Legal Lexikon

Drittstaat, sicherer


Definition und rechtliche Grundlagen des sicheren Drittstaats

Der Begriff „sicherer Drittstaat” spielt eine zentrale Rolle im Asyl-, Aufenthalts- und Flüchtlingsrecht zahlreicher Staaten, insbesondere innerhalb der Europäischen Union. Ein sicherer Drittstaat ist ein Land, in dem nach Einschätzung eines aufnehmenden Staates der Schutzsuchende vor Verfolgung, Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung sicher ist und außerdem Zugang zu einem fairen Asylverfahren besteht. Die genaue rechtliche Definition und die damit verbundenen Voraussetzungen sind von großer Bedeutung für die Handhabung von Asylanträgen und den internationalen Flüchtlingsschutz.

Herkunft und völkerrechtliche Verankerung

Die Grundlage für die Anwendung des Konzepts sicherer Drittstaaten findet sich in verschiedenen internationalen Abkommen, insbesondere in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und dem Protokoll von 1967. Darüber hinaus regelt das Europäische Recht durch mehrere Richtlinien und Verordnungen, insbesondere durch die Dublin-III-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 604/2013), die Zuständigkeit und Anwendung des Drittstaatskonzepts.

Ziele und Funktion des Konzepts

Das Konzept des sicheren Drittstaats verfolgt das Ziel, eine geordnete Zuwanderung und einen effektiven Schutz von Flüchtlingen zu garantieren, gleichzeitig aber sogenannte „Asyl-Shopping”-Phänomene und Mehrfachanträge in verschiedenen Staaten zu vermeiden. Staaten sollen nicht verpflichtet sein, einem Schutzsuchenden Schutz zu gewähren, wenn dieser sich bereits in einem Staat aufhält oder aufgehalten hat, der als sicher angesehen wird.

Rechtliche Voraussetzungen für die Einstufung als sicherer Drittstaat

Die Einstufung eines Staates als sicherer Drittstaat ist an eine Reihe von gesetzlichen Kriterien gebunden. Diese Kriterien sind in nationalen und internationalen Rechtsnormen definiert.

Europäische Union und nationale Regelungen

Dublin-III-Verordnung

Gemäß der Dublin-III-Verordnung gilt ein Drittstaat als sicher, wenn er:

  • Die Genfer Flüchtlingskonvention und das Protokoll von 1967 ratifiziert hat,
  • das Refoulement-Verbot achtet (Verbot der Abschiebung in einen Staat, in dem Verfolgung oder Misshandlung droht),
  • ein funktionierendes und effektives Asylverfahren gewährleistet,
  • Menschenrechte, insbesondere das Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung, garantiert.

Gemeinsame EU-Liste sicherer Drittstaaten

Die Europäische Union verfügt bislang nicht über eine abschließende gemeinsame Liste sicherer Drittstaaten. Vielmehr obliegt es den einzelnen Mitgliedstaaten, nationale Verzeichnisse zu führen, wobei eine regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Listung infolge politischer Veränderungen in den betreffenden Drittstaaten vorgeschrieben ist.

Deutsches Recht: § 26a Asylgesetz (AsylG)

Nach § 26a des deutschen Asylgesetzes gelten solche Staaten als sichere Drittstaaten, die:

  • die Genfer Flüchtlingskonvention ohne geographische Einschränkungen anwenden,
  • daran gebunden sind, insbesondere auch das Refoulement-Verbot einzuhalten,
  • ein funktionierendes System zum Schutz von Asylsuchenden vor Verfolgung anhalten.

Die Liste sicherer Drittstaaten ist in Anlage I zum Asylgesetz aufgeführt und umfasst insbesondere alle EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegen und die Schweiz.

Anwendung im Asylverfahren

Das Instrument des sicheren Drittstaates ist ein zentrales Filterkriterium bei der Bearbeitung von Asylbegehren.

Verfahren und Rechtsfolgen

Stellt eine Person einen Asylantrag und hat vorher einen sicheren Drittstaat durchreist oder sich dort aufgehalten, kann der Antrag nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen als unzulässig abgelehnt werden. Statt einer materiellen Prüfung der Fluchtgründe im eigentlichen Aufnahmestaat wird der Antragsteller in den sicheren Drittstaat zurückgeführt oder dorthin zurückgewiesen, sofern die Rücküberstellung praktisch möglich und rechtlich zulässig ist.

Garantie effektiven Rechtsschutzes

Die Zurückweisung oder Rückführung in einen sicheren Drittstaat ist nur zulässig, wenn dort die Rechte und Schutzgarantien des internationalen Flüchtlingsschutzes tatsächlich gewährt werden. Die Annahme eines sicheren Drittstaates kann durch neue politische Entwicklungen, Bürgerkrieg oder gravierende Menschenrechtsverletzungen entkräftet werden. Daher sieht das Asylverfahren auch Prüfungen im Einzelfall sowie Möglichkeiten des Rechtsschutzes vor.

