Legal Lexikon

Dritter Weg


Definition und rechtlicher Hintergrund des „Dritten Wegs”

Der Begriff „Dritter Weg” bezeichnet im deutschen Arbeitsrecht eine besondere Form der Regelung der Arbeitsbedingungen in kirchlichen und religionsgemeinschaftlichen Einrichtungen, die sich von den Prinzipien des Ersten (Individualvereinbarung) und des Zweiten Wegs (Tarifvertrag) unterscheidet. Er findet insbesondere im Bereich der Kirchen, ihrer Wohlfahrtsverbände (wie Caritas und Diakonie) und anderer Religionsgemeinschaften Anwendung. Der Dritte Weg prägt die Arbeitsrechtsordnung der Kirchen und ist Ausdruck des Selbstverwaltungsrechts der Religionsgemeinschaften gemäß Art. 140 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 137 Weimarer Reichsverfassung (WRV).

Historische Entwicklung und rechtliche Grundlagen

Entstehungsgeschichte

Die Rechtsfigur des Dritten Wegs entwickelte sich seit den 1950er Jahren, um dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht der Kirchen über ihre inneren Angelegenheiten, einschließlich der Beschäftigungsbedingungen, Rechnung zu tragen. Die wesentliche Grundlage bietet Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV, wonach jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnet und verwaltet.

Verhältnis zu Erstem und Zweitem Weg

Im Ersten Weg werden Arbeitsbedingungen individuell, im Rahmen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber vereinbart. Der Zweite Weg kennzeichnet die eigenständige, kollektive Aushandlung durch Tarifverträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Im Dritten Weg werden hingegen die Arbeitsvertragsbedingungen in paritätisch besetzten Kommissionen, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Dienstgeber und Dienstnehmer, gemeinsam beraten und beschlossen.

Organisation und Verfahren im Dritten Weg

Kommissionsmodell

Kern des Dritten Wegs ist die Arbeitsrechtliche Kommissionsverfassung. Hierbei werden Vertreter der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite gleichermaßen in eigens eingerichtete Arbeitsrechtliche Kommissionen entsandt. Diese beschließen gemeinsam über Sinngemäßigkeit, Höhe und sonstige Rahmenbedingungen von Vergütung, Arbeitszeit und weiteren Arbeitsbedingungen.

Beschlussverfahren

Die Kommissionen sind in ihrer Entscheidungsfindung zwingend an das Konsensprinzip oder qualifizierte Mehrheiten gebunden. Verhandlungsergebnisse gelten gegenüber sämtlichen Einrichtungen der jeweiligen kirchlichen Rechtsträger sowie deren Beschäftigten. Zur Lösung etwaiger Konflikte werden strukturierte Schlichtungsverfahren vor unabhängigen Schlichtungsstellen vorgesehen.

Ausschluss des Streikrechts und Arbeitskampfes

Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal des Dritten Wegs gegenüber dem Zweiten Weg ist der grundsätzliche Ausschluss von Arbeitskampfmaßnahmen, insbesondere Streiks und Aussperrungen. In der arbeitsgerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass das Streikverbot rechtmäßig ist, sofern ein effektives Beteiligungs- und Mitbestimmungsverfahren, insbesondere durch die Kommissionsverfassung und unabhängige Schlichtung, garantiert bleibt (u.a. BAG Urteil vom 20. November 2012, 1 AZR 179/11).

Rechtsbindung und Geltungsbereich

Die von den Arbeitsrechtlichen Kommissionen beschlossenen Regelungen gelten unmittelbar und zwingend für die jeweiligen kirchlichen Einrichtungen und deren Beschäftigte. Gleichwohl handelt es sich rechtstechnisch um Allgemeine Geschäftsbedingungen, da sie nicht normativ wie Tarifverträge, sondern durch arbeitsvertragliche Bezugnahme Bindungswirkung entfalten.

Verfassungsrechtliche Dimensionen

Selbstverwaltungsrecht der Kirchen

Das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen nach Art. 140 GG, Art. 137 III WRV umfasst ausdrücklich das Recht, auch die Arbeitsrechtsregelungen selbstständig festzulegen. Dieses Recht wird durch den Dritten Weg verwirklicht. Die Verfassungsordnung verlangt allerdings, dass kirchliche Arbeitsrechtsregelungen im Einklang mit dem staatlichen Arbeitsrecht stehen und die Grundrechte der Beschäftigten nicht unverhältnismäßig einschränken.

Europarechtliche Bezüge

Auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts, insbesondere der Antidiskriminierungsrichtlinien, wird der Dritte Weg von der deutschen Rechtsordnung anerkannt, sofern ein angemessener Schutz der individuellen Arbeitnehmerrechte gewährleistet ist. Grundsatzentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) fordern eine staatliche Kontrollmöglichkeit, um etwaige Diskriminierungen oder unverhältnismäßige Einschränkungen zu verhindern.

