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Ehezerrüttung


Ehezerrüttung

Die Ehezerrüttung ist ein zentraler Rechtsbegriff im Familienrecht, insbesondere im Zusammenhang mit dem Scheidungsrecht. Er beschreibt den Zustand, in dem die eheliche Gemeinschaft der Lebenspartner so tiefgreifend beschädigt ist, dass eine Wiederherstellung des ehelichen Zusammenlebens nicht mehr erwartet werden kann. In vielen mitteleuropäischen Rechtssystemen – insbesondere im deutschen, österreichischen und schweizerischen Recht – ist die Ehezerrüttung das wesentliche Kriterium für die Auflösung einer Ehe.

Begriffliche Bedeutung und Abgrenzung

Die Ehezerrüttung kennzeichnet den tatsächlichen und nachhaltigen Zusammenbruch der gemeinsamen Lebensbasis einer Ehe. Sie grenzt sich dabei klar von lediglich vorübergehenden oder situationsbedingten Krisen ab. Ehezerrüttung ist keine Frage subjektiver Einschätzungen, sondern setzt objektive und nachvollziehbar erkennbare Tatsachen voraus, die das Eheverhältnis als unheilbar zerrüttet erscheinen lassen.

Historischer Hintergrund

Historisch entwickelte sich die Ehezerrüttung als Gegenentwurf zum sogenannten Verschuldensprinzip. Während die Scheidung früher vor allem dann zulässig war, wenn einer der Ehegatten ein eindeutiges Fehlverhalten (z. B. Ehebruch, schwere Beleidigung, tätliche Angriffe) begangen hatte, ermöglicht das heutige Zerrüttungsprinzip eine Scheidung bereits dann, wenn das eheliche Fundament dauerhaft zerstört ist.

Ehezerrüttungsprinzip im deutschen Familienrecht

Gesetzliche Grundlage

In Deutschland ist das Zerrüttungsprinzip in § 1565 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verankert:
„Eine Ehe kann geschieden werden, wenn sie gescheitert ist.“
Das Gesetz definiert das Gescheitertsein der Ehe als den Zustand, in dem die „Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen“.

Voraussetzungen und Nachweis der Ehezerrüttung

Die Feststellung der Ehezerrüttung beruht im Regelfall auf der Trennung der Eheleute.

  • Trennungsjahr: In der Praxis gilt eine Ehe als zerrüttet, wenn die Ehegatten mindestens ein Jahr getrennt leben und beide die Scheidung wollen, oder nach drei Jahren Getrenntleben, unabhängig vom Willen eines Ehegatten (§ 1566 BGB).
  • Indizien für die Zerrüttung: Die Gerichte berücksichtigen unterschiedliche Anzeichen, die die Unwiederbringlichkeit der Ehe belegen, z. B. fehlende Kommunikation, getrennte Haushaltsführung, keine gemeinsamen Freizeitaktivitäten, oder die Aufnahme neuer Lebensgemeinschaften.

Nach Ablauf des Trennungsjahres wird die Ehezerrüttung in der Regel unwiderlegbar vermutet, es sei denn, es liegen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Fortsetzung der Ehe erwarten lassen.

Keine Feststellung von Verschulden

Das deutsche Ehescheidungsrecht vermeidet eine Ursachenforschung im Sinne der Ermittlung von Schuld. Das Verschulden beider oder eines Ehegatten an der Zerrüttung ist seit der sogenannten Scheidungsrechtsreform 1977 bedeutungslos für die Auflösung der Ehe. Lediglich in Ausnahmefällen (z. B. bei der Unterhaltsregelung oder dem Versorgungsausgleich) kann das Verhalten im Scheidungsverfahren mittelbar relevant werden.

Ehezerrüttung im österreichischen Recht

Auch in Österreich ist das Zerrüttungsprinzip im Ehegesetz (EheG) dominant. § 49 EheG sieht vor, dass ein Ehegatte die Scheidung verlangen kann, wenn die Ehe unheilbar zerrüttet ist. Die Zerrüttung muss derart sein, dass die Gemeinschaft nicht wiederhergestellt werden kann.

Auch im österreichischen Recht wird das Verschulden an der Zerrüttung nicht zur Voraussetzung für die Scheidung gemacht; es kann allerdings für Folgeansprüche wie etwa den Ehegattenunterhalt eine Rolle spielen.

Einvernehmliche und strittige Scheidung

Im Zuge der einvernehmlichen Scheidung ist die Ehezerrüttung in den notwendigen Scheidungsfolgenvereinbarungen zu bestätigen. Bei der strittigen Scheidung muss das Gericht die Zerrüttung feststellen. Die objektive Unvereinbarkeit des ehelichen Zusammenlebens stellt hierbei das hauptsächliche Scheidungsmerkmal dar.