Besondere Regelungen

Für bestimmte Personengruppen, etwa unbegleitete Minderjährige oder besonders Schutzbedürftige, bestehen teilweise ausnahmsweise weitergehende Schutzgarantien oder Sonderregeln zur Prüfung des Einzelfalls.

Rechtsmittel und Überprüfungsmechanismen

Rechtsschutz gegen die Einstufung

Gegen die Ablehnung eines Asylantrags mit der Begründung, der Antragsteller sei über einen sicheren Drittstaat eingereist, stehen dem Betroffenen in der Regel Rechtsmittel offen. In Deutschland etwa ist die verwaltungsgerichtliche Klage gegen ablehnende Entscheidungen möglich.

Überprüfung der Drittstaatslisten

Die Einstufung als sicherer Drittstaat unterliegt einer fortlaufenden Überprüfung durch die jeweiligen staatlichen Behörden, unter Beachtung der sich ständig verändernden politischen und menschenrechtlichen Situation in den Staaten. Veränderungen führen zur Anpassung der Listen oder auch zur Suspendierung der Drittstaatsregelungen für bestimmte Staaten.

Internationalrechtliche und praktische Herausforderungen

Kritik und Kontroversen

Die Anwendung des sicheren Drittstaats-Prinzips ist Gegenstand regelmäßiger internationaler Diskussion und Kritik. Kritisch bewertet wird insbesondere, ob alle aufgelisteten Staaten tatsächlich durchgängig und wirksam die Schutzstandards der Genfer Flüchtlingskonvention und des internationalen Menschenrechtsschutzes umsetzen. Praktische Herausforderungen ergeben sich zudem bei der Durchführung von Überstellungen und bei der Feststellung, ob ein Schutzsuchender einen sicheren Drittstaat tatsächlich durchreist hat.

Wechselwirkungen mit völkerrechtlichen Prinzipien

Das Refoulement-Verbot, das als elementares Prinzip des Flüchtlingsschutzes gilt, bildet eine scharfe rechtliche Grenze für Rücknahmen und Abschiebungen. Auch das Recht auf ein faires Verfahren und wirksamen Rechtsschutz bei drohender Abschiebung ist international gewährleistet.

Zusammenfassung

Der sichere Drittstaat ist ein zentrales Instrument des internationalen Asylrechts, das sowohl die besonderen Schutzinteressen von Flüchtlingen als auch berechtigte ordnungspolitische und verfahrensökonomische Anliegen der Aufnahmestaaten berücksichtigt. Die genaue rechtliche Ausgestaltung und die konkrete Anwendung unterliegen regelmäßig einer umfassenden Überprüfung, um den Herausforderungen des Flüchtlingsschutzes im internationalen Kontext gerecht zu werden. Das Verständnis der internationalen, europäischen sowie nationalen Grundlagen und Mechanismen des sicheren Drittstaats ist entscheidend für eine sachgerechte Beurteilung und Anwendung dieses Rechtsinstituts.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Kriterien bestimmen, ob ein Staat als sicherer Drittstaat gilt?

Im rechtlichen Kontext definiert das Asyl- und Aufenthaltsrecht präzise Anforderungen daran, wann ein Staat als „sicherer Drittstaat” gilt. Maßgeblich ist hierbei insbesondere § 26a des deutschen Asylgesetzes, ergänzt durch europäische Vorgaben, wie etwa Artikel 38 der EU-Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU). Nach diesen Bestimmungen wird ein Staat als sicher angesehen, wenn dort das Leben und die Freiheit des Asylsuchenden nicht aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung bedroht sind und der Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) eingehalten wird. Darüber hinaus muss dem Ausländer im sicheren Drittstaat die Möglichkeit zum Antrag auf internationalen Schutz bestehen, verbunden mit der Aussicht auf faire und zügige Verfahren und menschenwürdige Aufnahmebedingungen. Die Einstufung eines Landes erfolgt in der Regel durch Gesetz oder eine Rechtsverordnung, wobei regelmäßig eine Prüfung aktueller menschenrechtlicher und asylrechtlicher Standards erfolgt.

Welche rechtlichen Folgen hat die Einstufung eines Staates als sicherer Drittstaat?

