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Dubliner Übereinkommen


Begriff und Grundlagen des Dubliner Übereinkommens

Das Dubliner Übereinkommen bezeichnet einen völkerrechtlichen Vertrag innerhalb der Europäischen Union (EU) und einiger weiterer Staaten, der die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Prüfung von Asylanträgen regelt. Ziel des Übereinkommens ist es, das Mehrfachstellen von Asylanträgen („asylum shopping“) zu verhindern und eine einheitliche Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren zu gewährleisten. Primär richtet sich das Verfahren nach geografischen, familiären und sachlichen Kriterien, mit dem Zweck, klar festzulegen, welcher Staat für die Bearbeitung eines Asylantrags verantwortlich ist.

Das Dubliner Übereinkommen ist nicht zu verwechseln mit den späteren Weiterentwicklungen, insbesondere den sogenannten Dublin-II- und Dublin-III-Verordnungen, die ihrerseits der weiteren Harmonisierung des europäischen Asylsystems dienen. Dennoch bildet das ursprüngliche Dubliner Übereinkommen den Grundstein des aktuellen europäischen Zuständigkeitssystems im Asylrecht.


Historische Entwicklung und Anwendungsbereich

Entstehung des Dubliner Übereinkommens

Das Dubliner Übereinkommen wurde am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichnet und trat am 1. September 1997 in Kraft. Ursprünglich waren die Unterzeichner ausschließlich die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sowie Norwegen und Island. Später wurde das Übereinkommen von zusätzlichen Staaten übernommen oder durch die europäischen Verordnungen ersetzt oder ergänzt.

Nachfolger: Die Dublin-II-Verordnung

Mit Inkrafttreten der sogenannten Dublin-II-Verordnung (EG-Verordnung Nr. 343/2003) im Jahr 2003, wurde das Dubliner Übereinkommen in weiten Teilen durch direkt anwendbares europäisches Sekundärrecht ersetzt. Dies geschah im Rahmen der Entwicklung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zur stärkeren Harmonisierung des Asylrechts.


Inhalte und Rechtsstruktur des Dubliner Übereinkommens

Zuständigkeitskriterien

Das Dubliner Übereinkommen enthält eine umfassende Regelung über die Zuständigkeitsbestimmung, welcher Staat verantwortlich ist, einen Asylantrag zu prüfen. Zu den wichtigsten Kriterien zählen:

Geografische Kriterien

  • Erster Einreisestaat: Grundsätzlich ist der Staat, in den ein Asylbewerber zuerst einreist oder in dem er erstmals einen Asylantrag stellt, für das Verfahren zuständig. Dies wird durch bestehende Einreise- und Visumskontrollen nachvollzogen.
  • Visaerteilung: Ist eine Person mit einem von einem bestimmten Staat ausgestellten Visum oder einer Aufenthaltserlaubnis eingereist, liegt die Zuständigkeit ebenso bei diesem Staat.

Familiäre Bindungen

Besondere Regelungen enthält das Übereinkommen zugunsten des Familiennachzugs. Familienmitglieder, die bereits in einem Staat Asyl erhalten haben oder sich in einem Asylverfahren befinden, begründen ebenso Zuständigkeiten.

Verfahren und Fristen

Zur gegenseitigen Anerkennung und Koordinierung sieht das Übereinkommen Fristen für die Überstellung der betroffenen Personen sowie für die Bearbeitung von Zuständigkeitsersuchen vor. Staaten kommunizieren hierbei primär über definierte Informationswege und standardisierte Formulare.

Ablehnungs- und Überstellungsverfahren

Ein zentrales Element des Dubliner Übereinkommens ist die Möglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers in den zuständigen Staat. Wird ein Antrag in einem nicht zuständigen Staat gestellt, prüft die national zuständige Stelle die Überstellung auf Grundlage klar geregelter Verfahrensschritte.


Rechtlicher Rahmen und Umsetzung

Verhältnis zum internationalen Flüchtlingsrecht

Das Dubliner Übereinkommen steht grundsätzlich im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 sowie dem Zusatzprotokoll von 1967. Auch das Verbot der Zurückweisung (Non-Refoulement) wird in den einzelnen nationalen Umsetzungen als Verfahrensgrundsatz beachtet.

Rechtsschutz und Rechtsschutzmöglichkeiten

Personen, die von einer Überstellung gemäß Dubliner Übereinkommen betroffen sind, können Rechtsmittel gegen die Überstellungsentscheidung einlegen. Je nach nationaler Ausgestaltung sind dies Anträge auf gerichtliche Überprüfung oder asylrechtsspezifische Rechtsbehelfe.


