Begriff und Definition der E-Vergabe
Die E-Vergabe, auch elektronische Vergabe genannt, bezeichnet die vollständig oder teilweise digitalisierte Abwicklung von Vergabeverfahren öffentlicher Aufträge. Sie betrifft sowohl den Bereich der nationalen Vergabeverfahren als auch die europaweiten Vergaben und bildet einen zentralen Bestandteil der Modernisierung und Digitalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens in Deutschland und der Europäischen Union. Die E-Vergabe umfasst sämtliche Phasen des Vergabeprozesses, angefangen bei der Bekanntmachung der Ausschreibung über die digitale Einreichung der Angebote bis hin zur elektronischen Kommunikation und Dokumentation zwischen Vergabestelle und Bietern.
Rechtlicher Rahmen der E-Vergabe in Deutschland
Europäische Rechtsgrundlagen
Die verpflichtende Einführung der E-Vergabe resultiert maßgeblich aus den Vergaberichtlinien der Europäischen Union. Die maßgeblichen Richtlinien sind insbesondere:
- Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe (Klassische Richtlinie)
- Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe von Aufträgen in den Bereichen Wasser, Energie, Verkehr und Postdienste (Sektorenrichtlinie)
- Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe (Konzessionsrichtlinie)
Diese Richtlinien verpflichten die Mitgliedstaaten dazu, die elektronische Kommunikation in Vergabeverfahren einzuführen und zu fördern, insbesondere im Hinblick auf Transparenz, Nichtdiskriminierung und Vereinfachung der Abläufe.
Umsetzung im deutschen Recht
Die europarechtlichen Vorgaben wurden durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) sowie durch die Vergabeverordnung (VgV), die Sektorenverordnung (SektVO), die Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) und die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) und für Dienstleistungen (VOL/A) sowie die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) umgesetzt.
Wichtige Normen zur E-Vergabe
- §§ 9, 11 VgV: Regelt die elektronische Kommunikation und die elektronischen Mittel im Vergabeverfahren.
- § 97 GWB: Allgemeine Grundsätze der Vergabe öffentlicher Aufträge, einschließlich des Gebots zur Nutzung elektronischer Mittel.
- § 38 UVgO: Verpflichtung zur elektronischen Angebotsabgabe im Unterschwellenbereich.
Die elektronische Kommunikation ist in Deutschland seit Oktober 2018 für europaweite Vergabeverfahren (ab Erreichen der Schwellenwerte) verpflichtend. Für nationale Verfahren gelten ebenfalls umfangreiche Verpflichtungen zur E-Vergabe.
Ablauf der E-Vergabe
Elektronische Bekanntmachung
Die Veröffentlichung von Ausschreibungen erfolgt über zentrale Vergabeplattformen wie das Deutsche Vergabeportal (DTVP), die eVergabe-Plattform des Bundes oder über die Bekanntmachungsdienste der EU (TED – Tenders Electronic Daily). Die elektronische Bekanntmachung dient der Transparenz und Marktöffnung.
Elektronische Angebotsabgabe
Unternehmen sind verpflichtet, ihre Angebote elektronisch über die jeweilige Vergabeplattform einzureichen. Die elektronische Angebotsabgabe erfolgt verschlüsselt, um die Vertraulichkeit des Inhalts bis zum Ablauf der Angebotsfrist sicherzustellen. Hierbei gelten insbesondere technische Anforderungen an die Verschlüsselung und Signatur gemäß § 11 VgV.
Elektronische Kommunikation und Dokumentation
Sämtliche Kommunikation (z. B. Bieterfragen, Nachforderungen, Nachweise, Zuschlagserteilung) wird digital abgewickelt. Die Prozessdokumentation erfolgt automatisiert und revisionssicher, was die Nachprüfbarkeit durch Aufsichtsbehörden und Vergabekammern gewährleistet.
Sicherheit und Datenschutz
Die Nutzung von E-Vergabe-Plattformen erfordert hohe Standards im Bereich IT-Sicherheit und Datenschutz. Die eingesetzten Systeme müssen dem Stand der Technik entsprechen, insbesondere im Hinblick auf Verschlüsselung, Authentifizierung und Speichersicherheit personenbezogener und unternehmensbezogener Daten. Die Beachtung der DSGVO ist dabei zwingend.