Ehezerrüttung im internationalen Kontext

Viele europäische Staaten haben das Prinzip der Ehezerrüttung als Scheidungsvoraussetzung übernommen. Im internationalen Privatrecht dient die Feststellung der Zerrüttung oftmals als Voraussetzung zur Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile.

Bedeutung der Ehezerrüttung für Scheidungsfolgen

Auswirkungen auf Unterhalt und Versorgungsausgleich

Obwohl das Verschulden an der Ehezerrüttung im deutschen und österreichischen Scheidungsrecht weitgehend an Bedeutung verloren hat, kann es im Rahmen von Scheidungsfolgen wie dem Ehegattenunterhalt, dem Versorgungsausgleich und der Vermögensaufteilung, insbesondere in Härtefällen, in die rechtliche Bewertung mit einfließen.

Härteklauseln

In Ausnahmefällen kann eine Scheidung trotz nachgewiesener Zerrüttung abgelehnt werden, etwa wenn die Auflösung der Ehe für einen Ehegatten eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Diese sogenannte Härteklausel dient dem Schutz besonders schutzwürdiger Ehegatten.

Indizien und Beweismittel zur Ehezerrüttung

Zur Feststellung der Ehezerrüttung sind tatsächliche Umstände entscheidend. Zu den wesentlichen Indizien zählen:

  • Dauer und Art der Trennung
  • Auszug eines Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung
  • Aufnahme neuer Partnerschaften
  • Das Fehlen jeder wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Gemeinschaft
  • Schriftliche Erklärungen über die Trennungsabsicht

In Scheidungsverfahren genügt in der Regel die glaubhafte Darlegung der Trennung durch die Ehegatten. Zeugen, Schriftverkehr oder andere Beweismittel sind nur in strittigen Fällen erforderlich.

Abgrenzung zu weiteren Rechtsbegriffen

Die Ehezerrüttung ist vom schlichten „Auskühlen“ einer Beziehung oder bloßen Ehekrisen abzugrenzen. Erst wenn die Zerrüttung einen Grad erreicht, der eine Wiederherstellung des Ehelebens als völlig ausgeschlossen erscheinen lässt, liegt dieser Tatbestand vor.

Rechtsschutz und Verfahrensfragen

Die Prüfung der Ehezerrüttung erfolgt durch das zuständige Familiengericht im Rahmen des Scheidungsverfahrens. Die gerichtliche Anhörung beider Ehepartner ist hierbei zwingend. Das Gericht kann Anhaltspunkte zur Wiederherstellung der Ehe zu Beginn des Verfahrens erörtern, sofern eine Versöhnung nicht absolut ausgeschlossen ist.

Zusammenfassung

Die Ehezerrüttung stellt im modernen Familienrecht den Hauptanwendungsfall und die wichtigste Voraussetzung für die Ehescheidung dar. Im Zentrum steht nicht mehr das persönliche Fehlverhalten, sondern das endgültige Scheitern der ehelichen Bindung. Die rechtliche Bewertung erfolgt anhand objektiver Indizien und ist regelmäßig durch die Praxis des Trennungsjahres eindeutig beweisbar. Die grundlegende Bedeutung dieses Begriffs zeigt sich insbesondere in gerichtlichen Verfahren zur Auflösung der Ehe und in der daran anknüpfenden Regelung der Scheidungsfolgen.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet das Zerrüttungsprinzip im deutschen Scheidungsrecht für die Ehepartner?

Das Zerrüttungsprinzip bedeutet im deutschen Scheidungsrecht, dass die Ehe nicht mehr geschieden werden kann, weil einer der Ehegatten schuldig ist, sondern weil die Lebensgemeinschaft der Ehegatten gescheitert ist, also die sogenannte Zerrüttung der Ehe festgestellt werden muss. Das Gericht prüft, ob die seelische, geistige und wirtschaftliche Gemeinschaft der Ehepartner endgültig aufgehoben ist. Dabei ist relevant, ob voraussichtlich keine gemeinsame Lebensgestaltung mehr zu erwarten ist. Ein häufiges Indiz für eine Zerrüttung ist das Getrenntleben der Eheleute über einen längeren Zeitraum – mindestens ein Jahr bei einvernehmlicher Scheidung, mindestens drei Jahre bei streitiger Scheidung. Im Einzelfall prüft das Familiengericht unter Berücksichtigung aller Umstände, ob die Fortsetzung der Ehe für beide Ehepartner unzumutbar wäre.

Welche Beweise verlangt das Gericht, um eine Ehezerrüttung festzustellen?

Das Gericht verlangt im Rahmen des Zerrüttungsprinzips in der Regel keine spezifischen Beweise im Sinne eines förmlichen Beweisverfahrens, sondern stellt auf das tatsächliche Verhalten und die Lebensumstände der Ehegatten ab. Das wichtigste Indiz ist das einjährige Getrenntleben. Die Parteien müssen dem Gericht glaubhaft machen, dass sie getrennt leben, das heißt, keine gemeinsame Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft mehr besteht und persönliche Bindungen gelöst sind. Dies kann durch eigene Aussagen, ausgezogene Ehepartner, getrennte Konten und Haushaltsführungen, Verzicht auf gemeinsame Freizeitgestaltung sowie Kontakte zu Dritten belegt werden. In strittigen Fällen können auch Nachbarn, Freunde oder Familienangehörige als Zeugen benannt werden. Allerdings genügt oft die übereinstimmende Schilderung beider Parteien.