Praxis und Kritik

Anwendungsbereiche

Der Dritte Weg wird insbesondere bei den beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland (römisch-katholisch und evangelisch) sowie ihren Wohlfahrtsverbänden (Caritas, Diakonie) angewendet. Die betroffenen Einrichtungen beschäftigen einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer im Sozial- und Gesundheitswesen.

Kritische Diskussion

Der Dritte Weg steht seit Jahren im Fokus öffentlicher und wissenschaftlicher Debatten. Kritisiert wird insbesondere das Streikverbot, die fehlende Tarifautonomie sowie die Bindungswirkung von Kommissionsbeschlüssen. Befürworter betonen die Wahrung der kirchlichen Eigenständigkeit und religiöse Identität, da Mitarbeiter nicht lediglich als Funktionsträger traditioneller Unternehmen erachtet werden.

Der Gesetzgeber und die Rechtsprechung erkennen die Legitimität des Dritten Wegs unter engen Voraussetzungen an, bestehen jedoch auf der Einhaltung grundlegender Schutzrechte für die Beschäftigten und effektiver Mitbestimmungsverfahren.

Zusammenfassung

Der Dritte Weg ist ein eigenständiges, rechtlich anerkanntes System der Regelung von Arbeitsbedingungen in kirchlichen sowie religionsgemeinschaftlichen Einrichtungen. Er basiert auf paritätischer Kommissionsverfassung und schließt Arbeitskampfrechte weitgehend aus. Verfassungsrechtlich ist diese Form der Regelung eng mit dem kirchlichen Selbstverwaltungsrecht nach Art. 140 GG verknüpft. Die rechtliche Legitimation des Dritten Wegs steht im Spannungsfeld zwischen kollektiver Autonomie, individueller Arbeitnehmerrechte sowie der staatlichen Rechtsordnung und ist fortlaufenden Entwicklungen und Kontrollen unterworfen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln den Dritten Weg in Deutschland?

Der sogenannte Dritte Weg ist in Deutschland vor allem durch verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Vorgaben geprägt. Die Hauptgrundlage bildet das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Nach dieser Bestimmung steht es den Kirchen frei, ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten. Zu diesen eigenen Angelegenheiten zählt ausdrücklich das Arbeitsrecht, insbesondere das Recht, die Bedingungen für das Arbeitsverhältnis unabhängig von den staatlichen Regelungen (insb. Tarifvertragsgesetz) festzulegen. Einfachgesetzlich wird dies vertieft durch § 118 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), § 112 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) sowie § 53 LandespersVG, die den Religionsgesellschaften und ihren Einrichtungen einen Sonderstatus hinsichtlich der Anwendung des kollektiven Arbeitsrechts zubilligen. Einen weiteren rechtlichen Rahmen setzen die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts, sowie diverse Landesgesetze und das Antidiskriminierungsrecht, das die kirchlichen Regelungen in Einklang mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz bringen muss.

Gibt es Ausnahmen oder Einschränkungen für die Anwendung des Dritten Weges?

Obwohl das Selbstbestimmungsrecht weit gefasst ist, ist der Dritte Weg nicht schrankenlos möglich. Die Anwendung ist an das Gebot der Verhältnismäßigkeit sowie den Grundsatz des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 GG) gebunden. Die rechtlichen Grenzen werden insbesondere durch europarechtliche Vorgaben wie die Arbeitszeitrichtlinie, die Richtlinie zur Bekämpfung von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) und die Europäische Menschenrechtskonvention bestimmt. So müssen die von der Kirche aufgestellten eigenen Arbeitsrechtsregelungen mit den allgemeinen arbeits- und sozialrechtlichen Schutzvorschriften übereinstimmen und dürfen wesentliche Grundrechte der Beschäftigten – etwa hinsichtlich Meinungsfreiheit, Koalitionsfreiheit oder Schutz gegen Diskriminierung – nicht faktisch ausschließen. Einzelne Bereiche wie der Kündigungsschutz oder das Mitbestimmungsrecht können nicht völlig außer Kraft gesetzt werden, sondern unterliegen gerichtlicher Kontrolle.

Inwieweit ist die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG im Dritten Weg betroffen?

Die Koalitionsfreiheit gewährt allen Beschäftigten das Recht, Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden. Im Zuge des Dritten Weges in kirchlichen Einrichtungen wird das Streikrecht jedoch eingeschränkt, da die Arbeitsbedingungen nicht durch Tarifverhandlungen und Arbeitskampfmaßnahmen, sondern durch paritätisch besetzte Arbeitsrechtliche Kommissionen festgelegt werden. Diese Besonderheit wird als rechtmäßig anerkannt, solange der Dritte Weg als gleichwertige Alternative zur Tarifautonomie ausgestaltet ist und eine effektive Beteiligung der Beschäftigten an der Festlegung der Arbeitsbedingungen gewährleistet bleibt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht betrachten den Ausschluss gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen unter diesen Voraussetzungen als legitim, sofern das Beteiligungsrecht der Mitarbeiter angemessen verwirklicht wird.

