Fremdbesitzer. Besitz im Sinne des § 858 BGB meint die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache (§ 854 BGB), unabhängig vom Bestehen eines Rechts zum Besitz.
2. Besitzentzug oder Besitzstörung
- Besitzentzug liegt vor, wenn der Besitzer in seiner tatsächlichen Sachherrschaft so beeinträchtigt wird, dass er die Gewalt über die Sache verliert.
- Besitzstörung meint jede sonstige, nicht vollständige Beeinträchtigung der Sachherrschaft, wie z.B. das Blockieren einer Garagenausfahrt.
3. Handeln gegen oder ohne den Willen des Besitzers
Die Maßnahme muss gegen den ausdrücklichen oder vermuteten Willen des bestehenden Besitzers erfolgen. Erfolgt die Besitzbegründung oder -beibehaltung im Einvernehmen, liegt keine verbotene Eigenmacht vor.
4. Ohne Befugnis – Rechtswidrigkeit
Die Entziehung oder Störung darf nicht durch ein Gesetz gestattet oder gedeckt sein. Beispiele für legitime Eingriffe sind Maßnahmen der Zwangsvollstreckung oder das Abholrecht des Eigentümers bei nachvollziehbarem Anspruch.
Rechtsfolgen einer verbotenen Eigenmacht
Selbsthilferecht des Besitzers nach § 859 BGB
Besitzern wird in bestimmten Grenzen gestattet, sich der verbotenen Eigenmacht zu erwehren, soweit dabei keine Grenzen der Notwehr oder Selbshilfe überschritten werden.
- § 859 Abs. 1 BGB: Der unmittelbare Besitzer kann sich mit Gewalt gegen verbotene Eigenmacht wehren.
- § 859 Abs. 2 und 3 BGB: Bei Besitzentzug an beweglichen Sachen oder Grundstücken darf der Besitzer die Sache unmittelbar nach der Entziehung auch mit Gewalt zurücknehmen.
Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche (§ 862 BGB)
Wird der Besitz durch eine verbotene Eigenmacht gestört oder entzogen, kann der Besitzer vom Störer Beseitigung der Störung oder bei Wiederholungsgefahr Unterlassung verlangen.
Schadensersatzansprüche
Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen (§§ 249 ff. BGB) kommt unter Umständen auch ein Anspruch auf Ersatz des durch die verbotene Eigenmacht entstandenen Schadens in Betracht.
Ausschluss und Grenzen des Besitzschutzes
Der Schutz vor verbotener Eigenmacht findet nach § 861 Abs. 2 und § 862 Abs. 2 BGB dann keine Anwendung, wenn der Entziehende einen besseren Besitzanspruch hat, etwa als Eigentümer mit Recht zum Besitz. Darüber hinaus ist das Selbsthilferecht aus § 859 BGB zeitlich eng befristet (Unmittelbarkeit der Handlung).
Beispiele für verbotene Eigenmacht
- Unbefugtes Betreten oder Besetzen einer Wohnung oder eines Grundstücks.
- Entfernung eines Fahrzeugs von einem gemieteten Stellplatz ohne Zustimmung des Mieters.
- Blockieren einer Privatstraße gegen den Willen des Besitzers.
Beziehung zu anderen Rechtsgebieten und Rechtsfolgen
Verbotene Eigenmacht und Strafrecht
In bestimmten Fällen kann eine verbotene Eigenmacht auch strafrechtlich relevant sein, beispielsweise als Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB, wenn ein befriedetes Besitztum ohne Erlaubnis betreten wird.
Zusammentreffen mit dem Eigentümer-Besitz-Verhältnis
Auch Eigentümer können sich der verbotenen Eigenmacht schuldig machen, wenn sie sich ohne rechtlichen Weg eigenmächtig den Besitz verschaffen – etwa durch Ausübung des „Faustrechts”.
