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dolus eventualis

Begriff und Grundgedanke des dolus eventualis

Dolus eventualis bezeichnet eine Form des Vorsatzes. Eine Person handelt mit dolus eventualis, wenn sie die Verwirklichung eines tatbestandlichen Erfolgs als möglich erkennt und sich mit dieser Möglichkeit abfindet. Sie zielt nicht darauf ab, den Erfolg sicher herbeizuführen, nimmt ihn aber in Kauf, falls er eintritt.

Kerndefinition

Der Kern des dolus eventualis liegt in zwei Elementen: Erstens erkennt die handelnde Person die konkrete Möglichkeit, dass der tatbestandliche Erfolg eintreten kann (kognitives Element). Zweitens findet sie sich mit dieser Möglichkeit ab oder billigt sie innerlich (voluntatives Element). Beide Elemente müssen zusammenkommen.

Abgrenzung zu anderen Vorsatzformen

Vorsatz kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Bei der Absicht steht die Zielgerichtetheit auf den Erfolg im Vordergrund. Beim direkten Vorsatz (Wissenselement im Vordergrund) weiß die Person sicher oder hält es für sicher, dass der Erfolg eintritt. Dolus eventualis ist schwächer: Der Erfolg ist nur möglich, wird aber hingenommen.

Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit

Bei bewusster Fahrlässigkeit erkennt die Person zwar die Gefahr, vertraut jedoch ernsthaft darauf, dass der Erfolg ausbleibt. Beim dolus eventualis fehlt dieses ernsthafte Vertrauen; stattdessen erfolgt ein inneres Sich-Abfinden mit dem Risiko. Die Grenzziehung ist anspruchsvoll und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Prüfungselemente und typische Beurteilungskriterien

Kognitives Element: Erkennen der Möglichkeit

Erforderlich ist das Bewusstsein, dass der tatbestandliche Erfolg nicht nur theoretisch, sondern konkret möglich ist. Fernliegende, bloß abstrakte Gefahren reichen nicht. Maßgeblich ist, welches Risiko sich aus Sicht der handelnden Person bei Begehung ergab.

Voluntatives Element: Billigung oder Sich-Abfinden

Die handelnde Person muss die mögliche Erfolgsverwirklichung innerlich akzeptieren. Dabei genügt oft ein Gleichmut gegenüber dem Risiko. Eine positive Bejahung des Erfolgs ist nicht erforderlich; das Sich-Abfinden mit dem als möglich erkannten Erfolg genügt.

Indizien und Beweiswürdigung

Da innere Vorstellungen nicht unmittelbar sichtbar sind, wird auf äußere Umstände geschlossen. Häufig herangezogene Indizien sind:

  • Höhe und Offensichtlichkeit des Risikos
  • Gefahrträchtigkeit der eingesetzten Mittel oder Handlungen
  • Kontrollmöglichkeiten über den Geschehensablauf
  • Unterlassen naheliegender Sicherungsmaßnahmen
  • Motivlage und Dringlichkeit des Zieles
  • Verhalten vor, während und nach der Tat, einschließlich Äußerungen
  • Vorwissen, Erfahrung und einschlägige Vorkenntnisse

Die Würdigung erfolgt stets einzelfallbezogen und ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung, nicht aus einzelnen isolierten Faktoren.

Systematische Einordnung und praktische Bedeutung

Bedeutung im Strafrecht

Dolus eventualis ist eine anerkannte Vorsatzform. Er ist bedeutsam, weil zahlreiche Straftatbestände Vorsatz voraussetzen. Liegt dolus eventualis vor, kann er den Vorsatz begründen. Für die Strafzumessung kann die Vorsatzform eine Rolle spielen, ohne dass der Vorsatztyp für sich allein die rechtlichen Folgen vollständig determiniert.

Typische Fallkonstellationen

In der Praxis tritt dolus eventualis häufig bei riskanten Handlungen auf, die mit hoher Gefährdungsdichte verbunden sind, etwa bei gefährlichen Fahrweisen, dem Einsatz gefährlicher Werkzeuge oder dem bewussten Überschreiten von Sicherheitsgrenzen. Entscheidend ist, ob die Person das Risiko in seiner konkreten Ausprägung erkannt und innerlich akzeptiert hat.

Beteiligung und Mittäterschaft

Auch bei mehreren Beteiligten kann dolus eventualis vorliegen. Maßgeblich sind die Vorstellungen jedes Einzelnen über den möglichen Erfolg. Wer den von anderen geschaffenen Risikoverlauf kennt und sich damit abfindet, kann vorsätzlich handeln; die Zurechnung richtet sich nach der jeweiligen Beteiligungsrolle und dem gemeinsamen Tatplan, soweit vorhanden.

Abgrenzungskriterien im Überblick

Ernstnahme- und Billigungsansatz

Weit verbreitet ist die Betrachtung, ob die handelnde Person den Erfolgseintritt ernst nimmt und ihn billigt oder sich zumindest damit abfindet. Fehlt das ernsthafte Vertrauen auf den Nichteintritt, spricht dies für dolus eventualis.

Risikoqualität und Beherrschbarkeit

Je höher und offensichtlicher das Risiko und je weniger beherrschbar der Geschehensablauf, desto näher liegt dolus eventualis. Umgekehrt kann eine nachvollziehbare, tragfähige Erwartung, die Gefahr sicher zu kontrollieren, gegen dolus eventualis sprechen.

