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dolus subsequens

Begriff und Grundgedanke des dolus subsequens

Dolus subsequens bezeichnet einen erst nach der tatbestandsmäßigen Handlung gefassten Vorsatz. Gemeint ist die nachträgliche innere Einstellung, ein bestimmtes Unrecht gewollt oder gebilligt zu haben, obwohl diese Einstellung während der eigentlichen Tat noch nicht vorlag. Nach allgemeinem Verständnis fehlt es beim dolus subsequens an der notwendigen Gleichzeitigkeit von Handlung und Vorsatz. Er kann deshalb ein bereits begangenes Verhalten nicht nachträglich in ein vorsätzliches Unrecht „umwandeln“.

Der zugrunde liegende Leitgedanke ist das Simultanitätsprinzip: Für eine vorsätzliche Tat muss der betreffende Vorsatz während der relevanten Handlung oder jedenfalls in dem Zeitpunkt bestehen, in dem der tatbestandsmäßige Erfolg herbeigeführt wird. Später gebildete Absichten oder Billigungen bleiben für die Einordnung als vorsätzliche Tat grundsätzlich ohne Bedeutung.

Systematische Einordnung

Abgrenzung: dolus antecedens, dolus concomitans und dolus subsequens

Zur Einordnung hilft die Gegenüberstellung mit verwandten Begriffen:

  • Dolus antecedens: ein vor der Tat bestehender Vorsatz, der zum Tatzeitpunkt nicht (mehr) fortwirkt. Ohne Fortwirkung genügt er nicht für eine vorsätzliche Tat.
  • Dolus concomitans: der während der Tat bestehende Vorsatz. Er ist für die Annahme vorsätzlichen Handelns entscheidend.
  • Dolus subsequens: ein nach der Tat gefasster Vorsatz. Er ist für die vorsätzliche Begehung grundsätzlich unbeachtlich.

Verhältnis zum Simultanitätsprinzip

Das Simultanitätsprinzip fordert, dass Vorsatz und tatbestandsmäßige Handlung zeitlich zusammenfallen. Dolus subsequens widerspricht dieser Anforderung und entfaltet daher regelmäßig keine tatbestandsbegründende Wirkung. Er kann eine zuvor fahrlässige oder gar nicht tatbestandsmäßige Handlung nicht nachträglich zu einer vorsätzlichen Tat aufwerten.

Stellenwert im Aufbau der Strafbarkeit

Im klassischen Prüfungsaufbau spielt der dolus subsequens vor allem bei der Frage des subjektiven Tatbestands eine Rolle. Fehlt der erforderliche Vorsatz zum Tatzeitpunkt, scheidet eine vorsätzliche Begehung aus. Eine spätere innere Haltung kann allenfalls für andere rechtliche Aspekte (etwa die Bewertung des Verhaltens nach der Tat) eine Rolle spielen, nicht jedoch für die Begründung des Vorsatzdelikts.

Praktische Fallgruppen

Vermögensdelikte

Nachträgliche Aneignungsabsicht

Wer eine Sache zunächst ohne Zueignungsabsicht an sich nimmt (etwa zur kurzfristigen Nutzung) und erst später beschließt, sie zu behalten, handelt nicht rückwirkend „vorsätzlich“ im Sinne eines bereits zuvor vollendeten Zueignungsdelikts. Die für bestimmte Vermögensdelikte geforderte Absicht muss grundsätzlich im Zeitpunkt der Wegnahme vorgelegen haben. Kommt sie erst später hinzu, kann dies je nach weiterem Verhalten andere Tatbestände berühren, führt aber nicht zur rückwirkenden Vollendung des ursprünglich in Betracht gezogenen Delikts.

Delikte gegen Leib und Leben

Billigung des Erfolgs erst nach Eintritt

Kommt es zu einer Verletzung oder einem tödlichen Erfolg ohne vorherigen Vorsatz, ändert eine nachträgliche Billigung dieses Ergebnisses nichts daran, dass zum Tatzeitpunkt kein Vorsatz bestand. Allerdings gilt: Setzt eine Person nach dem Entstehen des Vorsatzes weitere Handlungen, die den Erfolg vertiefen oder verlängern, können diese späteren Akte ihrerseits vorsätzlich sein.

Teilnahme und Unterstützung nach der Tat

Abgrenzung zur Unterstützungshandlung nach der Beendigung

Wer erst nach Abschluss einer rechtswidrigen Tat den Entschluss fasst, der Täterin oder dem Täter zu helfen (etwa durch Verschleierungshandlungen), ist nicht rückwirkend an der Vortat beteiligt. Solche Unterstützungen nach der Tatphase werden als eigenständige, nachgelagerte Verhaltensweisen eingeordnet, nicht als Teilnahme an der vorausgegangenen Tat.

Versuch und Rücktritt

Vorsatzbeginn und Fortführung

Für den Versuch muss der Vorsatz bereits mit Beginn der Ausführungshandlung vorliegen. Entsteht die innere Tatgeneigtheit erst, nachdem alle relevanten Ausführungshandlungen beendet sind, begründet dies keinen Versuch für die schon abgeschlossene Handlung. Beginnt die Person hingegen nach dem Vorsatzentschluss mit neuen Schritten zur Tat, können diese neuen Schritte einen Versuch tragen.

