Begriff und Rechtsnatur der behördlichen Duldung
Die behördliche Duldung stellt einen Verwaltungsakt dar, durch den unmissverständlich mitgeteilt wird, dass ein an sich rechtswidriger Zustand oder ein Verhalten vorübergehend, jedoch ausdrücklich oder konkludent, von einer zuständigen öffentlichen Stelle hingenommen wird. Sie ist kein Verwaltungsakt, der ein eigenständiges subjektives Recht begründet, sondern wirkt als Ausnahmeregelung im Rahmen des behördlichen Ermessens.
Eine Duldung kann in verschiedenen Rechtsgebieten auftreten, etwa im Bau- und Ordnungsrecht, aber auch im Ausländerrecht, wo sie insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufenthalt von ausreisepflichtigen Ausländern in Deutschland von Bedeutung ist. Die Duldung ist stets temporär ausgestaltet und durch den Verzicht auf behördliches Einschreiten gegen den ursprünglich unerwünschten Zustand gekennzeichnet.
Arten und Erscheinungsformen der behördlichen Duldung
Allgemeine Verwaltungsrechtliche Duldung
Im allgemeinen Verwaltungsrecht wird die Duldung meist stillschweigend oder ausdrücklich erklärt, etwa bei einer Baumaßnahme, die ohne explizite Genehmigung erfolgt, aber von der zuständigen Behörde vorübergehend nicht untersagt wird. Sie wird unterschieden von einer Genehmigung, welche die Rechtmäßigkeit eines Vorhabens bestätigt und rechtlich absichert.
Zentrale Merkmale:
- Vorübergehende Hinnahme eines an sich rechtswidrigen Zustands
- Kein Ersatz einer erforderlichen Erlaubnis oder Genehmigung
- Jederzeitige Widerrufsmöglichkeit durch die Behörde
- Keine dauerhafte Legalisierung des Zustandes
Duldung im Ausländerrecht (§ 60a Aufenthaltsgesetz)
Die prominenteste Ausprägung ist die Duldung nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Diese betrifft Personen, die ausreisepflichtig sind, deren Abschiebung jedoch aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen vorübergehend ausgesetzt wird. Die Duldung ist keine Aufenthaltserlaubnis, sondern dokumentiert lediglich das Aussetzen der Abschiebung.
Gründe für eine Duldung nach § 60a AufenthG:
- Rechtliche Hindernisse (z. B. Verbote gemäß Europäischer Menschenrechtskonvention)
- Tatsächliche Hindernisse (etwa fehlende Reisedokumente)
- Dringende persönliche oder familiäre Gründe
- Ausbildungsduldung („3+2-Regelung“) und Beschäftigungsduldung
Die Aussetzung der Abschiebung ist i. d. R. an strenge Voraussetzungen geknüpft und wird befristet gewährt. Es besteht eine Meldepflicht, die Ausreisepflicht bleibt grundsätzlich bestehen.
Rechtswirkungen und rechtliche Bedeutung
Bindungswirkung und Widerruf
Eine behördliche Duldung verpflichtet grundsätzlich nur die ausstellende Behörde, jedoch keine weiteren Stellen oder Dritte. Die Duldung kann jederzeit widerrufen werden – etwa bei Wegfall des Duldungsgrundes oder bei Vorliegen aufschiebender Voraussetzungen. Sie begründet keinerlei Anspruch auf Gewährung einer Genehmigung oder Erlaubnis und kann auch nicht in eine solche umgewandelt werden.
Abgrenzung zu ähnlichen Rechtsinstituten
Unterschied zur Genehmigung
Während die Genehmigung ein Tun oder Unterlassen positiv erlaubt, führt die Duldung nur dazu, dass eine Behörde vorübergehend von einem Einschreiten absieht. Die Genehmigung hat eine konstitutive Wirkung, bei der die Rechtmäßigkeit festgestellt oder hergestellt wird; die Duldung hingegen toleriert einen ansonsten der Rechtsordnung widersprechenden Zustand ohne ihn zu legalisieren.
Unterschied zur Befreiung, Ausnahme und Erlaubnis
- Befreiung: Schafft eine dauerhafte Geltungsdurchbrechung für einen bestimmten Einzelfall.
- Ausnahme: Erlaubt eine Abweichung von der Regelfallbindung für besondere Sachverhalte.