Literatur und weiterführende Informationen
Gesetzliche Vorschriften:
- § 858 BGB – Verbotene Eigenmacht
- § 859 BGB – Selbsthilfe des Besitzers
- § 861 BGB – Anspruch auf Herausgabe bei Entziehung des Besitzes
- § 862 BGB – Anspruch wegen Besitzstörung
Urteile:
- BGH, Urteil vom 11. März 1992 – VIII ZR 316/90 (zur unberechtigten Wohnungsräumung)
- BGH, Urteil vom 13. Juni 1975 – V ZR 161/73 (Blockade einer Garageneinfahrt)
Zusammenfassung
Die „verbotene Eigenmacht” stellt im deutschen Zivilrecht einen zentralen Besitzschutz dar und ahndet eigenmächtige Eingriffe in die tatsächliche Herrschaft über Sachen, unabhängig von Eigentumsverhältnissen. Sie wird sowohl als Entziehung wie auch Störung des Besitzes gefasst und gibt dem Besitzer sowohl unmittelbare Abwehrrechte als auch zivilrechtliche Ansprüche. Die strikte Anwendung dieses Besitzschutzes dient dem Rechtsfrieden und dem Schutz vor privater Selbstjustiz. Die Vorschriften hierzu finden sich vornehmlich in den §§ 858 ff. BGB und sind für eine Vielzahl von Besitzverhältnissen im Alltag relevant.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Folgen kann eine verbotene Eigenmacht nach sich ziehen?
Verbotene Eigenmacht ist gemäß § 858 BGB eine unerlaubte Selbsthilfehandlung, bei der jemand einem anderen den Besitz ohne dessen Willen entzieht oder ihn in seinem Besitz stört. Rechtlich gesehen kann eine solche Handlung sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Zivilrechtlich ist derjenige, der verbotene Eigenmacht übt, gemäß § 861 BGB zur Wiederherstellung des früheren Besitzstandes verpflichtet. Das bedeutet, der ursprüngliche Besitzer kann im Wege der sogenannten Besitzkehr die sofortige Rückgabe oder Beseitigung des Störungszustandes verlangen. Daneben kann unter Umständen auch ein Schadensersatzanspruch nach § 823 BGB bestehen, etwa wenn durch die Besitzentziehung ein weitergehender Schaden verursacht wurde. Strafrechtlich kann verbotene Eigenmacht je nach Einzelfall auch unter die Tatbestände des Diebstahls (§ 242 StGB), der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) oder der Nötigung (§ 240 StGB) fallen, sofern die entsprechenden Merkmale erfüllt sind.
Wer ist zur Geltendmachung eines Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs berechtigt?
Zur Geltendmachung eines Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs im Fall verbotener Eigenmacht ist grundsätzlich der unmittelbare Besitzer des betroffenen Gegenstandes oder Grundstücks berechtigt. Besitzer ist dabei nicht notwendigerweise der Eigentümer, sondern diejenige Person, die die tatsächliche Sachherrschaft über die Sache innehat. Daher kann etwa auch ein Mieter, Pächter oder Entleiher gegen verbotene Eigenmacht vorgehen, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen. Im Falle von gemeinschaftlichem Besitz können auch einzelne Mitbesitzer entsprechende Ansprüche geltend machen, soweit sie in ihrem eigenen Besitz gestört werden.
Gibt es eine Verjährungsfrist für die Ansprüche wegen verbotener Eigenmacht?
Ja, für Ansprüche wegen verbotener Eigenmacht gelten im deutschen Zivilrecht bestimmte Verjährungsfristen. Der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 862 BGB unterliegt gemäß § 864 Abs. 1 BGB einer sehr kurzen Ausschlussfrist: Er kann nur binnen eines Jahres ab dem Zeitpunkt, in dem der aktuelle Besitzer von der Störung und der Person des Störers Kenntnis erlangt, geltend gemacht werden. Erhebt der Besitzer nicht innerhalb dieser Frist Klage, verliert er sein Recht auf Besitzwehr und Besitzkehr. Schadensersatzansprüche unterliegen hingegen den regulären Verjährungsfristen des § 195 BGB, die drei Jahre betragen und mit Ende des Jahres beginnen, in dem der Anspruch entstanden ist und der Geschädigte von den maßgeblichen Umständen Kenntnis erlangt hat.