Aktuelle Bedeutung und Entwicklung

Fortentwicklung durch EU-Sekundärrecht

Mit dem Inkrafttreten der Dublin-II- und Dublin-III-Verordnung wurde das Dubliner Übereinkommen weitgehend durch die europäische Gesetzgebung abgelöst. Insbesondere die Dublin-III-Verordnung (EU-Verordnung 604/2013) gilt mittlerweile als maßgebliche Vorschrift für das europäische Zuständigkeitsregime im Asylverfahren. Das Dubliner Übereinkommen findet daher heute nur noch in wenigen Fällen Anwendung, etwa in besonderen Konstellationen mit assoziierten Drittstaaten.

Kritik und Debatte

Die Zuständigkeitsregeln des Dubliner Übereinkommens und seiner Nachfolgeregelungen wurden vielfach kritisiert. Im Mittelpunkt stehen Fragen der Belastung einzelner Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der EU, Menschenrechtsaspekte und praktische Schwierigkeiten bei Anwendung der Überstellungsverfahren.


Bedeutung für das europäische Asylsystem

Das Dubliner Übereinkommen hat die Grundlage für einheitliche, transparentere Asylverfahren in Europa geschaffen. Nach wie vor stellt das Modell der Zuständigkeitsfestlegung durch geografische und sachliche Kriterien einen wesentlichen Pfeiler der europäischen Asylpolitik dar und hat die weitere Entwicklung des europäischen Asylrechts maßgeblich geprägt.


Literatur und weiterführende Rechtsquellen

  • Dubliner Übereinkommen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, C 254 vom 19.08.1997)
  • Dublin-II-Verordnung (EG Nr. 343/2003)
  • Dublin-III-Verordnung (EU Nr. 604/2013)
  • Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1953 II, S. 559)
  • Weitere Informationen: Europäische Kommission – Asyl und Migration

Siehe auch

  • Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS)
  • Flüchtlingskonvention
  • Non-Refoulement
  • Sekundärmigration

Mit diesem Beitrag liegt eine detaillierte Darstellung des Begriffs „Dubliner Übereinkommen“ für ein Rechtslexikon vor, die sämtliche rechtlichen Aspekte, die Entstehung, die Entwicklung sowie die Einbettung im europäischen und internationalen Recht abdeckt.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist gemäß dem Dubliner Übereinkommen für die Prüfung eines Asylantrags zuständig?

Die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrags richtet sich nach den festgelegten Kriterien des Dubliner Übereinkommens beziehungsweise der Dublin-III-Verordnung, auf die sich das Übereinkommen im aktuellen Anwendungsbereich bezieht. Grundsätzlich ist jener EU-Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antragsteller erstmals das Gebiet der Europäischen Union betreten hat. Dies kann etwa durch Grenzübertritt, Visumserteilung oder illegalen Aufenthalt erfolgen. Die Reihenfolge der Zuständigkeitskriterien ist dabei klar geregelt: Vorrangig werden familiäre Bindungen in einem Mitgliedstaat berücksichtigt. Besteht keine solche Verbindung, folgen Kriterien wie die Erteilung eines Visums oder einer Aufenthaltserlaubnis, der illegale Grenzübertritt sowie ein längerer Aufenthalt in einem Mitgliedstaat. Die Zuständigkeit erlischt regelmäßig nach 12 Monaten, wenn nicht rechtzeitig ein Übernahme- oder Wiederaufnahmeersuchen gestellt wurde. Darüber hinaus existieren im Dublin-System festgelegte Fristen und Verfahrensabläufe, die einzuhalten sind, um den zuständigen Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylantrags effektiv bestimmen und das Verfahren ordnungsgemäß abwickeln zu können.

Unter welchen Bedingungen kann der zuständige Staat auf ein sogenanntes Selbsteintrittsrecht verzichten?

Das Dubliner Übereinkommen sieht im Artikel 17 der Dublin-III-Verordnung das Selbsteintrittsrecht (sogenannte „Sovereignty Clause“) vor. Es gestattet jedem Mitgliedstaat, einen Asylantrag in inhaltlicher Hinsicht zu prüfen, selbst wenn er gemäß der festgelegten Kriterien eigentlich nicht zuständig wäre. Dieses Selbsteintrittsrecht kann insbesondere dann angewandt werden, wenn humanitäre Gründe, praktische Gründe oder Familienzusammenführung eine Rolle spielen. Die Ausübung des Selbsteintritts steht im Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaates und ist nicht einklagbar; weder der Antragsteller noch andere Staaten haben einen Rechtsanspruch auf Ausübung. In der Praxis wird dieses Recht oft genutzt, um Härtefällen gerecht zu werden und lange Verfahrenswege zu vermeiden.