- Erlaubnis: Ermöglicht eine ansonsten untersagte Tätigkeit durch förmlichen Verwaltungsakt.
- Duldung: Ausschließliche Hinnahme ohne Rechtsbegründung.
Verfahren, Voraussetzungen und Dauer
Antragstellung und Verwaltungsverfahren
Die Duldung kann auf ausdrücklichen Antrag oder von Amts wegen ausgesprochen werden. Regelmäßig ist hierfür ein formales oder informelles Verwaltungsverfahren erforderlich, in dem die öffentlichen Belange, Schutzgüter Dritter und die Gründe für die befristete Hinnahme abgewogen werden.
Voraussetzungen für die Erteilung
Vorliegen eines individuellen oder öffentlichen Interesses, das ausnahmsweise die zeitweise Hinnahme eines rechtswidrigen Zustands rechtfertigt. Im Ausländerrecht muss insbesondere ein konkretes Vollzugshindernis bestehen.
Befristung
Duldungen werden in aller Regel auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt und sind mehrfach verlängerbar, sofern die Gründe weiterhin bestehen. Nach Ablauf kann die Duldung widerrufen oder erneuert werden.
Rechtsschutz und Folgen einer Duldung
Rechtsschutzmöglichkeiten
Gegen die Ablehnung oder den Widerruf einer Duldung steht grundsätzlich der Verwaltungsrechtsweg offen. Je nach Einzelfall kann einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beantragt werden. Die gerichtliche Überprüfung erstreckt sich insbesondere auf die Ermessensausübung und die Beachtung der individuellen Schutzgüter.
Folgen für Betroffene
Die betroffene Person oder das Vorhaben befindet sich weiterhin in einem statusrechtlichen Schwebezustand. Im Falle der Aussetzung einer Abschiebung unterliegt die betroffene Person engen aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen (z. B. Wohnsitzauflage, Arbeitsrecht).
Das Bestehen einer Duldung hemmt nicht die grundsätzliche Verpflichtung zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustands und kann – insbesondere im Baurecht – nach erteilter Duldung noch nachträgliche Maßnahmen (wie Rückbau) nach sich ziehen.
Literaturhinweise und weiterführende Regelungen
- Aufenthaltsgesetz (AufenthG), insbesondere § 60a AufenthG
- Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
- Verwaltungsgerichtsgesetz (VwGO)
- Anwendungshinweise der Bundesländer zu Duldungen im Ausländerrecht
Zusammenfassung
Die behördliche Duldung ist ein temporäres, verwaltungsrechtliches Mittel, mit dem ein grundsätzlich rechtswidriger Zustand oder Verhalten zeitweilig hingenommen wird, ohne diesem Zustand eine rechtserzeugende Wirkung zu verleihen. Sie spielt vor allem im Bau- und Ausländerrecht eine praktische Rolle, wobei sie stets widerruflich und inhaltlich begrenzt bleibt. Ihr Zweck besteht im Ausgleich zwischen öffentlichem Interesse, dem Schutz individueller Rechte und dem pragmatischen Umgang mit temporären Vollzugshindernissen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Voraussetzungen müssen für die Erteilung einer behördlichen Duldung vorliegen?
Die Erteilung einer behördlichen Duldung gemäß § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) setzt voraus, dass eine Ausreisepflicht besteht, deren Vollziehung jedoch aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen vorübergehend unmöglich oder unzumutbar ist. Rechtliche Abschiebungshindernisse können beispielsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG oder völkerrechtliche oder verfassungsrechtliche Gründe sein, etwa weil im Zielstaat Folter oder unmenschliche Behandlung droht. Tatsächliche Hindernisse umfassen zum Beispiel fehlende Reisedokumente, Krankheit des Betroffenen, fehlende Transportverbindungen oder ein Abschiebestopp durch behördliche Anordnung. Die Duldung ist stets auf einen bestimmten Zeitraum befristet und begründet keinen rechtmäßigen Aufenthalt, sondern lediglich das vorübergehende Absehen von der Abschiebung. Die zuständige Ausländerbehörde prüft regelmäßig, ob die Duldungsgründe weiterhin vorliegen.
Welche Rechte und Pflichten ergeben sich während einer Duldung?