Motiv- und Interessenlage

Ist das angestrebte Ziel für die handelnde Person besonders wichtig, kann dies die Bereitschaft erhöhen, einen als möglich erkannten Erfolg hinzunehmen. Gleichgültigkeit gegenüber möglichen Folgen kann ein weiteres Anzeichen sein.

Irrtum und dolus eventualis

Irrtum über Tatumstände

Wer wesentliche tatsächliche Umstände nicht erkennt, hat keinen Vorsatz. Ein Tatsachenirrtum kann deshalb dolus eventualis ausschließen. Maßgeblich ist, welche konkreten Umstände der Handelnde sich vorgestellt hat.

Fehleinschätzung des Risikos

Hält jemand den Erfolgseintritt ernsthaft für ausgeschlossen oder äußerst fernliegend und vertraut darauf, liegt häufig keine Billigung vor. Eine bloße Hoffnung auf den Nichteintritt genügt hingegen nicht, um dolus eventualis zu verneinen.

Abweichungen im Kausalverlauf

Weicht der tatsächliche Geschehensablauf vom vorgestellten ab, bleibt Vorsatz bestehen, wenn sich die Abweichung noch im Rahmen des erkannten Risikos bewegt. Sind die Unterschiede gravierend, kann Vorsatz entfallen.

Internationaler Vergleich

Deutschsprachiger Rechtskreis

Im deutschsprachigen Raum ist dolus eventualis als eigenständige Vorsatzform etabliert. Unterschiede bestehen vor allem in der Beschreibung des voluntativen Elements und in der Gewichtung einzelner Abgrenzungskriterien.

Common-Law-Entsprechungen

Im Common Law existiert keine deckungsgleiche Kategorie. Die dort verwendeten Begriffe, etwa Ausprägungen von Recklessness, überschneiden sich teilweise, erfassen den Anwendungsbereich von dolus eventualis aber nicht vollständig. Die Bewertung hängt stark von der jeweiligen Rechtsordnung ab.

Transnationale Sachverhalte

Bei grenzüberschreitenden Fällen können unterschiedliche Begriffe und Wertungen zu abweichenden Ergebnissen führen. Maßgeblich ist stets das Recht der verfahrensführenden Ordnung und deren Verständnis der inneren Tatseite.

Kritik und kriminalpolitische Aspekte

Weite oder enge Handhabung

Eine weite Handhabung von dolus eventualis kann den Vorsatzbereich stark ausdehnen und den Bereich bewusster Fahrlässigkeit verengen. Eine enge Handhabung betont das Erfordernis einer nachweisbaren inneren Billigung und schützt vor Überdehnung des Vorsatzbegriffs.

Bestimmtheitsgedanke und Schuldangemessenheit

Die Abgrenzung zwischen dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit ist zentral für die Schuldangemessenheit und die Vorhersehbarkeit rechtlicher Konsequenzen. Klar definierte Kriterien dienen der Rechtssicherheit und einer am Einzelfall orientierten Beurteilung.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet dolus eventualis in einfachen Worten?

Es bedeutet, dass jemand den möglichen Eintritt eines verbotenen Erfolgs erkennt und ihn in Kauf nimmt. Die Person will den Erfolg nicht unbedingt, findet sich aber mit ihm ab.

Woran erkennt man die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit?

Bei bewusster Fahrlässigkeit wird ernsthaft darauf vertraut, dass der Erfolg ausbleibt. Beim dolus eventualis fehlt dieses ernsthafte Vertrauen; die Person akzeptiert die Möglichkeit des Erfolgs.

Spielt die Eintrittswahrscheinlichkeit eine Rolle?

Ja. Je höher und offensichtlicher das Risiko, desto eher liegt dolus eventualis nahe. Eine sehr geringe, bloß theoretische Möglichkeit genügt regelmäßig nicht.

Reicht Gleichgültigkeit für dolus eventualis aus?

Gleichgültigkeit gegenüber dem möglichen Erfolg kann ein starkes Indiz sein. Entscheidend bleibt jedoch die Gesamtwürdigung aus Erkennen der Möglichkeit und innerer Billigung.

Kann dolus eventualis beim Versuch vorliegen?

Dolus eventualis kann den erforderlichen Vorsatz für eine versuchte Tat begründen, sofern der Handelnde den tatbestandlichen Erfolg als möglich erkannt und akzeptiert hat.

Wie wird dolus eventualis festgestellt, wenn niemand die Gedanken sehen kann?

Er wird aus äußeren Umständen geschlossen, etwa aus Risikohöhe, eingesetzten Mitteln, Verhalten und Äußerungen der Person, ihren Vorkenntnissen sowie der Beherrschbarkeit des Ablaufs.

Welche Rolle spielen getroffene Sicherheitsmaßnahmen?

Ernsthafte und tragfähige Sicherheitsmaßnahmen können gegen eine Billigung des Erfolgs sprechen. Fehlen naheliegende Sicherungen, kann dies für dolus eventualis sprechen. Entscheidend ist die Gesamtbetrachtung.

Gibt es international unterschiedliche Auffassungen?

Ja. In verschiedenen Rechtsordnungen wird der Umgang mit dolus eventualis bzw. vergleichbaren Konzepten unterschiedlich ausgestaltet. Der konkrete Maßstab hängt vom jeweiligen Rechtssystem ab.