Kann eine Ehe auch ohne das ausdrückliche Einverständnis eines Ehegatten wegen Zerrüttung geschieden werden?

Ja, das deutsche Scheidungsrecht ermöglicht auch eine Scheidung ohne das ausdrückliche Einverständnis beider Ehegatten, sofern die Voraussetzungen des Zerrüttungsprinzips erfüllt sind. Im Regelfall muss das sogenannte Trennungsjahr abgelaufen sein. Lebt das Ehepaar seit mindestens drei Jahren getrennt, wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe zerrüttet ist, auch wenn ein Ehegatte der Scheidung widerspricht. In Ausnahmefällen ist sogar eine frühere Scheidung ohne Einverständnis möglich, wenn das Festhalten an der Ehe für den antragstellenden Ehegatten aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, unzumutbar ist (z. B. bei Gewalt- oder Missbrauchsfällen).

Welche Rolle spielt das Verschulden eines Ehegatten bei der Feststellung der Ehezerrüttung?

Das aktuelle deutsche Scheidungsrecht nach dem Zerrüttungsprinzip bezieht sich nicht mehr auf ein Verschuldensprinzip. Das bedeutet, die Ursache des Scheiterns – z. B. Untreue, Alkoholismus oder Gewalt – muss dem Gericht im Regelfall nicht detailliert nachgewiesen werden und spielt für die Entscheidung zur Scheidung keine zentrale Rolle. Es ist allein maßgeblich, dass die Ehe als zerrüttet gilt und eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft ausgeschlossen erscheint. Lediglich für weitere Folgesachen wie Unterhalt oder Sorgerecht kann das konkrete Verhalten eines Ehegatten noch eine Rolle spielen.

Wie wird das Trennungsjahr im Zusammenhang mit der Ehezerrüttung gewertet?

Das Trennungsjahr ist ein zentrales Kriterium, um die Zerrüttung der Ehe glaubhaft zu machen. Nach deutschem Recht müssen die Ehegatten mindestens seit einem Jahr getrennt leben, bevor ein Scheidungsantrag eingereicht werden kann (bei besonders schwerer Unzumutbarkeit kann hiervon abgewichen werden). Das Getrenntleben bedeutet, dass keine häusliche Gemeinschaft mehr besteht und jeder Ehegatte eigenständig wirtschaftet. In Ausnahmefällen kann man auch in der gemeinsamen Wohnung getrennt leben, sofern die Lebensbereiche klar getrennt sind. Nur wenn beide Ehegatten die Scheidung wollen und das Trennungsjahr vollzogen wurde, reicht dies als Nachweis für die Ehezerrüttung.

Welche Auswirkungen hat eine festgestellte Ehezerrüttung auf Unterhalt und Vermögensausgleich?

Die Feststellung der Ehezerrüttung als Scheidungsgrund hat zunächst keinen direkten Einfluss auf den Unterhalt oder den Vermögensausgleich zwischen den Ehegatten. Diese Regelungen werden unabhängig vom Grund der Trennung getroffen. Allerdings können Umstände, die zur Zerrüttung geführt haben – insbesondere bei schwerem Fehlverhalten (z. B. Gewalt oder Straftaten) – im Einzelfall Auswirkungen auf den Unterhaltsanspruch gemäß § 1579 BGB (Unbilligkeit) haben. Im Rahmen des Zugewinnausgleichs oder Versorgungsausgleichs erfolgt jedoch keine Berücksichtigung der Gründe für die Ehezerrüttung.

Welche besonderen Regelungen gelten bei langer Ehedauer im Zusammenhang mit der Ehezerrüttung?

Bei einer besonders langen Ehedauer nimmt das Gericht weiterhin das Zerrüttungsprinzip als Maßstab, jedoch wird der ehelichen Solidarität ein höherer Stellenwert beigemessen. Das bedeutet, dass insbesondere bei langer Ehedauer eventuelle wirtschaftliche Nachteile eines Ehegatten, z. B. aufgrund von Kindererziehung oder Haushaltsführung, intensiver betrachtet werden. Bei einer Scheidung nach langer Ehe kann dies insbesondere Auswirkungen auf nachehelichen Unterhalt und den Versorgungsausgleich haben. Die Annahme der Zerrüttung erfolgt auch bei langer Ehedauer nach den allgemeinen Regeln, jedoch prüft das Gericht sorgfältig, ob die Wiederherstellung der Ehe tatsächlich ausgeschlossen ist.