Die rechtliche Einstufung eines Landes als sicherer Drittstaat hat direkte Auswirkungen auf das individuelle Asylverfahren. In Deutschland etwa führt sie gemäß § 26a AsylG dazu, dass Asylanträge von Personen, die über einen solchen Staat eingereist sind, grundsätzlich als „unzulässig” abgelehnt werden. Der betroffenen Person bleibt sodann im Regelfall nur noch die Möglichkeit des sogenannten „Antragstellens im Transitland” oder die Darlegung schwerer persönlicher Gründe, die einer Rückführung entgegenstehen könnten. Das nationale Recht verweist auf die Verpflichtung, den Asylbewerber dorthin zurückzuweisen oder abzuschieben, sofern keine Ausnahmegründe, wie etwa schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Einzelfall, vorliegen. Auch verfahrensrechtlich werden Anträge, welche die sichere Drittstaatenregelung berühren, oft nach dem beschleunigten Verfahren behandelt.

Wie wird die Liste sicherer Drittstaaten rechtlich festgelegt und überprüft?

Die Festlegung und Überprüfung sicherer Drittstaaten erfolgt in Deutschland auf gesetzlicher Grundlage, insbesondere durch § 26a Abs. 2 AsylG in Verbindung mit Anlage I zum Asylgesetz. Die Liste der als sicher geltenden Drittstaaten wird durch den Gesetzgeber, unter Berücksichtigung internationaler und europarechtlicher Standards, festgelegt. Regelmäßige Überprüfungen finden statt, wobei aktuelle Menschenrechtsberichte, Empfehlungen internationaler Organisationen (wie UNHCR oder Europarat) und Urteile höchstrichterlicher Rechtsprechung, etwa des Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, mit einbezogen werden. Rechtsakte zur Bestimmung oder Änderung der Liste sind parlamentarisch abzustimmen und unterliegen der gerichtlichen Kontrolle.

Welche rechtlichen Schutzmechanismen bestehen für Ausnahmen von der Drittstaatenregelung?

Trotz der Anwendung der sicheren Drittstaatenregelung bleiben Schutzmaßnahmen bestehen, welche dem individuellen Rechtsschutz des Asylsuchenden Rechnung tragen. Dazu zählt insbesondere das Recht auf Einzelfallprüfung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens. Ein Asylantrag darf laut § 26a AsylG und europäischem Recht nicht allein wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat abgelehnt werden, wenn im Einzelfall glaubhaft gemacht wird, dass der Drittstaat doch kein sicherer Hafen für den Betroffenen wäre, etwa durch drohende Verfolgung, systemische Mängel oder das Risiko einer Kettenabschiebung. Auch gegen ablehnende Bescheide sind Rechtsmittel wie die Klage vor den Verwaltungsgerichten möglich, wobei im beschleunigten Verfahren teils verkürzte Fristen gelten. Verfassungs- und menschenrechtliche Vorgaben fungieren als zusätzliche Korrektive.

Wie wirken sich europarechtliche Vorschriften auf die Anwendung nationaler Drittstaatenregelungen aus?

Europarechtliche Richtlinien und Verordnungen, insbesondere die Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) sowie die Dublin-III-Verordnung (604/2013/EU), stellen verbindliche Mindeststandards für die Anwendung von Drittstaatenregelungen auf nationaler Ebene auf. Dabei schreiben sie nicht nur vor, wie und nach welchen Kriterien Drittstaaten als sicher zu bewerten sind, sondern garantieren auch, dass Verfahrensrechte gewahrt und internationale Schutzprinzipien, wie der Zugang zu fairen Asylverfahren und der Non-Refoulement-Grundsatz, eingehalten werden. Nationale Regelungen, die diesen Vorgaben widersprechen, sind unionsrechtswidrig und können im Rahmen von Individualverfahren vor nationalen oder europäischen Gerichten überprüft werden. Dies führt dazu, dass nationale Ausnahmeregelungen oder Verschärfungen stets mit dem übergeordneten EU-Recht abzugleichen sind.

Unter welchen Voraussetzungen kann ein Asylsuchender trotz Durchreise durch einen sicheren Drittstaat Asyl in Deutschland erhalten?

Ein Asylsuchender, der über einen als sicher geltenden Drittstaat nach Deutschland eingereist ist, kann im Regelfall kein Asyl erhalten, da sein Antrag gemäß § 26a AsylG als unzulässig gilt. Ausnahmen bestehen jedoch, wenn der Bewerber nachweist, dass ihm im Drittstaat keine tatsächliche Möglichkeit der Schutzbeantragung offenstand, ihm eine Rückkehr dorthin nicht möglich oder zumutbar ist oder konkrete individuelle Gefahren drohen. Solche Einwände müssen im Rahmen der Antragstellung dezidiert dargelegt und glaubhaft gemacht werden, wozu etwa Nachweise über drohende individuelle Verfolgung, systemische Verfahrensmängel oder menschenrechtswidrige Haftbedingungen herangezogen werden können. Nur wenn die adäquate Schutzmöglichkeit und menschenwürdige Aufnahme im Drittstaat nicht gewährleistet sind, kann eine Ausnahme im Einzelfall greifen.