Dogmatische Bedeutung und Streitfragen

Warum dolus subsequens regelmäßig unbeachtlich ist

Die Unbeachtlichkeit folgt aus dem Grundsatz persönlicher Verantwortung für das in der konkreten Situation Gewollte oder Gebilligte. Verantwortlichkeit für vorsätzliches Unrecht setzt eine Übereinstimmung zwischen Handlung und innerer Einstellung im Tatmoment voraus. Ein nachträglich gebildeter Wille spiegelt die damalige Risikobewertung und Entscheidungsfreiheit nicht wider.

Ausnahmen und Randbereiche

In Konstellationen fortdauernder Rechtsverletzungen oder andauernder Zustände kann eine nachträglich entstehende innere Einstellung für die Zukunft relevant werden. Typisch sind Fälle, in denen das Unrecht nicht punktuell, sondern über einen Zeitraum hinweg verwirklicht wird. Entsteht in diesem Zeitraum der entsprechende Vorsatz, kann ab diesem Zeitpunkt eine vorsätzliche Fortsetzung vorliegen. Rückwirkende Effekte auf bereits abgeschlossene Teilakte ergeben sich daraus jedoch nicht.

Vergleichende Perspektiven

Auch in anderen Rechtsordnungen setzt vorsätzliches Handeln in der Regel eine Gleichzeitigkeit von Handlung und innerer Einstellung voraus. Bei Vermögensdelikten wird häufig verlangt, dass die Absicht zur dauerhaften Entziehung oder Aneignung schon beim Zugriff auf die Sache bestand. Entsteht sie erst später, kommen andere Tatbestände oder rein zivilrechtliche Folgen in Betracht, nicht jedoch eine rückwirkende Qualifikation als vorsätzliches Zueignungsdelikt.

Bedeutung für Bewertung des Verhaltens nach der Tat

Das Verhalten nach der Tat (Nachtatverhalten) kann für die rechtliche Gesamtbewertung in verschiedener Hinsicht bedeutsam sein, etwa bei der Einordnung zusätzlicher, nachgelagerter Handlungen oder bei der Würdigung der inneren Einstellung in einem weiteren Kontext. Dies ändert jedoch nichts am Grundsatz, dass dolus subsequens die Einordnung der bereits begangenen Tat als vorsätzlich oder fahrlässig nicht mehr beeinflusst.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet dolus subsequens genau?

Dolus subsequens bezeichnet einen Vorsatz, der erst nach der tatbestandsmäßigen Handlung oder nach Eintritt des Erfolgs entsteht. Er ist für die Qualifikation der bereits begangenen Handlung als vorsätzlich grundsätzlich unbeachtlich.

Reicht dolus subsequens aus, um eine Tat als vorsätzlich zu bewerten?

Nein. Für eine vorsätzliche Tat muss der Vorsatz während der Ausführungshandlung oder bei Herbeiführung des Erfolgs vorliegen. Ein später gebildeter Vorsatz kann dies nicht nachholen.

Wie unterscheidet sich dolus subsequens von dolus antecedens?

Dolus antecedens ist ein vor der Tat bestehender, zum Tatzeitpunkt aber nicht fortwirkender Vorsatz; dolus subsequens entsteht erst nach der Tat. Beide genügen nicht für eine vorsätzliche Begehung. Maßgeblich ist der während der Tat bestehende Vorsatz (dolus concomitans).

Welche Rolle spielt dolus subsequens bei Vermögensdelikten?

Bei Delikten, die eine Absicht zur Aneignung oder dauerhaften Entziehung verlangen, muss diese Absicht regelmäßig schon beim Zugriff bestehen. Entsteht sie erst später, kommt eine rückwirkende Vollendung nicht in Betracht; je nach Verhalten können jedoch andere Tatbestände berührt sein.

Hat dolus subsequens Auswirkungen auf den Versuch?

Ein Versuch setzt Vorsatz bereits mit Beginn der Ausführung voraus. Entsteht der Vorsatz erst nach Abschluss der Ausführungshandlung, begründet dies keinen Versuch. Beginnen nach dem Vorsatzentschluss neue Ausführungshandlungen, können diese einen Versuch tragen.

Ist dolus subsequens bei nachträglicher Unterstützungshandlung relevant?

Wer erst nach Abschluss der Vortat Hilfe leistet, ist nicht rückwirkend an dieser beteiligt. Es handelt sich um eine eigenständige, nachgelagerte Verhaltensweise, die gesondert zu bewerten ist.

Gibt es Konstellationen, in denen dolus subsequens doch Bedeutung erlangt?

Bei andauernden Rechtsverletzungen kann ein später entstehender Vorsatz für die zukünftige Fortdauer relevant sein. Auf bereits abgeschlossene Teile der Tat wirkt er jedoch nicht zurück.