Während der Duldung besteht grundsätzlich kein rechtmäßiger Aufenthaltsstatus; die betroffene Person bleibt ausreisepflichtig. Dennoch ergeben sich für Geduldete ausländerrechtliche Rechte und Pflichten: Sie dürfen in Deutschland für die Dauer der Duldung verbleiben, sind jedoch dazu angehalten, aktiv an der Beseitigung der Abschiebungshindernisse mitzuwirken, beispielsweise durch Beschaffung von Pässen oder Kooperationsbereitschaft gegenüber Behörden. In bestimmten Fällen kann eine Arbeitserlaubnis erteilt werden, sofern keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen unmittelbar bevorstehen und der Arbeitsmarktzugang nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Geduldete sind in der Regel verpflichtet, ihren Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen (Wohnsitzauflage) und können weiteren Auflagen unterliegen, wie etwa Meldepflichten oder Einschränkungen bei der Bewegungsfreiheit nach § 61 AufenthG.
Wie lange ist eine behördliche Duldung gültig?
Die Gültigkeit der behördlichen Duldung wird von der zuständigen Ausländerbehörde festgelegt und ist grundsätzlich befristet. In der Praxis werden Duldungen häufig für Zeiträume von wenigen Wochen oder Monaten, selten jedoch für mehr als sechs Monate ausgestellt. Nach Ablauf der Frist erfolgt eine erneute Überprüfung der Abschiebungshindernisse. Bestehen diese weiterhin, kann die Duldung verlängert werden. Die Verlängerung ist an die fortdauernde Prüfung der jeweiligen Gründe gebunden. Sobald die Hindernisse entfallen, ist die Ausländerbehörde verpflichtet, die Ausreisepflicht wiederherzustellen und gegebenenfalls eine Abschiebung durchzuführen.
Können während einer Duldung Integrationsmaßnahmen in Anspruch genommen werden?
Geduldete haben grundsätzlich keinen unmittelbaren Anspruch auf Teilnahme an Integrationskursen gemäß § 44 AufenthG. In bestimmten Fallkonstellationen, etwa bei langandauernder Duldung oder Vorliegen bestimmter persönlicher Voraussetzungen, kann jedoch im Einzelfall durch behördliche Ausnahmegenehmigung eine Teilnahme ermöglicht werden. Ab dem 1. August 2019 ist für Personen mit sogenannter Ausbildungsduldung (§ 60c AufenthG) ein erleichterter Zugang zu Integrations- und Sprachkursen vorgesehen. Auch für Geduldete mit „guter Bleibeperspektive“ können Sonderregelungen gelten. Des Weiteren eröffnet die Duldung unter bestimmten Umständen Möglichkeiten zur Aufnahme von Ausbildung oder Beschäftigung, sofern entsprechende Erlaubnisse erteilt werden.
Welche Ausschlussgründe gibt es für die Erteilung einer Duldung?
Eine behördliche Duldung kann nicht erteilt werden, wenn der Ausreisepflichtige durch eigenes schuldhaftes Verhalten die Ausreise verhindert oder verzögert, beispielsweise durch Täuschung über Identität oder Staatsangehörigkeit, Nichtbeschaffung eines zumutbaren Passes oder Verstoß gegen Mitwirkungspflichten. In solchen Fällen kann die zuständige Behörde die Duldung verweigern (§ 60a Abs. 6 AufenthG). Des Weiteren sind strafrechtliche Verurteilungen, erhebliche Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie bestimmte Sicherheitsbedenken Gründe für den Ausschluss oder Widerruf einer bestehenden Duldung.
Können Familienangehörige miteinbezogen werden und wie verhält es sich mit minderjährigen Kindern?
Die behördliche Duldung wird jeweils nur individuell vergeben. Familienangehörige, beispielsweise Ehepartner oder minderjährige Kinder, erhalten nicht automatisch eine Duldung, sondern müssen einen eigenen Antrag stellen. Bei bestehenden familiären Bindungen, insbesondere bei minderjährigen Kindern, prüft die Ausländerbehörde jedoch die Auswirkungen auf familiäres Zusammenleben und das Kindeswohl. Dies kann Einfluss auf die Entscheidung und etwaige Auflagen haben. Im Rahmen von Härtefällen (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG) oder bei bestehender Verwurzelung kann die Duldung unter erleichterten Bedingungen gewährt werden, wobei stets die individuellen Umstände des Einzelfalles entscheidend sind. Familienaspekte können zudem in einer Gesamtschau im aufenthaltsrechtlichen Verfahren berücksichtigt werden.