Besondere rechtliche Aspekte der E-Vergabe
Ausschluss vom Verfahren wegen nicht elektronischer Angebotsabgabe
Die Pflicht zur elektronischen Abgabe von Angeboten ist verbindlich. Angebote, die nicht elektronisch eingereicht werden, sind grundsätzlich auszuschließen (§ 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV). Ausnahmen bestehen nur bei technisch oder administrativ unverhältnismäßigem Aufwand, der von der Vergabestelle zu begründen ist.
Gleichbehandlung und Transparenz
Durch die E-Vergabe soll die Gleichbehandlung aller Bieter gesichert werden. Diskriminierungsfreie Zugangsmöglichkeiten zu den Vergabeunterlagen sowie die Nachvollziehbarkeit der gesamten Kommunikation und Entscheidungsfindung sind wesentliche rechtliche Anforderungen.
Nachprüfungsverfahren
Bei vermuteten Vergabefehlern können betroffene Unternehmen im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens gemäß §§ 155ff. GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) die Vergabekammer anrufen. Die elektronische Dokumentation erleichtert die Nachprüfung von Abläufen, trägt zur Transparenz und zur Rechtssicherheit bei und ist von der Vergabestelle revisionssicher zu archivieren.
Signatur und Verschlüsselung
Die Technologien zur elektronischen Angebotsabgabe erfordern geeignete Verschlüsselungs- und ggf. Signaturverfahren. Die elektronische Signatur (qualifizierte elektronische Signatur gemäß eIDAS-Verordnung) dient zur Identifikation des Einreichenden und zur Integrität des Angebots. Die Zulässigkeit fortgeschrittener oder qualifizierter Signaturen regelt jeweils die individuelle Ausschreibung.
Pflichten öffentlicher Auftraggeber und Bietender
Nutzung geeigneter Plattformen
Vergabestellen sind verpflichtet, elektronische Mittel zu nutzen, welche uneingeschränkten und gebührenfreien Zugriff auf die Vergabeunterlagen gewährleisten (§ 41 VgV). Die Plattformen müssen den rechtlichen und technischen Anforderungen entsprechen.
Informations- und Bekanntmachungspflichten
Öffentliche Auftraggeber müssen alle Informationen zum Verfahren frei und uneingeschränkt elektronisch zugänglich machen. Nachträgliche Änderungen oder zusätzliche Informationen sind ebenfalls elektronisch zu übermitteln.
Bieterpflichten
Unternehmen müssen sicherstellen, dass die in Ausschreibungen geforderten Nachweise, Erklärungen und Nachträge fristgerecht und elektronisch übermittelt werden. Verzögerungen oder technische Probleme liegen grundsätzlich im Risikobereich des Bieters.
Rechtsfolgen bei Verstößen gegen die E-Vergabe-Vorschriften
Ausschlussrisiko
Nichtbeachtung der elektronischen Angebotsabgabe fasst der Gesetzgeber als schwerwiegenden Formmangel auf, der zwingend zum Angebotsausschluss führen kann.
Nachprüfungs- und Sanktionsmöglichkeiten
Fehler der Vergabestelle in Zusammenhang mit der E-Vergabe können im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens gerügt werden. Mängel im Einsatz elektronischer Systeme oder der Missbrauch technischer Möglichkeiten (z. B. verspäteter Zugang zu Unterlagen) können zur Unwirksamkeit des Vergabeverfahrens führen.
Schadenersatz
Bei nachweisbarem Verstoß gegen die Verpflichtungen zur elektronischen Kommunikation stehen ausgeschlossenen Bietern ggf. Schadenersatzansprüche nach § 181 GWB zu.
Zukunftsentwicklung und Ausblick
Mit der fortschreitenden Digitalisierung und Einführung der E-Rechnung wird die E-Vergabe weiter an Bedeutung gewinnen. Zukünftige Entwicklungen zielen auf eine vollständige digitale Prozesskette von der Bekanntmachung bis zur Abrechnung ab. Die Anpassung technischer Standards und die weitere Harmonisierung der EU-Mitgliedstaaten werden das elektronische Vergabewesen weiter prägen.
Die E-Vergabe ist damit ein zentrales Instrument zur rechtskonformen, transparenten und effizienten Abwicklung öffentlicher Vergaben und unterliegt einem komplexen rechtlichen Regelungsgefüge, das fortlaufend weiterentwickelt wird.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen öffentliche Auftraggeber bei der E-Vergabe beachten?
