Verbotene Eigenmacht: Bedeutung, Einordnung und Rechtsfolgen
Verbotene Eigenmacht bezeichnet das eigenmächtige Eingreifen in den Besitz einer Sache gegen den Willen der besitzenden Person und ohne eine rechtliche Befugnis. Gemeint sind Handlungen, die den bestehenden Besitz entziehen oder stören. Geschützt wird dabei nicht das Eigentum, sondern die tatsächliche Herrschaft über eine Sache. Der Schutz richtet sich gegen unbefugtes Selbstjustiz-Handeln und dient der Sicherung des Rechtsfriedens.
Grundbegriffe: Besitz, Eigentum und der Kern der verbotenen Eigenmacht
Besitz im Unterschied zum Eigentum
Besitz ist die tatsächliche Herrschaft über eine Sache. Eigentum ist das umfassende rechtliche Herrschaftsrecht. Eine Person kann Besitzerin sein, ohne Eigentümerin zu sein (zum Beispiel Mieterin), und umgekehrt kann der Eigentümer nicht Besitzer sein (etwa wenn die Sache verliehen ist). Der Schutz vor verbotener Eigenmacht knüpft an den Besitz an, unabhängig davon, wem die Sache gehört.
Wann liegt verbotene Eigenmacht vor?
Verbotene Eigenmacht liegt vor, wenn
- eine Person den Besitz einer anderen ohne deren Einverständnis entzieht oder in nicht nur unerheblicher Weise stört,
- und hierfür keine rechtliche Befugnis besteht.
Maßgeblich ist die tatsächliche Einwirkung auf die Sachherrschaft. Unerheblich ist, ob die handelnde Person glaubt, im Recht zu sein.
Typische Erscheinungsformen
- Eigenmächtiges Austauschen von Schlössern, um Bewohner vom Zugang auszuschließen.
- Wegnahme beweglicher Sachen ohne Zustimmung des Besitzers.
- Zustellen von Einfahrten oder Zugängen, sodass der Besitz faktisch nicht mehr ausgeübt werden kann.
- Unbefugtes Betreten und Inbesitznehmen von Räumen oder Grundstücken gegen den erklärten Willen der Besitzperson.
- Eigenmächtiges Abschleppen eines Fahrzeugs ohne Berechtigung.
Auch ein Co-Besitzer kann verbotene Eigenmacht begehen, wenn er den Mitbesitzenden gewaltsam oder nachhaltig von der Nutzung ausschließt.
Abgrenzung: Erlaubte Selbsthilfe und andere Rechtfertigungen
Erlaubte Selbsthilfe in engen Grenzen
Das Recht kennt in Ausnahmefällen eine enge Form zulässiger Selbsthilfe zum Schutz des Besitzes. Dazu zählen Verteidigung gegen einen aktuellen Eingriff sowie die unmittelbare Wiedererlangung kurz nach einem Entzug, wenn Hilfe staatlicher Stellen nicht rechtzeitig zu erlangen ist. Diese Ausnahmen sind eng begrenzt und an strenge Voraussetzungen hinsichtlich Zeitnähe, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit geknüpft.
Einwilligung und vertragliche Gestattung
Liegt eine wirksame Einwilligung oder eine vertragliche Gestattung vor (zum Beispiel Zutrittsrechte, Abholbefugnisse, Hausrecht des Veranstalters), fehlt es an der Rechtswidrigkeit. Die Grenzen der erteilten Befugnis dürfen dabei nicht überschritten werden.
Maßnahmen mit rechtlicher Befugnis
Handeln aufgrund besonderer gesetzlicher Befugnisse, behördlicher Anordnungen oder gerichtlicher Titel ist keine verbotene Eigenmacht. Auch gesetzlich verankerte Sicherungs- oder Pfandrechte können Eingriffe rechtfertigen, sofern die gesetzlichen Anforderungen eingehalten sind.
Rechtsfolgen bei verbotener Eigenmacht
Wiedereinräumung, Beseitigung und Unterlassung
Besitzende Personen können verlangen, dass der entzogene Besitz wiederhergestellt wird. Bei fortdauernden Störungen kommen Beseitigung (zum Beispiel Entfernen einer unbefugt angebrachten Absperrung) und Unterlassung künftiger Eingriffe in Betracht. Diese Ansprüche bestehen unabhängig vom Eigentum und knüpfen allein an die vorherige Besitzlage an.
Schneller Besitzschutz
Für den zügigen Schutz der tatsächlichen Sachherrschaft ist ein schnelles gerichtliches Vorgehen vorgesehen. Die Beurteilung richtet sich primär nach der letzten friedlichen Besitzlage und der Frage, ob eine eigenmächtige Beeinträchtigung vorliegt.
Schadensersatz und weitere Folgen
Kommt es durch verbotene Eigenmacht zu Schäden (zum Beispiel Beschädigungen, Nutzungsausfall), können Ansprüche auf Ersatz in Betracht kommen. Zusätzlich können sich Rückgabe- und Auskunftspflichten ergeben, etwa zur Herausgabe entnommener Gegenstände.
Mögliche strafrechtliche Relevanz
Verbotene Eigenmacht kann mit strafbaren Handlungen zusammentreffen, etwa bei Hausfriedensbruch, Nötigung, Sachbeschädigung, Diebstahl oder Unterschlagung. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den jeweiligen Tatbeständen und den konkreten Umständen.