Welche Abwehrmöglichkeiten hat der von verbotener Eigenmacht Betroffene?
Dem Betroffenen stehen mehrere rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich gegen verbotene Eigenmacht zur Wehr zu setzen. Zunächst erlaubt § 859 BGB eine sogenannte „Besitzwehr” beziehungsweise „Besitzkehr”, das heißt, dass der Besitzberechtigte sich in engen Grenzen auch mit eigenen Mitteln, also notfalls mit Gewalt gegen die Besitzentziehung oder -störung zur Wehr setzen darf, solange und soweit die staatliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist. Daneben bestehen die bereits erwähnten zivilrechtlichen Ansprüche auf Herausgabe beziehungsweise Unterlassung. Zum Schutz des rechtmäßigen Besitzes kann der Betroffene auch gerichtlichen Eilrechtsschutz beantragen, etwa durch eine einstweilige Verfügung. In besonders schwerwiegenden Fällen kann zudem Strafanzeige erstattet werden.
In welchen Situationen liegt typischerweise eine verbotene Eigenmacht vor?
Typische Fälle verbotener Eigenmacht treten etwa auf, wenn ein Vermieter selbstständig das Türschloss einer vermieteten Wohnung austauscht, den Mieter aussperrt und dadurch den Besitz an der Wohnung entzieht; wenn jemand unbefugt ein abgestelltes Fahrzeug umparkt oder abschleppt, um sich einen Parkplatz zu verschaffen; oder wenn Nachbarn eigenmächtig einen Zaun auf dem Grundstück eines anderen errichten, um ihren Grundstückszugang zu regeln. Auch das eigenständige Entfernen fremden Eigentums von einem gemeinsam genutzten Grundstück ohne Rücksprache kann eine verbotene Eigenmacht darstellen. Entscheidend ist stets, dass dem Besitzer der tatsächliche Besitz ohne rechtlichen Grund ganz oder teilweise entzogen oder dieser in seinem Besitz gestört wird.
Ist die Ausübung verbotener Eigenmacht in bestimmten Fällen gerechtfertigt?
In seltenen Ausnahmefällen kann eine an sich verbotene Eigenmacht durch gesetzlich anerkannte Selbsthilferechte gerechtfertigt sein. So erlaubt § 229 BGB eine Selbsthilfe zur Verteidigung eines bestehenden Besitzes, wenn gerichtliche Hilfe zu spät käme und die Handlung zur Abwehr erforderlich ist. Beispiele sind etwa das sofortige Festhalten eines Diebes oder das Abwehren einer drohenden Sachbeschädigung. Auch in Notwehrsituationen (§ 227 BGB) kann eine Handlung, die objektiv verbotene Eigenmacht darstellt, gerechtfertigt sein. Außerhalb dieser engen Ausnahmen ist jedoch stets der gesetzliche Weg über die Gerichte einzuhalten, da das staatliche Gewaltmonopol grundsätzlich keine eigenmächtige Durchsetzung von Ansprüchen duldet.
Kann auch der Eigentümer eine verbotene Eigenmacht begehen?
Ja, auch der Eigentümer einer Sache kann sich der verbotenen Eigenmacht schuldig machen, wenn er einer anderen Person den tatsächlichen Besitz an der Sache ohne deren Willen entzieht oder diesen in seinem Besitz stört. Dabei ist rechtlich unerheblich, ob die Person, die gerade den Besitz innehat, Eigentümer ist oder nicht. Beispiel: Der Eigentümer eines vermieteten Hauses entfernt während des laufenden Mietvertrags Gegenstände aus den gemieteten Räumen oder tauscht auf eigene Faust das Türschloss aus. Hier schützt das Gesetz ausdrücklich den Besitzstand unabhängig vom Eigentumstitel, um den Rechtsfrieden zu wahren und eigenmächtige Konfliktlösungen zu verhindern. Besitzer bleibt bis zur rechtskräftigen Räumung oder Rückgabe der Sache grundsätzlich der Mieter beziehungsweise Nutzungsberechtigte.