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer E-Vergabe sind maßgeblich durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), die Vergabeverordnung (VgV), die Sektorenverordnung (SektVO), die Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) sowie die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) geregelt. Im Kern verpflichtet das Vergaberecht öffentliche Auftraggeber dazu, Vergabeverfahren elektronisch durchzuführen, wobei insbesondere die elektronische Kommunikation (z.B. Einreichung und Empfang von Angeboten, Teilnahmeanträgen sowie die Kommunikation im Verfahren) eine zentrale Rolle spielt. Diese Anforderungen werden durch die EU-Richtlinie 2014/24/EU sowie die entsprechenden nationalen Bestimmungen konkretisiert. Der Auftraggeber muss sicherstellen, dass die verwendeten E-Vergabeplattformen die Integrität der Daten, die Vertraulichkeit der Angebote sowie die Nachvollziehbarkeit und die revisionssichere Dokumentation gewährleisten. Darüber hinaus ist die Gleichbehandlung aller Bieter ausdrücklich zu berücksichtigen. Verstöße gegen diese Verpflichtungen können zur Anfechtung des Vergabeverfahrens sowie zu Nachprüfungsverfahren und ggf. Schadensersatzansprüchen führen.
Inwieweit müssen Datensicherheit und Datenschutz bei der E-Vergabe gewährleistet werden?
Datensicherheit und Datenschutz haben bei der Durchführung der E-Vergabe nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sowie den spezialgesetzlichen Regelungen im Vergaberecht einen hohen Stellenwert. Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, angemessene technische und organisatorische Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Verarbeitung personenbezogener Daten zu implementieren. Dazu gehören insbesondere Maßnahmen zur Verschlüsselung der elektronischen Kommunikation, zur Absicherung gegen unbefugten Zugriff sowie zur Sicherstellung der Vertraulichkeit und Integrität der Angebote und Anträge. Darüber hinaus muss die E-Vergabeplattform ein angemessenes Berechtigungskonzept vorsehen, das nur autorisierten Personen den Zugriff auf vertrauliche Informationen ermöglicht. Die Nachvollziehbarkeit und Protokollierung sämtlicher Verarbeitungsvorgänge ist sicherzustellen. Alle betroffenen Personen, insbesondere Bieter, müssen über die Verarbeitung ihrer Daten informiert werden und es sind deren Rechte, wie Auskunft, Berichtigung oder Löschung, zu gewährleisten.
Welche Fristen sind im Rahmen der elektronischen Angebotsabgabe zu beachten?
Im rechtlichen Kontext gelten für die elektronische Angebotsabgabe dieselben verbindlichen Fristen wie im papiergebundenen Verfahren, wobei es insbesondere auf die in den einschlägigen Vergabeverordnungen (z.B. VgV, SektVO, UVgO) geregelten Mindestfristen ankommt. Zu beachten ist, dass Angebote und Teilnahmeanträge ausschließlich innerhalb der im Vergabeverfahren festgelegten Fristen übermittelt werden dürfen. Elektronische Angebote werden in der Regel sekundengenau durch eine sogenannte Zeitstempel-Technologie dokumentiert. Entscheidend ist das Eingangsdatum auf der Vergabeplattform, nicht das Absendedatum. Nach Ablauf der Angebotsfrist ist eine Übermittlung ausgeschlossen, und verspätete oder technisch fehlerhaft eingegangene Angebote müssen grundsätzlich ausgeschlossen werden. Auftraggeber sind verpflichtet, die Einhaltung der Fristen strikt und diskriminierungsfrei sicherzustellen; etwaige technische Probleme auf Seiten der Bieter rechtfertigen keine Fristverlängerung, sofern keine Plattformstörung vorlag, die dem Auftraggeber zuzurechnen ist.
Welche Anforderungen bestehen an die elektronische Signatur in der E-Vergabe?