Welche Fristen gelten im Dublin-Verfahren zur Überstellung von Antragstellern?

Im Rahmen des Dubliner Übereinkommens existieren verschiedene Fristen, die insbesondere im Falle einer Überstellung maßgeblich sind. Wird ein Mitgliedstaat als zuständig ermittelt und nimmt das Übernahmegesuch an, muss die Überstellung grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten erfolgen. Wird diese Frist überschritten, so geht die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags auf den ersuchenden (überstellenden) Staat über. Diese Frist kann in bestimmten Ausnahmefällen, wie etwa bei Inhaftierung oder Untertauchen des Antragstellers, auf bis zu 18 Monate verlängert werden. Im Vorfeld der Überstellung sind auch für das Stellen des Übernahme- oder Wiederaufnahmeersuchens verbindliche Fristen zu wahren: So hat der ersuchende Staat in der Regel höchstens drei Monate nach Einreichung des Asylantrags Zeit, das Gesuch zu stellen. Die rechtzeitige Einhaltung dieser Fristen ist zwingende Voraussetzung für ein ordnungsgemäßes Dublin-Verfahren.

Können Asylbewerber gegen eine drohende Überstellung klagen, und wie ist das Verfahren rechtlich ausgestaltet?

Ja, Asylbewerber haben das Recht, gegen eine geplante Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat gerichtlichen Rechtsschutz zu suchen. Dies ist durch Artikel 27 der Dublin-III-Verordnung geregelt, der besagt, dass effektiver Rechtsschutz zur Verfügung stehen muss, einschließlich der Möglichkeit zur Aussetzung der Überstellung bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung. Das Verfahren sieht vor, dass der Antragsteller gegen die Überstellungsentscheidung innerhalb festgelegter Fristen Klage einreichen kann. Die Gerichte überprüfen dabei nicht nur die Formalien der Zuständigkeitsbestimmung, sondern auch menschenrechtliche Aspekte, insbesondere mögliche systemische Mängel im Asylsystem des Zielstaats (unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte). Solche Mängel können berechtigten Anlass für eine rechtswidrige Überstellung sein und den zuständigen Staat verpflichten, die Prüfung des Asylantrags selbst zu übernehmen.

Was sind die rechtlichen Folgen eines Untertauchens des Antragstellers im Dubliner Verfahren?

Wenn ein Antragsteller während des Dublin-Verfahrens untertaucht, das heißt, sich den Behörden entzieht und nicht auffindbar ist, führt dies zu einer Veränderung der Fristen zur Überstellung. Die maximale Frist verlängert sich in diesem Fall von sechs auf bis zu 18 Monate. Nach Ablauf dieser Frist geht die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags auf den um Überstellung ersuchenden Staat über. Zudem kann das Untertauchen als negativ für die Glaubwürdigkeit und Kooperationsbereitschaft des Antragstellers gewertet werden und Einfluss auf spätere Verfahren haben. Dennoch gelten auch bei untergetauchten Personen Schutzstandards und menschenrechtliche Mindestanforderungen, so dass elementare Rechte nicht außer Kraft gesetzt werden können.

Wie wird mit Familienzugehörigkeit und Minderjährigen im Dubliner Übereinkommen rechtlich verfahren?

Das Dubliner Übereinkommen misst der Berücksichtigung familiärer Bindungen besondere Bedeutung bei. Insbesondere im Fall unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ist das Wohl des Kindes vorrangig zu beachten. Ist ein Familienangehöriger, dem ein Schutzstatus zuerkannt wurde, in einem anderen Mitgliedstaat des Dublin-Raums aufhältig, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Zuständigkeit dieses Staates für den Asylantrag des Kindes oder der Familienangehörigen entstehen (Familienzusammenführung). Der rechtliche Rahmen schreibt vor, dass die Mitgliedstaaten alle angemessenen Maßnahmen ergreifen, um die familiäre Einheit zu wahren, einschließlich des aktiven Austauschs von Informationen und ggf. Anwendung von Ausnahmeregelungen. Entscheidungen im Sinne des Kindeswohls, wie sie die UN-Kinderrechtskonvention verlangt, sind dabei stets oberste Maxime.