Beweis, Verfahren und Fristen
Beweisfragen
Im Streitfall ist die vorherige Besitzlage und die eigenmächtige Einwirkung darzulegen und zu beweisen. Typische Beweismittel sind Zeugen, Dokumentationen, Fotos, Protokolle oder Schlüssel- und Übergabeunterlagen. Auch der Umfang der Störung (vollständiger Entzug oder erhebliche Beeinträchtigung) ist von Bedeutung.
Gerichtliche Verfahren
Der Besitzschutz ist auf rasche Klärung ausgelegt. Im Mittelpunkt steht die Wiederherstellung des status quo ante der letzten ungestörten Besitzlage sowie die Verhinderung weiterer eigenmächtiger Eingriffe. Die Prüfung erfolgt losgelöst von der Eigentumsfrage.
Fristen
Für bestimmte besitzschutzrechtliche Ansprüche gelten kurze Fristen. Insbesondere bei der Geltendmachung zügiger gerichtlicher Hilfe ist zeitnahes Vorgehen von Bedeutung. Wird zu lange gewartet, können spezielle Besitzschutzansprüche entfallen; übrige zivilrechtliche Ansprüche bleiben hiervon unberührt.
Besonderheiten in häufigen Lebensbereichen
Wohnraummiete
Eigenmächtiges Aussperren, das Abstellen von Strom oder Wasser oder das Entfernen von Gegenständen des Mieters sind typische Konstellationen verbotener Eigenmacht. Zutrittsrechte des Vermieters sind eng begrenzt und richten sich nach vertraglicher Vereinbarung und berechtigten Gründen.
Nachbarschaft und Grundstück
Zaunversetzungen, das Anbringen von Sperren oder das Entfernen gelagerter Sachen ohne Absprache können verbotene Eigenmacht darstellen. Gleiches gilt für das eigenmächtige Betreten und Inbesitznehmen von Grundstücksteilen gegen den Willen der Besitzperson.
Arbeitsverhältnis und Betrieb
Das eigenmächtige Einziehen von Zugangskarten, das Versperren persönlicher Schließfächer oder das Entfernen privater Gegenstände von Arbeitsplätzen kann, je nach Besitzlage und betrieblicher Regelung, eine verbotene Eigenmacht sein.
Mobilität und Fahrzeuge
Das Abschleppen ohne Berechtigung oder das Blockieren eines Fahrzeugs kann eine unzulässige Besitzbeeinträchtigung darstellen. Zulässigkeit hängt unter anderem von Besitzverhältnissen, Hausrecht, vertraglichen Regelungen und ggf. behördlicher Anordnung ab.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet „verbotene Eigenmacht“ konkret?
Darunter versteht man das eigenmächtige Entziehen oder erhebliche Stören des Besitzes einer Sache gegen den Willen der besitzenden Person und ohne rechtliche Befugnis. Es geht um den Schutz der tatsächlichen Sachherrschaft, nicht um die Klärung des Eigentums.
Wer ist durch das Verbot geschützt?
Geschützt ist jede besitzende Person, also auch Mieter, Pächter, Entleiher oder Verwahrer. Der Schutz greift unabhängig davon, ob die besitzende Person Eigentümerin der Sache ist.
Reicht bereits eine Behinderung aus oder muss der Besitz vollständig entzogen sein?
Es genügt eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung der Ausübung des Besitzes. Ein vollständiger Entzug ist nicht erforderlich. Entscheidend ist, ob die tatsächliche Sachherrschaft in relevanter Weise gestört wird.
Kann auch der Eigentümer verbotene Eigenmacht begehen?
Ja. Eigentum allein berechtigt nicht zu eigenmächtigen Eingriffen in den bestehenden Besitz. Wer ohne rechtliche Befugnis den Besitz einer anderen Person stört oder entzieht, handelt verbotenerweise, auch wenn er Eigentümer ist.
Welche Ansprüche bestehen bei verbotener Eigenmacht?
In Betracht kommen insbesondere die Wiederherstellung des vorherigen Besitzes, die Beseitigung fortdauernder Störungen sowie Unterlassung künftiger Eingriffe. Je nach Fall können zusätzlich Schadensersatzansprüche bestehen.
Gibt es Ausnahmen, in denen Eingriffe zulässig sind?
Ja. Zulässige Selbsthilfe in engen Grenzen, Einwilligungen, vertragliche Gestattungen, gesetzlich verankerte Sicherungsrechte sowie behördliche oder gerichtliche Maßnahmen können Eingriffe rechtfertigen, wenn deren Voraussetzungen erfüllt sind.
Welche Rolle spielen Fristen?
Für den schnellen Besitzschutz gelten kurze Fristen. Ein zeitnahes Vorgehen ist entscheidend, da verspätete Geltendmachung bestimmte besitzschutzrechtliche Ansprüche entfallen lassen kann.
Ist verbotene Eigenmacht eine Straftat?
Verbotene Eigenmacht ist ein zivilrechtlicher Begriff. Einzelne Handlungen können jedoch zugleich strafbar sein, etwa als Hausfriedensbruch, Nötigung, Sachbeschädigung, Diebstahl oder Unterschlagung, abhängig vom konkreten Geschehen.