Die Anforderungen an die elektronische Signatur sind im Vergaberecht sowie im eIDAS-Verordnung (EU) Nr. 910/2014 geregelt. Angeboten und Teilnahmeanträgen, die elektronisch eingereicht werden, ist regelmäßig eine elektronische Signatur oder eine fortgeschrittene elektronische Signatur beizufügen, sofern dies in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ausdrücklich gefordert wird. In der Praxis genügt häufig die fortgeschrittene elektronische Signatur nach Maßgabe des § 53 VgV. In Fällen besonderer Anforderungen kann eine qualifizierte elektronische Signatur gemäß eIDAS-Verordnung verlangt werden. Der Auftraggeber ist verpflichtet, in den Vergabeunterlagen klarzustellen, welches Signaturniveau erforderlich ist und welche technischen Verfahren zulässig sind. Fehlende oder fehlerhafte Signaturen können zum Ausschluss des Angebots führen, sofern dies nicht auf technische Defizite der Plattform oder unklare Vorgaben des Auftraggebers zurückzuführen ist.
Kann der Auftraggeber Unterlagen nachfordern, wenn diese im Rahmen der E-Vergabe fehlen oder unvollständig sind?
Nach § 56 VgV und den entsprechenden Vorschriften der SektVO, KonzVgV und UVgO ist es dem öffentlichen Auftraggeber in bestimmten Fällen gestattet, fehlende, fehlerhafte oder unvollständige Unterlagen, Angaben oder Erklärungen von den Bietern nachzufordern. Allerdings müssen hierbei die Gleichbehandlung und die Transparenz des Verfahrens strikt gewahrt bleiben. Der Auftraggeber muss für alle Bieter eine einheitliche Frist zur Nachreichung setzen und darf während des Nachforderungszeitraums keine Nachverhandlungen oder Änderungen der Angebote zulassen. Die Nachforderungspflicht besteht nicht ausnahmslos; für preis- und leistungsrelevante Angebotsbestandteile besteht kein Nachforderungsrecht. Die Nachforderung ist zudem ausgeschlossen, wenn dies in den Vergabeunterlagen explizit ausgeschlossen wurde oder eine Nachreichung zu einer grundlegenden Änderung des Angebots führen würde.
Welche Rechtsfolgen hat eine unrechtmäßige Durchführung der E-Vergabe?
Eine unrechtmäßige Durchführung der E-Vergabe kann schwerwiegende rechtliche Konsequenzen haben. Bieter können innerhalb der in § 160 GWB genannten Fristen bei der zuständigen Vergabekammer ein Nachprüfungsverfahren einleiten, sofern sie eine Verletzung von Vergaberechtsvorschriften geltend machen. Stellt die Vergabekammer einen Verstoß fest, kann sie die Aufhebung oder Wiederholung von Verfahrensschritten sowie – im schlimmsten Fall – die vollständige Aufhebung der Vergabe anordnen. Damit verbunden können Schadensersatzansprüche der Bieter entstehen, insbesondere dann, wenn ein Bieter nachweisbar durch die Verletzung seiner Rechte einen Schaden erlitten hat. Darüber hinaus können bei schwerwiegenden Verstößen auch Sanktionen haushaltsrechtlicher oder disziplinarischer Art gegen die handelnden Personen drohen. Für den Auftraggeber entsteht zudem ein erheblicher Reputationsschaden sowie das Risiko erheblicher finanzieller Verluste infolge von Verzögerungen und wiederholter Durchführung des Vergabeverfahrens.
Welche speziellen Dokumentationspflichten bestehen im Rahmen der E-Vergabe?
Die Dokumentationspflichten bei der E-Vergabe folgen aus § 8 VgV, § 30 UVgO sowie den entsprechenden Vorschriften der SektVO und KonzVgV. Der öffentliche Auftraggeber ist verpflichtet, sämtliche Entscheidungen, Maßnahmen und entscheidungsrelevanten Vorgänge im Vergabeverfahren umfassend, fortlaufend und nachvollziehbar zu dokumentieren. Dies umfasst insbesondere den gesamten Verlauf der elektronischen Kommunikation, die elektronische Angebotsabgabe, den Umgang mit Bieterfragen, Nachforderungen, Bewertungsmatrix sowie die Begründung für die Auswahl oder den Ausschluss von Bietern. Die Dokumentation muss so ausgestaltet sein, dass ein unabhängiger Dritter jederzeit in der Lage ist, den Ablauf und die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zu überprüfen. Es gelten zudem Aufbewahrungspflichten bis zu 10 Jahren nach Abschluss des Verfahrens, wobei besondere Sensibilität im Umgang mit personenbezogenen Daten und Geschäftsgeheimnissen der Bieter gefordert ist. Versäumnisse in der Dokumentation können die Angreifbarkeit des Vergabeverfahrens erheblich erhöhen.