Wie wird die Mitbestimmung der Beschäftigten im Dritten Weg gesetzlich garantiert?

Die Mitbestimmung im Dritten Weg erfolgt regelmäßig durch sogenannte Arbeitsrechtliche Kommissionen, in denen paritätisch Vertreter der Dienstgeberseite (Arbeitgeber) und Dienstnehmerseite (Arbeitnehmer) sitzen. Diese Kommissionen sind in eigenen kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, zum Beispiel in der „MAVO” (Mitarbeitervertretungsordnung der katholischen Kirche) oder der „MVG-EKD” (Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland), rechtlich festgehalten. Die Kommissionen verhandeln und beschließen Regelungen zu Vergütungen, Arbeitszeiten und anderen Arbeitsbedingungen. Die Auswahl der Kommissionsmitglieder ist dabei demokratisch legitimiert, wobei Arbeitnehmer in der Regel ihre Vertreter selbst wählen. Darüber hinaus kann bei Streitigkeiten ein kirchliches Schlichtungsverfahren vorgeschaltet sein. Letztlich sind auch diese Kommissionsbeschlüsse an den Maßstab des staatlichen Arbeitsrechts und die Kontrolle durch die Arbeitsgerichte gebunden.

In welchem Verhältnis steht der Dritte Weg zu den staatlichen Arbeitsgerichten?

Obwohl die Kirchen im Rahmen des Dritten Weges weitreichende Autonomie bei der Regelung von Arbeitsverhältnissen genießen, bleiben ihre Entscheidungen nicht der staatlichen Kontrolle entzogen. Beschäftigte können bei Arbeitskonflikten im Grundsatz den Rechtsweg zu den staatlichen Arbeitsgerichten beschreiten und diese überprüfen, ob kirchliche Eigenregelungen mit höherrangigem staatlichem oder europäischem Recht zu vereinbaren sind. Insbesondere die Einhaltung zwingender arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften, der Arbeitnehmerrechte und Antidiskriminierungsbestimmungen sowie die Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) sind auch im kirchlichen Arbeitsrecht gewährleistet. Die Arbeitsgerichte nehmen allerdings regelmäßig Rücksicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und prüfen lediglich, ob die von den Kirchen geschaffenen Regelungen den rechtlichen Mindeststandards genügen und das religiöse Selbstverständnis ausreichend berücksichtigt ist.

Können Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen gegen Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommissionen klagen?

Beschäftigte kirchlicher Einrichtungen haben das Recht, Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommissionen dann gerichtlich überprüfen zu lassen, wenn sie ihre individuellen oder kollektivrechtlichen Rechte verletzt sehen. Dabei wird im Klageverfahren insbesondere geprüft, ob die jeweiligen Kommissionen nach gesetzeskonformen Regeln besetzt waren, ob die Verfahrensrechte der Arbeitnehmerseite gewahrt wurden und ob die beschlossenen Regelungen mit staatlichem und europäischem Recht im Einklang stehen. Die Gerichte beschränken sich jedoch auf eine Rechtskontrolle und greifen nur ein, wenn offenkundige Verstöße gegen zwingendes Recht, Diskriminierungsverbote oder die Verfahrensgrundsätze nachweisbar sind. Die inhaltliche Angemessenheit der Regelungen bleibt grundsätzlich der kirchlichen Entscheidung überlassen, soweit keine grundrechtswidrigen Ergebnisse zu befürchten sind.

Welche Konsequenzen ergeben sich bei Verstößen gegen das staatliche Arbeitsrecht im Rahmen des Dritten Weges?

Begeht eine kirchliche Einrichtung im Rahmen des Dritten Weges Verstöße gegen das staatliche Arbeitsrecht, so kann dies unterschiedlich sanktioniert werden. Sind beispielsweise zwingende arbeitsrechtliche Vorschriften wie Mindestentgelt, Arbeitszeitschutz, Gleichbehandlung oder Mitbestimmungsrechte verletzt, können die Betroffenen vor den Arbeitsgerichten klagen. Je nach Art des Verstoßes kann dies bis zur Unwirksamkeit einzelner arbeitsvertraglicher Klauseln, zur Nachzahlung von Vergütung oder zur Feststellung von Rechten aus dem Betriebsverfassungsrecht führen. Schwere Verstöße können zudem Bußgelder oder weitere Sanktionen wie Fördermittelentzug zur Folge haben, sofern etwa das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder öffentliche Zuwendungsbestimmungen betroffen sind. Langfristig muss die Einrichtung ihre Arbeitsrechtsregelungen anpassen, um weiterhin vom kirchlichen Sonderrecht Gebrauch machen zu können.